Am 20. März 2011 kann die evangelische Kirche unserer Breiten ein Fest feiern: Der schwarze Talar wurde vor 200 Jahren eingeführt. 1811 erfolgte eine entsprechende Kabinettsorder von König Friedrich Wilhelms III. in Preußen, gültig für christliche wie jüdische Geistliche, Richter und andere königliche Beamte. In der Reformationszeit waren im Bereich der lutherischen Kirchen die Messgewänder häufig in Gebrauch geblieben.
Nach 1811 ist der Talar in Deutschland zur Amtstracht und durch ihren Gebrauch zur gewohnten liturgischen Kleidung der evangelischen Pfarrer geworden. Prädikanten tragen in der Rheinischen, Westfälischen und Badischen Landeskirche sowie in der Kirchenprovinz Sachsen ebenfalls den Pfarrertalar.
Wir möchten die Einführung und den Gebrauch in einer kleinen Reihe würdigen und baten Persönlichkeiten aus den verschiedensten Bereichen um einen Beitrag für die Würdigung. Hier der erste Teil unserer kleinen Reihe:
Maria Jepsen, 66 Jahre, Husum, Bischöfin i. R., evangelisch-lutherisch. „Meinen Talar bekam ich als Theologiestudentin von meiner Großmutter geschenkt; er bedeutete für mich Einstieg in das geistliche Amt, zuerst als Vikarin, dann als Pastorin. Wichtig war mir, den Talar mit einem „Damenkragen“ zu tragen. Das Beffchen lehnte ich als zu männlich ab.
Als junge Pastorin trug ich den Talar nur in den Gottesdiensten in echten kirchlichen Räumen; im Altenheim und bei Gottesdiensten im Freien bevorzugte ich die zivile Kleidung, in der Meinung, damit den Gemeindegliedern näher zu sein. Doch dann spürte ich die Wichtigkeit amtlicher Kleidung – ich trat nicht als Privatperson auf, sondern als Vertreterin der Institution Kirche. Das befreite zu deutlicherer Verkündigung.
Als Bischöfin von Hamburg trug ich das Hamburger Ornat, mit Halskrause und in der Regel mit Stola. Die Hansestädte waren niemals preußisch! Die weiße Albe wählte ich für besondere Gottesdienste, so im Gefängnis, mit Frauen, auf langen Dienstreisen – da die weiße Farbe nicht so streng wirkt und die Albe leichter ist als das Ornat mit seinem schweren Unter- und Obergewand. Ich halte viel von Traditionen, auch im gottesdienstlichen Leben, aber die gottesdienstliche Kleidung sollte nicht einschüchternd wirken. Zu viele schwarzgewandete Menschen im Gottesdienst lassen das Priestertum aller Glaubenden zurücktreten. Ohne klare liturgische Aufgabe trage ich dann lieber zivile Kleidung.
Ich hoffe, dass wir weiterhin in der Ökumene unsere eigenen Traditionen einbringen und zugleich uns gegenseitig bereichern und verändern.“
Dr. Hans-Jochen Jaschke, 69, Hamburg, Weihbischof, römisch-katholisch. „Gegen den Muff unter den Talaren haben wir in den 68ern gekämpft, gegen ein Amt, das als Fassade erfahren wird, egal was darunter steckt.
Katholische Geistliche tragen im eucharistischen Gottesdienst, bei der Messe, das Messgewand, nicht von Preußens Gnaden, sondern gemäß unserer eigenen Tradition. Es soll zeigen: Der Priester steht nicht mit seiner eigenen Person vor der Gemeinde, sondern an Christi statt (2 Kor 5,20). Die Farben des Kirchenjahrs setzen die unterschiedlichen Akzente: Jubel und Freude (weiß), Buße und Trauer (violett), das Feuer des Geistes und des Zeugnisses (rot), Dank für den Glauben im Lauf des Kirchenjahres (grün).
Ich bin froh über die Messgewänder. Natürlich verschwinde ich nicht dahinter. Ich bleibe immer auch meine Persönlichkeit. Aber die Gemeinde darf durch mich auf einen anderen schauen, ihn hören.
Für den Alltag gibt es die Priesterkleidung – durchaus im Wandel, auch vom Geschmack der einzelnen abhängig. Aber ich halte es für gut, wenn ein Priester – ohne Übertreibung – erkennbar ist. Das ist auch für ihn eine Herausforderung.
Gewänder sind zum Glück nicht kirchentrennend. Achten wir darauf, wer drinsteckt und vor allem, für welchen Inhalt sie stehen!“
Dr. Karl-Heinz Schell, 50, Peking, Pfarrer, evangelisch. „Meine beiden Talare sind inzwischen durch die Welt gereist und nach 18 Jahren in 2008 wieder in Asien gelandet. Ich trage als Pfarrer einer deutschsprachigen Auslandsgemeinde in mehrheitlich nichtchristlichem Umfeld meinen Talar sehr bewusst, und er hat bis heute für mich mit Würde zu tun: mit der Würde, die Gott uns als Menschen gibt. Mein Talar hat auch mit Heimat zu tun: mit der Heimat, die ich in Jesus Christus habe, und die meine irdische (nationale, regionale, kulturelle, kirchliche) Heimat mit einschließt. Und schließlich symbolisiert mein Talar Verantwortung; die Verantwortung für mir anvertraute Menschen, denen ich in der Kraft des Heiligen Geistes die frohmachende Botschaft verkündigen und sie segnen darf.
Der Talar macht deutlich: Hier lebe und handle zwar ich persönlich, aber ich bin getragen durch ein Amt, das älter und größer ist als ich, und das mich deshalb tragen kann. Das ist sehr entlastend.“ Den ganzen Beitrag finden Sie hier.
Albrecht Kunz, 50, Friedrichroda in Thüringen, Oberpfarrer, evangelisch-lutherisch. „Mittlerweile sind es fast 20 Jahre, die mich mit dem schwarzen Talar sprichwörtlich in Tuchfühlung bringen. Unterschiedlich sind die Berührungen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Die Palette reicht von der Ansicht bei jedem Kirchgang, über die wissenschaftliche Arbeit an ihm im Studium der Theologie, bis zu seiner Benutzung in eigener Ausübung des geistlichen Amtes der Kirche als Pfarrer.
Je länger diese Art der Berührung währt, um so größer wurde allerdings die Distanz zu ihm.
Davon unberührt gilt uneingeschränkt, dass der schwarze Talar ein Amtskleid ist, das seinen Träger in einen Deutungsrahmen stellt, der außerhalb von ihm gegründet ist und der sich in beidem gleich – entlastend wie beschwerend – auf ihn legt.
Aus des Pfarrers Sicht, setzt der Talar den Akzent auf Predigt und Lehre, was die Nähe zu den Ornaten an Universität, Gericht oder den Ministeralen jeweiliger Obrigkeit intendiert. Dem kann man sich kaum entziehen, weil die symbolische Kraft ihre eigene, vom Träger unabhängige, Wirkung hat. Jeder zusätzliche Akzent als dieser der ernsten Unterweisung, muß einer andersartigen Quelle entstammen: Regungen wie Freude und Jubel oder Impulse, die den Charakter eine Festes und Feier würdigen, liegen dem Talar fern. Der Graben, der sinnfällig kaum überbrückt werden kann, reicht tiefer als gewünscht, weil der Verstand, der allein angeregt wird, alle anderen Sinne des Menschen weder auf sich in Gänze konzentriert noch diese sublimiert, ohne daß sich ein – mehr oder weniger bewußter – Eindruck des Mangels verhindern lässt. In solcher Eigenschaft steht der Talar eher konträr zum Charakter der von seinem Träger zu verkündigenden Botschaft wie – noch mehr – zur Zelebration und Ausspendung der Sakramente.
Er ist zudem das stoffgewordene Symbol des im Zuge seiner obrigkeitlichen Einführung manifestierten Konfessionalismus und insofern unrühmliches Symbol der getrennten Kirche. Um diese Trennung zu überwinden, was in weiteren 200 Jahren hoffentlich längst passiert ist, gehört auch die Rückkehr zu den liturgischen Gewändern in jenen Katalog, der auflistet, was die evangelischen Kirchen alles vorzuarbeiten haben. Obwohl es in diesen – für die lutherischen Kirchen ist es in den letzten Jahren in den liturgischen Ordnungen meistenteils aufgenommen – auch manche Mischformen gibt, die etwa eine Stola zulassen oder gar den Chorrock, entsteht damit doch keine befriedigende Situation, weil ein gesamtes und damit eindeutiges Auftreten und Erscheinen ad absurdum geführt ist. Nur alles in das Belieben der jeweiligen Person oder Gemeinde zu stellen, gefährdet die Einheit.
Es ist – zusammenfassend – äußerst wünschenswert, wenn hierfür und überhaupt in den Dingen der Liturgie die evangelischen Landeskirchen nur einen einzigen Gedanken zum Maßstab ihrer Ordnungen anlegen: Alles zu befördern, was der Einheit der Christenheit – ein Herr, eine Kirche – dient – „ut unum sint“!
George Turner, geb. 1935, Berlin; em. Universitätsprofessor, früherer Universitätspräsident und parteiloser Senator für Wissenschaft und Forschung, evangelisch: „Mein Verhältnis zu Talaren ist gespalten: in der Kirche ist er für mich ein Element der Distanz, der Würde, auch der Besinnung, dass der Träger dahinter zurücksteht.
Als ich im Jahr 1970 mit 35 Jahren Universitätspräsident wurde, waren die Talare gerade ins Gerede gekommen (Unter den Talaren – Muff von 1.000 Jahren). In meiner 16jährigen Amtszeit habe ich den Talar nur bei Veranstaltungen in Ostblockstaaten getragen. Dort hatte man ein unverkrampftes Verhältnis zu Symbolen. Wenn heute jüngere Amtsträger in den Universitäten mit Talar und Amtskette erscheinen, wirkt das auf mich immer ein wenig lächerlich. Sie sind die Nutznießer der Reformen und gerieren sich jetzt wie diejenigen, die seinerzeit bekämpft worden sind.“
Dr. Michael Bünker, geb. 1954, Wien, Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich, Evangelisch A.B. (lutherisch). „In meinem Kleiderschrank hängt der alte Talar meines Großvaters. Er ist noch in Wien hergestellt worden, in den Tagen der untergegangenen Habsburgermonarchie, als es in den vielen evangelischen Kirchen des Donauraumes noch eine entsprechende Nachfrage für Talare gegeben hat. Durch den Geistlichen im Talar wurde in Österreich die evangelische Kirche nach außen sichtbar. Das ist für eine Diasporakirche, die zudem auf eine lange Zeit der Unterdrückung zurückblickt, an Bedeutung nicht gering zu achten.
Aber der Talar ist kein evangelisches Heilsgut. Deshalb hat unsere Kirche schon vor einigen Jahren die Möglichkeit eröffnet, dass Pfarrer und Pfarrerinnen mit Zustimmung der Presbyterien ihrer Gemeinden bei besonderen Anlässen (etwa Taufen, Trauungen, Osternacht u.a.m.) anstatt des Talars eine weiße Alba tragen.
Im Gottesdienst schätze ich den Talar für seine Klarheit, Einfachheit und Schlichtheit. Es liegt nicht an diesem oder jenem Gewand und seiner Farbe, ob die frohmachende Botschaft des Evangeliums die Menschen erreicht. Dass es ein evangelischer Gottesdienst ist, wird in Österreich für die Gemeinden und die Öffentlichkeit auch daran erkennbar, dass der Pfarrer oder die Pfarrerin den Talar tragen.
Den Talar meines Großvaters habe ich nur einmal getragen, als ich zum ersten Mal von der Kanzel predigen konnte, von der er über vierzig Jahre lang das Evangelium verkündet hat. Ich habe es gerne und mit großer Dankbarkeit getan.“
Bernward Müller, Berlin-Marzahn, 72, Studiendirektor a.D., römisch-katholisch: „Als Katholik von Geburt und geprägt durch meine katholische Familie ist mir der evangelische Talar immer ein wenig fremd geblieben. Ganz neu war mir, dass er durch königlich preußische Kabinettsorder erst verbindlich vorgeschrieben wurde. Interessant, dass der Talar vom König auch jüdischen Geistlichen vorgeschrieben wurde. Einerseits finde es etwas befremdlich, dass ein christlicher König den Anhängern jüdischen Glaubens ihre Amtstracht vorschreibt, andererseits kann man darin auch eine Vorstufe der Judenemanzipation sehen.
Auf mich wirkt der Talar mit seinem nüchternen Schwarz immer etwas trist. Gern sehe ich ihn bei ökumenischen Gottesdiensten, weil so die Verschiedenheit der im Gebet vereinten Kirchen sichtbar wird. Geprägt durch meine katholischen Seh-Gewohnheiten freue ich mich, wenn evangelische Pfarrerinnen (was es bei uns leider noch nicht gibt) oder Pfarrer über ihrem Taler eine weiße oder farbige Stola tragen oder sogar einen weißen Mantel mit farbiger Stola. Am schönsten finde ich ökumenische Gottesdienste, bei denen auch Vertreter der Ostkirchen mitwirken. Einmal weil das Bild noch bunter wird und zum anderen, weil so die Vielfalt der einen der wahrhaft katholischen, also umfassenden, Kirche noch deutlicher wird, von der die römisch-katholische nur eine Teilkirche ist.“
Heiko Schulz, Jg. 1962, Berlin-Kreuzberg, Gemeindepfarrer, evangelisch. „Ich habe den Talar immer ausgesprochen gerne getragen. Er ist für mich Zeichen meines pastoralen Dienstes, zeigt, dass es bei meinem Auftreten nicht um mich geht, und hilft dabei, zwischen Person und Amt trennen zu können, ohne die enge Bezogenheit beider aufeinander aufgeben zu wollen. Ziehe ich ihn über, empfinde ich nicht die Last seiner problematischen Geschichte, das Nachwirken der Zeit engster Verbindung und „Verbandelung“ von Kirche und Staat. Er fördert eher Demut als Hochmut. Insofern ist er dem gottesdienstlichen geschehen förderlich, da er eine Ausgewogenheit zwischen Nähe und Distanz auch für die Gemeinde ermöglicht.“ Den Beitrag von Pfarrer Heiko Schulz finden Sie hier.
Dr. Nils Petersen, Pastor, Hamburg, evangelisch-lutherisch. „Es ist nicht egal was wir am Körper haben. Talare machen PastorInnen. Wir kleiden uns für einen bestimmten Augenblick und stellen uns in eine Tradition und bekennen uns (auch durch unser Beffchen) zu einer Konfession im Glauben. Das ist äußerlich. Doch die Talare wirken auch nach innen. Über meine Talare habe ich Beziehung zu drei Pastoren, die ich nie kennen gelernt habe. Zu Pastor i.R. Schmitt und Pastor i.R. Müller, und zu unserem verstorbenen evangelikalen Bruder, dessen Name auf einem kleinen Schild in den Talar eingenäht ist. Auch wenn ich ihn vielleicht nicht gemocht hätte, ich habe das Schild nicht herausgetrennt und werde es auch nicht tun. Auch wenn es nun mein Talar ist, er bleibt auch immer seiner. Über unsere konfessionellen und theologischen Dispute, die wir nie geführt haben, hin weg, gab es Situationen, wo nicht ich den Talar getragen habe, sondern er mich getragen hat. Ich denke da besonders an Beerdigungen; an die von Kilian. Sein Vater hat den kleinen Sarg getragen, und der Talar mich. Ich erinnere mich an die Gottesdienste im Gedenken an die Befreiung von Ausschwitz und an die Taufe von Nori in der Kapelle des Rendsburger Krankenhauses. Was wäre ich da ohne meinen Talar gewesen?
Ich denke an die vielen Bräute, die ungeübt in ihren langen Kleidern, von mir gezeigt bekommen haben, wie sie elegant und ohne zu stolpern, die Stufen zum Altar hinaussteigen. Ich denke an die Beerdigung in Alt-Duvenstedt, bei der ich mein Beffchen vergessen hatte. „Ein Talar ist auch ohne Beffchen ein Talar“, hatte ich der Küsterin gesagt und deren nettes Angebot abgelehnt, mir aus Papier eines zu basteln. Trotzdem fühlte ich mich etwas nackt.“ Den ganzen Artikel finden Sie hier.
Schwarz ging es nicht immer in evangelischen Gottesdiensten zu. Die Dokumentation „Historische Bilder zum Evangelisch-lutherischen Gottesdienst“ von Helmut Schatz zeigt es. Sie finden sie hier.
Teil 2 der Reihe „200 Jahre Talar. Ein Textil feiert Jubiläum“ finden Sie hier. Eine schriftliche Zusammenfassung aller Beiträge der Talarreihe finden Sie hier (pdf).
2 Kommentare zu „Aktuell: 200 Jahre Talar. Ein Textil feiert Jubiläum. Teil 1.“
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