
Prof. Dr. Ruud Koopmans (Bild: privat)
Fünf Freitagsfragen an Professor Dr. Ruud Koopmans, WZB Berlin, über Fundamentalismus und Fremdenfeindlichkeit von Muslimen und Christen und deren Ursachen.
Professor Dr. Ruud Koopmans ist Direktor der Abteilung „Migration, Integration, Transnationalisierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Er ist gebürtiger Niederländer und hat in seinem Heimatland eine Gastprofessur an der Universität Amsterdam inne wie auch eine S-Professur für „Soziologie und Migrationsforschung“ der Philosophischen Fakultät III der Humboldt-Universität zu Berlin. In seiner Forschung beschäftigt er sich insbesondere mit den Themen „Soziale Bewegungen“, „Integration und ethnische Diversität“ und „Religiöser Fundamentalismus“.
Rogate-Frage: Herr Prof. Koopmans, Sie haben zu Fundamentalismus und Fremdenfeindlichkeit von Muslimen und Christen im europäischen Vergleich geforscht. Was haben Sie herausgefunden?
Ruud Koopmans: Die Studie war eine repräsentative Befragung von etwa 6.000 Muslimen und 2.500 Christen in sechs europäischen Ländern: Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Österreich, Belgien und Schweden. Religiöser Fundamentalismus wurde definiert als die gleichzeitige Bejahung dreier Glaubensauffassungen: 1) dass Christen beziehungsweise Muslime zu den Wurzeln ihres Glaubens zurückkehren sollten; 2) dass Bibel beziehungsweise Koran nur eine Interpretation zulassen, die für alle Gläubige bindend ist; 3) dass die in diesen heiligen Schriften festgelegten Regeln Vorrang haben vor weltlichen Gesetzen. In der Studie Muslime in Deutschland von 2007 wurde die letzte Frage etwas anders gestellt, nämlich, ob die Regeln des Korans wichtiger seien als Demokratie – das Ergebnis war nahezu deckungsgleich mit meiner Studie. Unter den Christen stimmten nur vier Prozent allen drei Aussagen zu. Erwartungsgemäß lag dieser Anteil höher (etwa zwölf Prozent) unter Anhängern von protestantischen Freikirchen wie Adventisten, Pfingstgemeinden und Zeugen Jehovas. Unter Muslimen ist der religiöse Fundamentalismus viel weiter verbreitet: 45 Prozent stimmten allen drei Aussagen zu. Unter den Muslimen war der religiöse Fundamentalismus aber viel weniger stark ausgeprägt unter der liberalen Strömung der türkischen Aleviten (15 Prozent), die in ihrer Glaubensauffassung den Christen also näher stehen als den sunnitischen Muslimen.
Unter sowohl Christen als auch Muslimen fand ich einen sehr starken Zusammenhang zwischen religiösem Fundamentalismus und Ablehnung von Fremdgruppen. Von den fundamentalistischen Muslimen wollen 70 Prozent keine Homosexuelle in ihrem Freundeskreis, und ebenso viele sind der Meinung, dass man Juden nicht trauen kann und dass der Westen den Islam vernichten will. Unter den fundamentalistischen Christen wollen 30 Prozent keine homosexuellen Freunde, 20 Prozent trauen Juden nicht und 60 Prozent meinen, Muslime wollen die westliche Kultur vernichten. Da der Anteil der Fundamentalisten unter den Muslimen viel höher ist als unter Christen ist der Anteil der Muslime mit fremdenfeindlichen Einstellungen entsprechend höher unter den Muslimen.
Rogate-Frage: Wie erklären Sie die höhere Anfälligkeit von gläubigen Menschen für die Ausgrenzung und Ablehnung anderer?
Ruud Koopmans: Weiterführende Analysen der Ergebnisse zeigten, dass die Stärke der Gläubigkeit an und für sich für die Erklärung der Fremdenfeindlichkeit keine (für Christen) oder nur eine schwache (für Muslime) Rolle spielt. Gläubigkeit wurde ebenfalls über drei Fragen gemessen: 1) wie stark fühlen Sie sich als Christ bzw. Muslim; 2) wie stark fühlen sie sich mit Christen beziehungsweise Muslimen verbunden; 3) wie stolz sind sie darauf, Christ beziehungsweise Muslim zu sein. Nur wenn starke Gläubigkeit mit einer fundamentalistischen Glaubensauffassung zusammen kommt (was bei Muslimen öfter der Fall ist als bei Christen), führt dies zu erhöhter Fremdenfeindlichkeit. Dies ist dadurch zu erklären, dass eine fundamentalistische Glaubensauffassung mit einer starken Überzeugung einhergeht, über die einzige Wahrheit zu verfügen. Eine Wahrheit, die nur eine Interpretation zulässt und die nicht nur für einen selbst sondern auch für andere bindend ist und deshalb auch Priorität hat vor weltlichen Gesetzen, auch wenn diese demokratisch zustande gekommen sind. Intoleranz gegenüber andere Sicht- und Lebensweisen ist also ein Wesensmerkmal des Fundamentalismus, der leicht zu Hass und Bedrohungsängste gegenüber anderen Gruppen führt.
Rogate-Frage: Warum sind aus Ihrer Sicht Muslime besonders für fundamentalistische Ansichten anfällig?
Ruud Koopmans: Als Soziologe kann ich feststellen, dass die Antwort auf diese Frage nicht in irgendwelchen soziologischen Variablen – wie etwa sozio-ökonomische Marginalisierung oder Diskriminierung – liegt. Diese erklären zwar, warum manche Muslime und manche Christen fundamentalistischer sind als andere, sie erklären aber weder die großen Unterschiede zwischen Muslimen und Christen, noch die Unterschiede zwischen Sunniten und Aleviten. Eine Antwort muss einerseits in der Theologie und andererseits in der Geschichte gesucht werden. Theologisch hat sich der (sunnitische) Islam schon zu Mohammeds Zeiten als herrschende Religion etabliert, die sich anfangs vor allem durch militärische Eroberung verbreitete. Deshalb ist der Staat im Koran und Hadith der Religion untergeordnet. Das Christentum dagegen – und das gleiche gilt für Minderheitsströmungen innerhalb des Islams – hat sich dagegen in den ersten Jahrhunderten seiner Existenz als eine Minderheitsreligion innerhalb eines meist feindselig gesinnten staatlichen Kontextes entwickelt. Hätte das Christentum einen ähnlichen weltlichen Herrschaftsanspruch gehabt wie der Islam, wäre es einer noch stärkeren Verfolgung ausgesetzt gewesen als er es immerhin schon war. Nur durch das Fehlen dieses Herrschaftsanspruches – exemplarisch dargestellt vom Apostel Paulus – war es letztendlich möglich, dass die römischen Kaiser sich zum Christentum bekehrten und dadurch der weiteren Verbreitung des Christentums den Weg bereiteten. Einmal zur Staatsreligion geworden wurde allerdings auch im Christentum die Trennung zwischen Staat und Kirche undeutlicher, wobei aber fast immer der Staat die Religion bestimmte statt umgekehrt.
Geschichtlich war dann wichtig, dass in Folge der Reformation, in den darauffolgenden Reformen innerhalb der katholischen Kirche und die starke Herausforderung durch die Erleuchtung sich im Hauptstrom des Christentums eine nicht-fundamentalistische Schriftauslegung durchgesetzt hat, die Abstand nahm von einer wortwörtlichen Interpretation der Bibel diesen in seinem historischen Entstehungskontext platzierte, und die Existenz mehrerer Glaubensinterpretationen nebeneinander – inklusive eines nicht-religiösen Humanismus – zu tolerieren lernte. Wenn es mehr als eine Interpretation der Heiligen Schrift geben kann, kann die Religion schon deshalb nicht maßgebend für eine weltliche Gesetzgebung sein. Dies stärkt so die im Christentum eh schon historisch stärker verankerte Trennung von Staat und Kirche. Im Islam hat es bisher eine ähnliche Entwicklung nicht gegeben. Bis zum Ende des osmanischen Reiches waren weltliche und religiöse Macht in der Person des Sultans vereint. Dieses Kalifat versucht ja der IS wieder – zwar in einer hyperradikalisierten Form – ins Leben zu rufen. Viele andere muslimische Länder haben ohnehin bis auf den heutigen Tag eine mehr oder weniger stark ausgeprägte theokratische Regierungsform beibehalten oder in Folge islamistischer Revolutionen wieder eingeführt (etwa Marokko, Iran, Saudi Arabien).
Rogate-Frage: Gering ist der Fundamentalismus unter Christen dennoch nicht. Wie hoch ist der Antisemitismus, die Islamfeindlichkeit und Homophobie unter Christen?
Ruud Koopmans: Von allen Christen (also sowohl fundamentalistische als nicht-fundamentalistischen) wollen 11 Prozent keine Homosexuelle als Freunde, 9 Prozent trauen Juden nicht und 23 Prozent meinen, die Muslime wollen die westliche Kultur vernichten. Von allen Muslimen wollen 57 Prozent keine Homosexuellen Freunde, 45 Prozent finden, man könne Juden nicht trauen, und 54 meinen, der Westen wolle den Islam vernichten.
Rogate-Frage: Wie könnte aus Ihrer Sicht Abhilfe geschaffen werden? Mehr Begegnung zwischen den Gruppen? Mehr Information? Was sollten die Geistlichen tun?
Ruud Koopmans: Information und Begegnung klingen immer gut, aber sie erreichen leider meistens auf beiden Seiten nur die, die eh schon weltoffen und tolerant sind. Das Wichtigste ist deshalb erstmal die Arbeit innerhalb der eigenen religiösen Gruppe. Da gibt es im muslimischen Bereich offensichtlich mehr Handlungsbedarf als im europäischen Christentum. Liberale, reformorientierte Kräfte innerhalb des Islam sollten sich viel entschiedener und sichtbarer gegen den weitverbreiteten Fundamentalismus und den Hass auf Andersdenkende in der eigenen Gemeinschaft engagieren. Sie sollten anerkennen, dass die Ursachen dieses Problems in erster Linie in der eigenen religiösen Tradition liegen und aufhören, die Verantwortlichkeit auf Andere abzuschieben (Stichworte: Islamophobie, die Außenpolitik des Westen, Israel und so weiter). Nur durch eine erfolgreiche Reformbewegung innerhalb des Islam lässt sich das Problem des Fundamentalismus beseitigen. Dazu gehört die Anerkennung, dass der Koran interpretationsbedürftig ist und nicht kritiklos als das Wort Gottes gesehen werden kann. Dazu gehört auch, dass die Trennung von Staat und Kirche nicht nur als praktische Lösung – zum Beispiel in der Diaspora, wo Muslime nicht die Mehrheit darstellen – akzeptiert werden muss, sondern auch prinzipiell eine Theokratie wegen der Mehrdeutigkeit der Heiligen Schriften niemals als Ideal angestrebt werden kann. Schließlich gehört dazu, Toleranz tatsächlich vorzuleben, indem man gerade wenn Islamkritiker, seien sie noch so beleidigend, angegriffen werden, klar Position bezieht. Tolerant ist ja nur der, der für die Freiheit der Andersdenkenden eintritt.
Das alles heißt nicht, dass es innerhalb des Christentums keine Probleme gibt. Wenn wir außerhalb Europas schauen, dürfte klar sein, dass es zum Beispiel im amerikanischen Protestantismus, in den in Lateinamerika expandierenden Pfingstkirchen oder im afrikanischen Katholizismus durchaus starke fundamentalistische und fremdenfeindliche Tendenzen gibt. Vor christlichen Überlegenheitsansprüchen sei deshalb gewarnt. Auch im europäischen Christentum sind neun Prozent mit antisemitischen oder 23 Prozent mit islamophoben Einstellungen neun bzw. 23 Prozent zu viel. Da auch im Christentum derartige Feindseligkeit gegenüber Andersdenkenden, Andersgläubigen und Anderslebenden sehr stark mit einer fundamentalistische Glaubensauffassung zusammenhängt, hilft auch hier nur ein ständiges Beharren auf und Werben für eine bescheidene Glaubensinterpretation, die nicht vorgibt, die einzige Wahrheit zu kennen, die deshalb auch keine Ansprüche auf weltliche Macht geltend machen will, die nicht über andere urteilt und keine Überlegenheit für sich in Anspruch nimmt, und die gerade in dieser Toleranz und Bescheidenheit seine Anziehungskraft findet.
Rogate: Vielen Dank, Herr Koopmans:, für das Gespräch!
Mehr von Ruud Koopmans finden Sie hier: wzb.eu/de/personen/ruud-koopmans
Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de _________________________________________________
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Dienstag, 26. Mai 15 | 19:00 Uhr, Vesper, das Abendgebet, Zwölf-Apostel-Kirche
- Donnerstag, 28. Mai 15 | 19:00 Uhr, Rundgang Ausstellung „Gepflegt in der Gegenwart“ mit MdB Mechthild Rawert, Gespräch zu den Herausforderungen und Bedingungen der ambulanten Pflege heute, anschließend Andacht:
- Donnerstag, 28. Mai 15 | 20:30 Uhr, Andacht, Zwölf-Apostel-Kirche
- Dienstag, 2. Juni 15 | 19:00 Uhr, VESPER, das Abendgebet, Zwölf-Apostel-Kirche
- Donnerstag, 4. Juni 15 | 20:30 Uhr, EUCHARISTIE, Konventamt, Zwölf-Apostel-Kirche
- Dienstag, 9. Juni 15 | 19:00 Uhr , VESPER, das Abendgebet, Zwölf-Apostel-Kirche
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