Fünf Freitagsfragen an Dr. Günther Beckstein, Ministerpräsident a.D. und Vizepräses der EKD-Synode, über die Herausforderungen der Demografie für die evangelische Kirche, die Relevanz von Denkschriften und wann er Zeit zum Beten hat.
Der Jurist Dr. Günther Beckstein gehörte dem bayerischen Landtag gehörte von 1974 bis 2013 an. Von 1993 bis 2007 war er bayerischer Staatsminister des Innern und von 2007 bis 2008 bayerischer Ministerpräsident. Er war der erste evangelische Ministerpräsident des Freistaats Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg. Seit 2009 arbeitet er wieder als Rechtsanwalt. Er ist im Ehrenamt Vizepräses der Synode der EKD. Die nächste Tagung findet in der Zeit vom 6. bis 12. November 2014 in Dresden statt. Das Schwerpunktthema lautet: „Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft“.
Rogate-Frage: Herr Vizepräses Dr. Beckstein, wohin bewegt sich die evangelische Kirche in Deutschland? Aufbruch in die Spezialisierung vor Ort oder Abwicklung von Gemeinden in der Fläche?
Günther Beckstein: Die Probleme der Demografie betreffen die evangelische Kirche stärker als den Staat und die katholische Kirche, da wir nicht nennenswerte Zuwanderung aus dem Ausland haben. Hinzu kommen Austritte, die schmerzen. Dennoch darf sich die Kirche keinesfalls aus der Fläche zurückziehen. Vielerorts ist gerade in ländlichen Gegenden das Gemeindeleben besonders lebendig. Verstärkte Einbindung von Prädikanten und sonstigen Ehrenamtlichen wird nicht nur Notlösung sein, sondern durchaus auch neue Chancen eröffnen. Das Laienpriestertum aller Gläubigen, wie es Martin Luther formuliert hat, wird dadurch Realität. Dies wird auch andere Gemeindeformen als die Ortsgemeinde betreffen. Auch hier wird es entscheidend darauf ankommen, Ehrenamtliche mit Verantwortung zu betrauen.
Rogate-Frage: Die EKD hat in der Geschichte wichtige Akzente gesetzt, so der Rat 1965 mit der Ostdenkschrift. Doch auch jede EKD-Synode verfasst regelmässig und mit viel Sorgfalt neue Erklärungen. Viel Engagement und Zeit fließt hier hinein. Doch brauchen wir immer neue Papiere? Wozu dienen die vielen Positionsbestimmungen und wer nimmt sie zur Kenntnis?
Günther Beckstein: Dass Kirche sich zu politischen Fragen äußert, ist für mich selbstverständlich. Unser Glaube bezieht sich nicht nur auf das Jenseits, sondern will auf der Welt gelebt werden. Deswegen sind Denkschriften und andere Papiere wichtige Stellungnahmen, die für die Gemeindeglieder und für Staat und Gesellschaft deutliche Impulse geben sollen.
Natürlich haben die in den einzelnen Synoden oder Kammern oder vom Rat der EKD verabschiedeten Beschlüsse und Erklärungen unterschiedliche Wirkungen; kaum eine erreicht die Bedeutung der Ostdenkschrift von 1965.
Aber wir sollten auch nicht vergessen, welch große Rolle die Evangelische Kirche bei der friedlichen Revolution gespielt hat. Dass die Kirchen geschützte Räume für freie Meinungsäußerung boten, dass Friedensgebete die Entwicklung begleiteten, war für das Wunder der Wiedervereinigung ein entscheidender Beitrag, auch wenn die Frage der Wiedervereinigung von den Kirchenleitungen – für meine Begriffe viel zu – zurückhaltend gesehen wurde.
In einer sich schnell ändernden Zeit ist es notwendig auch immer neue Positionsbestimmungen zu verfassen. Es ist ein großer Vorteil der Evangelischen Kirche, dass dabei viel Sorgfalt von Ämtern und Beratung von Laien einfließt, insbesondere auch auf Synoden.
Dennoch vertrete ich die Meinung, dass durch die Anzahl der Beschlüsse nicht etwa mehr Einfluß genommen wird. Weniger kann durchaus mehr sein, zumal für die Wirkung der Transport durch weltliche Medien in aller Regel notwendig ist und die werden nur einzelne Fragen und Beschlüsse aufnehmen.
Rogate-Frage: Die nächste EKD-Tagung findet in der Zeit vom 6. bis 12. November 2014 in Dresden statt. Das Schwerpunktthema ist: „Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft“. Was erhoffen Sie sich von den Ergebnissen dieser Synode? Und was kann die kirchliche Öffentlichkeit erwarten?
Günther Beckstein: Bei der Synode in Dresden geht es darum – von den Jugenddelegierten angestoßen – die Veränderungen in der gesamten Gesellschaft durch Digitalisierung und stete Verfügbarkeit jedweder Kommunikation sichtbar zu machen.
Daneben wird es auch eine Rolle spielen, wie die Gemeinden vor Ort die Möglichkeiten sozialer Netzwerke nutzen.
Und es geht darum, dass auch die Notwendigkeit der Präsenz der Kirche(n) im Internet dargelegt wird.
Ich bin auf die Beratungen gespannt, welche neuen Erkenntnisse wir aus Dresden mitnehmen.
Rogate-Frage: Wie leben Sie Ihren Glauben? Wann finden Sie Zeit zum Beten und zur Suche nach Gott? Gehen Sie jeden Sonntag zum Gottesdienst?
Günther Beckstein: Ich gehe Sonntags meist in den Gottesdienst, oft aber nicht in meiner Gemeinde, weil ich noch viel unterwegs bin.
Losung und Lehrtext, Gebete bei den unterschiedlichsten Anlässen waren und sind mir wichtig.
Auch in meiner Zeit als Minister und Ministerpräsident war ich dankbar, im Gebet vor wichtigen Entscheidungen inne zu halten, manchmal auch nur in kurzen Gebeten, wenn es sehr eilig war. Auch Dankgebete waren mir immer wichtig.
Es ist eine großartige Lebenserfahrung, dass unser Gott dafür sorgt, dass wir mit seinem Beistand rechnen dürfen. Auch dass wir erkennen, dass der Mensch nicht vollkommen ist, sondern Fehler zum Leben gehören und die Vergebung der Schuld notwendig ist. Der Glaube gibt Mut und Demut, auch im Alltag der Politik.
Rogate-Frage: Gern würden wir mit Ihnen einen Blick in die Zukunft werfen: Wie stellen Sie sich die EKD im Jahr 2050 vor? Wie werden sich die Gemeinden entwickeln? Und welche Fortschritte wird die Ökumene gemacht haben?
Günther Beckstein: Prognosen sind mit viel Unsicherheit verbunden, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen, hat Ludwig Thoma einmal gesagt. Gerade wenn so lange Zeiten vorweggenommen werden.
2050 – das werde ich nicht erleben, sonst würde ich 107 Jahre – werden die einzelnen konfessionellen Unterschiede kaum mehr eine Rolle spielen. Es wird in einer Gesellschaft der digitalen Welt die personale Gemeinschaft eine große Bedeutung haben. Die Gläubigen werden in vielfältiger Form füreinander dasein, und auch für andere Menschen helfen. Nächstenliebe wird in einer Zeit zunehmender Ökonomisierung besonders bemerkenswert sein.
Und trotz – oder gerade wegen – der Beschleunigung des allgemeinen Lebens wird sich Kirche Zeit nehmen, um nachzudenken und innezuhalten. Gerade aus dem Nachdenken über Gott und die Welt, dem Lesen der Bibel, dem gemeinsamen Feiern von Gottesdiensten und den Sakramenten, wird auch ein Vordenken werden.
Obwohl die Kirche nicht mehr so reich ist wie heute, werden Diskussionen über Geld und Strukturen weit weniger Rolle spielen als glaubwürdige Mission und Reden von Gott und dem Glauben.
Ökumene wird selbstverständlich gelebte Wirklichkeit sein. Unterschiede zwischen einzelnen Gemeinden werden zwar sichtbar sein, aber gerade in einer mobilen Welt wird es wichtig sein, an Sonntagen einen Gottesdienst miteinander feiern zu können.
Protestanten werden zum katholischen Abendmahl ganz selbstverständlich gehen. Und beim Lutherjubiläum 2017 wird der Papst die Hauptpredigt halten und dafür danken, dass Luther einen Beitrag zur Reform der Kirche geleistet hat.
Rogate: Vielen Dank, Herr Beckstein, für das Gespräch!
Weitere Informationen finden Sie hier: ekd.de. Hier eine EKD-Presse-Information zu den Vorbereitungen der Synode in Dresden.
Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de
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Willkommen zu unseren öffentlichen Gottesdiensten in der gastgebenen Ev. Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, 10783 Berlin-Schöneberg, Lageplan:
- Dienstag, 4. November 14 | 19:00 Uhr, VESPER, das Abendgebet, in der Kapelle der Kirche
- Donnerstag, 6. November | 19:30 Uhr, KOMPLET, das Nachtgebet (Kapelle)
- Sonnabend, 8. November 2014| 12:00 Uhr, Andacht für Trauernde: Mit Eucharistie und Gräbersegnung, Neuer-Zwölf-Apostel-Kirchhof, Werdauer Weg 5, S Schöneberg. Mit der Alt-katholischen Gemeinde Berlin. Organist: Malte Mevissen.
- Dienstag, 11. November 14 | 19:00 Uhr, VESPER, das Abendgebet, in der Kapelle der Kirche