Fünf Freitagsfragen an Uwe Mletzko, Innere Mission Bremen und Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e.V., über die Begegnung auf Augenhöhe von Menschen mit und ohne Behinderungen und warum Inklusion ein Thema für die Kirche ist.
Pastor Uwe Mletzko ist Vorstandssprecher der Inneren Mission in Bremen und Vorsitzender des Bundesverbandes evangelische Behindertenhilfe e.V. (BeB). Er stammt aus Bremervörde/Niedersachsen und hat in Bielefeld/Bethel und Heidelberg evangelische Theologie und Diakoniewissenschaften studiert. Er war nach Vikariat und Pfarramt von 2000-2005 Persönlicher Referent von Diakonie-Präsident Jürgen Gohde beim Diakonischen Werk der EKD, danach in der Fliedner Stiftung in Mülheim an der Ruhr zuständiger Geschäftsführer der Fliedner Werkstätten und lebt und arbeitet nunmehr seit 2008 in Bremen. Er war Mitglied der ad-hoc Kommission „Inklusion“ des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, aus der die Orientierungshilfe „Es ist normal, verschieden zu sein. Inklusion leben in Kirche und Gesellschaft“ hervorgegangenen ist. Vorsitzender war Oberkirchenrat Klaus Eberl, Düsseldorf.
Rogate-Frage: Herr Pastor Mletzko, was heißt das: Inklusion aus Ihrer Sicht genau?
Uwe Mletzko: Der Begriff Inklusion meint eigentlich etwas ganz Selbstverständliches, wenn es auch schwer klingt. Es geht um die Aufhebung der Verschiedenheit zwischen Menschen, hier zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. Dieses bezieht sich vor allem auf die Felder Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Gesundheitliche Versorgung. Alle Menschen sollen gleiche Rechte und Pflichten haben und sich in die Gesellschaft einbringen können und dabei keine Hürden oder Barrieren mehr erleben müssen. Dazu gehört auch, dass jede und jeder über sein Leben selbst bestimmen kann. Das können viele Menschen mit Behinderung leider nicht in vollem Umfang. Diese Begrenzung muss aufgehoben werden und die Schranken im Kopf müssen verschwinden. Inklusion ist dabei die stetige Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, die durch die Vereinten Nationen 2008 in Kraft getreten ist. Seit 2009 ist sie durch die Bundesrepublik Deutschland ratifiziert worden und damit geltendes deutsches Recht geworden.
Rogate-Frage: Können Gesetze die Inklusion ermöglichen oder braucht es dazu nicht mehr?
Uwe Mletzko: Gesetze allein schaffen es nicht, dass Menschen mit Behinderung im alltäglichen Leben gleichberechtigt sind. Gesetze sind Rechtsgrundlagen und in diesem vorgegebenen „Spielfeld“ des Gesetzes muss gut gehandelt werden können. Alle Akteure müssen in diesen Rahmenbedingungen die Möglichkeiten haben, aktiv in diesem Gesellschaft leben zu können. Wenn das durch Gesetze nicht ermöglicht wird, dann stimmt was nicht. Deshalb befinden wir uns gerade in der Phase, dass wir ein Bundesteilhabegesetz bekommen werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird dieses Gesetz vorbereiten und hat dazu eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die die Rahmenbedingungen dieses Gesetzes beschreibt. Das ist schon mal eine gute Grundlage, denn die Verbände der Behindertenhilfe und die Selbstorganisationen der Menschen mit Behinderungen arbeiten in dieser Arbeitsgruppe mit und können ihre Aspekte einbringen. Ob das neue Gesetz, das 2017 in Kraft treten soll, dann wirklich ein gutes Gesetz für Menschen mit Behinderungen sein wird lässt sich daran messen, ob es Barrieren abbaut, die heute noch bestehen oder ob es zusätzliche Barrieren aufbaut.
Rogate-Frage: Was muss passieren, damit sich Menschen mit und ohne Behinderung auf Augenhöhe begegnen können?
Uwe Mletzko: Zunächst muss sich die Einstellung in den Köpfen der Menschen ändern. Augenhöhe bedeutet ja: Ich stelle Dich und mich auf die gleiche Ebene, weil wir gleich sind. Diese Empfinden haben aber viele Personen leider nicht. Es gibt viele Menschen, die sich dafür aussprechen, dass sich große Einrichtungen der Behindertenhilfe hin zu dezentralen Strukturen und kleinen Wohneinheiten verändern. Wenn das aber in der unmittelbaren Nachbarschaft passiert, dass sich eine Wohngemeinschaft mit Menschen mit einer schweren geistigen Behinderung ansiedelt, dann kommen zuweilen haarsträubende Argumente, warum das denn ausgerechnet in meiner Nachbarschaft sein muss. Wir brauchen also eine veränderte Sicht auf Menschen mit Behinderung. Wir müssen wegkommen von einer defizitären Sicht hin zu einer Sicht, die uns offen werden lässt für die Möglichkeiten und Befähigungen von Menschen mit Behinderung. Erst wenn wir alle Menschen als einen Reichtum unserer Gesellschaft ansehen, dann schaffen wir es auch, uns auf Augenhöhe zu begegnen.
Rogate-Frage: Trotz vieler Förderungen und Möglichkeiten, finden Menschen mit Behinderung auf dem 1. Arbeitsmarkt schwer eine Beschäftigung…
Uwe Mletzko: …auch das hat mit alten Denkmustern zu tun. Einerseits die Sichtweise, dass Menschen mit Behinderung kaum etwas können und somit schwer einsetzbar sind. Zweitens die falsche Sichtweise, dass Menschen mit einer Behinderung einen besonderen Kündigungsschutz genießen und ein Betrieb sie im Zweifelsfalle „nicht mehr loswird“. Es hat aber auch etwas damit zu tun, dass wir zu wenig von den Möglichkeiten der Menschen mit Behinderung wissen. In den Werkstätten für Menschen mit Behinderung fehlt teilweise ein gutes Befähigungsmanagement, in dem die individuellen Stärken und Fähigkeiten der Menschen mit Behinderung verschriftlicht werden, damit diese bei einer Bewerbung ihr „Profil“ vorstellen können. Zudem fehlt es immer noch Anreize für Betriebe, Menschen mit Behinderung einzustellen. Dabei gibt es viele auch finanzielle Anreize, die aber wenig bekannt sind. Ich schlage auch vor, die Schwerbehindertenvertretungen in den Betrieben hier stärker ins Boot zu holen, damit Ängste und Sorgen besprochen und abgebaut werden können.
Ein gutes Instrument sind die Integrationsbetriebe, in denen Menschen mit und ohne Behinderung zusammen arbeiten. Hier sind allerdings die Hürden der Beantragung nicht immer einfach zu nehmen und es gibt für Unternehmen, häufig sind es Betriebe der Sozialwirtschaft, die nicht vollständig mit auskömmlichen Finanzierungen für Erstanschaffungen und die Folgekosten versorgt werden. Da müssen diese Betriebe oft ein nicht unerhebliches finanzielles Risiko tragen. Das ist dann meistens ein K.O.-Schlag für solche Integrationsbetriebe.
Rogate-Frage: Ist das Thema Inklusion ein Thema für die Kirchen?
Uwe Mletzko: Ja, auch für die Kirchen ist das Thema Inklusion wichtig. Schon allein für die Frage, welche Menschen mit einer Behinderung kirchliche Mitarbeitende werden können, vornehmlich seien die Pastoren und Diakone genannt. Auch in den Kirchengemeinden ist oder sollte Inklusion ein Thema sein. Wie gehen wir in den Kirchengemeinden miteinander um, haben Menschen mit Behinderungen einen Platz in der Kirche, in gemeindlichen Veranstaltungen oder werden sie zuweilen als lästig oder störend empfunden? Haben Menschen mit Behinderungen auch Aufgaben und fühlen sich verantwortlich, etwa als Lektor oder beim Küsterdienst? Gelingt es zudem, Menschen mit Behinderung zum Beispiel im Konfirmandenunterricht in einer inklusiven Gruppe mit zu unterrichten? Wir wissen, dass sich Kirchengemeinden hier schwer tun und regen an, dass Kontakt zu Diakonischen Einrichtungen gesucht wird, um gemeinsam eine Lösung zu finden, wie das geschehen kann. Auch hier gilt: Die Schere im Kopf muss weg und es darf gestaunt werden, welchen Reichtum an Erfahrungen, Wissen und Fröhlichkeit Menschen mit Behinderung in unsere Gesellschaft, in unsere diakonischen Einrichtungen und in unsere Kirchengemeinden einbringen können. Wir verändern in unserem Kopf die Blickrichtung von einem Für-Denken im Sinne einer guten Versorgungsstruktur hin zu einem Wir-Denken der gleichberechtigten Teilhabe und Selbstbestimmung. Jede und jeder weiß, was gut für sie oder ihn ist. Wir sollten anfangen, in diesem Sinne zu denken und zu handeln.
Rogate: Vielen Dank, Herr Pastor Mletzko, für das Gespräch!
Weitere Informationen: Inneremission-bremen.de
Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de
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