Fünf Fragen an Christiane Schulz, Leiterin des Regionalbüros von „Brot für die Welt“ (BfdW) in Costa Rica, zu vielfältigen Visionen von Armut, lokalen Massnahmen gegen die Klimafolgen und die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine für Mittelamerika. Ein Interview von Florian Wiese im Rahmen des Rogate-Demokratieprojekts „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“.
Dr. Christiane Schulz ist Politikwissenschaftlerin und leitet die Verbindungsstelle von BfdW in Costa Rica seit Anfang 2018. Zuvor war sie beim Deutschen Institut für Menschenrechte verantwortlich für das Programm „Schutz vor gewaltsamem Verschwindenlassen“. Ihr geographischer Schwerpunkt liegt in Lateinamerika, ihr inhaltlicher Schwerpunkt bei den Menschenrechten.
Rogate-Frage: Sie arbeiten für „Brot für die Welt“. Was hat Sie in das Berufsfeld Entwicklungszusammenarbeit und schließlich nach Costa Rica geführt?
Christiane Schulz: Das Gewaltniveau in mehreren Ländern Zentralamerika zählt weltweit zu den Höchsten. Politische Entscheidungsträger agieren in unterschiedlichen Konstellationen mit Banden der organisierten Kriminalität und den wirtschaftlichen Eliten. Die in diesem Kontext entstehenden sozialen Konflikte werden seit Jahren gewaltsam unterdrückt. Vor Ort ansässige regional tätige Partnerorganisationen und die politische Stabilität in Costa Rica bieten das geeignete Umfeld, um von hier aus in den Ländern Guatemala, El Salvador, Honduras und Nicaragua zu arbeiten. Wir können dank der regionalen Nähe und Präsenz eng mit der hiesigen Zivilgesellschaft zusammen arbeiten. Ich habe bereits Anfang der 1990er Jahre Menschenrechtsarbeit in Guatemala geleistet und auch in den Folgejahren lag mein Arbeitsschwerpunkt in Lateinamerika. Nun habe ich die Möglichkeit der direkten Zusammenarbeit mit der hiesigen Zivilgesellschaft in ganz Zentralamerika und gleichzeitig übernehmen wir als regionale Verbindungsstelle von Brot für die Welt eine Brückenfunktion für die Anliegen der Partner nach Deutschland.
Rogate-Frage: Wie definieren Sie Entwicklungszusammenarbeit und welche Ziele verfolgt „Brot für die Welt“ damit konkret?
Christiane Schulz: Entwicklungszusammenarbeit beinhaltet vor allem das Schaffen von gleichberechtigten Zugängen zu Ernährung, Wohnraum, Gesundheit, Bildung – also zu einem menschenwürdigen Leben ohne Armut. Dabei gilt es die vielfältigen Dimensionen von Armut aufzuheben. Die Möglichkeiten, Veränderungen im Sinne der Betroffenen herbeizuführen, sind vielfältig und je nach Kontext unterschiedlich. In Guatemala beispielsweise fördert Brot für die Welt den Aufbau dezentraler kommunaler Minikraftwerke und sichert so eine Minimalversorgung mit Strom in entlegenen ländlichen Regionen. In El Salvador liegt ein Schwerpunkt der partnerschaftlichen Kooperation in der nachhaltigen Ressourcennutzung und Umsetzung agrarökologischer Praktiken. In Honduras begleitet eine Frauenorganisation Arbeiter*innen aus Teilfertigungsfabriken (Maquiladoras), um arbeitsrechtliche und gesundheitliche Missstände zu beheben. Wichtig ist neben der Umsetzung lokaler Maßnahmen vor Ort die regionale und überregionale Zusammenarbeit, um beispielsweise die Folgen des Klimawandels zu bearbeiten.
Rogate-Frage: Was genau macht eine „Brot für die Welt“-Verbindungsstelle und insbesondere Ihr Büro in Costa Rica?
Christiane Schulz: Die Verbindungsstelle von Brot für die Welt begleitet in Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua und Costa Rica Partnerorganisationen. Das heißt wir führen den Dialog mit den Nicht-Regierungsorganisationen, bearbeiten die eingehenden Anträge und stehen während der Projektumsetzung in einem regelmäßigen Austausch mit den Partnerorganisationen. Maßnahmen der Rechenschaftslegung sichern die Transparenz über die Verwendung der Projektgelder. Wir unterstützen lokale Organisationen im Rahmen der finanziellen Förderung als auch der personellen Förderung, das heißt der Entsendung von Fachkräften. Zudem begleitet das Büro die lokalen Organisationen inhaltlich. Aktuell bearbeiten wir gemeinsam mit Partnerorganisationen vier inhaltliche Themenbereiche: Klimawandel, Migration, Schutz für Menschenrechtsverteidiger*innen, sowie der zunehmend eingeschränkte Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft.
Rogate-Frage: Welche Art Projekte begleiten Sie aktuell in Zentralamerika und welche Ziele sollen erreicht werden?
Christiane Schulz: Der zentralamerikanische Kontext ist aktuell von vielfältigen Armutsproblematiken, gravierenden Folgen durch den Klimawandel bei einem gleichzeitig stark eingeschränktem Handlungsspielraum für zivilgesellschaftliche Akteure geprägt. Unter diesen Bedingungen sind insbesondere Maßnahmen wichtig, die die Ernährungssicherheit der Bevölkerung sichern, Aktivitäten zum Schutz vor Klimawandel und Menschenrechtsarbeit. Diese drei Bereiche stehen in einem engen Zusammenhang miteinander. Nur eine Überwindung der Armutsproblematik bietet der Bevölkerung auch mittel- und langfristige Perspektiven. Leider sind gerade jene, die sich an demokratischen Gestaltungsprozessen beteiligen und sich für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte einsetzen, besonders häufig von Übergriffen durch staatliche oder private Akteure bedroht. Neben der lokalen Verbesserung der Lebenssituation muss es also auch darum gehen, sicher zu stellen, dass die Betroffenen aktiv und ohne Sorge um Leib und Leben an den entsprechenden politischen Prozessen zur Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens beteiligt sein können.
Rogate-Frage: Wie hat sich Ihr Arbeit vor Ort und die der von Ihnen betreuten Projekte durch die Corona-Pandemie und Russlands Angriffskrieg geändert und wird sich die Entwicklungszusammenarbeit durch diese multiplen Krisen verändern?
Christiane Schulz: Die Bevölkerung Zentralamerikas und jeweiligen Organisationen vor Ort waren und sind vielfältig von der Corona-Pandemie betroffen. Erstens ist das staatliche Gesundheitswesen hier schlecht ausgebaut. Es gab weder Desinfektionsmittel noch medizinische Masken, um sich vor der Ansteckung zu schützen. Der Zugang zu einer Behandlung im Krankheitsfall war und ist für die Bevölkerungsmehrheit nicht sichergestellt. Entsprechend hoch sind auch die Todesfälle, besonders in Guatemala. Hier sind über 18.000 an COVID Erkrankte verstorben. Zweitens gab es in fast allen Ländern der Region repressive Maßnahmen unter dem Vorwand die Pandemie einzuschränken: Personen die sich angeblich ohne Berechtigung im auf der Straße bewegten, wurden willkürlich in sogenannte Quarantänelager gesteckt, die Hafteinrichtungen glichen. Viele Menschen verloren ihren Arbeitsplatz. Während der Pandemie verwüsteten zudem im November 2020 zwei Tropenstürme weite Landstriche von Nicaragua und Honduras sowie in Guatemala. Die Infrastruktur, Straßen, Brücken, Krankenhäuser, Schulen, Wohnraum wurde ebenso zerstört wie die Ernte. Die Schäden sind bis heute nicht behoben.
Diese prekäre Situation wird durch die Folgen des Angriffskrieges von Russland auf die Ukraine weiter verschärft. Lieferengpässe sowohl für Industriegüter als auch für Düngemittel verschlechtern die wirtschaftliche Situation. Die Inflationsraten sind seit Beginn der Pandemie extrem gestiegen. Für weite Teile der Bevölkerung in Zentralamerika bedeutet dies, dass sie Hunger leiden und unter den vielfältigen Folgen von Armut leiden.
Rogate: Vielen Dank, Frau Schulz, für das Gespräch!
Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.
Willkommen zu unseren nächsten Rogate-Gottesdiensten und Terminen:
- Freitag, 15. Juli 2022 | 19:30 Uhr, „Wenn ich ein Engel wäre, dann….“, ökumenischer Eröffnungsgottesdienst zum 28. lesbisch-schwulen Stadtfest Berlin. Predigt: Pfarrer_in Anna Trapp, Evangelischer Pfarrsprengel Bad Wilsnack. Mitwirkende: Christopher Schreiber (Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg e.V.), Dekan Ulf-Martin Schmidt (Alt-katholische Pfarrgemeinde Berlin), Pfarrer Burkhard Bornemann (Evangelische Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde) und Br. Franziskus (Rogate-Kloster). Ort: Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, Berlin-Schöneberg.
- Dienstag, 26. Juli 2022 | 18:00 Uhr, ökumenisches Friedensgebet anlässlich des Überfalls Russlands auf die Ukraine. Die Friedensgebete werden getragen von den Gemeinden der St. Willehad-Gemeinde, der Neuapostolischen Kirche, der Banter Kirche und der Luther-Kirche, der Caritas im Dekanat Wilhelmshaven, dem Diakonischen Werk Friesland-Wilhelmshaven und dem Rogate-Kloster Sankt Michael. Ort: St. Willehadkirche, Bremer Straße 53, 26382 Wilhelmshaven.
- Sonntag 31. Juli 2022 | 10:00 Uhr, Eucharistie. Predigt: Br. Franziskus. Ort: Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, Berlin-Schöneberg.
- Sonntag, 4. September 2022 | 10:00 Uhr, Eucharistie. Predigt: Br. Franziskus. Ort: Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, Berlin-Schöneberg.
