Herr Gott, barmherziger Vater,
so viele Menschen auf dieser Erde sind auf der Flucht.
Unzählige Männer, Frauen und Kinder fliehen vor Krieg und Verfolgung,
nehmen kaum vorstellbare Strapazen auf sich, setzen ihr Leben aufs Spiel.
Unzählige Menschen mussten fliehen oder sind aufgebrochen in der verzweifelten Hoffnung, so an einen Ort zu gelangen, wo sie in Sicherheit sind
und wo ihr Leben eine Zukunft hat.
Wir denken jetzt besonders an diejenigen,
die auf der Flucht ihr Leben gelassen haben:
verdurstet in der Sahara, ertrunken im Mittelmeer, erstickt in Fahrzeugen skrupelloser Schlepper, an Krankheiten oder Verletzungen zugrunde gegangen.
In das Trauerläuten der Glocken hinein verbinden wir uns im Gebet mit den vielen,
die so wie wir erschüttert sind durch dies Leiden und Sterben all dieser Menschen.
Betroffen und hilflos legen wir dir die Toten ans Herz.
Ganz gleich, in welcher Weise wir jeweils an dich glauben,
und ob uns das ansonsten auch vertraut ist oder eher fremd:
Jetzt bitten wir dich, dass du die Toten aus allem Leid und aller Angst
aufnimmst in die Weite deines Friedens.
Und wir bitten dich für ihre Angehörigen,
dass du ihnen beistehst in ihrem Schmerz
und dass du ihre Seele bewahrst vor Verzweiflung.
Wir bitten dich um deinen Beistand für alles, was aufrichtig versucht wird,
um Krieg und Gewalt einzudämmen
und um Menschen in ihren Heimatländern neue Perspektiven zu eröffnen.
Wir bitten dich für die Millionen und Abermillionen von Menschen
in den Flüchtlingslagern Afrikas und im Nahen Osten,
und ganz besonders für die Kinder, die dort leben:
dass ihr Leben eine Zukunft hat und sie sich nicht in Verzweiflung und Hass verlieren.
Wir bitten dich für alle, die dort zu helfen suchen, in den Lagern,
oder auch auf den Fluchtwegen nach Europa, in Griechenland, in Italien,
an so vielen Orten: um Kraft und Ausdauer im Wissen, gebraucht zu werden.
Wir bitten dich für die Menschen, die jetzt hier bei uns ankommen,
dass ihre Seele schon bald ein wenig zur Ruhe finden kann,
so schwierig die Umstände auch erst einmal sind.
Dass sie nicht länger in Angst leben müssen,
sondern Menschlichkeit erfahren und Orientierung bekommen.
Und dass es gelingt, ihnen Spielräume und Möglichkeiten zu eröffnen,
wie sie hier, auf Zeit oder sogar auf Dauer, ein sinnvolles Leben finden können.
Dankbar denken wir an die vielen, die sich jetzt von der Nächstenliebe leiten lassen,
die helfen und hinschauen, wo ihre Hilfe gebraucht wird.
Und besonders an all diejenigen, die Initiativen gründen und leiten,
die für Kommunikation sorgen und Unterstützung mobilisieren,
und ohne deren Engagement es ganz vieles nicht gäbe,
was die ankommenden Flüchtlinge brauchen.
Gib Kreativität und Geduld und langen Atem;
befördere das Zusammenspiel von Herz und Verstand.
Und lass auch uns selbst erkennen, wo wir gebraucht werden,
lass uns das Erkannte tun und lass uns darin Sinn und Hoffnung finden.
Dankbar denken wir an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Behörden,
im Gesundheitswesen, bei Polizei und Verkehrsbetrieben und Bundeswehr,
alle, die jetzt in ihrem Beruf tun, was in ihren Kräften steht, und nicht selten mehr als dies. Bestärke und erhalte sie darin, trotz aller organisatorischen Probleme und Unzulänglichkeiten.
Politikerinnen und Politikern, die jetzt das Nötige und von der Nächstenliebe Gebotene tun und die Schritt für Schritt nach Lösungen suchen,
lass zu ihrem Handeln weiter den nötigen Rückhalt in der Bevölkerung finden.
Gib und erhalte die Freiheit zu lösungsorientiertem Handeln
und zu unkonventionellen Lösungen.
Gib und erhalte aber auch Augenmaß und Verantwortung
im Blick auf die Auswirkungen aktueller Entscheidungen.
Im richtigen und notwendigen Streit über das richtige und notwendige Tun
lass es in Politik und öffentlicher Meinung nicht zu Polarisierungen kommen,
bei denen die Menschlichkeit nationalen oder Gruppenegoismen zum Opfer fällt.
Bei allem lass es uns Christinnen und Christen nicht vergessen:
Du selbst, Gott, bist denen Freund, die einsam und fremd und verlassen sind.
Dein Sohn Jesus musste als kleines Kind schon mit seinen Eltern fliehen vor denen, die ihm nach dem Leben trachteten, und verbrachte Jahre in einem fremden Land,
bis die Gefahr vorbei war.
Später hat er vom Mitleid des Samariters erzählt, der den unter die Räuber gefallenen Fremden erblickte und sich spontan zur Hilfe gedrängt sah, und hat gesagt: Geh hin und tu desgleichen! Wichtigeres als dies gibt es nicht!
So gib, dass solche Nächstenliebe immer wieder unser Grundimpuls im Handeln sei – auch da, wo es um staatliches Handeln und um die Entwicklung der Gesellschaft geht.
Um der Menschen willen, die du liebst und die allesamt unsere Schwestern und
Brüder sind, woher sie auch kommen mögen.
Mit ihnen und für sie beten wir:
Vater unser im Himmel
Geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich
und die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit. Amen.
Das „Gebet zum Läuten der Totenglocken für auf der Flucht gestorbene Menschen“ wurde in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, am 2. Oktober 2015, 20.10 Uhr, von Pfarrer Martin Germer gesprochen. Er hat es auch formuliert.
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