Der schwarze Talar wurde vor 200 Jahren eingeführt. Wir würdigen dies mit einer kleinen Reihe und haben Frauen und Männer, Katholiken und Protestanten, Geistliche und Laien um ihre Meinung gefragt. Hier Teil 8 mit Beiträgen aus Hamburg, Dresden, von Juist und aus der Türkei.
Jochen Bohl, 60, Dresden, Landesbischof der Ev.-luth. Landeskirche Sachsens. „Als junger Vikar war ich skeptisch, ob so etwas wie eine „Amtstracht“ überhaupt gebraucht wird. Das habe ich dann aber schnell gelernt – wie sehr nämlich das Amt den Menschen trägt, dem es übertragen ist; und dafür ist der evangelische Talar ein sprechendes Zeichen. Gerade mit seiner schlichten Nüchternheit bin ich sehr einverstanden, er ist ja von seinem Ursprung her ein Gelehrtentalar und so ist es angemessen, dass er die Pfarrerinnen und Pfarrer, die „Lehrer des Wortes“ kleidet. Insofern ist der Talar ein Hinweis auf das sola scriptura, das in das Zentrum des Selbstverständnisses unserer Konfession gehört. Kein anderes Land hat eine solche Tradition wie Deutschland als das Ursprungsland der Reformation. Vor diesem Hintergrund gehört der schwarze Talar mit Beffchen zu dem „Eigenen“ unserer Konfession. Er bezeichnet die geistliche Heimat, die mir lieb ist.
Fulbert Steffensky hat einmal davon gesprochen, dass der Protestantismus in seinen Selbstinszenierungen schwach ist; und hat den Talar in diesem Zusammenhang als das „unerotischste aller liturgischen Kleidungsstücke“ bezeichnet. Aber diese Schwäche sei eine, wenn auch von manchen nicht gewürdigte, und darum unbelohnte Stärke. So sehe ich es auch; und für diese besondere Prägung bin ich dankbar.“
Prof. Dr. Inge Mager, Hamburg, Jg. 1940, evangelisch, emeritierte Theologieprofessorin für Kirchen- und Dogmengeschichte an der Universität Hamburg: „Obgleich ich nach meinem Ersten theologischen Examen Sommer 1966 als wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität Göttingen blieb, schaffte ich mir für die zahlreichen Vertretungsgottesdienste, die ich neben den mir obliegenden Arbeiten hielt, doch gleich von meinem ersten Gehalt einen Talar an. Ich hätte ihn ausleihen können, allein mir lag neben dem Bedürfnis, einen eigenen Talar zu tragen, auch an der Vergewisserung, die erste Etappe meines Studienzieles erreicht zu haben. Ohne Näheres über die Geschichte und Entwicklung der liturgischen Kleidung zu wissen, entschied ich mich spontan für die spezifisch weibliche Halsversion mit Stehbündchen und schmalem weißen Kragen und nicht für das Beffchen, das, wie ich heute weiß, ursprünglich Verunreinigungen des Talars durch herabhängende Barthaare verhüten sollte.
Von Anfang an empfand ich den Talar für mich als Blickschutz und für die Zuhörenden als Hilfe, sich ohne Ablenkung ganz auf meine Worte konzentrieren zu können. Darin fühlte ich mich durch Martin Luther bestätigt, der in einem Brief an den Berliner Propst Georg Buchholzer aus dem Jahre 1539 geschrieben hatte, dass es unabhängig von liturgischen Gewändern oder belanglosen Riten letztlich darauf ankomme, „das Evangelium Jesu Christi lauter, klar und rein [zu] predigen“ (WABriefe 8, 624–626, Ntr. 3421). Dass ein Talar im Unterschied zur „geistlichen Einkleidung“ durch die Taufe weder eine neue Identität noch eine größere Würde verleiht, hatte ich zudem aus reformatorischen Klosterordnungen gelernt, wo wiederholt vor überhöhten oder gar magischen Vorstellungen bezüglich der Ordenstracht gewarnt und geraten wird, sich „wie andere Christen“ zu kleiden.
An diesen Grundsätzen habe ich mich bis heute ausgerichtet und könnte mir durchaus vorstellen, Gottesdienst ganz ohne Talar wie bei Vorträgen zu halten. Welches Aussehen die Amtstracht in 200 Jahren in einer möglichen Freiwilligkeits- oder Beteiligungskirche haben wird, ist kaum vorauszusagen. M.E. sollte sie sich von jeglicher staatlichen Anpassung freimachen, aber sie könnte vielfältiger und auch sinnenfreudiger sein, jedoch ohne der Verkündigung des Evangeliums zu schaden oder in Wildwuchs abzugleiten.“
Martin Brunnemann, 64, Pfarrer, evangelisch, Alanya/Türkei. „Meinen ersten Talar bekam ich 1970. Ein Geschenk der EKD für einen Vikar bzw. Hilfsprediger in der DDR. Das Geschenk bereitete mir keine besondere Freude. Der Talar stand für mich damals für das Amt, das Pfarramt und wir hatten gerade gelernt, dass unter den Talaren der Mief von tausend Jahren steckte. Außerdem hatten viele meines Jahrgangs das Gefühl, diese „Uniform“ trennt von den Gemeindegliedern. Er hebe unangemessen heraus. Der Talar war die Zielscheibe witziger Bemerkungen und ich hätte ihn gern eingemottet und habe öfter im Gottesdienst auf ihn verzichtet. Einmal benutzte ich ihn zum Vergnügen der Gemeindejugend als Faschingsgewand. Freilich, ganz auf den Talar verzichten konnte ich schon aus praktischen Gründen nicht. Da war einmal mein Hang zur Unordnung. Ein Talar konnte beträchtliche Schäden zudecken und dann verbarg er auch die zitternden Knie. „Lampenfieber“ kenne ich bis heute noch.
Der EKD-Talar begleitete mich 15 Jahre lang und blieb in der DDR, als ich diese verließ. Ein Freund trug ihn in der Lausitz „zu Tode“.
Mein Verständnis vom Talar hat sich in der Bundesrepublik verändert. Sehr intensiv dachte ich über die Gründe dafür nicht nach. Passt er gut in diese ausgesprochenen Amtskirchen? Ganz bewusst und ungezwungen trug ich ihn bei öffentlichen Handlungen: Feuerwehrweihen, Schwimmbadweihen, Sparkassenweihen usw. Ich wollte damit unterstreichen, dass ich dort nicht als Privatperson auftrat.
Mit Erstaunen entdeckte ich, wie begeistert Prädikanten und Prädikantinnen danach griffen. Kein Preis war zu hoch, keine Farbe zu grell, anscheinend wurde der Talar als Erhöhung verstanden.
Was bedeutet mir der Talar? Mein jetziger und voraussichtlich letzter wurde von einem muslimischen Schneider angefertigt. Der Gedanke daran bereitet mir Vergnügen. Die Zukunft des Talars, bis 2211 wage ich nicht zu denken, sehe ich immer farbiger, immer katholischer. Für mich war der Talar ein Arbeitskittel. Manchmal dachte ich an den unverheirateten Luther, der mit seinem Mönchs-Kutten-Talar lebte und schlief. Ich meinte ihn zu riechen und die Flecken darauf zu sehen.“
Elisabeth Tobaben, 58 Jahre, Nordseebad Juist, Pastorin, evangelisch-lutherisch. „Als begeisterte Laien-Schauspielerin habe ich gelernt, wie wichtig es ist, möglichst früh im Probenverlauf im Kostüm zu spielen. Man bewegt sich einfach anders im „richtigen“ Gewand, und man lernt so gleich die richtigen Bewegungen und Schritte.
Das ist beim Talar und im Gottesdienst nicht viel anders. Ich finde ihn sehr praktisch, weil ich nicht lange überlegen muss, welche Kleidung ich im Gottesdienst tragen möchte. Dass Friedrich Wilhelm III. nun gerade das Gelehrtengewand als einheitliche Gottesdiensttracht für seine Geistlichen gewählt hat, färbte natürlich ab auf die Gestaltung der Gottesdienste!
Die Predigt gewann an Gewicht, der Gottesdienst wurde überwiegend zur Lehrveranstaltung. Dies ist sicher ein wichtiges Element, aber bestimmt nicht das einzige!
Ich finde es gut, dass wir heute neben dem schwarzen Gelehrtentalar auch wieder helle Gewänder in der ev.- luth. Kirche in Deutschland haben, wie das in Skandinavien ja schon seit langem Tradition ist.
Mit den liturgischen Farben der Stola wird auch der Bezug zum Kirchenjahr viel deutlicher, und sie heben auch den Feiercharakter der Messe und der Festtage wieder neu hervor. Fazit: Beides ist wichtig, Lehre und Feier!“
Eine Zusammenstellung von Hinweisen zu liturgischen Gewändern in evangelischen Kirchen in Brandenburg (Autor: Herr Schatz) finden Sie hier.