Fünf Freitagsfragen an Hans-Joachim Janßen, einer der fünf Initiatoren des Volksbegehrens Artenvielfalt Niedersachsen, über die dramatische Gefährdung von Vögeln und Insekten, den Fahrplan für mehr Artenschutz und die Kritik an Absichtserklärungen.

Dipl-Ing. Hans-Joachim Janßen, geboren 1960, lebt am Jadebusen (Nordsee) und ist dort auch aufgewachsen. Er studierte an der Universität Hannover Landespflege und Naturschutz, dem sich ein Referendariat für den Verwaltungsdienst anschloss. Auch danach ist er weiterhin eng mit Naturschutzthemen verbunden: Beruflich schlossen sich Tätigkeiten unter anderem im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer und in der Naturschutzbehörde des Landkreises Wesermarsch an, politisch war er in seiner Zeit als Landtagsabgeordneter (2013 bis 2017) und ist aktuell als Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen auch mit Naturschutzthemen befasst. Er ist unter anderem Mitglied beim NABU, dem BUND und der Biologischen Schutzgemeinschaft Hunte-Weser-Ems.
Rogate-Frage: Herr Janßen, wie steht es um den Artenschutz und die Artenvielfalt in Niedersachsen?
Hans-Joachim Janßen: Wie weltweit ist auch die Artenvielfalt in Niedersachsen dramatisch gefährdet. Von rund 360 Wildbienenarten stehen mehr als 60 Prozent auf der Roten Liste der gefährdeten Tierarten, von rund 11.000 untersuchten Tier- und Pflanzenarten sind rund 50 Prozent gefährdet. Feldvögel sind besonders im Rückgang begriffen: Bekassine und Uferschnepfe – zwei Arten, die auf Wiesen und Weiden brüten – haben in den vergangenen 35 Jahren Brutbestandsrückgänge von 81 beziehungsweise 67 Prozent erlitten.
Rogate-Frage: Sie haben eine Initiative für ein neues niedersächsisches Naturschutzgesetz gestartet. Was versprechen Sie sich davon?
Hans-Joachim Janßen: Mit dem Volksbegehren wollen wir das Niedersächsische Naturschutzgesetz sowie das niedersächsische Wasser- und das Waldgesetz so ändern, dass die Vielfalt unserer Arten in Niedersachsen ausreichend Lebensraum finden. Nur dann können unsere niedersächsischen Tier- und Pflanzenarten auch überleben. Konkret bedeutet das: Saumstrukturen wie Weg- und Feldraine, Hecken, Fledgehölze und Alleen, aber auch wertvolles Grünland und Gewässerränder werden geschützt. Pestizideinsatz wird in Schutzgebieten begrenzt, der Ökolandbau als eine Form der Landwirtschaft, die nachweislich der Artenvielfalt dient, soll ausgebaut werden. Eine naturverträgliche Bewirtschaftung des Landeswaldes wird vorgeschrieben, die Versiegelung von Flächen soll bis 2030 halbiert und ab 2050 nur in dem Umfang zulässig sein, wie an anderer Stelle entsiegelt wird.
Rogate-Frage: Wer steht hinter Ihrem Bündnis und wie finanziert sich die Initiative?
Hans-Joachim Janßen: Das Volksbegehren Artenvielfalt wird getragen von den drei Organisationen Deutscher Berufs- und Erwerbs-Imker-Bund e.V. (DBIB), Bündnis 90/Die GRÜNEN Niedersachsen und NABU Niedersachen e.V.. Unterstützt wird das Volksbegehren von nunmehr über 180 Bündnispartnern: Organisationen, Verbände, Unternehmen, etc. Es kommen täglich mehr Unterstützer hinzu. Eine aktuelle Übersicht findet sich online unter hier.
Das Volksbegehren finanziert sich aus Spenden und Mitteln der Trägerorganisationen.
Rogate-Frage: Wie funktioniert das „Volksbegehren Artenvielfalt“?
Hans-Joachim Janßen: Wir haben am 29. April 2020 das Volksbegehren bei der niedersächsischen Landeswahlleiterin angemeldet. Am 13. Mai 2020 ist im Niedersächsischen Ministerialblatt das Volksbegehren bekannt gemacht worden und ist damit offiziell gestartet. In einer Vorphase müssen zunächst 25.000 Unterschriften innerhalb von sechs Monaten gesammelt werden. Wird die Unterschriftenzahl erreicht, beantragt der Initiatorenkreis die Zulassung bei der Landesregierung. Diese prüft, ob die hinterlegten Gesetze rechtskonform und verfassungsgemäß sind. Lässt die Landersregierung das Volksbegehren zu, müssen in den dann folgenden sechs Monaten insgesamt 610.000 Unterschriften zusammenkommen, das sind zehn Prozent der Wahlberechtigten in Niedersachsen. Dabei werden die Unterschriften aus der ersten Vorphase mitgezählt. Werden die 610.000 Unterschriften erreicht, ist das Volksbegehren erfolgreich und der Niedersächsische Landtag muss über die Gesetze des Volksbegehrens entscheiden. Nimmt der Landtag die Gesetze so wie vorgelegt oder mit geringen Änderungen an, ist das Verfahren erfolgreich abgeschlossen und besserer Natur- und Artenschutz wird Gesetz. Lehnt der Landtag die Gesetze des Volksbegehrens ab, ist innerhalb von sechs Monaten ein Volksentscheid durchzuführen, in dem alle Wahlberechtigten in Niedersachsen über die Volksbegehrensgesetze abstimmen. Das Volksbegehren ist angenommen, wenn die Mehrheit der Abstimmenden und mindestens 25 Prozent aller Wahlberechtigten für das Volksbegehren votiert.
Rogate-Frage: Wie beurteilen Sie den unter anderem von Umweltminister Olaf Lies initiierten „Niedersächsischen Weg“? Könnte dadurch das Volksbegehren überflüssig werden?
Hans-Joachim Janßen: Der Niedersächsische Weg ist eine reine Absichtserklärung, mehr aber auch nicht. Artenschutz braucht aber bindende gesetzliche Regelungen! Nur weil der Bauernverband zusammen mit der Landesregierung und Umweltverbänden eine Vereinbarung unterschreibt, wird kaum jemand darauf verzichten, am Gewässerrand zu düngen und zu spritzen oder Grünland, auf dem Wiesenvögel brüten, zu früh zu mähen sowie Hecken zu beseitigen oder in Naturschutzgebieten Pestizide einzusetzen. Es bleibt erlaubt, also wird es gemacht. Erst dauerhaft geltende und verbindliche Regelungen werden die Tiere und Pflanzen in Niedersachsen besser schützen. Die Absichtserklärung „Niedersächsischer Weg“ enthält – oft noch etwas vage formuliert – vieles, was wir mit unserem Volksbegehrensgesetz auch fordern. Es ist jetzt an der Landesregierung und den Fraktionen von SPD und CDU, einen entsprechend wirksamen Gesetzesvorschlag durch den Landtag zu bringen. Am einfachsten wäre es, sie würde unser fachlich und juristisch präzise ausformuliertes Gesetz zum Volksbegehren umsetzen. Solange kein wirksames Gesetz vorliegt, sammeln wir weiter Unterschriften für das Volksbegehren Artenvielfalt. Jetzt!
Rogate: Vielen Dank, Herr Janßen, für das Gespräch!
Weitere Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de
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Eine Auswahl der nächsten (geplanten) Rogate-Termine finden Sie hier:

- Donnerstag, 27. August 2020| 19:00 Uhr, „Wangerlandsofa? Hör mal zu!“. Ort: Walter-Spitta-Haus, Lange Straße 60, 26434 Hooksiel.
- Sonntag, 27. September 2020 | 10:00 Uhr, Ökumenische Eucharistie zum St. Michaelisfest und zum Monat der Diakonie. Liturgie: Dekan Ulf-Martin Schmidt, Alt-katholische Gemeinde Berlin u.a.. Ort: Zwölf-Apostel-Kirche.
- Sonnabend, 3. Oktober 2020 | 15:00 Uhr, Gottesdienst für Mensch und Tier zum Franziskustag. Predigt: Prof. Dr. Julia Enxing, Dresden. Ort: Zwölf-Apostel-Kirche Berlin-Schöneberg.