Fünf Fragen an: Prof. Sascha Liebermann, Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft

Fünf Freitagsfragen an Prof. Sascha Liebermann, Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft, über das „Bedingungslose Grundeinkommen“, die Fortentwicklung unsers Sozialstaats und das Vertrauen der Demokratie in die Bürger.

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Prof. Sascha Liebermann (Bild: privat)

Sascha Liebermann lebt in Alfter (bei Bonn), forscht und lehrt als Professor für Soziologie an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft daselbst. Zum Studium zog es ihn an die Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Dort studierte er Philosophie (Magister Artium), Soziologie und Psychoanalyse. Vom Fachbereich Gesellschaftswissenschaften wurde er zum Dr. phil. (Soziologie) promoviert. Darauf folgten Forschung und Lehre an der TU Dortmund, der Ruhr-Universität Bochum und der ETH Zürich, bevor er an die Alanus Hochschule berufen wurde. 2003 gründete er gemeinsam mit Mitstreitern die Initiative „Freiheit statt Vollbeschäftigung„, die sich zur Aufgabe gemacht hat, die öffentliche Diskussion um das Bedingungslose Grundeinkommen zu fördern.

Rogate-Frage: Herr Professor Liebermann, was genau ist das „Grundeinkommen“?

Sascha Liebermann: In der jüngeren deutschen Diskussion wird meist vom Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) gesprochen. Das birgt zwar Missverständnisse, hat bei genauerer Betrachtung jedoch einen guten Grund. Das BGE ist ein Vorschlag, der sich gegen den Charakter unseres heutigen Sozialstaats richtet, Einkommen immer nur unter bestimmten Leistungs-Bedingungen zu gewähren, entweder weil man erwerbstätig war oder weil man es sein wird. Alle Ersatzeinkommen, die wir heute kennen, leiten sich davon ab: Rente, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe und so weiter. Ersatzeinkommen sind sie, weil sie den Ausfall des Erwerbseinkommens ersetzen sollen. Damit fallen nicht nur alle Tätigkeiten unter den Tisch, die nicht erwerbsförmig sind, sie werden zugleich zu Privatvergnügen degradiert wie die häusliche Fürsorge für die Familie. Das steht aber ganz im Gegensatz zur Bedeutung, die diese Tätigkeiten für unser Gemeinwesen haben, sie gehören in das große Ganze hinein, Erwerbstätigkeit und Güterproduktion sind nur ein Teil davon. Das BGE stellt sich nun gegen diese Erwerbszentrierung und sieht ein Mindesteinkommen von der Wiege bis zur Bahre vor, das jeder Staatsbürger und jede Person mit einem zu definierenden Aufenthaltsstatus unabhängig von Erwerbstätigkeit erhalten soll. Statt einer Leistungs- gilt also eine Statusbedingung. Im besten Fall soll es eine Höhe haben, die es erlaubt, ohne Erwerbstätigkeit leben zu können. In dieser Form hätte es die größten Auswirkungen und schüfe die meisten Möglichkeiten. Dabei ist das BGE nicht individualistisch, wie man oft hört. Es ist ein Einkommen, das das Gemeinwesen seinen Angehörigen bereitstellt, es stellt somit eine Solidarleistung dar, die sowohl die gemeinschaftliche als auch die individuelle Seite unseres Zusammenlebens bekräftigt. So ist das BGE eine Angelegenheit aus dem Geist der Demokratie, letztlich also nur eine Fortentwicklung unsers Sozialstaats und dabei folgt es noch dem Subsidiaritätsgedanken.

Rogate-Frage: Woher kommt die Idee und wie soll das Bedingungslose Grundeinkommen praktisch funktionieren?

Sascha Liebermann: Wenn man die Bedeutung eines Grundeinkommens sehr weit fasst und darunter jegliche Form der Hilfeverpflichtung in einem Gemeinwesen gegenüber Hilfebedürftigen versteht, reicht die Tradition weit zurück, man könnte schon die Hilfeverpflichtung in der Tradition des Almosens dazu zählen, die allerdings keine gemeinschaftlich bereitgestellte Hilfe war. Das Helfen im Sinne einer Solidargemeinschaft zeichnet die menschliche Praxis – wie unterschiedlich die Hilfe auch immer gestaltet gewesen sein mag, zum Beispiel die Armenfürsorge – sicher aus. Im Unterscheid zu ethisch oder religiös gebotenen Hilfen, handelt es sich beim BGE indes um eine besondere Form, denn das BGE begründet sich – so mein Verständnis – aus dem modernen Lebensgefüge der Demokratie. Denn in ihr sind die Angehörigen eines Gemeinwesens, die Staatsbürger, Geltungsquelle der politischen Ordnung, sie bilden den Souverän. Weil sie diese Stellung bedingungslos innehaben, wäre es folgerichtig, ein Mindesteinkommen bedingungslos – also ohne konkrete Gegenleistungspflicht – bereitzustellen. Das hebt nicht die Verpflichtung auf, sich zu fragen, wie man zum Wohlergehen des Ganzen beitragen kann, doch diese Verpflichtung wäre nicht einklagbar durch das Gemeinwesen. Es muss in seine Angehörigen vertrauen, was letztlich ein Vertrauen in sich selbst darstellt. Genau das ist die Voraussetzung dafür, dass ein BGE praktisch gelingen kann – diese Voraussetzung ist heute schon gegeben, wir leben auf ihr als Fundament unseres Ordnungsgefüges. Wie es konkret dann auszugestalten wäre, hängt davon ab, was wir als Gemeinwesen wollen, wieviel Freiraum wir dem anderen und uns selbst zugestehen.

Rogate-Frage: Wie könnte eine Finanzierung realisiert werden?

Sascha Liebermann: An dieser Frage, so meinen manche, entscheide sich alles. Worum geht es dabei? Zwei Seiten müssen unterschieden werden, die grundsätzliche und die steuertechnische. Die grundsätzliche ist die Frage, ob wir die Voraussetzungen haben, ausreichend Wertschöpfung hervorzubringen, um auf ihrer Basis eine Geldleistung bereitzustellen. Das ist letztlich die Frage danach, ob – vor allem – die Bürger bereit sind, sich hier einzubringen, denn alles, was wir verteilen können, entsteht aus dem vorangehenden Engagement für eine Sache, eine Aufgabe. Davon hängt dann ab, wie hoch der Betrag sein kann, er bestimmt sich ja relativ zur Wertschöpfung und nicht unabhängig davon. Die andere Frage ist, wie man das steuertechnisch bewerkstelligt, mittels welcher Steuerarten – Einkommens- oder Verbrauchssteuern oder beides, wie gestaltet man Freibeträge und so weiter. Die Steuerarten selbst sind wiederum nicht neutral, während die Besteuerung von Einkommen nicht danach fragt, was jemand mit dem Einkommen anstellt, ob er investiert oder konsumiert, würde eine Konsum- oder Verbrauchsbesteuerung genau das hervorheben.

Rogate-Frage: Was sagen Sie den den Kritikern, die ja unter anderem fürchten, dass viele Menschen nicht mehr arbeiten gehen würden…?

Sascha Liebermann: Wir können natürlich nichts darüber sagen, was der Einzelne mit einem BGE tatsächlich machen würde. Das ist aber keine umstürzende Erkenntnis, denn wir wissen heute auch nicht, was morgen sein wird. Sicher, jeder nimmt sich bestimmte Dinge vor, vornehmen kann man sich alles Mögliche, und dann manchen wir doch etwas Anderes. Wir können allerdings untersuchen – das ist eine Aufgabe der Forschung -, auf welcher Basis in unserem Lebensgefüge Entscheidungen getroffen wurden. Welche Überzeugungen lagen ihnen zugrunde – und daraus lassen sich Schlussfolgerungen ziehen, ob diese Überzeugungen dem entsprechen, was ein BGE als Voraussetzung erforderte. Da finden wir sehr viele Hinweise darauf, dass die Voraussetzung eines BGE schon gegeben sind, weswegen es eben nicht etwas Utopisches in dem Sinne ist, dass es weit weg sei, es ist lediglich utopisch in dem anderen Sinne, dass es noch nicht da ist. Wie leben wir heute? Die Demokratie vertraut in ihre Angehörigen, das sind die Staatsbürger. Dass sie ihr Leben loyal zum Gemeinwesen führen, sich einbringen, Kritik üben, wo sie es für notwendig erachten – all das ist Voraussetzung unseres Zusammenlebens. Die Demokratie erhebt dieses Vertrauen ausdrücklich zu ihrer Grundlage, in dem die Staatsbürger den Souverän bilden, er ist die Geltungsquelle der politischen Ordnung. Tatsächlich sagen wir heute niemandem, wie er in diesem Gefüge sein Leben zu leben hat – einzig normative Verengungen gibt es, dazu gehört die Fixierung auf Erwerbsarbeit als höchstes Gut. Wir nehmen eine Herabsetzung, ja Herabwürdigung all der anderen Tätigkeiten hin, die genauso unser Zusammenleben bestimmen: Fürsorge in der Familie, bürgerschaftliches Engagement – alles zweitrangig, obwohl sie tatsächlich in ihrer Bedeutung genauso wichtig sind wie Erwerbstätigkeit, in mancher Hinsicht sogar wichtiger. Denn als ganzer Mensch Anerkennung zu finden ist nur möglich, wo der ganze Mensch im Zentrum steht, das ist aber nur in Gemeinwesen und Familie beziehungsweise familienähnliche Lebensgemeinschaften der Fall.

Rogate-Frage: Was würde sich für Sie persönlich ändern, wenn Sie das Grundeinkommen erhielten?

Sascha Liebermann: Es wäre mit einem BGE einfach zu sagen, ich bleibe zuhause und stelle den Beruf beziehungsweise die Berufung hinter die Bedürfnisse der Kinder zurück, solange ich es für richtig halte. Was das bedeutet, ist in meinen Augen eine wichtige Erfahrung, in vielerlei Hinsicht. Sie führt vor Augen, wie sehr unser Wohlergehen von guten Ausgangsbedingungen abhängt, von den Eltern, die für einen bedingungslos da sind – das heißt nicht, dass diese ihre Interessen verleugnen müssen, aber für eine gewisse Zeit weit zurückstellen. Heute muss einer ja immer erwerbstätig sein, um Einkommen heranzuschaffen. Das wäre mit einem BGE anders, es würde zu einer ausdrücklich erwünschten Entscheidung. Beruflich betrachtet wäre ich ein Erwerbs- oder Dienstverhältnis nichtmehr angewiesen. Damit fiele die Sorge weg, etwas aufgeben zu müssen, nur weil damit kein Einkommen einhergeht. Diese Engführung von Engagement und Einkommen, wie wir sie heute haben, hat etwas Zerstörerisches in vielerlei Hinsicht. Forschen könnte ich, sofern ich Zugang zu Infrastruktur wie Bibliotheken hätte, auch ohne eine Anstellung. Zu forschen unabhängig davon, Drittmittel einwerben zu müssen, wäre ebenso eine große Erleichterung.

Rogate: Vielen Dank, Herr Prof. Liebermann, für das Gespräch.

Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de

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Willkommen zu unseren nächsten öffentlichen Gottesdiensten in der Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, 10783 Berlin-Schöneberg:

  • St. Michaelis, Donnerstag, 29. September 2016 | 19:00 Uhr, Ökumenische Eucharistie, mit Dekan Ulf-Martin Schmidt, Alt-Katholische Gemeinde Berlin
  • Rogate Kl_Postkarte_Mensch+Tier2016_080316 Kopie 2Montag, 3. Oktober 2016 | 15:00 Uhr, Gottesdienst für Mensch und Tier. Predigt: Pfarrerin Andrea Richter
  • Sonntag, 23. Oktober 2016 | 10:00 Uhr, Eucharistie am 22. Sonntag nach Trinitatis, mit dem Botkyrka Kammarkör der Tumba Kirche, Schweden
  • Allerheiligen, Dienstag, 1. November 2016 | 19:00 Uhr, Gottesdienst mit Bischof Dr. Matthias Ring, Katholisches Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland, Bezirksbürgermeisterin  Angelika Schöttler, Bezirk Tempelhof-Schöneberg, Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein, EKBO, Pfarrerin Andrea Richter, Spiritualitätsbeauftragte der EKBO, Dekan Ulf-Martin Schmidt, Alt-Katholische Gemeinde Berlin, Pastorin Dagmar Wegener, Baptistische Gemeinde Schöneberg, und Pfarrer Burkhard Bornemann, Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde
  • Sonntag, 3. Advent, 11. Dezember 2016 | 17:00 Uhr, Sternenkinder-Gottesdienst für verwaiste Eltern und ihre Angehörigen zum Worldwide Candle Lighting Day, mit Pastor Engelbert Petsch, Aktion “Die Flamme der Hoffnung”, und Pfarrer Burkhard Bornemann, Zwölf-Apostel-Kirche

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