Fünf Freitagsfragen an Andreas Philipp, Glockensachverständiger für das Erzbistum Berlin, über den Alltag in Kirchtürmen, gute Läuteordnungen und ein Kulturgut aus Metall und mit Geschichte.
Andreas Philipp stammt aus Niedersachsen und hat in Freiburg im Breisgau Physik studiert. Später absolvierte er beim Beratungsausschuss für das Deutsche Glockenwesen die Ausbildung zum Glockensachverständigen.
Rogate-Frage: Herr Philipp, wie wird man Glockensachverständiger eines Bistums?
Andreas Philipp: Im Fall des Erzbistums Berlin war das so, dass ich in den Jahren 2001 und 2002 im Auftrag des Erzbischöflichen Ordinariates alle Geläute der Erzdiözese inventarisiert und inspiziert habe. Ziel war es, einen Überblick über den Glockenbestand zu gewinnen und zu überlegen, was in den nächsten Jahren zur Erhaltung und Verbesserung getan werden musste oder sollte. Das kann der Austausch minderwertiger Eisenhartgussglocken ebenso sein wie die Umstellung auf Armaturen (Joche und Klöppel) und Antriebstechnik nach dem heutigen Kenntnisstand der Glockenkunde. Nachdem dieser Auftrag erfüllt war, bot es sich an, dass ich auch die Betreuung der Sanierungsfälle übernahm, weil ich die Anlagen bereits kannte und wusste, was zu tun war.
Rogate-Frage: Wie gestaltet sich Ihr Alltag als Sachverständiger? Sicher sportlich, oder?
Andreas Philipp: Mein Alltag als Glockensachverständiger führt mich in die Glockenstuben, um den Bestand zu sichten und Pläne zu fassen. Da gibt es einerseits sichere, fast bequeme Zuwegungen über Treppen, aber als Gegenpol auch abenteuerliche Leitern, die überhaupt nicht den Sicherheitsbestimmungen entsprechen und längst hätten entsorgt werden sollen. Ein wenig gefestigt muss man da schon sein. Ich sitze aber auch oft am Schreibtisch, um für die Kirchengemeinden Berichte mit Kostenschätzungen zu schreiben oder Leistungsverzeichnisse aufzusetzen, auf denen meist drei Fachfirmen, also Glockengießereien oder Montagebetriebe, Angebote abgeben. Die werte ich dann aus, um den Entscheidungsträgern Preisspiegel und Vergabevorschlag vorlegen zu können. Nach dem Guss von Glocken führt mich mein Weg in die Glockengießerei, wo ich prüfen muß, ob meine Vorgaben hinsichtlich des Klangs und die Wünsche der Kirchengemeinden bezüglich Zier und Inschriften erfüllt worden sind. Sind die Glocken dann montiert, überprüfe ich im Kirchturm die Güte der Montage und stelle gemeinsam mit der ausführenden Firma das Geläute musikalisch und technisch optimal ein. Leider zu selten komme ich auch zu archivalischen Forschungen, die dann mehr in den Bereich der Campanologie, der Glockenkunde, reichen. Dafür bleibt angesichts des täglichen Geschäftes aber nur wenig Zeit.
Rogate-Frage: Manche Glockenfreunde sagen, dass was die Kriege am Bestand nicht zerstörten die elektrischen Läutemaschinen nun vollbringen würden: Die Glocken und ihren Klang gefährden. Teilen Sie diese Sicht?
Andreas Philipp: Diese Ansicht habe ich so extrem noch nicht gehört. Ich teile solch eine Auffassung auch nicht, denn elektrische Läutemaschinen sind vor über hundert Jahren entwickelt worden und inzwischen sehr gut ausgereift. Es kommt auf die richtige Intonation an. Selbstverständlich dürfen Glocken nicht überbeansprucht werden, aber für jedes System aus Glocke, Joch und Klöppel gibt es einen optimalen Läutewinkel, den es zu finden gilt und den moderne Läutetechnik ohne weiteres aufrechterhalten kann. Vielleicht bezieht sich die Besorgnis aber auch auf den Verfall von Läutesitten. Da kann man allerdings sagen, dass zur Zeit des Handläutens bewusster mit Einzelglocken gearbeitet wurde und man sich genau überlegt hat, zu welchen Anlässen man eine größere Glocke als üblich oder mehrere Glocken läuten wollte – schließlich mussten die Läuter entlohnt werden. Die Schalttafel in der Sakristei verleitet hingegen dazu, allzu oft alle Glocken einzuschalten.
Rogate-Frage: Wie sieht eine gute, zeitgemäße Läuteordnung für eine Kirchengemeinde unserer Tage aus und wie hört sich ein gutes An- und Abläuten an?
Andreas Philipp: Eine gute Läuteordnung zeichnet sich durch Systematik und Differenzierung aus. Es ist wichtig, dass die Hörer genau erkennen können, zu welcher Art von Gebet oder Gottesdienst gerade eingeladen wird. Dabei muss man sich nach den Möglichkeiten richten, die jedes Geläute bietet – sie hängen entscheidend von der Anzahl der Glocken und der Disposition, also der Tonfolge, ab. Die natürliche Musikalität der Hörer sollte keinesfalls unterschätzt werden. Selbstverständlich wird nicht jeder sagen können, welche Tonfolge er gerade hört und ob das Dur oder Moll ist, aber die Stimmung können die meisten empfinden, und das reicht völlig aus. Man singt schließlich auch im Advent andere Choräle als in der Osterzeit. Wichtig wäre, dass sich Pfarrer und Kirchenvorstände darüber im Klaren sind, dass das den Kirchen zugebilligte umfassende Recht zum liturgischen Läuten auch die Verpflichtung nach sich zieht, verantwortungsvoll mit dem Geläute und seinen Möglichkeiten umzugehen. Abwechslungsreich und nicht zu lange zu läuten gehört dazu. Dann darf es gerne auch etwas öfter sein. Bis auf ganz wenige Ausnahmen sollte man die Glocken von der kleinsten zur größten hin ein- und ausschalten. Wenn die kleinste Glocke beginnt und die größeren im Abstand von einigen Sekunden nacheinander dazu einsetzen, können die Hörer den Aufbau des Teilmotivs oder des Vollgeläutes am besten verfolgen und spüren auch eine Steigerung zu immer größerer Wirkung. Beim Ausschalten muss die größte Glocke das letzte Wort sprechen. Das Argument, sie läute schließlich ohnehin am längsten nach, gilt nicht. Ein schönes Ausläuten wird man nur durch gestaffeltes Ausschalten erreichen, das bei der kleinsten Glocke beginnt.
Rogate-Frage: Was empfinden Sie als Glockenprofi beim Glockengeläut? Welche Geläute und welche Glocken im Bistum Berlin hören Sie besonders gern?
Andreas Philipp: Nach wie vor freue ich mich immer wieder, Glocken zu hören. Das geht mir nicht anders, seit ich mich beruflich mit der Thematik beschäftige. Ich habe ein Steckenpferd zum Beruf machen können und bin dankbar dafür, dass das möglich war. Mit der Benennung einzelner Glocken oder Geläute tue ich mich schwer. Es gibt so unterschiedliche Geläute wie es Kirchen gibt. Die kleine Glocke im Dachreiter einer Kapelle kann da ebenso schön klingen wie ein großes Geläute einer Stadtkirche. Ich höre das kleine Geläute in Altentreptow nicht weniger gerne als das eine Oktave tiefere in Berlin-Kaulsdorf.
Rogate: Herr Philipp, vielen Dank für das Gespräch!
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Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de
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Die Glocken der Zwölf-Apostel-Kirche: