Fünf Fragen an: Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Fünf Freitagsfragen an Manuela Schwesig, Bundesfamilienministerin, über Gottes Liebe zu den Menschen und den Schutz von Regenbogenfamilien und LGBTI-Flüchtlingen durch die Bundesregierung.

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Manuela Schwesig (Bild: Bundesregierung/Denzel)

Seit Dezember 2013 ist Manuela Schwesig Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zuvor war sie fünf Jahre Ministerin in Mecklenburg-Vorpommern: Von 2008 bis 2011 für Soziales und Gesundheit und von 2011 bis 2013 für Arbeit, Gleichstellung und Soziales. Die studierte Finanzwirtin arbeitete zwischen 2002 und 2008 im Finanzministerium von Mecklenburg-Vorpommern. In der Landeshauptstadt Schwerin, wo Manuela Schwesig mit ihrer Familie lebt, begann auch ihre politische Karriere auf kommunaler Ebene in der Stadtvertretung. 2005 wurde sie Mitglied des SPD-Landesvorstands Mecklenburg-Vorpommern. Seit 2009 ist Manuela Schwesig stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD.

Rogate-Frage: Frau Ministerin Schwesig, was bedeutet Ihnen Gott, Glaube und Spiritualität?

Manuela Schwesig: Der Glaube an Gott und Christin zu sein ist für mich ein „Ja“ zum Leben. Ich ziehe sehr viel Kraft aus meinem Glauben, genieße das gemeinsame Beten und Singen im Gottesdienst. Dort sammle ich Energie und gehe gestärkt in den Alltag. Für mich passen mein Glaube und mein Engagement in der Politik sehr gut zusammen. Das Thema Gerechtigkeit zieht sich durch die Bibel wie ein roter Faden. Er stärkt meinen Gerechtigkeitswillen. Deshalb möchte ich auch mithelfen, diese Welt ein Stück weit gerechter und lebenswerter zu machen. Vor Gott sind alle Menschen gleich. Er liebt uns mit all unseren Fehlern und Schwächen, Stärken und Talenten.

Rogate-Frage: Papst Franziskus hat zum Jahr der Barmherzigkeit aufgerufen. Wie kann barmherziges Handeln in der Politik für Menschen erfahrbar zum Tragen kommen?

Manuela Schwesig: Barmherzig zu sein heißt ja konkret, sein Herz angesichts fremder Not zu öffnen. Im letzten Jahr – als viele Flüchtlinge auch in unserem Land Schutz gesucht haben – war diese Barmherzigkeit sichtbar. Ich verstehe es vor allem als Ermutigung für jeden Einzelnen von uns dabei zu helfen, die Lasten der Schwächeren zu tragen und diejenigen zu mahnen, die es besser haben und andere nicht daran teilhaben lassen. Allerdings darf Hilfe für Menschen in Not nicht allein von der Barmherzigkeit Einzelner abhängen. Politik muss für einen gerechten Ausgleich zwischen Starken und Schwachen sorgen.

Rogate-Frage: Sie treten für die volle rechtliche Gleichstellung von Schwulen und Lesben bei Ehe und die Adoption von Kindern ein. Warum?

Manuela Schwesig: In einer Familie kommt es darauf an, füreinander da zu sein und gemeinsame Werte zu leben. Dazu gehören in erster Linie Liebe, Vertrauen, Respekt und Zeit füreinander. Deswegen ist für mich klar: Wo Kinder geliebt werden, wachsen sie auch gut auf. Und wo Kinder sind, da ist auch Familie. Die sexuelle Orientierung der Eltern spielt dabei keine Rolle. Jede zweite lesbische Frau und jeder dritte schwule Mann kann sich ein Leben mit Nachwuchs vorstellen. Mehr als siebentausend minderjährige Kinder leben in Deutschland bereits heute bei gleichgeschlechtlichen Eltern. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Familie bleiben Regenbogenfamilien aber immer noch außen vor. Gleichgeschlechtliche Lebensweisen und Elternschaft gehören für viele Leute immer noch nicht zusammen. Deswegen ist es mir wichtig, dass Regenbogenfamilien in der Gesellschaft sichtbar werden. Mit der Öffnung der Ehe für alle ist auch eine – auch symbolische – volle rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften seitens des Staates verbunden.

Rogate-Frage: Wie können Regenbogenfamilien besser unterstützt und geschützt werden?

Manuela Schwesig: Als Bundesfamilienministerin sehe ich es als meine Aufgabe an, dass Regenbogenfamilien Unterstützung bekommen und als normale Familien, die unserer Lebenswirklichkeit entsprechen, anerkannt werden. Auch wenn sich in den letzten Jahren viel getan hat und Diskriminierung heute seltener stattfindet, bin ich oft einfach fassungslos, mit welchen Vorurteilen Homosexuelle heute noch zu kämpfen haben.

Ich möchte dazu beitragen, ein modernes und weltoffenes Land zu schaffen, in dem Vielfalt als Bereicherung empfunden wird und niemand aufgrund seiner sexuellen Orientierung benachteiligt wird. Unsere Gesellschaft ist vielfältig und die Art und Weise wie wir leben, welche Lebensentwürfe wir haben ebenso. Jeder muss so leben dürfen wie er will. Jede muss lieben können, wen sie will. Jeder muss so sein können wie er ist.

Zur Unterstützung von Regenbogenfamilien fördert mein Haus seit dem 1. Juli 2015 das bundesweite Modellprojekt „Beratungskompetenz zu Regenbogenfamilien – Erfordernisse und Potenziale in professioneller Begleitung“ des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD). Die Mitglieder von Regenbogenfamilien sollen wohnortnah Rat und Hilfe erhalten und sich willkommen fühlen können.

Rogate-Frage: Was tut die Bundesregierung konkret zum Schutz und zur Integration von LSBTI Flüchtlingen?

Manuela Schwesig: Es reicht nicht, dass wir uns nur Gedanken darüber machen, wie wir die Menschen unterbringen die zu uns kommen. Wir müssen auch dafür sorgen, dass sie hier in unserem Land und in unserer Gesellschaft ankommen. Das Bundeskabinett hat in der Meseberger Erklärung beschlossen, dass Bund und Länder jetzt prüfen, inwieweit eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich ist, um den Schutz von Flüchtlingen vor sexueller Gewalt in Flüchtlingsunterkünften zu gewährleisten. Hierbei haben wir ausdrücklich auch auf andere Schutzbedürftige Bezug genommen, wozu LSBTI Flüchtlinge zählen.

Für mehr Schutz braucht es personelle und räumliche Maßnahmen, aber auch mehr Information, Sensibilisierung und Fortbildung der Fachkräfte und Ehrenamtlichen. Deshalb haben wir bereits im vergangenen Jahr ein KfW-Programm gestartet für Neu- und Umbauten, die den Schutz von Frauen, Kindern und LSBTI-Flüchtlingen gewährleisten. Es ist vor allem wichtig, dass auch LSBTI Flüchtlinge ihre Rechte in Deutschland kennen und Ansprechpersonen haben. Daher gab es im März ein Treffen von Bund und Ländern zum Austausch über Projekte für LSBTI Flüchtlinge. Mit Mitteln des BMFSFJ wurde ein Leitfaden des LSVD e.V. zum Asylverfahren für lesbische und schwule Flüchtlinge übersetzt.

Rogate: Vielen Dank, Frau Ministerin Schwesig, für das Gespräch.

Weitere Informationen finden Sie hier: Manuela Schwesig und BMFSFJ

Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de

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Willkommen zu unseren nächsten öffentlichen Gottesdiensten in der Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, 10783 Berlin-Schöneberg:

Fünf Fragen an: Kerstin Täubner-Benicke, BAG ChristInnen Bündnis90/Die Grünen

Fünf Fragen an Kerstin Täubner-Benicke, Sprecherin Bundesarbeitsgemeinschaft ChristInnen bei den Grünen, über Frieden als lokale und globale Aufgabe, die diesseitige Menschenfreundlichkeit Gottes und das Magnificat.

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Kerstin Täubner-Benicke (Foto: Hans-Jürgen Staudt)

Kerstin Täubner-Benicke lebt in Starnberg und arbeitet bei der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Sie studierte Germanistik und Psycholinguistik in München, ist verheiratet und hat vier Kinder und zwei Enkelkinder. Sie engagiert sich bei den Grünen auf Landes- und Bundesebene für Politik aus christlicher Verantwortung.

Rogate-Frage: Frau Täubner, warum engagieren Sie sich politisch und warum bei den Grünen?

Kerstin Täubner-Benicke: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Als politisch denkender Mensch möchte ich dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft gerechter wird, dass wir unsere Lebensgrundlagen erhalten, dass wir uns aussöhnen mit unseren Mitgeschöpfen, dass wir unseren einzigartigen Planeten für unsere Nachkommen pfleglich behandeln, dass wir nachhaltig mit unseren Ressourcen umgehen, dass wir Konflikte in den Familien, in unseren Zusammenhängen lokal und global befrieden. Dies glaube ich, am besten bei den Grünen zu erreichen.

Rogate-Frage: Warum gibt es eine BAG Christinnen und Christen bei den Grünen und was passiert dort?

Kerstin Täubner-Benicke: Bundesarbeitsgemeinschaften bei den Grünen verstehen sich als Thinktanks und geben wichtige Impulse für die politische Arbeit und die Verankerung ihrer spezifischen Fachrichtung in Wahlprogrammatik und politischem Tagesgeschäft. Die BAG Christinnen ist bereits 1984 als erste BAG gegründet worden von kritischen Christinnen und Christen mit dem Ziel, das christliche Potential unserer Partei herauszustellen. Wir haben gesellschaftliche Diskussionen zu uns wichtigen Themen vorangetrieben: Friedenspolitik, Asylpolitik, Interreligiöser Dialog, zur Sozial- und Wirtschaftsethik, zur Neudefinition des Verhältnisses von Staat und Kirche und zur medizinischen Ethik (zum Beispiel zur Organspende, Sterbehilfe, PID) und zur Digitalisierung. Innerhalb der Partei wollen wir Steine des Anstoßes sein, in der Hoffnung das Nachdenken über die ethischen Grundlagen politischen Handelns anzustoßen.

Rogate-Frage: Welche Rolle spielt die Kirchen- und Religionspolitik in Ihrer Partei? Welche Erwartungen gibt es an die Kirchen?

Kerstin Täubner-Benicke: Die Grundsäulen bündnisgrüner Politik sind Bewahrung der Schöpfung, soziale Gerechtigkeit und Frieden. In diesen Fragen sind die Kirchen wichtige und geschätzte Bündnispartner. Viele Christinnen und Christen engagieren sich in den Kirchengemeinden und im bürgerschaftlichem Engagement für Geflüchtete, für Naturschutz, für Inklusion und bei den Grünen.
In den letzten zwei Jahren tagte eine eigens eingesetzte Kommission „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“ mit der Frage, welcher Veränderungsbedarf im Verhältnis von Staat, Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften angesichts einer immer stärker säkularisierten Gesellschaft besteht. Der Abschlussbericht wurde im März 2016 vorgelegt. Beim nächsten Bundesparteitag in Münster wird es einen Leitantrag zu den dort getroffenen Grundsätzen und Veränderungsvorschlägen geben. Bei den Verhandlungen  war es wichtig, festzustellen, dass grüne Religionspolitik als Ziel hat, die Glaubensfreiheit in allen ihren drei Dimensionen (individuell, kollektiv, negativ) zu sichern. Die Grünen erkennen dabei die Neutralität des Staates gegenüber Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unter Anerkennung ihres Selbstordnungsrechtes  an und entwickeln das kooperative Modell weiter. In den Feldern Arbeitsrecht und Kirchenfinanzen, hier insbesondere Transparenz, und dem verfassungsmäßig gebotenen Ablöseauftrag von Staatsleistungen stellen die Grünen Vorschläge vor. Dabei erhoffen wir von den Kirchen Dialogbereitschaft.

Rogate-Frage: Wie öffentlich, wie politisch ist Ihr Christsein? Kann Religion Privatsache sein?

Kerstin Täubner-Benicke: Religion zur Privatsache zu erklären, hieße eine wichtige Dimension des Menschseins, auch meiner persönlichen Individualität, zu verneinen. Meine Zugehörigkeit zu meiner Kirche, aber noch mehr zu meiner ganz persönlichen Gottesbeziehung ist ein Teil von mir, genauso wie meine politische Überzeugung ein wichtiger Teil meiner selbst ist. Dabei distanziere ich mich aber von einem wortwörtlichen Bibelverständnis, sondern sehe, dass Gottes Wort, das uns in unserem Alten und Neuen Testament überliefert ist, immer wieder neu interpretiert und Aussagen im damaligen Kontext gesehen und in unsere heutige Zeit übersetzt werden müssen. Zum Beispiel bedeutet das vierte Gebot heute, dass Familien auch in allen ihren jetzt üblichen Formen gefördert werden müssen.

Rogate-Frage: Und was ist Ihre Spiritualität?

Kerstin Täubner-Benicke: Unter der ersten Antwort auf Frage 1 klingt es schon an: Ich will, dass wir es schaffen, dass Gottes grundsätzliches Ja zu jedem einzelnen Menschen spürbar wird. Im Magnificat der Maria ertönt, dass die Mächtigen vom Thron gestoßen, die Niedrigen erhoben, die Hungrigen gesättigt werden. Das ist Utopie und Auftrag in einem. Als Christin kann ich nicht anders, als die Menschenfreundlichkeit Gottes schon im Diesseits zu suchen, zu befördern, dafür einzutreten. Dafür braucht es auch eine Heilung und Befriedung der Welt, der Natur mit all ihren Geschöpfen, der Beziehungen. Allein können wir das nicht bewerkstelligen, dazu braucht es das Wirken Gottes, Gebet und Gemeinschaft.

Rogate: Vielen Dank, Frau Kerstin Täubner-Benicke, für das Gespräch.

Weitere Informationen finden Sie hier: BAG ChristInnen.

Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de

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#PrayForOrlando: Trauer-Vigil am Montag im Rogate-Kloster

Ckw6gIrXEAAOI6tAnlässlich der Ereignisse von Orlando und des Angriffs auf die LGBTIQ-Community: Der LSVD Berlin-Brandenburg, der Kirchenkreis Tempelhof-Schöneberg und das Rogate-Kloster laden zu einer Trauer-Vigil heute, Montag, 13. Juni 2016, um 20:30 Uhr ein. Die Kirche wird ab 20 Uhr für eine stille Zeit und zum Kerzenentzünden geöffnet sein. Kurze Reden werden gehalten u.a. von Jörg Steinert, Volker Beck und Angelika Schöttler.

Orgel: Manuel Rösler. Zur Facebook-Einladung hier.

Erreichbar ist die Kirche mit öffentlichen Verkehrsmitteln und über die U-Bahnhöfe: Kurfürstenstraße (U1) Nollendorfplatz (U1, U2, U3, U4). Oder per Bus: Kurfürstenstraße (M85, M48), Nollendorfplatz (M19, 187) und Gedenkstätte Dt. Widerstand (M29). PKW-Stellplätze vor dem Gemeindezentrum und in der Genthiner Straße. Adresse: An der Apostelkirche 1, Berlin-Schöneberg.

Fünf Fragen an: Wolfgang Kessler, Chefredakteur „Publik-Forum“

Fünf Freitagsfragen an Wolfgang Kessler, Chefredakteur „Publik-Forum“, über Barmherzigkeit in der Kirche, das mediale Streiten für eine bessere Welt und den Zustand kirchlicher Publizistik.

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Wolfgang Kessler (Bild: Publik Forum)

Wolfgang Kessler, geboren 1953, ist Publizist, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler. Er studierte in Konstanz, Bristol und an der London School of Economics. Die Promotion erfolgte 1982 an der Universität Konstanz. Nach einer kurzen wissenschaftlichen Tätigkeit im Rahmen des Internationalen Währungsfonds (1982/83) ist Kessler seit 1983 als Journalist tätig. Er betrieb zunächst ein eigenes Pressebüro für verschiedene Tageszeitungen und Rundfunkanstalten. Im Jahre 1991 wechselte er zu „Publik-Forum“ als Ressortleiter für Politik und Gesellschaft. Seit 1999 ist er Chefredakteur. Kessler beschäftigt sich in zahlreichen Büchern mit Wegen zu einer zukunftsfähigen Wirtschaft auf ethischer Grundlage.

Rogate-Frage: Herr Dr. Kessler, was ist „Publik-Forum“ und wie ist Ihr Magazin entstanden?

Wolfgang Kessler: Es ist das Produkt einer Revolte. Von 1968 bis Anfang 1972 gaben die Bischöfe eine liberale katholische Wochenzeitung namens „Publik“ heraus. Sie wurde Ende 1971 von den Bischöfen eingestellt, weil sie ihnen zu liberal, zu kritisch geworden war. Darauf wandten sich aktive Leserinnen und Leser zusammen mit dem Redakteur Harald Pawlowski an die Abonnenten mit der Frage, ob sie eine Zeitung ohne die Bischöfe machen wollten, eine christliche Zeitung von unten. 6.500 Leser abonnierten das neue Blatt. Im Januar 1972 erschien die erste Ausgabe mit zwölf Seiten. Von der Öffentlichkeit schnell totgesagt, erscheinen wir inzwischen seit 44 Jahren alle zwei Wochen mit 64 Seiten. Publik-Forum ist eine der wenigen Zeitschriften, die in erster Linie von ihren Lesern und nicht von Banken, Großverlagen, Bischöfen oder der Werbeindustrie finanziert wird. Auf dieser Basis können wir über alle politischen, sozialen, religiösen, kirchlichen und kulturellen Entwicklungen völlig unabhängig von finanziellen und politischen Einflüssen mächtiger Interessen berichten. Und das tun wir auf christlichem Hintergrund.

Rogate-Frage: Unter „kritisch, christlich, unabhängig“ können viele Themen Eingang finden, doch welche Schwerpunkte setzen Sie redaktionell?

Wolfgang Kessler: Wir scheuen uns nicht zu sagen, dass unsere Zeitschrift für eine bessere Welt streitet. Deshalb berichten wir über Themen, die unter engagierten und diskussionsbereiten Christen besonders wichtig sind: Im politischen Bereich gruppieren sich diese Fragen um die Themen Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung und Menschenrechte. Im Bereich von Religion und Kirchen diskutieren wir über die Verhältnisse in den Kirchen, in Religionsgemeinschaften und befassen uns und mit der gesamten Debatte in den Religionen, auch theologische Grundfragen diskutieren wir kritisch. Dazu kommen spirituelle Fragen und vor allem Erzählungen von Aufbrüchen, Hoffnungen und vom Leben mutiger Menschen.

Rogate-Frage: Wer liest Publik Forum und woraus setzt sich die Leserschaft zusammen?

Wolfgang Kessler: Knapp 60 Prozent unserer Leserinnen und Leser sind Katholiken, knapp 40 Prozent Protestanten, die übrigen gehören anderen Religionen an oder sind konfessionslos. In der Mehrzahl sind es Leute, die aus dem christlichen Glauben die Kraft schöpfen, um sich für eine bessere Welt zu engagieren. Die meisten Leser bewegen sich im kirchlichen Umfeld, manche im engeren Kreis, manche in einem weiteren Kreis. Einige haben auch ein kritisches Verhältnis zu den Kirchen, leben aber weiterhin ihre christlichen Ideale.

Rogate-Frage: Wie stellt sich die christliche, kirchliche Publizistik im deutschsprachigen Raum aktuell dar und wie wird sie sich verändern?

Wolfgang Kessler: Man kann durchaus sagen, dass die offizielle kirchliche Publizistik am Boden liegt. Dabei arbeiten dort oft gute Journalisten. Allerdings scheuen immer mehr Menschen Zeitungen und Zeitschriften, die im Geruch der Verkündigung einer offiziellen Meinung stehen. Und das tun Kirchenzeitungen, auch wenn die Bischöfe nicht immer Einfluss nehmen. Bedenkt man noch, dass jüngere Leute sich von den Kirchen und von Printzeitungen gleichermaßen abwenden, dann wird die offizielle kirchliche Publizistik weiter schrumpfen. Überleben und gedeihen werden allenfalls Blätter für bestimmte Szenen oder für bestimmte Themenbereiche, die mit geringen Kosten gemacht werden können.

Rogate-Frage: Wie greifen Sie das von Papst Franziskus aufgerufene „Jahr der Barmherzigkeit“ auf?

Wolfgang Kessler: Wir begrüßen das Jahr der Barmherzigkeit, obwohl wir zum päpstlichen Begriff von Barmherzigkeit auch ein kritisches Verhältnis haben. Wenn es zum Beispiel eine Frage der Barmherzigkeit ist, ob Homosexuelle oder geschiedene Mitarbeiter im kirchlichen Dienst akzeptiert werden, dann setzt man die betroffenen Menschen der Willkür der Verantwortlichen aus. Für die Betroffenen ist ein Rechtsanspruch wichtiger als Barmherzigkeit. Dennoch ist der Begriff Barmherzigkeit in einer Welt wichtig, die immer unbarmherziger mit Flüchtlingen, mit Armen, mit Hungernden, mit sogenannten Außenseitern oder auch mit Tieren, überhaupt mit der Natur umgeht. Wir geben dem Begriff Barmherzigkeit deshalb eine politische Note. Wir fragen, wie politische und soziale Strukturen organisiert werden müssen, damit die Menschen Barmherzigkeit leben können. Denn wenn sie können, dann werden es viele auch tun.

Rogate: Vielen Dank, Herr Kessler, für das Gespräch.

Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de

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Fünf Fragen an: Studienleiterin llsabe Alpermann, Amt für kirchliche Dienste

Fünf Freitagsfragen an Pfarrerin Ilsabe Alpermann, Studienleiterin im Amt für kirchliche Dienste in der EKBO, über die Ordnung der Lesungen im evangelischen Gottesdienst, kleine und große Veränderungen in der Liturgie und die Kunst des Vorlesens der biblischen Texte.

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Dr. Ilsabe Alpermann (Bild: AKD)

Biografie: Dr. Ilsabe Alpermann, geb. 1959, Studium der evangelischen Theologie am Sprachenkonvikt, der Theologischen Hochschule in Ostberlin. Assistentin bei Prof. Jürgen Henkys und Dissertation zu einem hymnologischen Thema. Mitglied des Liturgischen Ausschusses der Evangelische Kirche der Union (EKU)/Union Evangelischer Kirchen (UEK), Herausgeberin der Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Seit 2007 Studienleiterin für Gottesdienst, Prädikanten– und Lektorenausbildung im Amt für kirchliche Dienste Berlin.

Rogate-Frage: Nach welcher Ordnung sind die Lesungen im evangelischen Gottesdienst gegliedert? Welche Systematik steht dahinter?

Ilsabe Alpermann: Der traditionell wichtigste Text ist das Evangelium. Die ausgewählten Evangelientexte stehen in engem Zusammenhang mit den hohen Festen des Kirchenjahres. Zu Ostern und Weihnachten werden die entsprechenden Festerzählungen gelesen. Passend dazu wurden dann die Texte im Oster- und Weihnachtsfestkreis ausgewählt. Die Evangelien und Episteln unserer Leseordnung basieren noch auf den sogenannten altkirchlichen Lesereihen, die jedoch unabhängig voneinander entstanden sind. Die Texte aus den neutestamentlichen Briefen hatten ursprünglich keinen direkten Bezug zu den Evangelien. Sie sind darum später auch immer wieder einmal verändert worden, um eine Verbindung zwischen den Texten herzustellen. Die Texte des Alten Testaments sind erst im 19. Jahrhundert in die Leseordnung eingefügt worden. Noch Luther konnte von vielen Gottesdiensten in der Woche und mindestens einem Frühgottesdienst am Sonntag ausgehen. Hier gab es also reichlich Gelegenheit, biblische Texte außerhalb des sonntäglichen Hauptgottesdienstes zu lesen und zu hören.

Rogate-Frage: Vor nicht langer Zeit wurden mindestens vier, fünf biblische Texte im Gottesdienst verlesen: Der Psalm, ein Text aus dem 1. Testament, eine Epistel, das Evangelium und manchmal auch ein weiterer Predigttext. In der heutigen Praxis der Sonntagsgottesdienste kommen oft nur noch ein, zwei Texte vor. Ist die Reduktion der Texte sinnvoll?

Ilsabe Alpermann: Liturgie und Gottesdienst sind nie statisch, sondern ständig kleinen oder größeren Veränderungen unterworfen. Gerade beim Psalm lässt sich das gut zeigen: er gehört als sogenannter Eingangspsalm (Introitus) in den Anfang des Gottesdienstes lutherischer Prägung, wurde aber als Psalm des Liturgen mit nur wenigen Versen gebetet. Mit der Einführung des Evangelischen Gesangbuchs ab 1993 stand den Gemeinden eine große Zahl an Psalmen zur Verfügung, die übrigens als häuslicher Betpsalter gedacht waren. Sie wurden jedoch sogleich als Psalmgebet des Wochenpsalms in den Beginn des Gottesdienstes übernommen. Viele Psalmen erscheinen hier in voller Länge. So ergibt sich hier also quasi eine alttestamentliche Lesung, die es so früher nie gegeben hat. Die Lesung aus dem Alten Testament hat es hingegen schwer in unseren Gottesdiensten. Als Reihe war sie Ende des 19. Jahrhunderts auch zunächst zum Predigen und nicht als Lesung gedacht. In der heutigen Agende ist für jeden Sonn- und Feiertag eine alttestamentliche Lesung vorgesehen. Es gibt aber nur wenige Gemeinden, die regelmäßig neben den beiden neutestamentlichen Lesungen eine dritte Lesung zu Gehör bringen.

Nach meiner Erfahrung ist das Hauptproblem der Lesungen schlicht das Lesen selber. Lesen ist eine Kunst, die nicht nur ausgeübt sondern vor allem auch eingeübt werden will. Daran mangelt es vielerorts. Und das ist schade! Wo ausgezeichnet gelesen wird, werden auch drei Lesungen gern gehört.

Manchmal allerdings gibt es auch praktische Gründe für eine Reduktion der Lesungen. Wenn in ländlichen Gemeinden mehrere Gottesdienste nacheinander in einem relativ engen Zeittakt in verschiedenen Orten von einer Pfarrerin geleitet werden, spielt dann eben doch auch die Länge des Gottesdienstes verständlicherweise eine Rolle.

Rogate-Frage: Es kommt nun zu einer Neuordnung der Perikopen. Wie ist es dazu gekommen, wer hat wie eine Neuauswahl getroffen und was soll damit erreicht werden?

Ilsabe Alpermann: Die Perikopenordnung, also die Ordnung der Lese- und Predigttexte, hat eine lange Geschichte und war immer wieder kleinen oder größeren Veränderungen unterworfen. Zu den Evangelien und Episteln traten die Texte aus dem Alten Testament hinzu und jeweils eine weitere Reihe aus Evangelien und Episteln, die als Predigttexte dienten. So der Stand am Ende des 19. Jahrhunderts. 1958 wurde dann auf dieser Basis eine Ordnung eingeführt, die aus sechs Reihen besteht. Für jeden Sonntag gibt es also Evangelium und Epistel und einen Text aus dem Alten Testament und dazu drei weitere Texte aus dem Neuen Testament. Zu diesem sogenannten Proprium des Sonntags gehören dann auch der Wochenpsalm, der Wochenspruch und das Wochenlied. In einer bestimmten Reihenfolge wechseln sich nun die Predigttexte ab, so dass erst nach sechs Jahren ein Text wieder neu ausgelegt und gepredigt wird. Die Lesetexte bleiben stabil und wiederholen sich jährlich. Das führt dazu, dass im ersten Predigtjahr nur Evangelien und im zweiten durchgängig die Episteln gepredigt werden – wie gerade im aktuellen Kirchenjahr. In den Predigtjahren drei bis sechs wechseln sich dann Texte aus Altem Testament, Episteln und Evangelien ab. Gemeinden, die keine regelmäßige Lesung aus dem Alten Testament haben, vernehmen dann in den ersten beiden Predigtjahren kaum alttestamentliche Texte außerhalb der Psalmen.

Ein Hauptanliegen der Revision ist die Stärkung des Alten Testaments (AT). Wir haben im Vorschlag nun nicht mehr einen, sondern zwei Texte für jedes Proprium. Nun ist fast durchgängig eine Ausgewogenheit von 2:2:2 zwischen Texten aus AT, Evangelien und Episteln erreicht. Damit wird es möglich, die Predigttexte zu mischen. Es sollen zukünftig nicht mehr Reihen von Evangelien und Episteln (Jahr I und II) gepredigt werden. Vielmehr werden die Reihen gemischt, so dass sich eine regelmäßige Abwechslung zwischen Texten aus AT, Epistel und Evangelium für das Predigen ergibt.

Wichtige Texte, die bisher gar nicht Bestandteil der Perikopen waren, sind nun dabei. So beispielsweise der Besuch der drei Männer bei Abraham (1.Mose 18,1-2.9-15) als alttestamentliche Lesung am 4. Advent und die Verleugnung des Petrus (Lk 22, 54-62) als Predigttext am Sonntag Judika. Bei der Auswahl war der Gedanke des „Textraums“ leitend, in dem für die Gemeinde hörbar alle Texte möglichst zusammenklingen.

Die Arbeit ist von einer gemischten Kommission geleistet worden, die durch die EKD, die UEK und die VELKD berufen wurde. Im vergangenen Kirchenjahr hat eine Erprobung stattgefunden, die nun gerade ausgewertet wird. Danach wird der Entwurf überarbeitet.

Rogate-Frage: Inwiefern gibt es eine Abstimmung der Sonntagstexte in der Ökumene?

Ilsabe Alpermann: Ein wichtiger Einschnitt in der Entwicklung der Leseordnung war das Zweite Vatikanische Konzil, das sich mit dieser Frage eingehend beschäftigt hat. Als Neuerung wurden in der römisch-katholischen Kirche drei Lesejahre nach Matthäus, Markus und Lukas eingeführt. Das Johannesevangelium kommt in jedem Jahr in den Festzeiten zu Gehör. Mit dieser Ordnung hat sich die römisch-katholische Kirche von den altkirchlichen Traditionen getrennt. Allerdings ist diese Leseordnung in der Folgezeit auch von protestantischen Kirchen weltweit übernommen worden und daher heute von hohem ökumenischem Rang. Es stand ernsthaft in der Diskussion, ob mit der Überarbeitung der Perikopenordnung auch ein Systemwechsel verbunden werden soll. Aber letztlich wurde auf einer vorbereitenden Tagung 2010 mehrheitlich entschieden, das bisherige System beizubehalten und eine moderate Revision anzustreben. Im Prozess der Erarbeitung und bei der ganz konkreten Suche nach Texten lag es nahe, die römisch-katholische Ordnung und auch das Perikopenmodell der Konferenz der landeskirchlichen Arbeitskreise Christen und Juden (2009) immer wieder zu befragen. Die Kirchen der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa, die unsere Leseordnung nutzen, waren eng in den Bearbeitungsprozess eingebunden.

Rogate-Frage: Welche liturgischen Einrahmungen bei gottesdienstlichen, biblischen Lesungen halten Sie für sinnvoll?

Ilsabe Alpermann: Die Liturgie ist wie ein kunstvolles Gewebe, in das im Laufe der Jahrhunderte immer wieder einmal neue Fäden eingefügt werden und verschlissene alte entfernt. Das gelingt umso überzeugender, je deutlicher der praktische und theologische Sinn einzelner Stücke vor Augen steht. Der evangelische Gottesdienst hat zwei Grundgestalten, die lutherische Messform und den reformierten Predigtgottesdienst. Der unierte Gottesdienst, den es seit dem 19. Jahrhundert gibt, basiert ebenfalls auf der Messform. Die Frage der Rahmungen für einzelne liturgische Stücke stellt sich nur in der Grundform I. Dies wird besonders deutlich am Gloria Patri, das den Psalm beschließt. Die reformierte Tradition kennt es ebenso wenig wie andere Rahmenverse, während in der lutherischen Tradition Psalmgebete und Psalmlieder mit dem Gloria Patri (Ehre sei dem Vater) schließen. Die in unseren Gottesdiensten bekannte musikalische Gestalt ist hingegen durchaus auch einmal durch eine andere Form ersetzbar.

Fest eingebürgert sind in unierten Gottesdiensten die Rahmenverse zum Evangelium „Ehr‘ sei dir, o Herre und Lob sei dir, o Christe“. Das Evangelische Gottesdienstbuch (2000) hat hier eine Veränderung vorgenommen, die sprachlich moderner und musikalisch knapper ist: „Ehre sei dir, Herr und Lob sei dir, Christus“. Ich erlebe immer wieder Gottesdienste, in denen diese veränderten Versikel zwar im Gebrauch, aber von der Gemeinde nicht wirklich verinnerlicht sind. Gemeinden, die die ältere Fassung beibehalten haben, singen diese Stücke hingegen mit großer Sicherheit und Selbstverständlichkeit. Dieses Beispiel zeigt, wie empfindlich die Liturgie beziehungsweise die Gemeinden gegenüber zu raschen Veränderungen sind.

Die Agende schlägt fakultativ auch einen Abschluss für die anderen beiden Lesungen vor: die Gemeinde antwortet auf „Worte der Heiligen Schrift“ mit „Gott sei Lob und Dank“. Übrigens ist das Halleluja nach der Epistel nicht der Abschluss der Epistel als der es in den Gottesdiensten erscheint. Vielmehr ist es dem Evangelium vorgeschaltet und hat damit eigentlich die Funktion der Begrüßung des lebendigen Christus, der aus dem Evangelium spricht. Das ist auch der Grund, warum es in der Passionszeit entfällt, in der des Leidens Jesu gedacht wird. Im Gottesdienst ist die Zusammengehörigkeit von Halleluja und Evangelium nicht erlebbar, weil sich zwischen Epistel und Evangelium das Wochenlied angesiedelt hat, das in der Regel einen deutlichen Bezug zum Evangelium hat.

Die Versikel (Verslein) tragen dazu bei, die dialogische Gestalt des Gottesdienstes wahrnehmbar zu machen. Sie brauchen allerdings eine feste Verankerung in der Gemeinde.

Rogate: Vielen Dank, Frau Pfarrerin Dr. Alpermann, für das Gespräch.

Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de

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