September: Musikalische und andere Vespern @RogateKloster

Herzlich willkommen zu unseren öffentlichen Gottesdiensten in der gastgebenden Ev. Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, 10783 Berlin-Schöneberg, Lageplan. Unseren Gottesdienstplan für den September finden Sie hier.

September:

  • Gamle Oslo kro og kirkekorDienstag, 2. September 14 |19:00 Uhr, VESPER
  • Donnerstag, 4. Sept. 14 |19:30 Uhr, KOMPLET, das Nachtgebet
  • Sonnabend, 6. September, 18:00 Uhr, musikalische Vesper mit dem «Gamle Oslo kro og kirkekor». Gemeinsam veranstaltet mit der Norwegischen Kirche in Berlin (Sjømannskirken).
  • Dienstag, 9. September 14 |19:00 Uhr, VESPER, das Abendgebet
  • Donnerstag, 11. Sept. |19:30 Uhr, KOMPLET, das Nachgebet
  • Sonnabend, 13. September 2014, 12:00 Uhr, Mittagsgebet und Andacht für Trauernde, Neuen-Zwölf-Apostel-Kirchhof, Werdauer Weg 5, S Schöneberg. Organist: Malte Mevissen.
  • Dienstag, 16. Sept. 14 |19:00 Uhr, VESPER, das Abendgebet
  • Donnerstag, 18. Sept. 14 |19:30 Uhr, KOMPLET, das Nachtgebet
  • Dienstag, 23. Sept. 14 |19:00 Uhr, VESPER, das Abendgebet
  • Donnerstag, 25. Sept. 14 |19:30 Uhr, KOMPLET, das Nachtgebet
  • Dienstag, 30. Sept. 14 |19:00 Uhr, KONVENTSAMT ZU ST. MICHAELIS. Orgel: Malte Mevissen.

Vorschau:

  • Freitag, 3. Oktober 2014, 15:00 Uhr, Gottesdienst für Mensch und Tier. Hier der Flyer 2014. Predigt: Thomas Schimmel. Mit dem Kummelby Kirchenchor aus Sollentuna-Stockholm. Orgel: Uwe Schamburek.
  • Sonnabend, 11. Oktober 2014, 12:00 Uhr, Mittagsgebet und Andacht für Trauernde, Neuer-Zwölf-Apostel-Kirchhof, Werdauer Weg 5, S Schöneberg. Mit Gedenken an die Toten des 1. Weltkrieges. Mit Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler, Tempelhof-Schöneberg.
  • Sonnabend, 25. Oktober 2014, 18:00 Uhr, Lichtvesper, Zwölf-Apostel-Kirche (mit der alt-katholischen Gemeinde )
  • Sonnabend, 8. November 2014, 12:00 Uhr, Andacht für Trauernde: Mit Eucharistie und Gräbersegnung, Neuer-Zwölf-Apostel-Kirchhof, Werdauer Weg 5, S Schöneberg. Mit der alt-katholischen Gemeinde Berlin. Organist: Malte Mevissen.
  • Sonnabend, 29. November 2014, 18:00 Uhr, Lichtvesper, Kapelle Zwölf-Apostel-Kirche (mit der alt-katholischen Gemeinde)
  • Donnerstag, 4. Dezember, 19:30 Uhr, Adventsandacht, Zwölf-Apostel-Kirche. Orgel: Malte Mevissen.
  • Sonnabend, 13. Dezember 2014, 12:00 Uhr, Mittagsgebet und Andacht für Trauernde, Neuer-Zwölf-Apostel-Kirchhof, Werdauer Weg 5, S Schöneberg. Mit Pastor Michael Noss, Baptistische Gemeinde Schöneberg.
  • Donnerstag, 11. Dezember, 19:30 Uhr, Adventsandacht, Zwölf-Apostel-Kirche. Orgel: Malte Mevissen.
  • Donnerstag, 18. Dezember, 19:30 Uhr, Adventsandacht, Zwölf-Apostel-Kirche. Orgel: Malte Mevissen.
  • Sonnabend, 27. Dezember 2014, 18:00 Uhr, Lichtvesper, Kapelle Zwölf-Apostel-Kirche (mit der alt-katholischen Gemeinde)

Wir danken der Zwölf-Apostel-Gemeinde für die Gastfreundschaft der Rogate-Gottesdienste in Schöneberg.

Erreichbar ist die Kirche mit öffentlichen Verkehrsmitteln und über die U-Bahnhöfe: Kurfürstenstraße (U1) Nollendorfplatz (U1, U2, U3, U4). Oder per Bus: Kurfürstenstraße (M85, M48), Nollendorfplatz (M19, 187) und Gedenkstätte Dt. Widerstand (M29). PKW-Stellplätze vor dem Gemeindezentrum und in der Genthiner Straße.

Fünf Fragen an: Gunther Wenz, Professor für Systematische Theologie in München

Professor Gunther WenzFünf Freitagsfragen an Professor Gunther Wenz über das Verhältnis der Reformatoren zu den Klöstern, den evangelischen Dienst der Kommunitäten und die Wahrnehmung von Taizé.

Geboren wurde Gunther Wenz 1949 im mittelfränkischen Weißenburg. Er ist ordinierter Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Seit 1995 hat er den Lehrstuhl für Systematische Theologie I an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München inne und ist Direktor des Instituts für Fundamentaltheologie und Ökumene.

Rogate-Frage: Herr Professor Wenz, Mitgliedern evangelischer geistlichen Gemeinschaften wird nicht selten gesagt: „Klöster sind unevangelisch“ und „Luther war ein Gegner aller Klöster“. Ist da was dran?

Gunther Wenz: Luther und die anderen Reformatoren haben sich bei aller Kritik niemals grundsätzlich gegen ein klösterliches Leben ausgesprochen, sondern dessen Wert stets zu schätzen gewusst. Dies belegt unter anderem der 27. Artikel der Confessio Augustana, der von den Klostergelübden handelt. Kritisiert wird, dass viele und namentlich junge Leute nicht aus eigenem Antrieb und Willensentschluss, sondern etwa aus Versorgungsgründen ins Kloster gelangten. Kritisiert wird ferner der Anspruch, das Klosterleben stehe höher als andere von Gott eingesetzte Stände, wie etwa der Ehestand. Von diesen und vergleichbaren Einwänden bleibt aber die prinzipielle reformatorische Hochschätzung des Klosters als einer spezifischen Lehr- und Lernanstalt christlichen Glaubens unbetroffen.

Rogate-Frage: Keine evangelische Kirchenzeitung kommt heute ohne Texte von Pater Anselm Grün oder anderen katholischen Ordensleuten aus. Fehlt der evangelischen Kirche die Spiritualität eigener Klöster? Und welchen Platz haben Kommunitäten und Klöster in heutigen Protestantismus?

Gunther Wenz: Es ist auch für einen Protestanten sehr gut und nützlich zu wissen, dass es Menschen gibt, die ihr Leben primär dem gemeinschaftlichen Gottesdienst und dem Gebet widmen. Wie keine sinnvolle Tätigkeit ohne Muße und Ruhe auskommt, so bedarf die christliche Kirche bestimmter Horte der Abkehr von aller äußeren Geschäftigkeit und der inneren Konzentration. Wenn zu solch gesammelter Konzentration auf den fundierenden Grund unserer selbst und unserer Welt katholische oder orthodoxe Klöster und Ordensleute beitragen, dann tun sie an uns und an der Welt einen evangelischen Dienst.

Rogate-Frage: Manche sagen, dass die ökumenische Gemeinschaft von Taizé nur in Frankreich groß werden konnte. In Deutschland hätten die verfassten Kirchen die Entwicklung einer solchen Institution verhindert. Ist diese These abwegig?

Gunther Wenz: Ich habe mit der ökumenischen Gemeinschaft von Taize keine persönlichen Erfahrungen und kann auch nicht sagen, ob und gegebenenfalls warum sie nur in Frankreich groß werden konnte. Deshalb nur folgende Anmerkung: In diesen Tagen ist meiner Fakultät eine empirische Studie zum Einfluss von Taize auf die Spiritualität Jugendlicher als Dissertation vorgelegt worden. Als besonders bedeutsam wird von allen Befragten das Leben in Einfachheit, die geistliche Strukturierung des Alltags, der gemeinsame Gesang als dichte Ausdrucksform des Glaubens (Luther sagt: „Zweimal betet, wer singt!“), der Zusammenhang von Schweigen und Existenzwahrnehmung, die Zuwendung zu den Armen und Benachteiligten sowie die Offenheit für andere Konfessionen und religiöse Bekenntnisse hervorgehoben. Auch dem gemeinsamen Theologisieren wird von den Jugendlichen ein überraschend hoher Stellenwert zuerkannt. Als besonders eindrucksvoll wird in der Regel die Gestaltung der Abendmahlsfeiern empfunden. Inwieweit die ökumenische Gemeinschaft von Taize ein Vorbild für die ökumenischen Beziehungen der christlichen Kirchen insgesamt sein kann, lasse ich dahingestellt; eine spirituelle Bereicherung des Kirchenlebens stellt sie auf jeden Fall dar.

Rogate-Frage: Was ist die Besonderheit von Klöstern und Kommunitäten und welche inneren und äußeren Freiheiten brauchen sie – auch von der Amtskirche – zur eigenen Entwicklung?

Gunther Wenz: Die Kirche ist insgesamt eine Kommunität, nämlich die Gemeinschaft derjenigen, die im Glauben an Wort und Sakrament und mittels der Heilsmedien an dem in Jesus Christus in der Kraft seines Heiligen Geistes offenbaren Gott teilhaben. Klösterliche Kommunitäten stehen innerhalb dieser Gemeinschaft und haben entsprechend die institutionellen Grundregeln zu achten, die für die ganze Kirche gelten. Unter dieser Voraussetzung ist ihnen jede Freiheit zu gewähren, die Christenmenschen zukommt, um je an ihrem Ort die spezifischen Aufgaben zu erfüllen, die ihnen von Gott gestellt sind.

Rogate-Frage: Was schätzen Sie persönlich an Ihnen bekannten Kommunitäten und Klöstern?

Gunther Wenz: Ich war als Mitherausgeber der Zeitschrift „Una sancta“ häufig in Kloster Niederaltaich an der Donau. Jeder Besuch war für mich ein Erlebnis: die Lage des Ortes, die historische Dimension, die er zu erkennen gibt, die geschwisterliche Atmosphäre, die ökumenische Offenheit, die Bedeutung, die jedem Einzelnen in der Gemeinschaft beigemessen wird. In der Kirche Jesu Christi stehen Individualität und Sozialität paritätisch in Geltung. Um dies einzusehen, muss man nichts ins Kloster gehen; aber man kann es dort, wie ich denke, in besonderer Weise erfahren.

Rogate: Vielen Dank, Herr Professor Wenz, für das Gespräch!

Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de

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Willkommen zu unseren öffentlichen Gottesdiensten in der gastgebenen Ev. Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, 10783 Berlin-Schöneberg, Lageplan:

  • Dienstag, 2. September 14 |19:00 Uhr, VESPERGamle Oslo kro og kirkekor
  • Donnerstag, 4. Sept. 14 |19:30 Uhr, KOMPLET, das Nachtgebet
  • Sonnabend, 6. September |18:00 Uhr, musikalische Vesper mit dem «Gamle Oslo kro og kirkekor». Gemeinsam veranstaltet mit der Norwegischen Kirche in Berlin (Sjømannskirken).
  • Unseren Gottesdienstplan für den September finden Sie hier.

 

Fünf Fragen an: Dr. Thomas Schimmel, Geschäftsführer 1219. Religions- und Kulturdialog e.V.

Fünf Freitagsfragen an Dr. Thomas Schimmel, Geschäftsführer 1219. Religions- und Kulturdialog e.V., über einen historischen und zugleich modernen interreligiösen Austausch, das Engagement der Franziskaner und die „3. Lange Nacht der Religionen“ am 6. September 2014 in Berlin.

Dr. Thomas SchimmelDr. Thomas Martin Schimmel stammt aus Hagen und wuchs in der unmittelbaren Nachbarschaft einer liberalen Franziskanerkirche und einer lutherischen Kirche auf, so dass er schon früh die Kirchenspaltung nicht verstand. Er studierte an der Freien Universität Berlin und an der Johannes-Keppler-Universität in Linz/Oberösterreich Politikwissenschaft. Nach seinem Studium war er für unterschiedliche Bundestagsabgeordnete als Wissenschaftlicher Referent in Bonn und Berlin tätig. Nebenberuflich engagierte er sich als OSCE-Wahlbeobachter auf dem Balkan sowie als Dozent in der außerschulischen Jugendbildung. Nach dem Regierungsumzug nach Berlin leitete er das Lobbybüro der Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisation der europäischen Franziskanerprovinzen, der Missionszentrale der Franziskaner, bevor er als Projektleiter am Fusionsprozess der deutschen Franziskanerprovinzen mitwirkte, über den er auch promovierte. Seit 2011 ist Thomas M. Schimmel Geschäftsführer der franziskanischen Initiative 1219. Religions- und Kulturdialog e.V. Daneben ist er regelmäßig als Dozent für Politik an der Verwaltungsakademie des Landes Berlins tätig. Er predigt gelegentlich im Rogate-Kloster, so am Franziskustag, Freitag, 3. Oktober 2014|15:00 Uhr, im Gottesdienst für Mensch und Tier.

Rogate-Frage: Herr Dr. Schimmel, was ist die „1219. Deutsche Stiftung für interreligiösen und interkulturellen Dialog e.V.“ und was sind Ihre Aufgaben?

Thomas Schimmel: 1219. Religions- und Kulturdialog e.V. ist eine franziskanische Initiative zum Religionsdialog. Im Jahr 1219 schloss sich der heilige Franziskus von Assisi dem 5. Kreuzzug an – allerdings nicht, um gegen die Muslime zu kämpfen, sondern um den ganzen Irrsinn friedlich zu beenden. Bei Damiette im Nildelta versuchte er zuerst die christlichen Kreuzfahrer zur Vernunft zu bringen. Leider vergeblich. In einer Gefechtspause ging er dann ins feindliche Lager und verlangte den Sultan zu sprechen. Man erkannte in ihm sofort als einen religiösen Menschen, weil er in seinem Habit wie ein Sufi aussah, also ein Anhänger des mystischen Islams. Der Sultan ließ ihn tatsächlich vor und beide haben miteinander gesprochen. Franziskus hat in dem Lager der Muslime die islamische Glaubenspraxis erlebt – und war beeindruckt. Auch der Sultan war von Franziskus beeindruckt, auch wenn das Gespräch selbst nicht zum Frieden führte. Jedoch ließ der Sultan Franziskus unter Geleit sicher ins Christenlager zurückbringen und schenkte ihm ein Horn, das als Visum galt, mit dem sich Franziskus ohne Gefahr frei im heiligen Land bewegen konnte. Diese Begegnung hat dazu geführt, dass Franziskus in der zweiten Fassung seiner Ordensregel die offensive Mission und den Streit mit Andersgläubigen untersagt hat. Außerdem hat er in Gesprächen darauf hingewiesen, dass alle Schriften über Gott mit Ehrfurcht zu behandeln sind. Und schließlich hat er vorgeschlagen, dass es in allen christlichen Ländern – analog zum Ruf des Muezzin – ein Zeichen zum gemeinsamen Gebet geben solle – eine Anregung, die zum täglich dreimaligen Glockengeläut bei uns heute geführt hat. Aus dieser Geschichte zieht der Franziskanerorden seine besondere Verpflichtung, sich für den Religionsdialog einzusetzen. 1219 e.V. will dafür ein Werkzeug sein und wie Franziskus ohne Vorurteile und Vorbehalte auf andere Religionen zugehen. Heute heißt der Auftrag, Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben in unserer Gesellschaft zu schaffen. Konkret bedeutet das, dass wir als 1219 e.V., dessen Leiter ich bin, religionskundliche Aufklärung betreiben – mit Seminaren und Publikationen zum Beispiel – oder über die aktive Mitwirkung im Initiativkreis der Langen Nacht der Religionen bzw. dem Koordinierungskreis des „Berliner Forums der Religionen“. Als Ordensinitiative sind wir da vielleicht vorbehaltloser als die großen kirchlichen Verwaltungen?

Rogate-Frage: Bereits zum dritten Mal findet am 6. September die „Lange Nacht der Religionen“ in Berlin statt. Fast 100 Synagogen, Moscheen, Kirchen, Tempel, religiöse Orte und Gemeindehäuser werden an diesem Abend in ganz Berlin ihre Türen öffnen. In diesem Jahr koordinieren Sie erstmalig diese Veranstaltung. Was ist das besondere an diesem Format? Reicht Ihnen die „Lange Nacht der Kirchen“ nicht mehr?

Thomas Schimmel: Die Lange Nacht der Religionen will Türen öffnen, die sonst verschlossen sind. Sie will die Orte der Stille, der Solidarität, der Gottesbegegnung und des gesellschaftlichen Engagements, das aus dem Glauben heraus geschieht, auf dem Stadtplan Berlins markieren. Sie will, dass sich Menschen unterschiedlicher Weltanschauung begegnen und neugierig aufeinander sind. Sie will sowohl die religiöse Vielfalt Berlins zeigen, als auch die positive Rolle, die die Religionen in dieser Stadt im Zusammenleben spielen. Oft wird gesagt, Berlin sei eine heidnische Stadt. Aber das stimmt nicht, wenn man genau hinschaut. Über 250 Glaubensrichtungen gibt es hier und auch Menschen ohne Religionen, die aber doch auch eine Weltanschauung haben, die das menschliche Dasein nicht auf Konsum und Spaß reduzieren. Im Moment nehmen wir Religion sehr negativ wahr. Unser Bild wird geprägt von wildgewordenen und ungebildeten Idioten, die meinen, ihre Intoleranz und ihr männliches Weltbild mit Gewalt durchsetzen zu können. Solche Leute gibt es in allen Religionen und Regionen dieser Welt und sie säen die Saat des Hasses, der Angst und der Gewalt. Für uns stellt sich da doch immer wieder die Frage: Lassen wir uns auf dieses Spiel und diese Gewaltspirale ein? Oder zeigen wir den Menschen in dieser Stadt und in diesem Land, dass wir hier in Deutschland und hier in Berlin anders miteinander umgehen? Dass für uns gläubige Menschen, egal ob Muslime, Christen, Juden, Hindus, Sikhs, das Streben nach Gerechtigkeit und Frieden der Dreh- und Angelpunt allen privaten und gesellschaftlichen Handelns ist?

Die Lange Nacht der Kirchen ist aus meiner Sicht ein ähnliches Format – aber mit anderen Zielen. Ich würde mich freuen, wenn die Lange Nacht der Kirchen zeitgleich mit der Langen Nacht der Religionen stattfinden würde – so wie ja auch die Lange Nacht der Synagogen im Rahmen der Langen Nacht der Religionen stattfindet. Ich nehme wahr, dass die beiden großen Kirchen bei der Beteiligung an der Langen Nacht der Religionen noch zurückhaltend sind. Aus meiner sehr persönlichen Sicht sind sie noch sehr in ihrem volkskirchlichen Ziergarten beschäftigt, in dem sie sich selbst genügen. Aber es ist nicht mehr selbstverständlich, dass mein Nachbar, meine Schwiegertochter, die Klassenlehrerin meiner Kinder evangelische Christin oder katholischer Christ ist. Da muss ich in Kontakt treten, neugierig auf das andere sein und mich selbst auch verständlich erklären können. Lange Nächte sind dafür eine gute Gelegenheit. Zwar sind wir Christen noch die größte religiöse Gruppe – aber eben nicht mehr die Einzigen. Die gesellschaftspolitische Rolle der großen Kirchen hat sich radikal verändert – auch wenn das viele nicht wahrhaben wollen – und diese Rollenveränderung muss eine Verhaltensänderung nach sich ziehen: Wir sind eine Gruppe unter anderen und wir müssen das vorbehaltlose gesellschaftspolitische Gespräch mit „den anderen“ auf Augenhöhe suchen und finden.

Rogate-Frage: Wie reagieren die noch nicht beteiligten Religionsgemeinschaften auf dieses besondere Veranstaltungsformat? Gibt es Vorbehalte auf dieses interreligiöse Angebot?

Thomas Schimmel: Es gibt natürlich Religionsgemeinschaften, die nicht dabei sind. Die Zeugen Jehovas zum Beispiel, oder die Aleviten. Das ist sehr schade. Ich würde mich auch freuen, wenn wir diese Gruppen motivieren könnten, das nächste Mal mitzumachen. Auch über eine Teilnahme des Humanistischen Bundes wäre ich froh. Ich finde es auch schade, dass christliche Ordensgemeinschaften nicht dabei sind. Mit ihrer besonderen Spiritualität bereichern sie das Bild des Christentums und hier wären ja auch interreligiöse Projekte spannend: mit buddhistischen Mönchen zum Beispiel.

Die Motive, warum Gruppen nicht mitmachen sind unterschiedlich. Einige halten das nicht für nötig und bleiben lieber unter sich. Andere halten interreligiöse Aktionen für Teufelszeug, das der Satan erfunden hat. Das Interessante ist ja, dass sich die fundamentalistischen Gruppen alle Religionen in vielen Bereichen gut verstehen und die gleichen Argumente und die gleichen Floskeln haben. Die könnten vielleicht einen Lange Nacht der Fundamentalisten veranstalten? Aber Spaß beiseite: Die meisten religiösen Gruppen, die nicht mitmachen, haben schlicht und einfach oft keine Ressourcen: Sie arbeiten ja mit ehrenamtlichen Mitarbeitenden. Die Gruppen haben einfach keine Zeit, kein Geld und keine Kraft, auch noch so einen Abend neben der alltäglichen Arbeit zu stemmen.

Rogate-Frage: Wer nimmt an der „Langen Nacht der Religionen“ teil und was wird angeboten?

Thomas Schimmel: An der Langen Nacht der Religionen nimmt ein schöner Querschnitt der Religionsgemeinschaften in Berlin teil. Man kann alles finden: Quäker, Muslime, Bahá’í , liberale und orthodoxe Juden, evangelische, hochkirchliche, freikirchliche, neuapostolische und katholische Christen, Hindus, Sikh, Buddhisten vieler Konfession, den Candomblé Tempel – aber auch das Forum Offene Religionspolitik oder den Orden der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz e. V. Das Angebot der Gruppen ist sehr unterschiedlich. Es gibt Ausstellungen, Konzert, Andachten, Gottesdienste, Meditationen, Einführungsvorträge, Führungen, Gesprächsangebote. Einen Überblick kann man sich auf der Internetseite Indr.de oder in dem gedruckten Programmheft verschaffen, das man bei uns erhalten kann.

Rogate-Frage: Wo sind Sie an diesem Abend zu finden? Alle Orte können Sie sicher nicht besuchen….

Thomas Schimmel: Als 1219 e.V. haben wir eine eigene Veranstaltung gemeinsam mit dem Kathedralforum an der Hedwigskathedrale: eine Kathedral- und Stadtführung ab 16.50 Uhr und anschließend eine hl. Messe mit Erklärung der Liturgie. Am Abend werde ich religiöse Orte besuchen, die ich noch nicht kenne: zum Beispiel den Candomblé-Tempel in der Tradition afro-brasilianischer Religion in Kreuzberg. Empfehlen kann ich aber auch einen Besuch bei den Sufis in Neukölln oder bei den Sikhs in Reinickendorf: Hier wie dort habe ich tiefe Spiritualität erlebt. Aber auch die tolle geistliche Musik in einer Neuapostolischen Kirche, die erstaunliche Geschichte der Gewaltfreiheit bei den Quäkern oder die tiefe Frömmigkeit bei gleichzeitiger Weltzugewandtheit in den Moscheen ist ein wunderbares Erlebnis. Am Ende ist eigentlich vollkommen egal, wohin man an diesem Abend geht: Man wird Gastfreundschaft erleben und einen neuen, erstaunlichen Blick auf Gott und den eigenen Glauben erfahren.

Rogate: Vielen Dank, Herr Dr. Schimmel, für das Gespräch!

Weitere Informationen hier: langenachtderreligionen.de und 1219.eu

Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de

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Willkommen zu unseren öffentlichen Gottesdiensten in der gastgebenden Ev. Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, 10783 Berlin-Schöneberg, Lageplan:

  • Gamle Oslo kro og kirkekorDienstag, 26. August 14 |19:00 Uhr, VESPER, das Abendgebet
  • Donnerstag, 28. August 14 |19:30 Uhr, KOMPLET, das Nachtgebet
  • Donnerstag, 4. Sept. 14 |19:30 Uhr, KOMPLET, das Nachtgebet
  • Sonnabend, 6. September, 18:00 Uhr, musikalische Vesper mit dem «Gamle Oslo kro og kirkekor». Gemeinsam veranstaltet mit der Norwegischen Kirche in Berlin (Sjømannskirken).
  • Unseren August-Plan finden Sie hier.
  • Unseren Gottesdienstplan für den September finden Sie hier.Dienstag, 2. September 14 |19:00 Uhr, VESPER

Fünf Fragen an: Dr. Karl-Hinrich Manzke, Landesbischof und Catholica-Beauftragter der VELKD

Fünf Freitagsfragen an Landesbischof Dr. Karl-Hinrich Manzke über Leidenschaft in der Ökumene, protestantische Identität und das evangelische Verständnis von „Katholisch“.

Dr. Landesbischof Dr. Manzke, Catholica-Beauftragte der VELKDKarl-Hinrich Manzke, geboren in Stade an der Elbe ist Niedersachse. Er studierte in Tübingen, London und München. Er promovierte bei dem bekannten ökumenischen Theologen Wolfhart Pannenberg. Er engagiert sich seit seiner Zeit am ökumenischen Lehrstuhl für ökumenische Fragen, aber auch, durch die Beauftragung als zuständiger Bischof der EKD, für die Seelsorge an Polizistinnen und Polizisten in der Bundespolizei. Er ist als Catholica-Beauftragte der VELKD für den Dialog mit der römisch-katholischen Kirche zuständig. Er ist Landesbischof der Ev.-Luth. Landeskirche Schaumburg-Lippe.

Rogate-Frage: Herr Landesbischof Dr. Manzke, wie steht es kurz vor dem großen Reformationsjubiläum um die Ökumene in Deutschland?

Karl-Hinrich Manzke: Das ökumenische Gespräch braucht Geduld und Leidenschaft zugleich. Inzwischen sind die beiden großen Kirchen sehr deutlich dabei, sich darauf verständigen, dass das Reformationsgedenken im Jahre 2017 einen starken ökumenischen Akzent bekommen soll. Reformationsgedenken in 2017 kann nur mit starker ökumenischer Note sinnvoll begangen werden. Und zwar so, dass die Schönheit und Klarheit des christlichen Glaubens im Mittelpunkt steht. Insofern steht es derzeit gut um das Vertrauen im Miteinander zwischen den beiden großen Kirchen. Man kann den Stand des ökumenischen Gespräches nicht nur nach den nach wie vor strittigen Punkten in der Amtslehre, der Lehre von der Kirche und in der Abendmahlsfrage messen.

Rogate-Frage: Manchmal hört man auf die Frage, was evangelisch sei: Wir haben keinen Papst, unsere Pfarrer dürfen heiraten und Frauen steht die Ordination offen. Wie könnte man die Definition von „Evangelisch“ und „evangelischer Kirche“ unabhängiger und positiver formulieren?

Karl-Hinrich Manzke: Evangelisch sein bedeutet, dass der persönliche Glaube im täglichen Studium der Schrift, in der produktiven Auseinandersetzung mit dem biblischen Wort und im Gespräch mit anderen Glaubenden im Kontext der Kirche gewonnen wird. Im Glauben mündig zu werden und sich nicht allein auf den Glauben der Kirche und der Amtsträger zu verlassen, das vor allem bedeutet „evangelisch sein“. So hat die evangelische Kirche immer Wert darauf gelegt, dass das Zeugnis der Schrift die entscheidende und alleinige Grundlage für den Glauben ist. Im Bezug zur Schrift und zu Christus, der Mitte der Schrift, findet der Glaube Halt und gewinnt der Mensch Gewissheit für sein Leben. Denn durch eigenes Tun kann der Mensch sich die Gnade Gottes nicht verdienen und erwerben. Gute Werke sind Ausfluss des Glaubens, aber nicht Bedingung für die Gnade Gottes.

Rogate-Frage: Die Definition durch Papst Benedikt XVI, was Kirche sei, hat Protestanten zum Teil sehr getroffen. Woran liegt das?

Karl-Hinrich Manzke: Papst Franziskus hat in seinem apostolischen Schreiben ‚Evangelii gaudium‘ von 2013 sehr deutlich davon gesprochen, dass die Kirche keine Zollbehörde und kein Rechnungsprüfungsamt ist und sein soll. Das elektrisiert, weil diese Worte im besten Sinne reformatorisch klingen. Papst Benedikt XVI. hat in seiner Zeit als Präfekt der Glaubenskongregation in verschiedenen Schriften sehr deutlich darauf verwiesen, dass die Kirche Jesu Christi am sichtbarsten in der römisch-katholischen Kirche zum Ausdruck kommt. Papst Benedikt XVI. war sich aber dessen bewusst, dass das Zweite Vatikanische Konzil erstmals sehr deutlich formuliert hat, dass auch in der römisch-katholischen Kirche die Kirche Jesu Christi, die im Werden ist, in keiner Realisierung von Kirche, in keiner Konfession in vollem Umfang verwirklicht ist. Insofern hat Papst Benedikt XVI. auch Widerspruch im ökumenischen Diskurs nicht nur von evangelischer, sondern auch von russisch-orthodoxer Seite mit Recht erfahren, wenn er bisweilen darauf hinweisen wollte, dass außerhalb der römischen Kirche der christliche Glaube nur sehr defizitär gelebt werden kann.

Rogate-Frage: Sie sind von der VELKD speziell für den Dialog mit der römisch-katholischen Kirche als Catholica-Beauftragte beauftragt. Wie gestaltet sich Ihr Amt und welche Grundsätze leiten Sie dabei?

Karl-Hinrich Manzke: Die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche in Deutschland (VELKD) hat mich zum 1. April 2014 als Catholica-Beauftragter berufen. Vor diesem Amt habe ich sehr großen Respekt – ich bin sehr demütig angesichts dieses Vertrauens, das die VELKD-Kirchenleitung mir damit ausgesprochen hat. Zunächst gestaltet sich das Amt so, dass die bewährten Dialoge zwischen der römisch-katholischen und den lutherischen Kirchen in Deutschland weitergeführt werden. Damit nimmt die VELKD auch stellvertretend für die EKD Aufgaben wahr, den Dialog zwischen den römisch-katholischen Kirchen und dem Lutherischen Weltbund auch in Deutschland bekannt und beliebt zu machen. Diesen Diskurs in den feststehenden Zirkeln und Kommissionen weiterzuführen, das ist meine erste Aufgabe. Mein Partner in diesem Zusammenhang ist Bischof Dr. Feige aus Magdeburg als Ökumene-Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz.

Des Weiteren gehört es zu meinen Aufgaben zunächst, die ökumenischen Institute in der Bundesrepublik zu besuchen; dazu gehört das ökumenische Institut in Straßburg, das in Bensheim und natürlich auch das Adam-Möhler-Institut des Bistums Paderborn. Ebenso mache ich reichlich Antrittsbesuche, auch bei der Deutschen Bischofskonferenz und dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Marx in München.

Mich leitet der Grundsatz, Vertrauen aufzubauen durch persönliche Begegnungen, durch Predigten bei besonderen ökumenischen Ereignissen und durch regelmäßige Konsultationen. Einmal im Jahr habe ich die Aufgabe, der VELKD- und EKD-Synode über den Stand des ökumenischen Gespräches und der Entwicklungslinien des Katholizismus zu berichten.

Rogate-Frage: Es ist noch nicht so lange her, da fand im protestantischen Gottesdienst im Credo das Wort „katholisch“ noch Verwendung. Nun ist es durch „christlich“ ersetzt. Es wirkt manchmal so, als wenn im evangelischen Kontext manche Sorge haben, wenn etwas „zu katholisch“ werden könnte und die „Erkennbarkeit“ in Gefahr sei. Woher kommt diese Sorge und wie kann sie überwunden werden?

Karl-Hinrich Manzke: In der Tat gab es im Protestantismus eine Debatte um die Frage, wie das griechische Wort „katholisch“, was „allgemein“ und „universal“ bedeutet, ins Deutsche übersetzt werden soll. Man wird nicht von der Hand weisen können: Die Möglichkeit, das Wort „katholisch“ konfessionell verengt zu verstehen, ist nicht ganz ausgeschlossen. Insofern ist die Entscheidung der Gremien der evangelischen Kirche, im Glaubensbekenntnis das Wort „katholisch“ mit „christlich“ zu übersetzen, durchaus nachvollziehbar, weil es Missverständnisse vermeidet.

Im Übrigen hat die Reformation, die ja im Jahre 1517 nicht mit dem Ziel einer neuen Kirchengründung begann, immer Wert darauf gelegt, dass sie in der Freilegung der ursprünglichen Zielsetzung der Evangelien des Neuen Testamentes im eigentlichen Sinne katholisch ist. Der Glaube findet seine Gewissheit in Bezug auf die Schrift und Christus, die Mitte der Schrift. Das bleibt das entscheidende Geschehen, aus der die Kirche Jesu Christi wächst. Darin ist evangelische Kirche im eigentlichen und neutestamentlichen Sinne „katholisch“. Darauf legen die Reformatoren Wert, darauf legten die evangelischen Kirchen in Deutschland bis zum heutigen Tage Wert, ohne damit den ökumenischen Dialog torpedieren zu wollen.

Rogate: Vielen Dank, Herr Landesbischof, für das Gespräch!

Mehr über die Arbeit des Catholica-Beauftragten finden Sie hier: velkd.de/251.php

Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de

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Willkommen zu unseren öffentlichen Gottesdiensten in der gastgebenden Ev. Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, 10783 Berlin-Schöneberg, Lageplan:

  • Dienstag, 19. August 14 |19:00 Uhr, VESPER, das Abendgebet
  • Donnerstag, 21. August 14 |19:30 Uhr, KOMPLET, das Nachtgebet
  • Dienstag, 26. August 14 |19:00 Uhr, VESPER, das Abendgebet
  • Donnerstag, 28. August 14 |19:30 Uhr, KOMPLET, das Nachtgebet
  • Dienstag, 2. September 14 |19:00 Uhr, VESPER

Fünf Fragen an: Sabine Hark, Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung

Fünf Fragen an Prof. Dr. Sabine Hark über das Geschlecht als wirkmächtiges Klassifikationskriterium und der Notwendigkeit der Auseinandersetzung der Kirchen mit der eigenen Homophobie.

Sabine Hark, Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und GeschlechterforschungDie Berliner Soziologin Sabine Hark ist eine der profiliertesten Geschlechterforscherinnen in Deutschland, die sich selbst als „notorische (In-)Fragesteller_in“ beschreibt. Sie schrieb früh über „Grenzen lesbischer Identitäten“; aktuell beschäftigt sie sich u.a. mit europaweit stärker werdenden homophoben und antifeministischen Bewegungen. Seit 2009 leitet Hark das Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der Technischen Universität Berlin. In Mainz und Frankfurt am Main studierte sie Politikwissenschaft und Soziologie. 1995 wurde sie an der Freien Universität Berlin promoviert.

Rogate-Frage: Täglich werden in Deutschland Lesben, Schwule, Bi- und Trans*-Personen beleidigt oder auch körperlich angegriffen und verletzt. Die Opferhilfeorganisation Maneo hat 290 Fälle im Jahr 2013 allein in Berlin registriert. Was erforschen Sie in diesem Kontext? 

Sabine Hark: Ich beschäftige mich in diesem Zusammenhang zum einen mit der Untersuchung der gesellschaftlichen Bedingungen von Homophobie. Dabei verstehe ich Homophobie nicht als eine Phobie im psychiatrischen Sinne; es ist keine pathologische Angst, sondern eher eine Art kulturelle Paranoia, eine gesellschaftliche Verteidigungsstrategie. Verteidigt wird damit die heteronormative Ordnung von Gesellschaft, also kurz gesagt die Vorstellung, dass es zwei und nur zwei Geschlechter gibt, die natürlicherweise zusammengehören. Zum zweiten beschäftige ich mich mit der Frage, wie diese heternormative Ordnung von Gesellschaft die Lebenswirklichkeit von Lesben, Schwulen, Bi- und Trans*-Personen beeinflusst. Hier geht es beispielsweise um die Frage, welche Chance es überhaupt gibt, sich für eine solche Lebensweise zu entscheiden.

Rogate-Frage: Sie haben einmal die Angst vor „irreversiblen Eingriffen in die patriarchalen Tiefenstrukturen“ als die Wurzel von Feministinnen-Hassern und Homophobikern beschrieben – weil beide Bewegungen die scheinbare Natürlichkeit der Geschlechterordnung infrage stellen. Wieso führen Infragestellungen und Verunsicherungen zu Aggression und Gewalt?

Sabine Hark: Infragestellungen und Verunsicherungen müssen nicht notwendig zu Aggression und Gewalt führen. Oft genug tun sie das ja auch nicht. Sonst müssten ja gerade Lesben, Schwule, Bi- und Trans*-Personen, die diese Erfahrung, in ihrem geschlechtlichen Status in Frage gestellt zu werden, oft machen, besonders aggressiv sein.

Geschlecht ist allerdings offensichtlich ein so zentrales Element auch unserer Identität, weshalb Verunsicherungen des geschlechtlichen Status oft sehr fundamental empfunden werden. „Du wirst Mann sein oder du wirst nicht sein“, könnte man sagen. Wenn es also die Wahrnehmung gibt, existentiell in Frage gestellt zu werden in seinem/ihren eigenen Identitätsentwurf oder Weltbild, kann es zu gewaltförmigen Antworten auf eine solche Infragestellung kommen. Soziologisch gesehen ist Gewalt mithin eine Handlungsressource.

Rogate-Frage: Durch die Annäherung an neue Erkenntnisse im Bereich der Intersexualität bewegt sich innerkirchlich manches, bis hin zum – von Intersexuellen-Organisationen begrüßten – Aufbau eigener Forschungsinstitute. Die Auseinandersetzung mit dem Thema führt dennoch bei manchen zur Verunsicherung. Sie schreiben an einer Stelle: „Irritiert sind die Heterosexuellen also deshalb von den Homosexuellen, weil „Mann“ und „Frau“ recht instabile Konzepte sind.“ Hat das Geschlecht als Kategorie (bald) ausgedient?

Sabine Hark: Davon gehe ich nicht aus. Geschlecht ist wohl noch immer ein sehr wirkmächtiges Klassifikationskriterium; vielleicht die gewichtigste Kategorie, die wir kennen. Was wir soziologisch aber sehr wohl beobachten können – und das ist ja ein Grund, warum es zur gesellschaftlichen Verteidigung von Heteronormativität, zu Homo- und Transphobie kommt – ist, dass Geschlecht als Sinnressource, als Begründung für Ungleichheit nicht mehr so umstandslos zur Verfügung steht. Dass Frauen beispielsweise weniger wert sind, weil sie Frauen sind, ist heute jedenfalls – zumindest rhetorisch – nicht mehr argumentierbar.

Rogate-Frage: Die Kirchen haben nicht unbedingt engagiert zum Abbau von Homophobie beigetragen. Fundamentalistische Strömungen pflegen diese Tradition bis heute. Welchen Rat würden Sie den Kirchen auf dem Weg geben? Wie kann die Kirche insgesamt zur Akzeptanz von Vielfalt nachhaltig beitragen?

Sabine Hark: Die Kirchen haben ja nicht nur nicht engagiert zum Abbau von Homophobie beigetragen, sondern im Gegenteil zu deren Ausbau. Hier wäre es sicher notwendig, wenn sich die Kirchen aktiv sowohl mit Homophobie in der Geschichte der Kirchen auseinander setzen als auch sich entschieden gegenüber jeder homophoben Diskriminierung positionieren würden. Darüber hinaus geht es nicht einfach nur um Akzeptanz von Vielfalt, sondern um ein aktives Eintreten dafür, dass Vielfalt überhaupt möglich ist. Von der Möglichkeit, „zugleich Nein zur einen und Ja zur anderen Lebensweise“ sagen zu können, wie die Philosophin Judith Butler es formuliert hat, sind wir jedenfalls weit entfernt.

Rogate-Frage: Wie beurteilen Sie die Veränderungen von schulischen Lehrplänen und Programmen zur Akzeptanz von sexueller Vielfalt? Ist unsere Gesellschaft auf dem richtigen Weg?

Sabine Hark: Über richtige und falsche Wege kann die Soziolog_in wenig sagen. Wichtig ist in jedem Fall, dass wir für eine Gesellschaft eintreten, die die Freiheit, das eigene Lieben und Begehren leben zu können und nicht verheimlichen zu müssen, höher Wert schätzt als dies bisher der Fall ist.

Rogate: Vielen Dank, Frau Professorin Hark, für das Gespräch!

Mehr über das Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung finden Sie hier: zifg.tu-berlin.de

Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de

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Willkommen zu unseren öffentlichen Gottesdiensten in der gastgebenen Ev. Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, 10783 Berlin-Schöneberg, Lageplan:

  • Donnerstag, 14. August 14 |19:30 Uhr, Konventsamt. Orgel: Felicitas Eickelberg.
  • Dienstag, 19. August 14 |19:00 Uhr, VESPER, das Abendgebet
  • Donnerstag, 21. August 14 |19:30 Uhr, KOMPLET, das Nachtgebet
  • Dienstag, 26. August 14 |19:00 Uhr, VESPER, das Abendgebet
  • Donnerstag, 28. August 14 |19:30 Uhr, KOMPLET, das Nachtgebet

 

Welttag der Suizidprävention: Aktion „600 Leben“ am 10. September

WSPT14_Sharing_InfoReiche Deine Hand und hilf uns, Suizide zu verhindern!

Für den Welt-Suizidpräventionstag am 10. September 2014 haben sich Berliner Akteure aus den Bereichen Suizidprävention und Seelische Gesundheit für eine gemeinsame Aktion zusammen geschlossen. Das Rogate-Kloster und der Rogate-Förderverein unterstützen als Netzwerkpartner das Vorhaben.

“600 Leben” ist ein symbolisches Zusammenkommen von 600 Menschen auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Auf ein Signal werden sich die Teilnehmer auf den Boden fallen lassen, wo sie so lange liegen bleiben, bis ihnen die Hand zum Aufstehen gereicht wird. Die Botschaft: Wir verlieren jedes Jahr 600 junge Leben durch Suizid. Reiche Deine Hand und hilf uns miteinander, Suizide zu verhindern!

600 Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren sterben pro Jahr in Deutschland durch Suizid. 10.000 Menschen sind es bundesweit insgesamt. Eine erschreckend hohe Zahl, die wenig bekannt ist. Ziel dieser Aktion ist es, die Öffentlichkeit auf das Thema Suizid stärker aufmerksam zu machen, für Hilfsmöglichkeiten zu sensibilisieren und ein Zeichen zu setzen: Damit nächstes Jahr weniger Menschen durch Suizid sterben.

Über die Aktions-Webseite 600leben.de werden alle dazu aufgerufen, die Initiative mit ihrem Erscheinen vor dem Brandenburger Tor zu unterstützen. Dabei sein sollen alle, denen das Thema wichtig ist, die selbst eine nahestehende Person durch Suizid verloren haben, die auch schon seelische Krisen erlebt haben oder wissen, dass Suizid jeden betreffen kann. Ein Kurzfilm wird die Aktion dokumentieren. Durch Berichterstattung der Medien soll eine breite Öffentlichkeit erreicht werden.

Anmeldungen zur Teilnahme ab sofort auf der Seite: 600leben.de

Fünf Fragen an: Sieghard Wilm, Pastor in Hamburg-St. Pauli

Fünf Freitagsfragen an Pastor Sieghard Wilm über Nothilfe für Flüchtlinge aus Afrika, Kirche im sozialen Brennpunkt und die Sehnsucht nach Stille mitten auf St. Pauli in Hamburg.

Pastor Sieghard WilmSieghard Wilm ist seit 2002 Pastor in Hamburg-St. Pauli. 1965 in Bad Segeberg geboren, studierte er in Heidelberg, Accra/Ghana und Hamburg Ev. Theologie und Ethnologie. Er ist Landessynodaler der Nordkirche und wurde 2014 für sein Engagement in der Flüchtlingsarbeit mit dem „Helmut-Frenz-Preis für Mitmenschlichkeit“ ausgezeichnet.

Rogate-Frage: Herr Pastor Wilm, Ihre St. Pauli-Kirchengemeinde und Sie wurden bundesweit durch die humanitäre Nothilfe für afrikanische Flüchtlinge bekannt. Wie ist es zu dieser Maßnahme gekommen?

Sieghard Wilm: Es war die unmittelbare Not der Menschen, die vor unserer Kirchentür standen: Nässe und Kälte ausgesetzt, hustend und hungrig, müde und schutzlos.

Es ist eigentlich so einfach und naheliegend, die Kirche für die Flüchtlinge zu öffnen. Ich bin meinem Herzen gefolgt – aber natürlich habe ich mich mit dem Kirchengemeinderat abgestimmt.

Rogate-Frage: Über Wochen hinweg haben Sie mit den Flüchtlingen gelebt und Sie unterstützt. Was haben Sie in dieser Zeit gelernt?

Sieghard Wilm: Ein halbes Jahr war unsere Kirche 24 Stunden am Tag geöffnet – im Oktober bekamen wir dann endlich die Genehmigung für die Container des Winternotprogramms. Diese Maßnahme endete am 2. Juni, ein Jahr nachdem wir die Nothilfe begonnen hatten. Ich habe gelernt, dass es gut ist, eine Sache anzufangen von der ich überzeugt bin – auch wenn ich nicht überblicken kann, ob alles gut gehen wird. In diesem Moment des Kontrollverlusts steckt die schönste Gotteserfahrung. Wir haben improvisiert im freien Fall und immer wieder erfahren, dass wir getragen werden.

Rogate-Frage: Hat sich für die Kirchengemeinde etwas verändert? Was ist heute anders in der St. Pauli-Gemeinde?

Sieghard Wilm: Die Hilfe ist noch nicht beendet, aber mittlerweile strukturiert und verstetigt. Wir sind noch am Sortieren, was das für uns hier vor Ort bedeutet. Als Kirche im sozialen Brennpunkt wird Flucht und Migration für uns weiterhin ein wichtiges Thema sein.

Wir haben viele Ehrenamtliche gewonnen und sind deutlich mehr geworden in den Gottesdiensten.

Rogate-Frage: Sie legen großen Wert darauf, dass es kein Kirchenasyl war. Worin liegt der Unterschied?

Sieghard Wilm: Kirchenasyl ist eine Möglichkeit, um einem Menschen zu helfen, dessen rechtliche Lage schon geklärt ist. Hier gilt es dann, Zeit zu gewinnen, um Rechtsmittel einlegen zu können. Die Flüchtlinge, die zu uns kamen, sind keine Asylantragssteller. Ihre grundsätzliche Schutzbedürftigkeit ist schon von der italienischen Republik festgestellt worden.

Rogate-Frage: Hat sich Ihre eigene Spiritualität durch die Nothilfe verändert? Wenn ja, wie?

Sieghard Wilm: Wir haben ja ein sehr lautes Jahr erlebt – da entsteht schon eine tiefe Sehnsucht nach Stille. Aktion und Kontemplation muss immer wieder eine Balance finden. Wir bitten: Gott segne unser Tun und unser Lassen. Gerade den Engagierten rate ich, nicht heißzulaufen im Einsatz für andere und dann auszubrennen. Das Lassen will genauso gesegnet werden.

Und noch etwas: Wir sind immer so schön strukturiert und durchorganisiert. Etwas mehr Gottvertrauen, dass sich der heilige Geist auch im Chaos zurechtfindet würde uns alle von Zwanghaftigkeit erlösen.

Rogate: Vielen Dank, Herr Pastor Wilm!

Mehr über die St. Pauli-Kirchengemeinde hier: stpaulikirche.de

Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de. Dabei auch ein Gespräch mit Pastorin Fanny Dethloff, Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, über humanitäre Aufnahme von Flüchtlingen, Asyl in der Kirche und die Bibel als Buch der Migranten.

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Willkommen zu unseren öffentlichen Gottesdiensten in der gastgebenen Ev. Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, 10783 Berlin-Schöneberg, Lageplan:

  • Sonnabend, 9. August 2014, 12:00 Uhr, Mittagsgebet und Andacht für Trauernde, Neuen-Zwölf-Apostel-Kirchhof, Werdauer Weg 5, S Schöneberg. Orgel: Malte Mevissen
  • Dienstag, 12. August 14 |19:00 Uhr, VESPER, das Abendgebet
  • Donnerstag, 14. August 14 |19:30 Uhr, Konventsamt
  • Dienstag, 19. August 14 |19:00 Uhr, VESPER, das Abendgebet
  • Donnerstag, 21. August 14 |19:30 Uhr, KOMPLET, das Nachtgebet
  • Unseren August-Plan finden Sie hier.

Predigt zur „Euthanasie“-Ausstellung: „Keiner gehört in eine besondere Ecke“

Pfarrerin Barbara Eschen im Gespräch mit dem Initiator der Ausstellung, Michael Gollnow

Schirmherrin Pfarrerin Barbara Eschen predigte zur Eröffnung der Ausstellung „Töten aus Überzeugung“ am 20. Juli 2014 im Rogate-Kloster St. Michael zu Berlin. Wir dokumentieren hier die Ansprache der Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz:

„Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde. Und Gott sah, dass es gut war“, lautete 1979 die Jahreslosung aus dem 1. Buch Mose. Dazu schrieb der Autor Fredi Saal seine Gedanken auf. Er frage sich, „wie viele Christen […] sich wohl in Verbindung mit der Existenz von Behinderten des Sprengstoffes in diesem Bibelwort bewusst“ seien. Denn noch immer gelte es „in weiten Kreisen als unumstößliche Ansicht, der behinderte Mensch verdiene wegen seines Schicksals in besonders hohem Maße das Mitgefühl seiner Umwelt […] Da ist vom ‚schrecklichen’, ja ‚grausamen’ Schicksal die Rede, von ‚schwerer Last’ – und natürlich von Krankheit und Leid. Ohne im Geringsten auf die begleitenden Umstände zu achten, gilt der Behinderte von vornherein als mitleidens- und bedauernswert.“ Dieser Umstand sei erstaunlich. Denn angesichts der Einschätzung, dass die Schöpfung des Menschen gut war, grenze die genannte Ansicht an eine Gotteslästerung. Die Auffassung jedenfalls, „Behinderung müsse a priori mit Leid verbunden sein“ sei „ausschließlich in der Phantasie der Unbetroffenen angesiedelt“. Er jedenfalls leide trotz seiner Bewegungseinschränkungen und seines gehemmten Sprachvermögens nicht mehr als andere Menschen. Erst recht sehe er keinen Anlass für die Sehnsucht, ein anderer zu sein. „Und wie sollte ich auch?! Um nicht behindert zu sein, müsste ich ja jemand anders ein wollen. Nicht dieser Fredi Saal. Eine reichlich absurde Idee! Zu meiner Existenz, die ich mit niemandem teile, gehört notwendigerweise meine Behinderung. Sonst wäre ich nicht dieser eine bestimmte Mensch, der ich bin, sondern ein x-beliebiger anderer.“ Das Leiden jedenfalls „liegt nicht an der Behinderung; es wird von dem verursacht, der mich wegen der Behinderung in die Leidensecke stellt und eifrig darüber wacht, dass ich sie nicht verlasse“. Die Pointe des ersten Schöpfungsberichts jedenfalls weise in eine ganz andere Richtung: Sie ermutigt Menschen mit Behinderung, sich nicht so sehr als leidgeprüft und genauso wenig als Schöpfungspanne zu verstehen. „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde? – Ich jedenfalls fühle mich als Spastiker als eine Schöpfung Gottes – und zumindest die Christen sollten es auch tun!“

Ein beeindruckendes Bekenntnis! Wer kann das schon mitsprechen: „Ich fühle mich als Geschöpf Gottes, und das ist gut?! Die meisten von uns sind doch eher mit sich unzufrieden: Da stören Falten beim morgendlichen Blick in den Spiegel, die Pfunde auf der Waage, die geringe Frustrationstoleranz und … Wer mag schon von sich sagen: „Ich bin Geschöpf Gottes, ich bin gut wie ich bin.“ Und so empfinde ich die Worte des Fredi Saal als ein ermutigendes Glaubenszeugnis: Ich bin ein Geschöpf Gottes und Gottes Schöpfung ist gut.

Aber: Mit diesem starken Selbstverständnis, Geschöpf Gottes zu sein, verbindet Fredi Saal den Appell: Stellt mich als behinderten Menschen nicht in die Leidensecke!

Menschen mit Behinderungen sind nicht leidgeprüft, sind erst recht keine Schöpfungspanne, sind nicht zu bedauern.

Was heißt: Leidensecke? – Bis Jahresende habe ich in der Hephata Diakonie in Hessen mit Menschen mit einer geistigen Behinderung, mit Lernschwierigkeiten oder mit chronischen psychischen Erkrankungen gearbeitet. Mehrfach habe ich von Gästen dabei die Reaktion geerntet: „Eure Arbeit ist toll. Aber ich könnte das niemals. Das viele Leid, mit dem ihr zu tun habt. Das könnte ich nicht aushalten.“

Fredi Saal sagt: Ich leide nicht mehr als andere Menschen auch. Diese Haltung habe ich auch bei den Menschen der Hephata Diakonie wahrgenommen. Sie widersprechen dem Gedanken, „arm dran zu sein“. Warum? Weil sie ernst und für voll genommen werden wollen. Weil sie nicht klein gemacht werden wollen, als angewiesen, hilfebedürftig, Opfer, an den Rand der Gesellschaft, in die Leidensecke geschoben. So auch der Appell von Fredi Saal: Stellt mich nicht in die Leidensecke!

Die Leidensecke ist ein ganz gefährlicher Ort! Das wird uns die Ausstellung „Töten aus Überzeugung“ vor Augen führen.

Die Ermordungen des NS-Regimes bauten dabei auf zwei wesentlichen Zeitströmungen auf: Euthanasie und Eugenik.

Euthanasie, die Tötung auf Verlangen

Ende des 19. Jahrhunderts bereits dachte man zunehmend: Behinderung ist Leid, Behinderung ist Last, Behinderung muss vermieden werden, Menschen mit Behinderung müssen von der Last ihres Lebens befreit werden, wenn sie das wollen. Sie müssen das Recht auf einen guten Tod, auf Selbstmord haben. Damit waren behinderte Menschen in die Leid-Ecke gestellt.

Aber schon im ersten Weltkrieg mischten sich in das Mitleid bald andere Motive: Man wollte und musste Geld sparen. Die Versorgungsprobleme der Zivilbevölkerung wuchsen und man wollte das Geld lieber für die Starken ausgeben als für Menschen, die als nicht leistungsfähig galten.

Eugenik und die Forderung von Sterilisation und Abtreibung

Und dann kam mit der Eugenik, der Pflege des Erbgutes, ein neuer Gedanke aus dem Wissenschaftsbereich auf: Behinderung und soziale Unangepasstheit wurden als vererbte Belastung für die anderen, für die Volksgemeinschaft gesehen. Im Interesse der Volksgesundheit, einer starken Gesellschaft sollte verhindert werden, dass chronische Erkrankungen, Behinderungen und sozial unangepasstes Verhalten weitervererbt werden.

Diesem Gedanken war auch die Innere Mission aufgeschlossen. 1931 sprachen sich führende Vertreter der Inneren Mission für umfassende Sterilisationen – auf freiwilliger Basis – aus. Dabei waren sie durchaus von einem völkischen Denken bewegt. D.h. es ging nicht um die Betroffenen, sondern um die Interessen der Mehrheitsgesellschaft – „Volkskörper, Volksgesundheit“.

An beide Strömungen konnte Hitler 1933 leicht sein Gesetz zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses anknüpfen, das die Zwangssterilisation von 400 000 Menschen veranlasste, und auch viele Schwangerschaftsabbrüche (ab 1933/35).

Mit Euthanasie, der Tötung auf Verlangen, und Eugenik, der Unterbindung der Fortpflanzung, war der Weg für die Massenmorde des Naziregimes geebnet. Hitler und sein Regime haben das eugenische Denken für ihren Rassewahn genutzt. Nicht mehr nur Pflege des Erbgutes, sondern Reinhaltung der Rasse!

Die Ausstellung zeigt, dass Krankenmorde, die Ermordung von Menschen mit Behinderungen, chronischen Erkrankungen, sozial unangepasstem Verhalten, auf verschiedene Weise geschehen ist. Vielfach verdeckt, vor allem den Angehörigen verborgen. Auf fünf Wegen wurden die Krankenmorde durchgeführt:

In Kinderfachabteilungen und psychiatrischen Krankenhäusern durch Giftspritzen. Durch Sonderkommandos in den Ostprovinzen durch Erschießungen und Nahrungsverweigerung.

Später als Ermordung von arbeitsunfähigen Häftlingen in KZs und als wilde Euthanasie in Anstalten ebenfalls durch Nahrungsverweigerung.

In der T4 Aktion als systematisches Mordprogramm. In sechs Gasmordanstalten wurden Menschen systematisch, quasi automatisiert ermordet. 70 000 Menschen. Mit grauen Bussen transportiert, mehrfach verlegt, um Spuren zu verwischen, mit gefälschten Todesnachrichten an die Angehörigen.

Weil dies nicht geheim blieb, regte sich hier Widerstand. Auch von evangelischen Vertretern der Inneren Mission vor allem auf sogenanntem diplomatischen Weg in direkter Auseinandersetzung mit NS-Vertretern (z.B. Pfarrer Paul Gerhard Braune, Lobetal, der Material über die Tötungsaktionen gesammelt hatte und eine Denkschrift erstellte, die er 1940 in der Reichskanzlei vorlegte, vermutlich ohne große Wirkung.)

Wirkung hatten eher die Predigten von Bischof Clemens Graf von Galen in Münster, der 1941 eine Brandpredigt hielt, in der er die Krankenmorde geißelte: „Die kranken Menschen, die im Sinne des Regimes zu nichts mehr nütze seien, würden wie Maschinen behandelt. Und was tut man mit solch alter Maschine? Sie wird verschrottet. So dürfe man Menschen, die doch Mitmenschen seien, nicht behandeln.“

Bischof von Galen holt mit seiner Predigt die Menschen aus der Ecke, in die sie vom NS-Staat geschoben wurden, die Leidensecke, die zur Todeszelle wurde. Und er macht deutlich: Jeder Mensch mit Behinderung, jeder Kranke ist einer von uns. Bischof Galen nimmt die Gottebenbildlichkeit ernst. Jeder Mensch ist Geschöpf Gottes. Provokativ weist Galen darauf hin, dass die kriegsversehrten Soldaten auch zu den „Unproduktiven“ zählen, und deutet damit an, dass sie Euthanasieopfer werden können.

Die T4 Aktionen wurden auch aufgrund von Druck aus dem Ausland offiziell eingestellt. Tatsächlich ging das Morden weiter. Mindestens 200 000 Menschen wurden durch Krankenmorde ums Leben gebracht.

Es ist eine unfassbare Zahl. Unvorstellbar die Not der Betroffenen, das Unrecht ihrer nicht gelebten Leben. Wie viele Menschen haben als Angehörige gelitten! Es gibt hier keinen Trost und keine Erklärung, keine Entschuldigung, nur Entsetzen!

Unfasslich auch, dass die Krankenmorde bis in die 1980er Jahre verschwiegen wurden. Auch in diakonischen Einrichtungen. Weil die Menschen meist mehrfach verlegt wurden und über staatliche Einrichtungen in die Gaskammern kamen, fühlte man sich nicht beteiligt. In der Hephata Diakonie wurde seit 1981 geforscht und Ende der 90er Jahre ein Mahnmal errichtet, das an 388 Opfer erinnert, die von dort verlegt wurden. Es war schwierig und mühsam, die Wege der Einzelnen aufzufinden und nachzuweisen. Das Mahnmal steht im Zentrum des Hephata-Geländes, neben der Kirche. Eingefügt sind Holzbohlen, Stufen des Wohnhaushauses, aus dem die meisten frühmorgens abgeholt und in die grauen Busse gezwungen wurden. Jedes Jahr wird in einem Gottesdienst dort am Mahnmahl an die Ermordeten gedacht. Gemeinsam beten dort Menschen mit Behinderungen, Schüler, Mitarbeiter, Gäste. Halten Stille, wie nie im ganzen Jahr sonst.

Was wir Heutigen tun können, ist gedenken, unseren Respekt zeigen, beten und uns darauf besinnen: Jeder Mensch ist, wie er ist, Geschöpf Gottes. Fredi Saal zeigt uns, dass wir gut bedenken müssen was das heißt: Gottes Ebenbild. Wir sind nicht Gottes Ebenbilder, weil wir vollkommen wären, begabt, intelligent. Wir sind nicht Gottes Ebenbilder, weil wir seine Liebe und Güte abbilden könnten. Wir sind seine Ebenbilder, weil er uns nimmt, wie wir sind, unvollkommen, zerbrechlich, jeder von uns. Gott bleibt mit uns in Beziehung auch in den dunkelsten Stunden.

Die Leidensecke ist für Menschen mit einer Behinderung gefährlich. Zum Glück hat sich inzwischen viel geändert. Wir sind viel aufmerksamer. Ja, sicher. Aber auch heute werden Menschen mit einer geistigen oder seelischen Behinderung manchmal gesondert behandelt. Beispielsweise werden sie häufig als „Neutren“ betrachtet oder als „ewige Kinder“. Sexuelle Bedürfnisse werden ihnen nicht zugestanden. Ihre Sexualität wird tabuisiert. Dass wir in der Hephata Diakonie Sexualseminare für Menschen mit Behinderungen angeboten haben, dass wir eine Partnervermittlung organisiert haben, wurde von der Bevölkerung und auch von den Eltern teilweise skeptisch beäugt. “Muss das sein?“ Auch dass Menschen mit Behinderungen als Paare zusammenleben. Und dass Frauen nicht ungefragt und gegen ihren Willen einfach Verhütungsmittel gegeben werden dürfen. „Muss das sein?“ Ja, unbedingt, ja. Denn jeder Mensch ist Geschöpf Gottes mit allen seinen Seiten, und seine und ihre Persönlichkeitsrechte sind uneingeschränkt zu schützen.

Keiner gehört in eine besondere Ecke, auch nicht in gut gemeinte Ecken. Deshalb ist Inklusion unaufgebbares Ziel. Das bedeutet: Jeder gehört dazu. Von Anfang an und bis zuletzt ist Leben unantastbar! Jeder muss dabei sein können. Jeder für sich selbst sprechen können. Nichts ohne uns, über uns – fordern Menschen mit Behinderung. Recht haben sie. Auch deshalb finde ich es gut, mir von Fredi Saal sagen zu lassen, dass jeder Mensch Geschöpf Gottes ist.“

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Hinweise zur Ausstellung:

Die Ausstellung ist bis zum 30. August im Rogate-Kloster St. Michael in der Zwölf-Apostel-Kirche zu sehen: Mittwochs und donnerstags, von 10:00 bis 12:00 Uhr, sonnabends von 11:00 bis 15:00 Uhr sowie zeitlich eingeschränkt vor und nach den Gottesdiensten.

Erreichbar ist die Zwölf-Apostel-Kirche mit öffentlichen Verkehrsmitteln und über die U-Bahnhöfe: Kurfürstenstraße (U1) Nollendorfplatz (U1, U2, U3, U4). Oder per Bus: Kurfürstenstraße (M85, M48), Nollendorfplatz (M19, 187) und Gedenkstätte Dt. Widerstand (M29). PKW-Stellplätze sind vorhanden vor dem Gemeindezentrum und in der Genthiner Straße.

Weitere Informationen: Das Plakat zur Ausstellung finden Sie hier. Hier der Einladungsflyer zur Ausstellung “Töten aus Überzeugung”. Ein Interview mit dem Initiator Michael Gollnow finden Sie hier.

Information zur Ausstellung in polnischer Sprache:

W niedzielę, 20 lipca, zostanie otwarta wystawa objazdowa pod tytułem „Zabijanie z przekonania“, która informuje w trzech językach (polskim, niemieckim oraz angielskim) o morderstwach narodowych socjalistów w ramach akcji „eutanazja“ na 300 000 osobach umysłowo upośledzonych lub psychicznie chorych w Niemczech i w Europie. Wstęp na wystawę jest bezpłatny.

Nabożeństwo otwierające wystawę odbędzie się w niedzielę, 20 lipca, o 10 godz. w Kościele Dwunastu Apostołów (Zwölf-Apostel-Kirche) przy ulicy An der Apostelkirche 1 (10783 Berlin), niedaleko stacji metra Nollendorfplatz. Wystawę będzie można zwiedzać w Kościele Dwunastu Apostołów do 30 sierpnia br., w środy i czwartki od 10 do 12 godz., a w soboty od 11 do 15 godz. oraz przed i po nabożeństwach.

Wystawa „Zabijanie z przekonania“ została przygotowana przez Pinel gemeinnützige Gesellschaft mbH z Berlina, która razem z Klasztorem Rogate Św. Michała w Berlinie organizuje ww. wystawę w Kościele Dwunastu Apostołów. Wystawa została umożliwiona przez finansowe wsparcie Der Paritätische Berlin, berlińskiej organizacji obejmującej ponad 700 niezależnych organizacji pożytku publicznego.

Fünf Fragen an Notger Slenczka, Systematik-Professor an der Humboldt Universität

Fünf Freitagsfragen an Prof. Notger Slenczka über Maria, die Freiheit von Kreaturvergötterung und die Weite des Protestantismus.

Prof. Notger SlenczkaNotger Slenczka, Professor für Systematische Theologie an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Stammt aus Heidelberg, studierte in Tübingen, München und Göttingen, war Professor in Gießen und Mainz und seit 2006 in Berlin. Sein besonderes Interesse gilt der Frage, inwiefern der christliche Glaube nicht ‚Sachinformationen‘ über ‚göttliche Dinge‘ bietet, sondern eine besondere Form des Selbstverständnisses des Menschen zum Ausdruck bringt.

Rogate-Frage: Herr Prof. Slenczka, die meisten Protestanten haben ein eher distanziertes Verhältnis zu Maria, der Mutter Jesu. Wie ist das zu erklären?

Notger Slenczka: Distanziertes Verhältnis – das kommt darauf an, was man unter einem ’nahen‘ Verhältnis verstehen will. Wenn ein ’nahes‘ Verhältnis bedeutet, daß die Heilige Jungfrau angerufen, dass sie in besonderer Weise um Fürbitte bei Gott gebeten wird und man auf ihren Schutz vertraut, dann ist das eine Verhalten, das nach protestantischem Verständnis nur Gott gegenüber angebracht ist: Allein Gott hilft, rettet, rechtfertigt und erlöst in Jesus Christus den Menschen, und vor allem: der Mensch darf selbst, ohne die Vermittlung von Heiligen, an Gott herantreten, ihn bitten und vor ihm klagen. Dafür steht die Gabe des Vaterunsers: Christus gibt uns an seinem Gottesverhältnis Anteil, so dass wir selbst, wie er, zu Gott als Vater beten dürfen. Eine Heilige, auch die Gottesmutter ist Gott um keinen Deut näher oder lieber als ich selbst es im Glauben an Christus bin. So gesehen ist das „distanzierte Verhältnis“ zu Maria als Mittlerin eine Folge des Wissens um die geschenkte Nähe zu Gott.

Aber eigentlich ist das kein ‚distanziertes Verhältnis‘ zu Maria. Vielmehr gibt es selbstverständlich Vorbilder im Glauben – das kann Maria sein, oder Mutter Teresa, für einen Theologen etwa Thomas von Aquin, oder meinetwegen auch Dietrich Bonhoeffer. Die ruft man aber nicht an, sondern man sieht in ihnen ein Vorbild in der Nachfolge Christi, an dem man das eigene Leben ausrichten und selbstkritisch messen kann.

Und selbstverständlich üben auch in den protestantischen Kirchen die Christen Fürbitte füreinander – aber einer ist da so gut wie der andere, und die Fürbitte Mariens hat der Fürbitte einer beliebigen Christin nichts voraus.

Rogate-Frage: Es heißt, dass Martin Luther trotz seiner theologischen Entwicklung eine Marienfrömmigkeit lebte. Welchen Platz hat die protestantische Theologie Maria nach der Reformation eingeräumt?

Notger Slenczka: Für Luther und für viele Protestanten ist Maria ein Vorbild im Glauben. Das ‚Magnifikat‘ ist für Luther Ausdruck des Vertrauens auf Gott in allen Nöten des Lebens; das „Siehe ich bin des Herrn Magd, mir geschehe, wie du gesagt hast“ (Lukas 1,38) ist für ihn und viele andere Theologen der Ausdruck des Glaubens, der wider alle Wahrscheinlichkeit – kein Mann in Sicht – sich an die Zusage hält, die sie gehört hat: ‚du wirst einen Sohn gebären‘.

Andere Theologen, beispielsweise Paul Tillich, sind noch weiter gegangen und haben Maria als Gegengewicht zum männlichen Symbol der trinitarischen Gestalten betrachtet – das wurde auch in der feministischen Theologie beider Konfessionen aufgenommen; ich halte das für keinen weiterführenden Gedanken, aber sei’s drum!

Und es gibt durchaus hochkirchliche Theologinnen und Theologen in der lutherischen Kirche, die eine Verehrung der Gottesmutter, durchaus auch mit dem Ave Maria, durchaus für angemessen halten; freilich ziehen sie alle eine Grenze bei dem Gedanken einer besonderen Anrufung der Maria um Fürbitte.

Rogate-Frage: Wie könnte ein entspannteres Verhältnis zu Maria die evangelische Spiritualität beleben?

Notger Slenczka: Die Frage impliziert, daß die evangelische Spiritualität unter einem verkrampften Verhältnis zu Maria leidet. Ich kann das, offen gestanden, nicht sehen. Es gibt, wie gesagt, Protestanten, die eine tiefe Spiritualität mit einer Marienverehrung und mit einem Begehen der Marienfeste verbinden, ohne Maria um Hilfe anzurufen; und es gibt spirituell lebendige Protestanten, die in aller Entspanntheit für die Gestaltung ihrer Frömmigkeit an eine Marienverehrung nicht im Entferntesten denken und dabei nicht einmal auf die Idee kommen, dass ihnen etwas fehlen könnte.

Allerdings: Ein Zug der römisch-katholischen Marienfrömmigkeit ist bedenkenswert – die Identifikation Marias mit der Kirche, die etwa die Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils ‚Lumen Gentium‘ vornimmt. Dass Maria – mit ihrem Vertrauen auf das Wort (Lukas 1,38) und mit ihrer Kreuzesnachfolge in der Passion Jesu die Kirche, die Gemeinschaft der Glaubenden symbolisiert und anschaulich macht, ist ein schöner Gedanke. So verstanden ist auch die Vorstellung einer Fürbitte Mariens kein ganz abwegiger Gedanke – denn dass die Gemeinschaft der Glaubenden füreinander betet, ist selbstverständlich. Aber einer ist da so gut wie die andere – es gibt keine besondere Kraft der Fürbitte der individuellen Person Mariens.

Rogate-Frage: Die jüngste Heiligsprechung der beiden Päpste durch Papst Franziskus hat auch manche evangelische Christen neu fragen lassen, wie es mit den Glaubenszeugnissen unserer Verfahren und unserem Grad der Verehrung steht. Welche Heiligen haben Protestanten und welche Form der Verehrung lässt die evangelische Theologie und Dogmatik zu?

Notger Slenczka: Die evangelische Theologie und Dogmatik hat nichts zuzulassen und auch nichts zu verbieten. Sie erschließt die christliche Tradition und ihre lebensgestaltende Kraft, die sich dann selbst an den Christenmenschen durchsetzt, indem sie einleuchtet (oder auch nicht).

‚Heilige‘ – wenn man darunter verstorbene Personen versteht, die in einem offiziellen Heiligsprechungsverfahren zur Ehre der Altäre erhoben wurden, dann gibt es im Protestantismus keine Heiligen. Wenn man aber unter ‚Heiligen‘ den Teil der Kirche, diejenigen Gläubigen versteht, die aus der Zweideutigkeit dieses Lebens erlöst sind und die nun ‚um den Thron des Lammes‘ (Apk 5) stehen, dann gibt es im Protestantismus durchaus Heilige; die Kirche umfaßt nicht nur die gegenwärtig lebenden Glaubenden. ‚Die Heiligen‘ sind dann aber nicht ethisch besonders bewährte Personen, sondern solche, die in der Zweideutigkeit ihres irdischen Lebens darauf vertraut haben, dass sie nicht durch ihre eigene Lebensgestaltung zu Gott gehören, sondern abgesehen von ihren ‚Werken‘, aus Gnade, durch Christus vor Gott etwas sind. Dieser Glaube macht einen Heiligen aus – insofern sind wir alle Heilige. Da gibt es durchaus exemplarische Situationen im Leben der Kirche und ihrer Gläubigen, die mein Leben orientieren und mir ein Vorbild sein können – und warum sollte das nicht auch für den einen oder anderen Protestanten Johannes Paul II. oder für die eine oder andere Protestantin Maria oder Edith Stein sein?

Für mich ist mein Namenspatron Notger, der erste Fürstbischof von Lüttich, dessen Tag der 10. April ist, durchaus ein solches Vorbild – nicht weil er sonderlich heilig im landläufigen Sinne war, das war er ganz und gar nicht! Sondern weil es von ihm ein Evangeliar gibt, auf dessen Einband eine Elfenbeinschnitzerei angebracht war, in der er sich selbst hat darstellen lassen: als außerhalb eines (ebenfalls dargestellten) Kirchengebäudes kniender, mit seiner Schuld belasteter Sünder vertraut er sich, so sagt die Umschrift um das Bild, dem richtenden Christus an, der über ihm thront. Was für ein Bischof! Das ist Glaube – und daran orientiere ich mich durchaus auch in meinem Leben.

Rogate-Frage: Vor einiger Zeit hat ein Kirchenamt entschieden: Wer den Rosenkranz betet, ist nicht evangelisch. Wie viel Freiheit lässt der protestantische Glaube und welche Grenzen gibt es für die Gestaltung der Frömmigkeit? 

Notger Slenczka: Ich kann mir nicht vorstellen, daß „ein Kirchenamt“ solchen Unfug entschieden hat. Zu derartigen Exkommunikationen ist es auch gar nicht befugt. Mit dieser Antwort sehen Sie, dass der christliche Glaube gegebenenfalls große Freiheit auch in der Kritik einer „kirchenamtlichen“ Entscheidung lässt, denn dies Votum würde ich nicht zurücknehmen, sondern mit großem Nachdruck wiederholen, wenn sich herausstellen sollte, daß tatsächlich ein ‚Kirchenamt‘ so etwas behauptet hat. Und niemand würde von mir erwarten, dass ich es zurücknehme – kein Kirchenamt würde mich für diese Kritik irgendwie zur Rechenschaft ziehen wollen, sondern würde möglicherweise sein Votum überdenken.

Der Glaube nicht nur der Protestanten, sondern aller Christen hat seinen Grund und damit seine Grenze in der Autorität Gottes, der in Jesus Christus erschienen ist und von dem die biblischen Schriften Zeugnis ablegen. „Autorität Gottes“ ist keine ‚autoritäre‘ Fremdbestimmung, sondern die Autorität der Liebe, nach der Gott sich als Grund und Halt aller Wirklichkeit zeigt und Grund und Halt auch unseres Lebens sein will. Glaube ist Vertrauen auf Jesus Christus als Grund und Halt unseres Lebens, und dieses Vertrauen will in allen Situationen des Lebens immer wieder neu ‚durchbuchstabiert‘ werden.

An die Grenzen der Frömmigkeit kommt man, wo dieses Lebensvertrauen auf Gott in Frage gestellt wird: Wenn wir beispielsweise unser Herz an Größen und Instanzen neben dem in Christus offenbaren Gott hängen und auf sie vertrauen – ob wir das nun selbst sind, die ihr Leben in die Hand nehmen und meistern wollen; ob das politische Heilsbringer sind, an die wir unser Herz hängen; oder ob das Heilige sind, die uns unvermerkt von Vorbildern der Lebensgestaltung zum Halt und Grund unseres Lebensvertrauens werden und so an die Stelle Gottes treten. Darum, diese Autorität der Liebe Gottes in den Herzen zu wahren, ging es der Reformation.

Wo wir aber ernsthaft und ungebrochen unser Leben von Gott empfangen, es seiner Liebe anvertrauen und ihn in allen Notlagen und Gefahren anrufen – da ist der Mensch frei von aller Kreaturvergötterung und auch einem Kirchenamt oder einem Theologen gegenüber völlig entspannt und frei. Und wenn ein Christenmensch aus dieser Haltung heraus eine besondere Verehrung für Maria der sonstige Heilige entwickelt, dann wird er die Grenze zwischen der verehrungsvollen Achtung für ein Vorbild im Glauben und der Kreaturvergötterung mühelos einhalten und bedarf dafür keines Kirchenamtes oder Theologen, die ihn zurechtweisen. Und wo dieses Vertrauen allein auf Jesus Christus in Gefahr gerät, da werden vermutlich nicht Kirchenämter und Theologen, sondern Brüder und Schwestern den Mitchristen warnen – eben in der Weise, dass sie ihn auf das biblische Zeugnis hinweisen, dabei aber auch selbst hören, wie er seine Frömmigkeitspraxis begründet: Denn die Wahrheit setzt sich im Gespräch durch.

Warum sollte, unter dieser Voraussetzung, ein Christ nicht auch die Freiheit haben, den Rosenkranz und damit als Ausdruck der Verehrung das Ave Maria zu sprechen? Und wenn es denn sein muss, soll er meinethalben Maria um Fürbitte bitten, wie er das gegenüber einer anderen Mitchristin auch tun würde. Ich selbst würde Maria nicht anrufen – aber irren können wir alle, auch und gerade dann, wenn wir das nicht für möglich halten …

Rogate: Vielen Dank, Herr Prof. Slenczka!

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Willkommen zu unseren öffentlichen Gottesdiensten in der gastgebenen Ev. Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, 10783 Berlin-Schöneberg, Lageplan:

  • Dienstag, 5. August 14 |19:00 Uhr, VESPER, das Abendgebet
  • Donnerstag, 7. August 14 |19:30 Uhr, KOMPLET, das Nachtgebet
  • Sonnabend, 9. August 2014, 12:00 Uhr, Mittagsgebet und Andacht für Trauernde, Neuen-Zwölf-Apostel-Kirchhof, Werdauer Weg 5, S Schöneberg.
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