Fünf Freitagsfragen an Anita Christians-Albrecht, Plattdeutschbeauftragte der Landeskirche Hannovers, über ‚Gott up Platt – Wat sall dat?‘, ‚Gott sien Lüüd‘ und „Gott deep mitföhlen deit“.
Anita Christians-Albrecht kommt ursprünglich aus Ostfriesland. Sie studierte Theologie und Germanistik in Göttingen und arbeitet als Gemeindepastorin, Plattdeutschbeauftragte und Redakteurin für plattdeutsche Radioandachten im Bereich der Landeskirche Hannovers. Mit ihrem Mann und ihren drei Kindern lebt sie in Burgdorf in Niedersachsen. Seit mehr als 15 Jahren engagiert sie sich für die plattdeutsche Sprache.
Rogate-Frage: Frau Pfarrerin Christians-Albrecht, warum Plattdeutsch in der Kirche? Was ist das besondere dieser Sprache im religiösen Kontext?
Anita Christians-Albrecht: ‚Gott up Platt – Wat sall dat?‘ – Natürlich stellen wir uns diese Frage auch. Und um eine Antwort sind wir nicht verlegen … Wir finden Plattdeutsch in der Kirche nicht nur deshalb wichtig, weil immer noch mehr als sechs Millionen Menschen in Deutschland plattdeutsch ‚proten‘, ’snacken‘ oder ‚küren‘ und noch viel mehr diese Sprache gut verstehen. Wir meinen, dass sie auch insgesamt Chancen bietet für den Verkündigungsauftrag der Kirchen. Gott ist Mensch geworden, um uns nahe zu kommen und uns seine Gnade und seinen Anspruch deutlich zu machen. Diese Grundlage unseres Glaubens fordert uns heraus, die Botschaft der Bibel in die Lebenswirklichkeit der Menschen hineinzutragen.
Der Begriff ‚Plattdeutsch‘ bezieht sich ja nicht nur die Sprache Norddeutschlands, die neben dem Hoch- bzw. Standarddeutschen gebraucht wird. ‚Platt‘ ist ein Wort aus dem alten Niederländischen und bedeutet so viel wie klar und deutlich. Plattdeutsch ist also eine Sprache, die verständlich und direkt ist, eine Sprache, die am liebsten – humorvoll – erzählt. Das Hochdeutsche versucht immer häufiger, die Welt auf den (abstrakten) Begriff zu bringen; das Plattdeutsche erzählt konkret vom Leben. Das kommt uns auch in der Kirche zugute: Kurze Sätze, klare Worte und Geschichten, die von Gott und der Welt erzählen und hin uns wieder zum ‚Smüstern‘ anregen – das bedeutet, dass plattdeutsche Predigten und Gottesdienste selten über die Köpfe der Menschen hinweg gehen und deshalb gut angenommen werden.
Bevor jemand beispielsweise einen abstrakten Paulustext ins Plattdeutsche übertragen oder gar ‚up Platt‘ darüber predigen kann, muss er ihn durchdacht haben und sich darüber klar geworden sein, was er konkret bedeuten könnte. ‚Du wullt dat, du kannst dat, du deist dat ok‘ – mit diesen einfachen und konkreten Formulierungen übersetzt die plattdeutsche Sprache zum Beispiel die letzte Phrase des Vaterunsers (‚Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit!‘). Es wird deutlich, dass die Übertragung eines Bibeltextes ins Plattdeutsche intensive theologische Arbeit voraussetzt.
Rogate-Frage: Wie sind Sie selbst zur plattdeutschen Sprache gekommen und wie engagieren Sie sich dafür?
Anita Christians-Albrecht: Ich bin in Ostfriesland, wo Plattdeutsch bis heute Alltagssprache ist, aufgewachsen; von Geburt an mit der plattdeutschen Sprache. Hochdeutsch war sozusagen meine erste Fremdsprache. Die plattdeutsche Prägung hat sich entgegen gängiger Vorurteile auf mein schulisches und berufliches Fortkommen überhaupt nicht negativ ausgewirkt. Ich konnte ohne Probleme sogar Germanistik studieren und bin bis heute ein Grammatikfreak.
Schon als Theologiestudentin habe ich wahrgenommen, welche Möglichkeiten für die Predigt die plattdeutsche Sprache bietet. Zudem war deutlich, dass sich allmählich ein Imagewandel vollzog. Galt Plattdeutsch lange als die Sprache der ungebildeten Landbevölkerung und war wenig anerkannt, so wird die Sprache mittlerweile als wichtiges und schützenswertes Kulturgut gesehen. Seit 1999 – mit dem Inkrafttreten der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen – wird viel dafür getan, dass sie in den Medien und in den Schulen und natürlich auch in der Kirche den ihr zustehenden Stellenwert bekommt.
Seit 2001 versuche ich in verschiedenen Gremien und insbesondere im Bereich der Arbeitsgemeinschaft ‚Plattdüütsch in de Kark‘ zum Beispiel durch Kinder- und Familienarbeit wie die Herausgabe einer plattdeutschen Kinderbibel; Familienfreizeiten für Eltern und Kinder, Großeltern und Enkel, etwas für den Erhalt der Sprache zu tun. Vor allem die Großelterngeneration ist sehr an der Weitergabe des Plattdeutschen interessiert und sollte dabei nach meiner Meinung in Kirche und Gesellschaft Unterstützung finden.
Rogate-Frage: Was macht „Plattdüütsch in de Kark“? Wie arbeiten Sie als Arbeitsgruppe?
Anita Christians-Albrecht: In der 1963 gegründeten Arbeitsgemeinschaft „Plattdüütsch in de Kark“ engagieren sich zur Zeit etwa 300 haupt- und ehrenamtlich in der Kirche tätige Männer und Frauen. Die Mitglieder setzen sich für das Plattdeutsche als Gottesdienst- und Predigtsprache ein und erarbeiten das dafür nötige Material (Gesangbuch, Lektionar, Gebete, Gottesdienstmodelle, neue Lieder, Chorstücke et cetera). Neben regelmäßigen Tagungen wie zum Beispiel das jährliche plattdeutsche Pastoralkolleg in der Akademie Loccum oder die Lektoren- und Prädikantenrüsttied gehören zum Programm der Arbeitsgemeinschaft verschiedene Angebote für Kinder und Familien.
Seit 1981 arbeitet die AG mit auf den Deutschen Evangelischen Kirchentagen und seit 2004 auch auf den Katholikentagen. Dort werden – z. T. in eigenen Plattdeutschen Zentren – Gottesdienste, Andachten, Workshops und Vorträge angeboten.
Durch den „Rundbreef“ und „DE KENNUNG, Zeitschrift für plattdeutsche Gemeindearbeit“, die jeweils zweimal jährlich erscheinen, ist die AG mit ihren Mitgliedern und zahlreichen anderen Interessierten verbunden. Die Herausgabe von Büchern und Abhandlungen, unter anderem im LIT-Verlag Münster, und eine Internetpräsenz runden unser Angebot ab.
Rogate-Frage: Wie würden Sie in Plattdeutsch ‚Heilig‘ und ‚Barmherzigkeit‘ beschreiben? Und wie segnen Sie?
Anita Christians-Albrecht: Würde man die Worte ‚heilig‘ und ‚Barmherzigkeit‘ einfach mit ‚hillig‘ und ‚Barmhartegkeit‘ übersetzen (was natürlich auch vorkommt), so hätte man die Chance der plattdeutschen Sprache nicht genutzt. Ich bezeichne derartige Versuche gerne als ‚plattgehauenes Hochdeutsch‘.
Für den ‚Heiligen Geist‘ würde ich eher den Begriff ‚Gott sien Geist‘ verwenden, für die ‚Heilige Schrift‘ ‚Gotts Woord‘, für ‚die Heiligen‘ ‚Gott sien Lüüd‘. Wenn jemand ‚erfüllt ist mit dem heiligen Geist‘, dann ‚höört he bloot noch up dat, wat Gott em to seggen het‘. Wenn jemandem ’nichts heilig‘ ist, ‚kümmert he sük nich um Gott un sien Gebood‘.
Es geht darum, das, was mit ‚heilig‘ gemeint sein könnte, zu umschreiben und dadurch deutlich zu machen. Den Vers ‚Zieh deine Schuhe von deinen Füßen, denn der Ort, worauf du stehst, ist heilig‘ (2. Mose 3,5) würde ich deshalb folgendermaßen übersetzen: ‚Treck dien Schoh ut; denk doran: Hier steihst du vör Gott!‘. ‚Ich weiß, wer du bist, der Heilige Gottes‘ (Mk. 1, 24) hieße auf Plattdeutsch: ‚Ik weet woll, wokeen du büst; du büst de, de uns Herrgott stüürt/schickt het‘
Entsprechend ist jemand, der ‚Barmherzigkeit übt‘ (Röm. 12,8) einer, ‚ de een weeke Hand het un in Stillen mennig Traan dröögt‘ oder der, ‚der die Barmherzigkeit an ihm tat‘ (Lukas-Evangelium 10,37) ‚de, de sük um hum kümmern dä‘ (nach Johannes Jessen „Dat Ole un dat Nie Testametn in unse Moderspraak„).
Wenn ich von Gottes Barmherzigkeit rede, dann sage ich, dass ‚Gott deep mitföhlen deit‘ oder dass er ‚leev mit uns is, ok wenn wi’t nich verdeent hebbt‘ oder dass ‚Gott sien Hart warm un week is för sien Minschenkinner‘.
Und so hört sich unser Segen an: Gott sien Hand, de över di is, de mag ok över di blieven, dissen Dag un all de Daag, von ewig Tied to ewig Tieen, Gott wohr di Lief un Leven! Amen.
Rogate-Frage: Welche Chance hat Plattdeutsch in der Kirche? Wie sieht die Zukunft aus?
Anita Christians-Albrecht: In den letzten Jahren erleben wir mit Plattdeutsch in der Kirche einen regelrechten Boom. Immer häufiger werden plattdeutsche Gottesdienste nachgefragt. Und als 2016 zum ersten Mal die plattdeutschen Losungen herausgegeben wurden, waren die 2000 gedruckten Büchlein in kürzester Zeit ausverkauft.
Natürlich ist es nicht einfach für eine Sprache, die in sechs großflächige Dialektareale untergliedert ist (Nordniedersächsisch, Westfälisch, Ostfälisch, Mecklenburg-Vorpommersch, Märkisch-Brandenburgisch und Pommersch) und sich in Aussprache und Vokabular oft sogar von Dort zu Dorf unterscheidet.
Natürlich haben wegen des früher weit verbreiteten und längst widerlegten Vorurteils, dass das Aufwachsen mit der plattdeutschen Sprache Probleme in der Schule mit sich bringe, mindestens zwei Generationen es versäumt, die Sprache an ihre Kinder flächendeckend weiterzugeben.
Dennoch wird seit circa 15 Jahren viel für den Erhalt des Plattdeutschen getan, und sogar viele Jugendliche finden Plattüütsch mittlerweile wieder ‚cool‘. Deshalb ist mir um die Zukunft dieser wunderschönen Sprache nicht bange, vor allem nicht in der Kirche.
Rogate: Vielen Dank, Frau Pastorin Christians-Albrecht, für das Gespräch.
Weitere Informationen finden Sie hier: Plattduetsch-in-de-kark
Zum Thema Gottesdienst siehe auch:
- Landesbischof Gerhard Ulrich, Nordkirche und Leitender Bischof der VELKD, über die Definition eines lutherischen Gottesdienstes, situationsgemäße Liturgie und die Relevanz der Tradition.
- Prof. Dr. Alexander Deeg, Universität Leipzig, über gute Gottesdienste, überzeugende Feierformen und die Wertschätzung der Eucharistie.
- Kirchenrat Klaus Rieth, Evangelische Landeskirche in Württemberg, über die Reaktion der Gemeinden im Ländle auf den Zustrom geflüchteter Menschen und eine bundesweit gefragte mehrsprachige Gottesdienst-Hilfe.
- Prof. Traugott Roser, Universität Münster, über das Segnen im Lebenslauf, eine neue kirchliche Sensibilität für das Thema “Lebensformen” und warum das Nichtsegnen Fluch ist.
Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de
_________________________________________________
Willkommen zu unseren nächsten öffentlichen Gottesdiensten in der gastgebenden Ev. Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, 10783 Berlin-Schöneberg:
- Dienstag, 19. April 16|19:00 Uhr, VESPER “Liebeskummer“, das Abendgebet
Donnerstag, 21. April 16|19:30 Uhr, KOMPLET „Vergeben“
- Dienstag, 26. April 16|19:00 Uhr, VESPER „Hochzeit“, das Abendgebet
- Donnerstag, 28. April 16|19:30 Uhr, KOMPLET, Nachtgebet
- Hier unser Aushang April 2016.
- Sonntag Rogate, 1. Mai 16 | 10:00 Uhr, Eucharistie, Predigt: Prof. Dr. Dres. h.c. Christoph Markschies, Theologische Fakultät an der Humboldt-Universität
- Dienstag, 3. Mai 16|19:00 Uhr, VESPER am Tag der Apostel Philippus und Jakobus das Abendgebet, in der Kirche
- Donnerstag, 5. Mai 16|19:30 Uhr, EUCHARISTIE an Christi Himmelfahrt
Gefällt mir:
Like Wird geladen …