Fünf Freitagsfragen an Dr. Horst Gorski, Vizepräsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Leiter des Amtes der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), über Beheimatungen in den konfessionellen Kulturen, „Kirche für andere“ und Luthers Marienfrömmigkeit.

Dr. Horst Gorski (Bild: EKD)
Horst Gorski studierte Evangelische Theologie und wurde in diesem Fach promoviert. Nach einer Tätigkeit als Gemeindepfarrer wurde er Propst im Hamburger Kirchenkreis Altona und seit 2009 im fusionierten Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein. Seit 2004 war er zudem Vorsitzender des Theologischen Beirats der Nordelbischen Kirche und später der Theologischen Kammer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. Im Mai 2015 wurde Gorski zum Leiter des Amtes der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und Vizepräsident im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland gewählt. Am 1. September 2015 trat er die Nachfolge von Friedrich Hauschildt, der beide Ämter innehatte, an. Gorski ist Mitbegründer des Konvents schwuler Pastoren und lesbischer Pastorinnen in Nordelbien. Er wohnt in Hamburg.
Rogate-Frage: Herr Vizepräsident Dr. Gorski, orientiert sich der Christ der Zukunft an seiner Konfession oder sucht er das Verbindende zu den Mitchristen aus anderen Kirchen?
Horst Gorski: Früher fragte man: „Welches Gesangbuch hast du?“, wenn man wissen wollte, welche Konfession beispielsweise der Freund oder die Freundin hat. Das deutet darauf hin, dass auch früher nicht so sehr theologische Lehren im abstrakten Sinne konfessionell interessant waren, sondern die erlebbaren und kulturellen Unterschiede: Welche Lieder man singt, welche Rolle die Kirchenmusik spielt, ob in der Kirche ein Altar mit Kerzen steht, ob man Tanz und Kartenspiel für erlaubt hielt und ob man Karneval feierte. Beheimatungen in den konfessionellen Kulturen werden auch künftig noch eine Rolle spielen. Für das evangelische junge Paar, das sein Kind zur Taufe anmeldet, ist die Erwartung klar, dass es auch eine Pastorin sein kann, die ihr Kind tauft.
Es ist aber gut, dass in den Unterschieden heute nichts Trennendes mehr gesehen wird. Wenn zwei Menschen unterschiedlicher Konfession heute heiraten wollen, ist das – zum Glück und Gott sei Dank – kein Problem mehr! Und an der Basis funktioniert die Ökumene oft gelassener als auf Ebene der Kirchenleitungen und Bischöfe.
Rogate-Frage: Welchen Auftrag hat die evangelische Kirche in unserer Gesellschaft? In welcher Verantwortung sieht sie sich?
Horst Gorski: Sie hat die Aufgabe, Zeugnis vom Evangelium Jesu Christi in der sich wandelnden Gesellschaft in Wort und Tat abzulegen.
Das mag erst einmal banal klingen, heißt für mich aber: Wir haben mit dem Evangelium einen „Markenkern“, der im Mittelpunkt stehen muss. Werteagenturen und sozial engagierte Menschen – das ist schön, aber das gibt es auch sonst in der Gesellschaft. Kirche ist etwas eigenes.
Aber dann hat die Kirche natürlich die Aufgabe, dieses Evangelium von der bedingungslosen Annahme jedes Menschen durch Gott weiterzusagen und konkret durchzubuchstabieren. Was bedeutet diese bedingungslose Annahme in einer Leistungsgesellschaft? Was bedeutet Gnade in einer oftmals gnadenlosen Welt? Was bedeutet die Würde, die Gott jedem Menschen schenkt, für Flüchtlinge, Folteropfer oder Obdachlose? Die Kirche hat darauf keine einfachen Antworten wie in einem Rezeptbuch. Aber schon dadurch, dass sie diese Fragen wachhält, wo man sie am liebsten totschweigen möchte, kann sie „Kirche für andere“ sein.
Rogate-Frage: Die bundesrepublikanische Gesellschaft ist im Wandel. Die Wahlergebnisse deuten auf eine größere Zerrissenheit des Landes hin. Die Diskussionen zu Migration, Asyl oder zu Bürgerrechten wie der Öffnung der Ehe deuten auf wenig Kompromissbereitschaft hin. Wie kann die evangelische Kirche hier helfen und Gräben, Hass und Gewalt überwinden?
Horst Gorski: Einerseits haben wir die Aufgabe, klar Grenzen des Anstands und der Menschlichkeit zu benennen. Mit menschenverachtender Gewalt kann es keine Kompromisse geben.
Andererseits müssen wir den Dialog suchen. Und da haben wir noch viel vor uns. Zu wenig haben wir bisher die Erkenntnis an uns herangelassen, dass rechtspopulistische Positionen bis hinein in unsere Kerngemeinden vertreten werden. Dabei sind längst nicht alle, die solche Äußerungen von sich geben, im engeren Sinne rechts. Oft sind es Ängste, menschliche Überforderung oder Unwissenheit, die sich auf diese Weise äußern. Dagegen hilft nicht Verurteilung, sondern Dialog.
Rogate-Frage: Wie kann die Kirche und der von ihr vermittelte christliche Glaube öffentlich bleiben? Warum ist Religion keine Privatsache?
Horst Gorski: Diese Frage klingt mir zu defensiv, aber sie markiert eine verbreitete Stimmung. Wenn wir im internationalen Vergleich schauen, welche Rolle die Kirchen anderswo spielen, dann merkt man, dass – auch heute noch! – in kaum einem anderen Land der Welt die Kirchen so prominent im gesellschaftlichen Diskurs vorkommen, so intensive Kontakte in die Politik haben wie in Deutschland. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass dies kurz vorm Wegbrechen wäre. Aber sicher: Damit dies auch auf Dauer so bleibt, müssen wir etwas tun. Am besten das, was ich als Aufgabe der Kirche beschrieben habe, also das Evangelium in Wort und Tag weitertragen und seine Relevanz für die Menschen unserer Zeit deutlich machen. Wir sollten uns nicht anbiedern und auch nicht versuchen, die besseren Politiker oder überhaupt die Besserwisser zu sein. Wolfgang Schäuble hat ja Recht, wenn er schreibt, Religion dürfe politisch sein, aber erst einmal müsse sie Religion sein. Wenn wir tun, was unsere Aufgabe ist, werden wir auch in Zukunft Gehör finden.
Rogate-Frage: Sie haben über die Marienfrömmigkeit Martin Luthers promoviert. Was hat Sie bei in Ihrer Forschung dazu überrascht und welcher Aspekt dieser besonderen Spiritualität könnte protestantische Frömmigkeit bereichern?
Horst Gorski: Das ist inzwischen 30 Jahre her! Überrascht hat mich damals, wie selbstverständlich es für Luther war, Maria zu verehren und zu den Marienfesten zu predigen. Die Abwendung von der Marienverehrung ist erst später im Luthertum vollzogen worden. Eine Wiederbelebung im Luthertum sehe ich allerdings nicht und hat es auch bei mir persönlich nicht gegeben.
Vor 30 Jahren herrschte noch die nachkonziliare Stimmung. Man glaubte, wenn man die theologischen Differenzen fachwissenschaftlich beseitigen könne, würden die Kirchen sich nach und nach einander annähern. Mein Doktorvater, der katholische (!) Dogmatiker Otto Hermann Pesch war von diesem Modell der sogenannten Konsens-Ökumene zutiefst überzeugt. Und ich glaubte damals, in diesem Sinne einen Beitrag zur Ökumene zu leisten.
Leider sind diese Hoffnungen Vergangenheit. Theologisch könnte man sich heute auf fast allen Gebieten soweit einigen, dass es zumindest nichts wirklich Kirchentrennendes mehr geben müsste. Trotzdem bewegen sich die Kirchen nicht aufeinander zu.
Aber das muss ja nicht immer so bleiben! Meine Hoffnung ist, dass all die Forschungsergebnisse aus der nachkonziliaren Zeit eines Tages gebraucht werden und doch noch Früchte der Einheit tragen!
Rogate: Vielen Dank, Herr Vizepräsident Dr. Gorski, für das Gespräch!
Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de
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