Fünf Fragen an: Michael Chalupka, Direktor der Diakonie Österreich

Fünf Freitagsfragen an Pfarrer Michael Chalupka, Direktor der Diakonie Österreich, über eine zupackende Zivilgesellschaft für geflüchtete Menschen, die Wahrung der Menschenwürde in der Krise und die Wechselwirkungen mit populistischer Politik.

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Michael Chalupka (Bild: Luiza Puiu)

Michael Chalupka wurde 1960 in Graz/Österreich geboren und studierte evangelische Theologie in Wien und Zürich. Weitere Ausbildungen folgten in den Bereichen Erwachsenenbildung und NPO-Management. Nach einem zweijährigen Italienaufenthalt als Studienleiter am “Centro Ecumenico d’Agape” in Prali (Torino) arbeitete er von 1989 bis 1994 als evangelischer Pfarrer. Seit 1994 ist Michael Chalupka als Direktor der Diakonie Österreich tätig. Er ist Mitinitiator der Armutskonferenz (1995). Seit 2000 ist Michael Chalupka außerdem Präsident des „Österreichischen Komitees für Soziale Arbeit“ (ÖKSA) und seit 2006 auch Vorsitzender des Evangelischen Schulwerkes A.B. Wien.

Rogate-Frage: Herr Direktor Chalupka, wie geht es den geflüchteten Menschen heute in Österreich?

Michael Chalupka: Die Situation für die Geflüchteten hat sich, nach dem großen Flüchtlingszustrom 2015 mit über 88.000 Asylanträgen, weitestgehend normalisiert.
Das Positive, das wir aus 2015 mitnehmen können, war eine unglaubliche Welle der Hilfsbereitschaft und Solidarität, die jedoch weniger von der Regierung ausgegangen ist, sondern von der Zivilgesellschaft, die nach dem Motto: „Da muss man doch helfen!“ einfach zugepackt hat und unglaubliche Initiativen auf die Beine gestellt hat. Das hat sogar uns als professionelle Hilfsorganisation, die schon viele Jahre in der Flüchtlingsarbeit tätig ist, manchmal überrascht. Bis heute sind sehr viele ehrenamtliche MitarbeiterInnen und nach wie vor viele private Initiativen – mehr als jemals zuvor in der jüngeren Geschichte Österreichs – in der Flüchtlingsarbeit engagiert.

Rogate-Frage:  Wie sind in Österreich die Kirchen, Caritas und Diakonie auf die Situation mit den Herausforderungen umgegangen und was hat sich dadurch verändert?

Michael Chalupka: Es war natürlich auch für die angestammten Hilfsorganisationen eine große Herausforderung. Caritas und Diakonie haben versucht äußerst flexibel auf die Situation zu reagieren. Dennoch hat sich alleine in der Diakonie der MitarbeiterInnenstand in der Flüchtlingsarbeit sowohl bei den hauptamtlichen, als auch bei den ehrenamtlichen MitarbeiterInnen mehr als verdoppelt. Das bedeutet, dass auch viele Leitungsstrukturen im laufenden Betrieb permanent nachgebaut werden mussten.
Dennoch war es uns wichtig, nicht einfach unsere Qualitätsstandards zu begraben und die Menschenwürde, der uns anvertrauten Menschen auch in einer Zeit großen Andranges im Vordergrund stehen zu lassen. Viele MitarbeiterInnen im Flüchtlingsbereich sind in diesem Jahr an das Limit ihrer Belastbarkeit gestoßen. Vor allem aber auch deshalb, weil Politik und Verwaltung kein gutes Krisenmanagement geleistet haben und viele sehr schwierige Situationen vermeidbar gewesen wären.
Leider wurde die konstruktive Kritik sämtlicher Hilfsorganisationen am staatlichen Aufnahmesystem kaum aufgegriffen, sodass wir befürchten müssen, beim nächsten Zuzug einer größeren Zahl von Flüchtlingen wieder exakt vor den gleichen strukturellen Problemen zu stehen wie im Jahr 2015.

Rogate-Frage: Auch Österreich erlebt das Aufleben des rechten Populismus, das Erstarken der Identitären und eine schwierige Bundespräsidentenwahl… Was ist los in Ihrem Land?

Michael Chalupka: Es gibt in Österreich nach wie vor eine schweigende Mehrheit von Menschen, die das Gemeinsame vor das Trennende, die Nächstenliebe vor den Hass, das Positive vor das Negative stellt. Letztendlich wurde das auch im sehr deutlichen Ausgang der Bundespräsidentenwahl sichtbar.
Dieser Umstand ist aber für die Politik scheinbar schwer verständlich. Eine schweigende Mehrheit ist auch für sie weniger hörbar, als die sehr negativen, lauten, xenophoben bis rassistischen Töne, die auch gerne durch Boulevardmedien aufgegriffen und reproduziert werden.
Dadurch entsteht eine Wechselwirkung mit populistischer Politik, die ihrerseits glaubt durch symbolpolitische Verschärfungen der Gesetzeslage und Kürzungen von Leistungen einen politischen Vorteil erringen zu können. Oft wird dabei übersehen, dass es, sobald man auf diesen Zug aufspringt, keine Bremse mehr gibt. Es ist wie ein Karussell, das sich immer weiter dreht: Die Hetzer verlangen immer mehr und sozialpolitisch immer Abstruseres. Eine Politik, die in dieses Karussell einsteigt, verliert unweigerlich die Orientierung im eigenen Wertegerüst. Irgendwann gibt es im Asylrecht gar nichts mehr zu verschärfen, das noch menschenrechtlich kompatibel wäre. Doch die nächste Verschärfung muss her, man glaubt es dem Wählerwillen schuldig zu sein.
Ja, es gibt einen starken Zulauf zu rechtspopulistischer Politik, die einfachste Antworten auf komplexeste Fragen gibt.
Die wahre Frage ist jedoch, ob der Zulauf zu dieser Politik größer oder kleiner wäre, wenn christlich soziale und sozial demokratische PolitikerInnen sich mit der ganzen Kraft der Grundprinzipien ihrer Gesinnungsgemeinschaften entgegenstemmen würden.

Rogate-Frage: Wie können Christen und wie die Kirchen darauf reagieren?

Michael Chalupka: Viele Christinnen und Christen sind heute stark in ehrenamtlichen Projekten engagiert und engagieren sich auch für ihre Mitmenschen.
Wichtig ist, dass sie sich aber auch zu Wort melden und spürbar werden lassen, dass Nächstenliebe stärker ist als Hass, Neid und Missgunst.
Die evangelischen Kirchen in Österreich stehen seit vielen Jahren sehr deutlich auf der Seite der Flüchtlinge und es gibt kaum ein Jahr, in dem die Generalsynode keine Resolution mit einem klaren Bekenntnis zum Flüchtlingsschutz beschließt.
Die Flüchtlingsarbeit ist den Kirchen ein besonderes Anliegen in Österreich. Evangelische Kirche A und H.B. sind gemeinsam mit der Diakonie Österreich Trägerorganisationen des Diakonie Flüchtlingsdienstes. Dieser ist inzwischen die größte Rechtsberatungsorganisation für Flüchtlinge in Österreich. Angesichts der wenigen Evangelischen in Österreich ist das eine bemerkenswerte und für das Selbstverständnis der Kirchen wichtige Entwicklung.

Rogate-Frage: Was können wir in Deutschland von Österreich lernen, um die spürbare gesellschaftliche Spaltung und eine Gefährdung der Demokratie zu verhindern?

Michael Chalupka: Österreich hat seit mehr als 20 Jahren mit dem Phänomen des Rechtspopulismus zu tun. Es zeigt sich deutlich, dass die Strategie, der vormals großen Parteien, immer mehr Anliegen der FPÖ in die eigene Programmatik zu übernehmen in den Diskurs der Rechtspopulisten eingezahlt hat. Die Erwartungen, dass sich durch eine schärfere Rhetorik und Abschottungspolitik WählerInnen für die Parteien der Mitte halten ließen haben sich nicht erfüllt. Wir ÖsterreicherInnen blicken umgekehrt immer etwas neidisch nach Deutschland, weil wir glauben dort mehr Sachpolitik und doch eine Spur weniger Populismus und Symbolpolitik zu erkennen. Trotz aller Probleme – von Pegida bis hin zu brennenden Flüchtlingsheimen – existiert doch auch in Deutschland eine positive Grundstimmung in der Bevölkerung, wie jüngst eine Studie der EKD zur Haltung in der Flüchtlingsfrage gezeigt hat. Selbstverständlich ist die politische Lage in beiden Ländern sehr angespannt und ist es ein Auftrag an uns Christinnen und Christen, sehr wachsam zu sein und der Demagogisierung und Radikalisierung täglich entgegenzutreten.

Rogate: Vielen Dank, Herr Direktor Chalupka, für das Gespräch.

Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de

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Fünf Fragen an: Regisseurin Tatjana Rese, Regisseurin und Autorin

Fünf Freitagsfragen an Tatjana Rese, Regisseurin und Autorin, über Martin Luther als „Rebel wider Willen“, über den kulturellen Hintergrund unseres Lebens und das Verhältnis des Reformators zum Teufel.

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Tatjana Rese (Bild: privat)

Die Berlinerin Tatjana Rese studierte Germanistik an der Humboldt-Universität und verschrieb sich dann dem Theater. Als Schauspieldirektorin führte sie ihr Weg nach Schwedt, Esslingen, Braunschweig und Detmold. Sie inszeniert im Bereich Schauspiel, Kabarett, Oper und Musical. Rese verfasste Bühnenbearbeitungen von Film, Roman und Märchen und realisierte eigene Musicals und Revuen, unter anderem in Leipzig, Konstanz, Eisenach und Wilhelmshaven. In ihrer Heimatstadt arbeitet sie für das Kabarett „Die Stachelschweine“ und engagiert sich seit vielen Jahren für das „Opernfestival Schloss Britz„.

Rogate-Frage: Frau Rese, Martin Luther beschäftigt Sie schon länger. Warum?

Tatjana Rese: Obgleich ich persönlich nicht konfessionell gebunden bin, sehe ich den christlichen Glauben als kulturellen Hintergrund unseres Lebens. Besonders das reformatorische Gedankengut beeinflußt uns alle bis heute, prägt unser Denken und Handeln, strukturiert den Alltag. Das zentrale Werk Luthers, seine deutsche Übersetzung der Bibel, ist seit Jahrhunderten Quelle für künstlerisches Schaffen, in der Malerei, in der Literatur, auf dem Theater. Diese Ur-Bilder lassen uns nicht los und wir schöpfen aus ihnen.

Aus diesem grundsätzlichen Interesse entstand die Spurensuche, die, zugegebenermaßen, durch die Lutherdekade forciert wurde. Inzwischen habe ich mich in das Thema soweit eingearbeitet, dass noch ein Luther-Krimi entstanden ist. Der historische Krimi „Freies Geleit für Martin Luther“ erscheint im März 2017 im Buchhandel. Hier beschäftigt uns, den Autor Matthias Eckoldt und mich, ein fiktiver Kriminalfall, in den Luther während des berühmten Reichstages 1521 in Worms verwickelt wird.

Ja, irgendwie komme ich von dem Mann wohl nicht mehr los.

Rogate-Frage: Welche Herausforderungen verbinden Sie als Regisseurin mit „LUTHER! – REBELL WIDER WILLEN“?

Tatjana Rese: Ich bin bei diesem Projekt in der besonderen Lage, sowohl Autorin als auch Regisseurin zu sein. Und in beiden Rollen interessiert mich der Mensch Luther in Konfrontation mit seiner Zeit.

Das Anachronistische der Persönlichkeit fasziniert mich: Ein Mann, noch tief verhaftet im Mittelalter, macht sich auf den Weg in eine neue Zeit und wird wider Willen zur Gallionsfigur theologischer und sozialer Umbrüche. Dabei ist er selbst eine äußerst zerrissene Persönlichkeit. Kämpfer und Zauderer, ein Protestler, der obrigkeitstreu bleibt. Er schreibt gegen den Papst an, redet dem deutschen Adel ins Gewissen, will den gütigen Gott für alle und wütet dann gegen die aufständischen Bauern. Die Untertanen werden von ihm zum Gehorsam verdonnert, sie sollen Gewalt und Unrecht schweigend erdulden.

Vor allem jedoch ist es die ungeheuerliche Zeitenwende in der Luther agiert, die das Thema für uns heute so greifbar und nachvollziehbar macht: Eine Welt die aus den Fugen ist. Eine Welt, in der viele Menschen nach Halt und Orientierung suchen. Die Zeilen des Songs des Schriftgießers Stephan, den er ganz am Schluss des Oratoriums singt, sind meine persönlichste Botschaft:

Die innre Stimme soll den Weg
Für unser Leben nennen.
Und keine irdisch‘ Macht verhüt‘,
Dass wir sie hören können.
Ganz aus dem Metrum ist die Welt,
Sie droht uns zu verschlingen.
Des Herzen Takt, das inner Maß
Nur kann uns Freiheit bringen.

Rogate-Frage: Was macht ein „Rock-Oratorium“ aus? Ist „Luther“ nicht eher ein Musical?

Tatjana Rese: Der Komponist Erich Adalbert Radke und ich haben 2013 ein Auftragswerk für das Theater Eisenach geschrieben und auf Wunsch des Hauses sollte es die Form eines populären Genres haben, so ist unser Musical entstanden, das ab Mai bis Juli 2017 wieder im Spielplan des Theaters Eisenach ist. Der Form des Musicals folgend gibt es ein Orchester, große Ballettszenen und ein sehr opulentes Bühnenbild einschließlich Videoperformance.

Das Theater Wilhelmshaven wünschte sich eine kleinere Form. So haben wir das Material nochmals bewegt und umgeschrieben, für eine Rock-Band, zehn Sänger und einen Chor. Das Format des Oratoriums schien uns dafür besonders geeignet: ein Erzähler führt durch die Geschichte, die sehr emtional durch Arien, Duette, Terzette, Quartette gestaltet wird, ein Chor reflektiert das Geschehen. Die Rockmusik ist eine moderne wie auch archaische Musik, die den Bogen von der Musik der Lutherzeit ins Heute wunderbar schlagen kann.

Rogate-Frage: Warum führen Sie das Stück ausschließlich in Kirchen auf und welche Wirkung haben die Sakralräume auf das Stück, die Darsteller und das Publikum?

Tatjana Rese: Die Kirche ist die Heimat des Oratoriums. Dort kommt diese Musikform ursprünglich her. Hierhin wollten wir mit diesem modernen Oratorium zurückkehren. Dabei entstand die Idee, den Chor aus Sängerinnen und Sängern aus der Region zu formen. So ist es in der Tat die Gemeinde, die bei der Aufführung mitwirkt. Und schließlich geht es Luther ja vor allem um die Auseinandersetzung mit der Kirche.

Die Kirchenhäuser sind geschichtsträchtige Orte. Ihre Mauern beherbergen viele Schicksale, oft über Jahrhunderte. Diesen Geruch atmet man bei den Proben und Vorstellungen mit ein. Die christlichen Gotteshäuser mit einer modern erzählten Geschichte zu konfrontieren, ist ein sehr sinnlicher Prozess.

Die besondere und streitbare Geschichte der Christus- und Garnisionskirche in Wilhelmshaven, mit der das Theater kooperiert und in der unsere Premiere stattfand, hat mich sehr bewegt; sie erzählt heute noch von den Kriegen und Schlachten, die wir zu Unrecht geschlagen haben. Für das Publikum ist die Aufführung, hoffe ich, an so authentischen Orten ein besonderes Erlebnis.

Rogate-Frage: Im Stück werden der Teufel und Johann Tetzel mit Attributen darstellt, die vermuten lassen, sie seien schwul oder trans*. So werden gleichgeschlechtliche Sexpraktiken zwischen Satan und dem Dominikaner angedeutet und genannt. Welches Ziel wird in der Inszenierung und beim Publikum damit verfolgt?

Tatjana Rese: Ehrlich gesagt, das Thema hat uns eigentlich gar nicht interessiert.

Aber wenn dieser Eindruck entstehen sollte, dann versuche ich ihn mir zu erklären: Der Anmutung des Homoerotischen entsteht vielleicht dadurch, dass der Teufel Luther in unserem Oratorium im wahrsten Sinne des Wortes ständig im Nacken sitzt. Mitunter scheint es, als gingen die beiden eine körperliche Symbiose ein. Das ist für mich eine Metapher für den inneren Kampf gegen das Böse, den die Figur führt.

Luther selbst hatte offensichtlich, viele Schriften und Briefe belegen das, eine sehr persönliche Beziehung zum Teufel, der ihn lebenslang zu verfolgen schien.

In unserer Aufführung erscheint der Teufel mitunter in geborgten Gewand, so in einer großen Marktszene als Ablaßhändler Tetzel. Das ist eine Verführungsszene. Der Teufel will die Leute zum Geldausgeben verführen um sich von ihren Sünden freizukaufen. Dabei ist ihm jedes Mittel recht und er holt mit dem „Tanz des Mammon“ zur großen Showeinlage aus. Mit seinem Kompagnon Jahnn Zacke veranstaltet er einen anzüglichen, von fleischlicher Lust getrieben Tanz, um die Leute aufzugeilen. Seine Sprache ist schnodderig und heutig. Den „Tanz ums goldene Kalb“ tanzen wir alle doch fast täglich, oder?

Rogate: Vielen Dank, Frau Rese, für das Gespräch.

Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de

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