Fünf Freitagsfragen an Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe, über Menschen auf der Flucht, Grenzbeobachtungen und welche Folgen ein militärisches Eingreifen hat. Dat Interview wurde im November 2015 geführt.

Cornelia Füllkrug-Weitzel (Bild: Hermann Bredehorst/Brot für die Welt)
Pfarrerin Cornelia Füllkrug-Weitzel ist im Mai 1955 in Bad Homburg in Hessen zur Welt gekommen. Sie hat in Tübingen und Berlin Theologie studiert und ist seit August 2012 Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung, zu dem Brot für die Welt und die Diakonie Katastrophenhilfe gehören.
Rogate-Frage: Frau Präsidentin Füllkrug-Weitzel, Sie waren Mitte September 2015 an der serbisch-ungarischen und der serbisch-mazedonischen Grenze. Welche Eindrücke haben Sie mitgebracht?
Cornelia Füllkrug-Weitzel: Die Menschen nehmen die enormen Risiken der Flucht auf sich, weil sie in ihren Heimatländern um ihr Leben fürchten. Niemand nimmt die beschwerliche Flucht leichtfertig auf sich. Mir ist zum Beispiel eine junge Familie aus Afghanistan mit einem neugeborenen Mädchen begegnet. Ihre Hoffnung ist es, einen Platz zu finden, wo ihre Tochter aufwachsen kann ohne permanente Angst um Leib und Leben und mit Bildungschancen. Positiv berührt war ich von der enormen Hilfsbereitschaft der serbischen Bevölkerung, Kirchen und Regierung – angesichts der extrem geringen Ressourcen ein Megaengagement, das sich hinter unserem keineswegs verstecken muss! Und das Ganze seit den ersten Anzeichen für eine veränderte Fluchtroute im Mai gut geplant und koordiniert. Serbien macht den EU-Ländern vor, wie man es machen kann, wenn man politisch nur will!
Rogate-Frage: Wie kann ein Hilfswerk wie Brot für die Welt konkret zu einer Verbesserung der Lage in den Herkunftsländern der geflüchteten Menschen beitragen?
Cornelia Füllkrug-Weitzel: Immer häufiger zwingen zunehmende Armut, strukturelle Ungleichheit, Gewalt, Folgen des Klimawandels, Krieg und Bürgerkrieg Menschen dazu, ihr Lebensumfeld zu verlassen. Wir unterstützen die Eigenanstrengungen von Menschen und Dorfgemeinschaften, ihre Rechte durchzusetzen, ihre unmittelbare Lebenssituation zu verbessern und vor Ort den Frieden gewaltfrei sichern zu helfen oder Versöhnungsarbeit zu leisten. Die großen ‚Gegenspieler‘ sind aber schlechte Regierungsführung, schlechte Handelsbedingungen, unverantwortliches Gebaren internationaler Konzerne, die Menschen für ihre Großprojekte im Bergbau oder Agrarbereich von ihrem Land vertreiben, der Klimawandel, der Zerfall von Staaten und die Gewalt. Ziel von Brot für die Welt ist es nicht, Migration zu verhindern. Sie ist wichtig für die Entwicklung des Einzelnen, für seine Gesellschaft und für die Gesellschaft des Gastlandes, Stichwort: Gastarbeiter. Mobilität muss in einer globalen Welt als normale Tatsache anerkannt werden und dem müssen moderne Einwanderungsgesetze Genüge tun. Aber die Entscheidung wegzugehen sollte nicht aufgrund fehlender Lebensalternativen gefällt werden müssen. Deshalb arbeitet Brot für die Welt mit seinen Partnerorganisationen in vielen Herkunftsländern und politisch mit der Bundesregierung und der Europäischen Union daran, die Lebensbedingungen der Menschen und die Rahmenbedingungen dafür zu verbessern. Zudem unterstützen wir unsere weltweiten Partnerorganisationen in der Friedensarbeit. Das ist zwingend und da muss auch die internationale Gemeinschaft viel mehr tun. Wer Frieden will, muss Frieden vorbereiten. Waffenexporte in Krisenregionen sind keine Hilfe und das militärische Eingreifen des Westens hat meist noch mehr Menschen in die Flucht getrieben.
Rogate-Frage: Wie und wo engagiert sich die Diakonie Katastrophenhilfe für Geflüchtete und Vertriebene?
Cornelia Füllkrug-Weitzel: Die Diakonie Katastrophenhilfe leistet mit ihren Partnerorganisationen humanitäre Hilfe für Geflüchtete in Syrien und in den Anrainerstaaten Syriens ebenso wie entlang der Fluchtroute durch Europa. In den Anrainerstaaten Syriens, also in der Türkei, im Libanon, in Jordanien, im Irak und auch in Syrien sind wir mit unseren lokalen Partnern seit Beginn des Bürgerkriegs tätig, um die Not der Geflüchteten und Vertriebenen jeweils so zu lindern, wie es sich vor Ort als erforderlich darstellt. Häufig hilft da, wo die Mehrheit nicht in Lagern lebt, Geld, damit sie sich so, wie es gerade möglich ist, versorgen können. Anderenorts erhalten die Menschen Nahrungsmittelhilfe, Mietzuschüsse, Decken, Öfen und Heizmaterial. Darüber hinaus helfen wir mit psychosozialer Unterstützung in Gemeindezentren, um den Familien beizustehen die erlebten Traumata durch Flucht, Gewalt und den Verlust von Angehörigen zu überwinden. In Serbien und Griechenland geht es insbesondere darum, die ankommenden Menschen in den Erstaufnahmezentren auf den griechischen Inseln und an der serbisch-mazedonischen und serbisch-kroatischen Grenze mit Kleidung, Hygieneartikeln, Schlafsäcken, Nahrung zu versorgen und die medizinische und sanitäre Versorgung zu verbessern – je nachdem, was gebraucht wird.
Rogate-Frage: Trägt die aktuelle europäische und die deutsche Flüchtlingspolitik zu einer Verschärfung oder Entspannung der Lage bei?
Cornelia Füllkrug-Weitzel: Aktuell hat weder die Europäische Union noch Deutschland ein Konzept für die Aufnahme in Europa und keine überzeugenden Antworten auf die mittelfristigen Integrationsaufgaben. Das macht die Lage krisenhaft – nicht einfach die Zahl der Flüchtlinge. Sie haben zu lange das Problem allein den Staaten an der Außengrenze der EU überlassen und zu wenig in den Anrainerstaaten Syriens getan. Jetzt werden unter dem enormen Druck Tausender ankommender Menschen Lösungen gesucht, die schon viel früher hätten vorbereitet werden können und müssen und die Solidarität erfordern – offensichtlich eine europäische Mangelware sofern es nicht nur darum geht, Solidarität zu erhalten, sondern auch darum, sie gegenüber anderen zu leben.
Jetzt geht es darum zu erreichen, dass die Mitgliedstaaten der EU je nach Leistungsfähigkeit Verantwortung übernehmen und es einen europäischen Asylkonsens gibt. Ziel muss außerdem sein, dass alle Staaten die europäischen Asylrechtsstandards anwenden. Dazu sind alle EU-Mitgliedstaaten verpflichtet. Staaten, die nicht dazu in der Lage sind, brauchen Unterstützung. Diejenigen, die nicht in der Lage dazu sein wollen, brauchen Druck. Hermetische Abriegelungen der See-, Luft- und Landgrenzen und die restriktive EU-Visapolitik treiben schutzsuchende Menschen lediglich alternativlos in die Hände krimineller Schleuser – abhalten tun sie die Flüchtlinge nicht. Solange die Regierungen der Europäischen Union keine legalen Fluchtmöglichkeiten schaffen, werden die Bilder und Berichte über das Massengrab Mittelmeer nicht enden und die Zahl der Toten wird weiter steigen.
Rogate-Frage: Kirchenvertreter in Ungarn sehen mit einem völlig anderen Blick auf die Situation geflüchteter Menschen im Vergleich zu den leitenden Geistlichen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Wie gehen Sie mit der unterschiedlichen Sicht der Repräsentanten europäischer Kirchen um? Wie ist da eine Zusammenarbeit möglich?
Cornelia Füllkrug-Weitzel: Bei unserer Reise nach Ungarn im September haben wir auch Vertreter der Kirche dort getroffen. Im Rahmen der ACT Alliance, dem weltweiten Netzwerk kirchlicher Organisationen, haben auch sie sich mit Hilfsmaßnahmen für Flüchtlinge eingebracht. Doch es ist wie in der europäischen Politik – auch im Rahmen der kirchlichen Zusammenarbeit in Europa müssen wir auf Solidarität und Verantwortung gegenüber den Schutzsuchenden pochen. Eine Frucht der Reise war eine internationale Kirchenführerkonsultation, zu der der Weltrat der Kirchen und der Ratsvorsitzende der EKD eingeladen haben, um einen offenen kritischen Dialog miteinander zu führen über das, was die Kirchen in dieser Situation je als das ethisch Gebotene halten.
Rogate: Vielen Dank, Frau Präsidentin Füllkrug-Weitzel , für das Gespräch.
Mehr über die Brot für die Welt hier: brot-fuer-die-welt.de. Über die Diakonie Katastrophenhilfe hier: diakonie-katastrophenhilfe.de
Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de
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