Liebe Schwestern verschiedenen Geschlechts und unterschiedlicher sexueller Orientierungen,

Klaus Lederer im Rogate-Kloster (Bild. Marcel Talartsik)
morgen werden viele von uns einander wieder begegnen. Morgen ab 11 Uhr wird hier in Schöneberg das 26. Lesbisch-schwule Stadtfest Berlin gefeiert. Wenn wir an die medialen Darstellungen von CSD und Stadtfest in Berlin denken, sind Gottesdienste nicht das erste, was uns durch den Kopf geht in dieser Stadt, in der – wenn ich als Konfessionsloser mir dieses Wort borgen darf – die Schöpfung sich von ihrer buntesten Seite zeigt. Dass sowohl am Vorabend des Stadtfests als auch nächste Woche am Vorabend des CSD neben den allgegenwärtigen Partys auch Gottesdienste zur Eröffnung stattfinden, zeigt uns die Vielfalt auch innerhalb der queeren Communities unserer Stadt. Und das war vor nicht allzu langer Zeit so kaum vorstellbar. Traugott Roser hat das in seiner Predigt vorhin sehr anschaulich geschildert.
Im Jahr 2017 hat die Initiative HuK – Homosexuelle und Kirche – ihr 40. Jubiläum gefeiert. Sie mussten sich unter ihresgleichen durchsetzen, nicht selten scheel beäugt von den nichtkonfessionellen Queers.
Der heutige Gottesdienst ist eine tolle Initiative der inzwischen traditionsreichen alt-katholisch-evangelischen Ökumene im Rogate-Kloster.

Stadtfesteröffnung am 20. Juli 2018. 3.v.l: Klaus Lederer. (Bild. Marcel Talartsik)
Als für Religions- und Weltanschauungsfragen zuständiges Senatsmitglied habe ich die staatliche Neutralität in Bezug auf die Konfessionen zu wahren; selbst keinem Glauben anzugehören kann dabei vielleicht manchmal hilfreich sein. Erlaubt sei mir an dieser Stelle daher nur der Hinweis, dass ich es enorm schätze, wie das Rogate-Kloster für Werte eintritt, die Sie aus Ihrem christlichen Glauben ableiten, andere tun das aus anderen Quellen und Gründen: für Respekt und Akzeptanz, für Freiheit und Menschenrechte, für Empathie, Barmherzigkeit, Solidarität.
Wir bekommen in diesen Tagen wieder sehr deutlich vorgeführt, welchen Unterschied ums Ganze es machen kann, ob Menschen den christlichen Glauben, auf den sie sich berufen, ernst nehmen oder nicht. Wenn jemand, der allergrößten Wert auf das „C“ legt, sich zu seinem Geburtstag über abgeschobene Geflüchtete freuen kann und auch sonst keinen Zweifel daran lässt, jeden Rest von Mitgefühl und Anstand aus Gründen der politischen Opportunität abgelegt zu haben, dann freue ich mich über die deutlichen Widerworte aus den Kirchen.
Egal ob wir unsere Werte christlich oder aus einem anderen Glauben oder humanistisch begründen: Ich bin davon überzeugt, dass Berlin ein sicherer Hafen sein muss für Menschen, die in ihrer Heimat nicht mehr bleiben können, sei es, weil sie für ihre politischen Ansichten verfolgt werden, aufgrund ihres Glaubens, ihrer geschlechtlichen Identität oder sexuellen Orientierung.
Berlin als Stadt, deren Herz keine Mauern kennt und keine Grenzzäune, die Notleidende aufnimmt, die keine*n zurücklässt und jeden Menschen nach ihrer oder seiner Façon glücklich werden lässt: Wenn wir als Stadt diesen Anspruch ernst nehmen und unser Handeln danach ausrichten, dann haben wir es verdient, Berlin und seine Vielfalt zu feiern – das tun wir dieses Wochenende bei unserem Stadtfest, und nächste Woche beim CSD.
Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung zum heutigen Datum. Es ist der 20. Juli, der Tag, an dem wir des Widerstandes gegen das Naziregime aus allen gesellschaftlichen Schichten, quer über politische Überzeugungen hinweg, konfessionslose und gläubige Menschen gedenken. Deutschland hat sich nicht selbst vom Nationalsozialismus befreit, und für die Homosexuellen war, wie der Historiker Julius H. Schoeps einmal anmerkte, 1945 das Dritte Reich nicht zu Ende. Wenn wir in diesen Pride Weeks feiern, so ist das auch ein Moment von Selbstbehauptung, und wir sollten immer daran denken, dass das Erkämpfte, Erreichte, niemals dauerhaft garantiert ist, sondern immer wieder neu errungen werden muss. In diesem Sinne will ich angesichts der aktuellen politischen Entwicklungstrends in unserer Gesellschaft auf das „Niemals vergessen!“ und „Nie wieder!“ verweisen, das das uns hinterlassene Vermächtnis ist.
Ich wünsche uns allen ein friedliches, buntes, anregendes, durchaus auch kämpferisches Stadtfest und eine ebensolche Pride Week!