Fünf Fragen an: Christiane Schulz, Brot für die Welt

Fünf Fragen an Christiane Schulz, Leiterin des Regionalbüros von „Brot für die Welt“ (BfdW) in Costa Rica, zu vielfältigen Visionen von Armut, lokalen Massnahmen gegen die Klimafolgen und die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine für Mittelamerika. Ein Interview von Florian Wiese im Rahmen des Rogate-Demokratieprojekts „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“.

Christiane Schulz, Brot für die Welt (Bild: privat)

Dr. Christiane Schulz ist Politikwissenschaftlerin und leitet die Verbindungsstelle von BfdW in Costa Rica seit Anfang 2018. Zuvor war sie beim Deutschen Institut für Menschenrechte verantwortlich für das Programm „Schutz vor gewaltsamem Verschwindenlassen“. Ihr geographischer Schwerpunkt liegt in Lateinamerika, ihr inhaltlicher Schwerpunkt bei den Menschenrechten.

Rogate-Frage: Sie arbeiten für „Brot für die Welt“. Was hat Sie in das Berufsfeld Entwicklungszusammenarbeit und schließlich nach Costa Rica geführt?

Christiane Schulz: Das Gewaltniveau in mehreren Ländern Zentralamerika zählt weltweit zu den Höchsten. Politische Entscheidungsträger agieren in unterschiedlichen Konstellationen mit Banden der organisierten Kriminalität und den wirtschaftlichen Eliten. Die in diesem Kontext entstehenden sozialen Konflikte werden seit Jahren gewaltsam unterdrückt. Vor Ort ansässige regional tätige Partnerorganisationen und die politische Stabilität in Costa Rica bieten das geeignete Umfeld, um von hier aus in den Ländern Guatemala, El Salvador, Honduras und Nicaragua zu arbeiten. Wir können dank der regionalen Nähe und Präsenz eng mit der hiesigen Zivilgesellschaft zusammen arbeiten. Ich habe bereits Anfang der 1990er Jahre Menschenrechtsarbeit in Guatemala geleistet und auch in den Folgejahren lag mein Arbeitsschwerpunkt in Lateinamerika. Nun habe ich die Möglichkeit der direkten Zusammenarbeit mit der hiesigen Zivilgesellschaft in ganz Zentralamerika und gleichzeitig übernehmen wir als regionale Verbindungsstelle von Brot für die Welt eine Brückenfunktion für die Anliegen der Partner nach Deutschland.

Rogate-Frage: Wie definieren Sie Entwicklungszusammenarbeit und welche Ziele verfolgt „Brot für die Welt“ damit konkret?

Christiane Schulz: Entwicklungszusammenarbeit beinhaltet vor allem das Schaffen von gleichberechtigten Zugängen zu Ernährung, Wohnraum, Gesundheit, Bildung – also zu einem menschenwürdigen Leben ohne Armut. Dabei gilt es die vielfältigen Dimensionen von Armut aufzuheben. Die Möglichkeiten, Veränderungen im Sinne der Betroffenen herbeizuführen, sind vielfältig und je nach Kontext unterschiedlich. In Guatemala beispielsweise fördert Brot für die Welt den Aufbau dezentraler kommunaler Minikraftwerke und sichert so eine Minimalversorgung mit Strom in entlegenen ländlichen Regionen. In El Salvador liegt ein Schwerpunkt der partnerschaftlichen Kooperation in der nachhaltigen Ressourcennutzung und Umsetzung agrarökologischer Praktiken. In Honduras begleitet eine Frauenorganisation Arbeiter*innen aus Teilfertigungsfabriken (Maquiladoras), um arbeitsrechtliche und gesundheitliche Missstände zu beheben. Wichtig ist neben der Umsetzung lokaler Maßnahmen vor Ort die regionale und überregionale Zusammenarbeit, um beispielsweise die Folgen des Klimawandels zu bearbeiten.

Rogate-Frage: Was genau macht eine „Brot für die Welt“-Verbindungsstelle und insbesondere Ihr Büro in Costa Rica?

Christiane Schulz: Die Verbindungsstelle von Brot für die Welt begleitet in Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua und Costa Rica Partnerorganisationen. Das heißt wir führen den Dialog mit den Nicht-Regierungsorganisationen, bearbeiten die eingehenden Anträge und stehen während der Projektumsetzung in einem regelmäßigen Austausch mit den Partnerorganisationen. Maßnahmen der Rechenschaftslegung sichern die Transparenz über die Verwendung der Projektgelder. Wir unterstützen lokale Organisationen im Rahmen der finanziellen Förderung als auch der personellen Förderung, das heißt der Entsendung von Fachkräften. Zudem begleitet das Büro die lokalen Organisationen inhaltlich. Aktuell bearbeiten wir gemeinsam mit Partnerorganisationen vier inhaltliche Themenbereiche: Klimawandel, Migration, Schutz für Menschenrechtsverteidiger*innen, sowie der zunehmend eingeschränkte Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft.

Rogate-Frage: Welche Art Projekte begleiten Sie aktuell in Zentralamerika und welche Ziele sollen erreicht werden?

Christiane Schulz: Der zentralamerikanische Kontext ist aktuell von vielfältigen Armutsproblematiken, gravierenden Folgen durch den Klimawandel bei einem gleichzeitig stark eingeschränktem Handlungsspielraum für zivilgesellschaftliche Akteure geprägt. Unter diesen Bedingungen sind insbesondere Maßnahmen wichtig, die die Ernährungssicherheit der Bevölkerung sichern, Aktivitäten zum Schutz vor Klimawandel und Menschenrechtsarbeit. Diese drei Bereiche stehen in einem engen Zusammenhang miteinander. Nur eine Überwindung der Armutsproblematik bietet der Bevölkerung auch mittel- und langfristige Perspektiven. Leider sind gerade jene, die sich an demokratischen Gestaltungsprozessen beteiligen und sich für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte einsetzen, besonders häufig von Übergriffen durch staatliche oder private Akteure bedroht. Neben der lokalen Verbesserung der Lebenssituation muss es also auch darum gehen, sicher zu stellen, dass die Betroffenen aktiv und ohne Sorge um Leib und Leben an den entsprechenden politischen Prozessen zur Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens beteiligt sein können.

Rogate-Frage: Wie hat sich Ihr Arbeit vor Ort und die der von Ihnen betreuten Projekte durch die Corona-Pandemie und Russlands Angriffskrieg geändert und wird sich die Entwicklungszusammenarbeit durch diese multiplen Krisen verändern?

Christiane Schulz: Die Bevölkerung Zentralamerikas und jeweiligen Organisationen vor Ort waren und sind vielfältig von der Corona-Pandemie betroffen. Erstens ist das staatliche Gesundheitswesen hier schlecht ausgebaut. Es gab weder Desinfektionsmittel noch medizinische Masken, um sich vor der Ansteckung zu schützen. Der Zugang zu einer Behandlung im Krankheitsfall war und ist für die Bevölkerungsmehrheit nicht sichergestellt. Entsprechend hoch sind auch die Todesfälle, besonders in Guatemala. Hier sind über 18.000 an COVID Erkrankte verstorben. Zweitens gab es in fast allen Ländern der Region repressive Maßnahmen unter dem Vorwand die Pandemie einzuschränken: Personen die sich angeblich ohne Berechtigung im auf der Straße bewegten, wurden willkürlich in sogenannte Quarantänelager gesteckt, die Hafteinrichtungen glichen. Viele Menschen verloren ihren Arbeitsplatz. Während der Pandemie verwüsteten zudem im November 2020 zwei Tropenstürme weite Landstriche von Nicaragua und Honduras sowie in Guatemala. Die Infrastruktur, Straßen, Brücken, Krankenhäuser, Schulen, Wohnraum wurde ebenso zerstört wie die Ernte. Die Schäden sind bis heute nicht behoben.

Diese prekäre Situation wird durch die Folgen des Angriffskrieges von Russland auf die Ukraine weiter verschärft. Lieferengpässe sowohl für Industriegüter als auch für Düngemittel verschlechtern die wirtschaftliche Situation. Die Inflationsraten sind seit Beginn der Pandemie extrem gestiegen. Für weite Teile der Bevölkerung in Zentralamerika bedeutet dies, dass sie Hunger leiden und unter den vielfältigen Folgen von Armut leiden.

Rogate: Vielen Dank, Frau Schulz, für das Gespräch!

Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.


Willkommen zu unseren nächsten Rogate-Gottesdiensten und Terminen:

  • Freitag, 15. Juli 2022 | 19:30 Uhr, „Wenn ich ein Engel wäre, dann….“, ökumenischer Eröffnungsgottesdienst zum 28. lesbisch-schwulen Stadtfest Berlin. Predigt: Pfarrer_in Anna Trapp, Evangelischer Pfarrsprengel Bad Wilsnack. Mitwirkende: Christopher Schreiber (Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg e.V.), Dekan Ulf-Martin Schmidt (Alt-katholische Pfarrgemeinde Berlin), Pfarrer Burkhard Bornemann (Evangelische Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde) und Br. Franziskus (Rogate-Kloster). Ort: Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, Berlin-Schöneberg.
  • Dienstag, 26. Juli 2022 | 18:00 Uhr, ökumenisches Friedensgebet anlässlich des Überfalls Russlands auf die Ukraine. Die Friedensgebete werden getragen von den Gemeinden der St. Willehad-Gemeinde, der Neuapostolischen Kirche, der Banter Kirche und der Luther-Kirche, der Caritas im Dekanat Wilhelmshaven, dem Diakonischen Werk Friesland-Wilhelmshaven und dem Rogate-Kloster Sankt Michael. Ort: St. Willehadkirche, Bremer Straße 53, 26382 Wilhelmshaven.
  • Sonntag 31. Juli 2022 | 10:00 Uhr, Eucharistie. Predigt: Br. Franziskus. Ort: Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, Berlin-Schöneberg.
  • Sonntag, 4. September 2022 | 10:00 Uhr, Eucharistie. Predigt: Br. Franziskus. Ort: Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, Berlin-Schöneberg.

Fünf Fragen an: Dr. Dagmar Pruin, Präsidentin Brot für die Welt

Fünf Freitagsfragen an Pfarrerin Dr. Dagmar Pruin, Präsidentin Brot für die Welt, über eine politische Kirche, die Folgen der Coronakrise im Globalen Süden und Erinnerungen an eine orangene Dose. Ein Interview im Rahmen des Rogate-Demokratieprojekts „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“.

Präsidentin Dr. Dagmar Pruin (Bild: Brot für die Welt)

Pfarrerin Dagmar Pruin leitet seit März 2021 die evangelischen Hilfswerke Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe. Zuvor war die evangelische Theologin von 2013 bis 2020 Geschäftsführerin der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) und bereits seit 2007 auch Direktorin des deutsch-amerikanisch-jüdischen Begegnungsprogramms Germany Close Up (GCU). Schwerpunkte ihrer bisherigen Arbeit waren Fragen nach Begegnung und Versöhnung, nach der Verhältnisbestimmung von Religion und Politik, die christliche Friedensarbeit, der interreligiöse Dialog in internationaler Perspektive und der christliche Antisemitismus.

Dagmar Pruin wurde 1970 in Leer in Ostfriesland geboren und studierte Evangelische Theologie in Hamburg, Göttingen und Berlin und Jüdische Studien an der Hebräischen Universität Jerusalem. Von 1998 bis 2006 war sie an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität in Berlin wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Rüdiger Liwak für Altes Testament und Geschichte Israel, unterrichtete im Grund- und Hauptstudium an der Theologischen Fakultät und in den Gender Studies und leitete Exkursionen in den Nahen Osten. 

Nach ihrer Promotion im Fach Altes Testament im Jahr 2004 führten sie Studienaufenthalte und Lehrtätigkeiten nach Jerusalem, Tel Aviv, Washington DC und Stellenbosch (Südafrika). Als Gründungsmitglied des Forschungsbereichs „Religion und Politik“ an der Humboldt-Universität leitete sie Konferenzen in Berlin, Brüssel und Washington, DC. 2007 konzipierte sie das Programm Germany Close Up an der Stiftung Neue Synagoge Berlin / Centrum Judaicum, welches mit Beginn ihrer Geschäftsführungstätigkeit dort dann zu Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) wechselte.

Nach einem berufsbegleitenden Vikariat ist Dagmar Pruin seit 2014 ordinierte Pfarrerin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). Sie lebt in Kreuzberg, ist verheiratet und Mutter zweier Kinder.

Rogate-Frage: Frau Präsidentin Dr. Pruin, wann haben Sie zum erstmals von „Brot für die Welt“ gehört? Und was ist Ihnen vom ersten Eindruck in Erinnerung geblieben?

Dagmar Pruin: Im Kindergottesdienst! Wir haben immer etwas in die orangene Dose getan und kurz vor Weihnachten wurde dann bei uns zu Hause gezählt – meine Mutter war aktiv im Kindergottesdienst. Die Dosen wurden dann bei uns zu Hause geleert, die Münzen sortiert und dann in Geldrollen zur Bank gebracht. Ich fand das sehr spannend und für mich waren das unglaubliche Summen, die da auf dem Tisch lagen. Meine Eltern haben mir dann versucht zu erklären, wie unterschiedlich nicht nur das Geld, sondern gerade auch die Nahrungsmittel verteilt sind und dass es Kinder gibt, die nie genug zu essen haben und nicht in die Schule gehen können. Da wurde dann bei uns am Küchentisch der Blick auf die Welt viel weiter – das sind meine ersten Erinnerungen.

Rogate-Frage: Sie haben in Ihrer Vita durchaus häufiger die Felder Religion und Politik intensiv engagiert betrachtet. Wie politisch müssen Kirche und deren Werke heute sein?

Dagmar Pruin: Kirche ist politisch, auf jeden Fall, und die kirchlichen Entwicklungswerke ebenfalls. Es gibt den christlichen Auftrag, die Welt, in der wir leben, zu gestalten. Was das aber in den jeweils unterschiedlichen Situationen für politisches Handeln heißt, das muss dann immer wieder neu erfasst werden – auch in der konstruktiven Auseinandersetzung.

So brachte der Ökumenische Rat der Kirchen in den 1980er Jahren den „Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ auf den Weg. Darin setzte er Gerechtigkeit, Frieden und Umweltschutz in einen Zusammenhang, wie dies auch die 2015 von den Vereinten Nationen beschlossenen Nachhaltigen Entwicklungsziele tun. Diese Impulse werden in vielen Ländern umgesetzt. Kirchen und ihre Werke übernehmen – hier und weltweit –  wesentliche Aufgaben.  Ob Armutsbekämpfung, Ernährungssicherung, Anpassung an den Klimawandel, Bildung, medizinische Versorgung oder Stärkung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte: Bei all diesen drängenden Themen sind Partnerorganisationen von Brot für die Welt gefragt. Und wir setzen dies gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen auch in der politischen Arbeit um.

Rogate-Frage: Wie sehr hat die Coronapandemie die Arbeit von „Brot für die Welt“ verändert? Welche Herausforderungen muss die Organisation schultern und wie nehmen Sie die Situation der weltweiten Projektpartner wahr?

Dagmar Pruin: Corona hat die Arbeit von Brot für die Welt stark verändert – wir haben sehr schnell umgestellt auf mobiles Arbeiten und Home Office, und wir haben Dienstreisen bis auf wenige Ausnahmen eingestellt. Verändert hat sich vor allem auch die Arbeit unserer Partnerorganisationen: Sie konnten nicht mehr zu den Projekten reisen und mussten ebenfalls auf digitale Kommunikation umstellen. 

Die Corona-Pandemie hat die Menschen im Globalen Süden hart getroffen und zu mehr Armut und Hunger geführt. Unsere Projektpartner haben immer wieder berichtet, wie die Lockdowns, die notwendig und richtig waren, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern, zugleich vielen Menschen die Einkommen genommen haben. Die Pandemie hat die Menschen zurückgeworfen; wenn etwa Schulen geschlossen waren und es keine Schulmahlzeiten mehr gab, hat der Hunger zugenommen. Wir haben daher mit unseren Partnern wo immer möglich geholfen: mit Aufklärung über die Ansteckungswege, Hygienesets, mit Lebensmittelpaketen, der Einrichtung von kleinen Krankenstationen bis hin zu Sauerstoffkonzentratoren. Mein Eindruck ist, dass unsere Partner hier schnell, flexibel und kreativ Hilfe geleistet haben.

Rogate-Frage: Welche Auswirkungen hat Corona auf die Spendeneingänge sowie auf die Kollekten für Brot für die Welt in den Landes- und Freikirchen? Falls es zu geringeren Einnahmen kam/kommt, wie geht Brot für die Welt damit um?

Wir sind sehr dankbar, dass die Spendenbereitschaft in den vergangenen beiden Jahren hoch war. Angesichts der Pandemie, die auch bei uns zu wirtschaftlichen Einbrüchen geführt hat, war das keinesfalls selbstverständlich. Es hat sich jedoch gezeigt, dass viele langjährige, aber auch viele neue Spenderinnen und Spender die Arbeit von Brot für die Welt gerade wegen der gravierenden Pandemie-Folgen in den Ländern des Globalen Südens unterstützt haben. Für dieses Vertrauen sind wir überaus dankbar. Anders sieht es bei den Kollekten aus. Aufgrund der Corona-Auflagen konnten Gottesdienste nicht in gewohnter Form stattfinden und auch Kollekten nicht gesammelt werden. Gerade die Kollekten der Weihnachtsgottesdienste, vor allem an Heiligabend, sind traditionell für Brot für die Welt bestimmt. Hier haben wir deutliche Rückgänge zu verzeichnen. Deshalb haben wir alternative Wege zur traditionellen Kollekte aufgezeigt: als digitale Kollekte, im Spendentütchen oder als Überweisung. Wir hoffen sehr, dass viele Menschen dieses Angebot annehmen. 

Rogate-Frage: Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung steht unter neuer Leitung. Welche Wünsche haben Sie an die Politik der Ampelkoalition und der Regierung?

Dagmar Pruin: Wir alle wissen: Die Corona-Pandemie können wir nur global besiegen. Angesichts der anhaltenden Pandemie-Lage und des Impfstoffmangels in den ärmeren Ländern wünschen wir uns deshalb ein klares Signal der neuen Bundesregierung für die Unterstützung der zeitlich begrenzten Aussetzung der geistigen Eigentumsrechte auf Impfstoffe. Ein solcher sogenannter Waiver wird seit mehr als einem Jahr von über 100 Staaten bei der Welthandelsorganisation nachdrücklich gefordert. Leider spricht die Ampelkoalition nur von „freiwilligen Produktionspartnerschaften“. Diese werden nicht reichen, um der in Armut lebenden Mehrheit der Weltbevölkerung Zugang zu Impfstoffen zu verschaffen.

Wir wünschen uns auch, dass die neue Bundesregierung die Überwindung von Hunger und Armut in der Welt entschiedener angeht. Das wird mit Blick auf die dramatischen Folgen, die der Ukrainekrieg hat und haben wird, umso dringender. Positiv sehen wir, dass agrarökologische Ansätze im Kampf gegen den wachsenden Hunger gestärkt werden sollen. Bei der Anpassung an den Klimawandel und der Frage des Umgangs mit den Schäden und Verlusten, die viele besonders verletzliche Staaten infolge des Klimawandels bereits jetzt erleiden, wünschen wir uns deutlich mehr Engagement.

Rogate: Vielen Dank, Präsidentin Pruin, für das Gespräch!

Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.


Willkommen zu unseren nächsten Rogate-Gottesdiensten und Terminen:

  • Dienstag, 22. März 2022 | 18:00 Uhr, ökumenisches Friedensgebet anlässlich des Überfalls Russlands auf die Ukraine. Der Alterspräsident des Rates der Stadt Wilhelmshaven, Uwe Reese, spricht. Intervention: Pastorin Doris Möllenberg (Lutherkirche). Liturgie: Pfarrer Kinzinger (Sankt Willehad), Bezirksevangelist Eike Rosentreter (Neuapostolische Kirche Wilhelmshaven) und Bruder Franziskus (Rogate-Kloster). Orgel: Herr Pude (Neuapostolische Kirche Wilhelmshaven). Diakon Dr. Michael und Gemeindechor von St. Maria und St. Mauritius (Koptisch-orthodoxe Kirchengemeinde Wilhelmshaven). Die Friedensgebete werden getragen von der St. Willehad-Gemeinde, der Neuapostolischen Gemeinde Wilhelmshaven, der Caritas Wilhelmshaven, dem Diakonischen Werk Friesland-Wilhelmshaven, Banter Kirche, der Luther-Kirche und dem Rogate-Kloster Sankt Michael. Ort: St. Willehadkirche, Bremer Straße 53, 26382 Wilhelmshaven.
  • Donnerstag, 24. März 2022 | 19:30 Uhr, Ökumenische Klimakanzel mit Dr. Melanie Janßen-Kim, Scientists for Future Wilhelmshaven-Friesland. Mitwirkende Liturgie: Pastor Thorsten Harland, (Stadtkirche Jever) und Br. Franziskus (Rogate-Kloster). Weitere Beteiligte: Diakon Dr. Michael und Gemeindechor von St. Maria und St. Mauritius (Koptisch-orthodoxe Kirchengemeinde Wilhelmshaven) Musik: Posaunenchor Jever unter der Leitung von Kreiskantor Klaus Wedel (Stadtkirche Jever). Ort: Stadtkirche Jever, Am Kirchplatz 28, 26441 Jever.

Das Rogate-Kloster sammelt in Wilhelmshaven für Brot für die Welt. In diesen Geschäften finden Spendendosen:

  • Kurvenhaven, Der Plus-Size-Store, Marktstraße 29, 26382 Wilhelmshaven-Innenstadt,
  • MORGÆN Café, Marktstrasse 95 (West), 26382 Wilhelmshaven-Innenstadt,
  • beans-parc-coffee, Marktstr. 56, 26382 Wilhelmshaven-Innenstadt,
  • Pomm Port, Marktstr., 26382 Wilhelmshaven-Innenstadt,
  • Senfonie, Wilhelmshavener Senfmanufaktur Grunwald und Ernst GbR, Rheinstraße 31, 26382 Wilhelmshaven-Südstadt,
  • Naturata Bioladen Wilhelmshaven, Gökerstraße 58, 26384 Wilhelmshaven-Tonndeich/Heppens,
  • Cafè Freiblock, Marienstraße 12, 26382 Wilhelmshaven-Südstadt,
  • Apotheke Alte Post, Ebertstr. 84, 26382 Wilhelmshaven-Südstadt,
  • Dorfladen zur Mühle in Sengwarden, Hauptstraße 67, 26388 Wilhelmshaven,
  • Kiosk am Südkiez, Rheinstraße 48, 26382 Wilhelmshaven-Südstadt.

Fünf Fragen an: Erik Flügge, Katholik, Sozialdemokrat und Bestseller-Autor

Fünf Fragen an Erik Flügge, Geschäftsführer Squirrel & Nuts – Gesellschaft für strategische Beratung, über Egoismus, Gemeinsinn und eine problematische Verschleierung von Interessen in der Kirche. Ein Interview von Florian Wiese im Rahmen des Rogate-Demokratieprojekts „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“.

Erik Flügge (Bild: Ruprecht Stempell)

Erik Flügge ist Katholik, Sozialdemokrat und Bestseller-Autor. In seinem gesellschaftlichen Engagement wirbt er dafür, Verfahren und Strukturen so zu verändern, dass man mit einer Ellenbogenmentalität nicht gewinnen kann. Er schrieb das Buch „Egoismus – Wie wir dem Zwang entkommen, anderen zu schaden“ im Dietz-Verlag.

Rogate-Frage: Herr Flügge, wie definieren Sie Egoismus und was hat das mit dem Zwang zu tun, anderen zu schaden?

Erik Flügge: Egoismus ist eine ganz natürliche Eigenschaft des Menschen. Der Gegenwert zum Gemeinschaftsinteresse. Wir drehen uns zum Teil um andere und zum Teil um uns selbst. Aber die Abmischung beider Impulse wird beeinflusst durch die Gesellschaft in der wir leben. In einer Gesellschaft, die Kooperation notwendig macht, steigt der Gemeinsinn. Eine Gesellschaft, die den Individualismus betont, steigt der Egoismus. Unsere Gesellschaft betont den Individualismus massiv. 

Rogate-Frage: Gibt es einen gesunden Egoismus? Wann fängt dieser an, schädlich zu werden?

Erik Flügge: Selbstverständlich gibt es einen gesunden Egoismus. Er ist ein Antrieb zur Höchstleistung. Wer selbst etwas für sich erreichen will, wer nicht immer nur auf andere Rücksicht nimmt, wer nicht immer alles genau gleich macht wie alle anderen, der kommt voran. Zum Problem wird dieser Antrieb, wenn alle nur noch diesen Antrieb leben und kaum noch Rücksicht nehmen. In genau so einer Gesellschaft leben wir heute und deshalb haben auch so viele Menschen das Gefühl, dass der Egoismus immer mehr zunimmt. Dieses Gefühl ist die Summe aller Einzelindividualismen. 

Rogate-Frage: Sie sind ein kritischer Beobachter der Lebenswirklichkeit von Kirche. Gibt es in der Religion und in den Kirchen auch Formen von Egoismus und wie äußern sich diese?

Erik Flügge: In der Kirche mangelt es wahrlich nicht an Egoismen. Wenn Leute finden, dass eine bestimmte Kirchenbank nur ihnen gehört. Wenn einzelne Kleriker meinen, dass für sie keine Regeln gelten. Wenn Gemeinden nur an sich denken statt an die ganze Kirchengemeinde. Überall wo man das Interesse des Gegenübers nicht mehr zulässt, da herrscht der Geist des Egoismus. 

Rogate-Frage: Sie sind Mitglied einer Partei. Ist die Arbeit dort von Egoismus geprägt? Wie nehmen Sie diesen dort wahr und wie äußert er sich?

Erik Flügge: In Parteien gibt es nach meiner Erfahrung nicht mehr oder weniger Egoismus als in der Kirche. Der Unterschied ist nur, dass man klarer mit persönlichen Interessen umgeht. In der Politik kann man sagen: „Ich will diesen Posten!“ In der Kirche muss so tun, als ob man ihn gar nicht wollte, obwohl man ihn unbedingt haben will. Das ändert aber nichts daran, dass man den Posten will. Es entsteht nur eine problematische Verschleierung der Interessen. 

Rogate-Frage: Wie gehen Sie selbst mit Egoismen in Ihrem privaten Umfeld um? Sind Sie dort genauso kritisch wie in Ihrer Arbeit?

Erik Flügge: Zuerst einmal muss ich nicht in meinem Umfeld kritisch mit Egoismus umgehen, sondern auch bei mir selbst. Ich bin genauso wenig vor Egoismus gefeit wie jeder andere auch. Das über sich selbst zu wissen, ist das Fundament, auf dem man agieren sollte. Weil ich weiß, dass ich genauso anfällig bin wie mein Umfeld, kann ich Verfahren so gestalten, dass sie für alle funktionieren: Einladungen, bei denen jeder etwas mitbringt. Gemeinsame Aktivitäten, bei denen man sich verständigt, wo die finanziellen Limits aller Beteiligten liegen. Aber auch das Werben in Büchern und Reden dafür, dass wir in unserer Gesellschaft mehr Verfahren einführen, die zur Kooperation zwingen, um Erfolg zu haben. So wird aus persönlichem Gewinnstreben etwas Gutes für alle. 

Rogate: Vielen Dank, Herr Flügge, für das Gespräch!

Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.


Willkommen zu unseren nächsten Rogate-Gottesdiensten und Terminen:

Wilhelmshaven, Niedersachsen:

  • Weltfrauentag, Dienstag, 8. März 2022 | 18:00 Uhr, ökumenisches Friedensgebet anlässlich des Überfalls Russlands auf die Ukraine. Bürgermeisterin Gesche Marxfeld wird als Vertreterin der Stadt Wilhelmshaven sprechen. Intervention: Pastorin Doris Möllenberg (Lutherkirche). Liturgie: Dechant Andreas Bolten (Sankt Willehad), Bezirksevangelisst Eike Rosentreter (Neuapostolische Kirche Wilhelmshaven) und Bruder Franziskus (Rogate-Kloster). Orgel: Gerrit Junge (Neuapostolische Kirche Wilhelmshaven). Diakon Dr. Michael und Gemeindechor von St. Maria und St. Mauritius (Koptisch-orthodoxe Kirchengemeinde Wilhelmshaven). Die Friedensgebete werden getragen von der St. Willehad-Gemeinde, der Neuapostolischen Gemeinde Wilhelmshaven, der Caritas Wilhelmshaven, dem Diakonischen Werk Friesland-Wilhelmshaven, Banter Kirche und dem Rogate-Kloster Sankt Michael. Ort: St. Willehadkirche, Bremer Straße 53, 26382 Wilhelmshaven.
  • Weltfrauentag, Dienstag, 15. März 2022 | 18:00 Uhr, ökumenisches Friedensgebet anlässlich des Überfalls Russlands auf die Ukraine. Intervention: Pastorin Doris Möllenberg (Lutherkirche). Liturgie: Dechant Andreas Bolten (Sankt Willehad), Bezirksevangelisst Eike Rosentreter (Neuapostolische Kirche Wilhelmshaven) und Bruder Franziskus (Rogate-Kloster). Orgel: Gerrit Junge (Neuapostolische Kirche Wilhelmshaven). Diakon Dr. Michael und Gemeindechor von St. Maria und St. Mauritius (Koptisch-orthodoxe Kirchengemeinde Wilhelmshaven). Die Friedensgebete werden getragen von der St. Willehad-Gemeinde, der Neuapostolischen Gemeinde Wilhelmshaven, der Caritas Wilhelmshaven, dem Diakonischen Werk Friesland-Wilhelmshaven, Banter Kirche und dem Rogate-Kloster Sankt Michael. Ort: St. Willehadkirche, Bremer Straße 53, 26382 Wilhelmshaven.

Jever, Friesland, Niedersachsen:

Berlin, Schöneberg:

Fünf Fragen an: Pater Dr. Jörg Alt, Hilfswerk Jesuitenweltweit

Fünf Fragen an Pater Jörg Alt, Jesuit, über die Idee einer Finanzaktionssteuer, heute illegales Abfallcontainern und ein christlicher Glaube, der die Welt ein Stück gerechter und besser machen will. Ein Interview im Rahmen des Rogate-Demokratieprojekts „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“.

P. Dr. Jörg Alt SJ (Bild: Jesuitenweltweit)

P. Dr. Jörg Alt SJ hat Abschlüsse in Philosophie, Theologie und Soziologie. Seine Themenbereiche sind Flucht, Migration, Steuergerechtigkeit, Sozialethik und Klimagerechtigkeit. Er wohnt in Nürnberg und ist Mitarbeiter in der Hochschulseelsorge und dem Hilfswerk Jesuitenweltweit.

Rogate-Frage: Herr Pater Dr. Alt, Sie gründeten und leiten die Kampagne „Steuer gegen Armut – Finanztransaktionssteuer“. Was verbirgt sich dahinter?

Jörg Alt: Als ich irgendwann nach der Weltfinanzkrise 2007/8 die Zeitung durchblätterte fiel mir auf, wie viel überall gespart wurde beziehungsweise allgemeine Steuern und Abgaben erhöht wurden, aber nirgendwo erkennbar war, wie Banken, Investoren und andere Finanzdienstleister an dem Schaden beteiligt werden, den sie verursacht hatten. Das empfand ich als empörend ungerecht – und einige andere auch.

Als wir dann von Stephan Schulmeister das Konzept der Finanztransaktionssteuer erfuhren, war die Kampagne klar: Den Banken und Finanzdienstleistern pro Transaktion eine kleine Gebühr abverlangen, und mit den so generierbaren Milliardenerlösen jenen helfen, die von der Auswirkung der Finanzkrise besonders hart getroffen wurden. Die Robin Hood Steuer also. Leider ist das, was an Guten selbst mit Unterstützung der Europäischen Kommission in Gang gekommen ist, inzwischen auf Betreiben von Deutschland und Frankreich eingeschlafen. Jetzt warten wir auf die nächste Finanzkrise, dann nehmen wir neuen Anlauf und dann werden wir uns wohl durchsetzen.

Rogate-Frage: Sie sind seit Jahrzehnten vielfältig politisch aktiv. Was treibt Sie um?

Jörg Alt: Meiner Meinung ist ein Glaube, der nicht zugleich die Welt ein Stück gerechter und besser macht, nicht viel wert. Das „Ordensparlament“ der Jesuiten, die Generalkongregation, hatte bereits 1974 festgelegt, dass für Jesuiten der Einsatz für Glaube und Gerechtigkeit miteinander verbunden werden muss. Das hat mich angesprochen. Deshalb bin ich Jesuit geworden.

Heute lautet der „Zehnjahresplan“ des Ordens bis 2030: 1. Eintreten für eine Verbindung zwischen Mensch und Gott/Exerzitien, 2. Für soziale Gerechtigkeit, 3. Für ökologische Nachhaltigkeit und 4. Für die Anliegen der Jugend der Welt. Auch dazu möchte ich meinen Beitrag leisten.

Rogate-Frage: Gegen Sie wird wegen eines „besonders schweren Falls von Diebstahl“ ermittelt. Was steckt dahinter?

Jörg Alt: Eine Gruppe, die sich „Aufstand der Letzten Generation“ nennt engagierte sich seit Herbst für einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln. Es kann nicht sein, so die Aktivisten, dass im Globalen Norden Lebensmittelüberproduktion, -verschwendung und -vernichtung herrscht, während 800 Millionen Menschen hungern. Und: Dass der Konsum des reichen Nordens Ackerflächen im Globalen Süden belegt, nur damit wir billige Steaks, Erdbeeren und Avocados zu jeder Jahreszeit haben.

Da auch Papst Franziskus dies schon lange anprangert dachte ich: „Da machste mit!“ Dazu wurden in vielen Städten Aktionen organisiert, bei denen Menschen von Supermärkten weggeworfene, aber immer noch perfekt essbare Lebensmittel aus den Abfallcontainern „widerrechtlich entnommen“ und dann kostenlos verteilt wurden. Anschließend riefen die Aktivist die Polizei und zeigten sich des Diebstahls von „herrenlosem Eigentum“ an. Seitdem wird auch gegen mich ermittelt. Mindeststrafe für mich: Drei Monate Gefängnis.

Natürlich ergab dies einen Aufschrei der Entrüstung und seitdem rotiert das politische Berlin, um ein EssenRettenGesetz zu verabschieden. Grüne und SPD wollen es, bis jetzt scheitert es aber an der FDP, der der Schutz von Privateigentum wichtiger ist als die Gemeinwohldienlichkeit und Sozialpflichtigkeit.

Rogate-Frage: Wie politisch sollten aus Ihrer Sicht Christ*innen, Kirchen und Ordensgemeinschaften in dieser Zeit sein und wie weit sollen sie gehen?

Rogate-Frage: Eine spannende Frage. Ich frage andersrum: Welcher Einsatz ist erforderlich, wenn wir der wissenschaftlichen Warnung Glauben schenken, dass uns noch vier bis zehn Jahre verbleiben, um durch entscheidende Richtungsänderungen zu vermeiden, dass wir unaufhaltsam in eine drei Grad heißere Welt abgleiten? Das 1,5 Grad Ziel können wir schon nicht mehr einhalten, diese Latte reißen wir spätestens 2030. Jedes Zehntelgrad mehr bedeutet heute noch unvorstellbare Katastrophen. Jahrzehnte warnt die Wissenschaft, immer wieder wurden Reformen von den Lobbies der Reichen hintertrieben und ausgebremst.

Selbst die Fridays und ihr Schulstreik haben zu keinen angemessenen Reformen geführt. Was sollen wir noch tun, fragen vor allem junge Menschen, um Gehör zu finden? Also müssen wohl drastischere, wenngleich gewaltfreie, Methoden zum Einsatz kommen.

Deshalb wurde ich zum Dieb, um dies zu vermeiden. Deshalb kleben sich Menschen in Deutschland auf Autobahnen, um Politik und Gesellschaft zuzurufen: „Kein weiter so. Noch können wir umkehren. Systemchange not Climatechange“.

Kommt Deutschland in Bewegung, folgt die EU. Kommt die EU in Bewegung, bleibt anderen Ländern keine Wahl als nachzuziehen – denn die EU ist weltgrößter Binnenmarkt und damit Standardsetzer. Wir haben eine riesige Verantwortung für die Welt.

Als ich den Jesuiten im Globalen Süden von den Autobahnblockaden erzählte, waren sie begeistert: „Endlich bekommt Deutschland eine Ahnung von den Disruptionen, die aufgrund des Klimawandels bei uns schon Alltag sind.“

Ich bin sicher: Hätte Franziskus nicht so viel zu tun, würde auch er Essen aus der Tonne klauen und mit Freuden ins Gefängnis gehen, wenn er dadurch Menschen in Aktion „hineinschocken“ könnte.

Rogate-Frage: Was macht Ihnen angesichts von Kippunkten, schmelzenden Polkappen, Kriegsgefahr, Artensterben und Hunger in der Welt Hoffnung?

Jörg Alt: Tja, meine Erfahrung bislang ist, dass Gott an vielen Stellen tätig ist, wo Menschen ihm eine Tür öffnen. Und ich habe immer wieder gespürt: Gott hat noch ein As im Ärmel, das wir nicht kennen. Auch wenn ich zusehends Angst vor der Zukunft habe, auf die wir zutrudeln, klammere ich mich an die Gewissheit, dass es noch nicht zu spät ist. Vorausgesetzt natürlich, dass sich viele Menschen endlich dazu aufraffen, auch den ihnen möglichen Beitrag zu leisten.

Rogate: Vielen Dank, Herr Pater Dr. Alt, für das Gespräch!

Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.


Willkommen zu unseren nächsten Rogate-Gottesdiensten:

Varel, Friesland. Termine unseres Demokratieprojektes „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“

  • Donnerstag, 17. Februar 2022 | 19:30 Uhr, Ökumenische Klimakanzel mit Jürgen Rahmel, Varel, Dezernent Biosphärenreservat in der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer. Mitwirkende: Pfarrer Manfred Janssen (St. Bonifatius-Gemeinde) und N.N.. Ort: Sankt Bonifatiuskirche, Bürgermeister-Heidenreich-Str. 4, 26316 Varel.
  • Donnerstag, 24. Februar 2022 | 19:30 Uhr, Ökumenische Klimakanzel mit Siemtje Möller, Varel, Mitglied des Deutschen Bundestages und Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium der Verteidigung. Mitwirkende: Pfarrer Manfred Janssen (St. Bonifatius-Gemeinde), Pastor Benno Gliemann (Luther-Kirchengemeinde Wihelmshaven/Studierendenseelsorge) und Br. Franziskus (Rogate-Kloster). Ort: Sankt Bonifatiuskirche.

Jever, Friesland. Termine unseres Demokratieprojektes „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“

Berlin, Schöneberg:

  • Ostersonntag, 17. April 2022 | 10:00 Uhr, Eucharistie. Predigt: Br. Franziskus. Ort: Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, Berlin-Schöneberg.
  • Dienstag, 17. Mai 2022 | 18:00 Uhr, ökumenischer Gottesdienst. Mit Erzbischof Dr. Heiner Koch (Erzbistum Berlin) und Bruder Franziskus (Rogate-Kloster). Ort: Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, Berlin-Schöneberg.

Wilhelmshaven, Innenstadt:

  • Dienstag, 22. Februar 2022 | 18:00 Uhr, ökumenisches Friedensgebet anlässlich der Russlandkrise. Mit Oberbürgermeister Carsten Feist. Liturgie: Dechant Andreas Bolten (Sankt Willehad), Pastor Frank Moritz (Banter Kirche) und Bruder Franziskus (Rogate-Kloster). Ort: St. Willehadkirche, Bremer Straße 53, 26382 Wilhelmshaven.

Fünf Fragen an: Rainer Teuber, Aktion „#OutinChurch – für eine Kirche ohne Angst“

Fünf Fragen an Rainer Teuber, Aktion „Out in Church – für eine Kirche ohne Angst“, über 125 mutige queere Katholik*innen, Sorge vor dienstrechlichen Konsequenzen und Akzente der Erneuerung. Ein Interview im Rahmen des Rogate-Demokratieprojekts „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“.

Rainer Teuber (Bild: Nicole Cronauge, Bistum Essen)

Rainer Teuber, geboren in Essen, ist seit 1996 in der katholischen Kirche beschäftigt. Er verantwortet am Essener Dom und seiner Schatzkammer die Museumspädagogik und den Besucherservice. Er ist schwul und seit 2003 mit seinem Mann Karl-Heinz verheiratet. Auch privat sind beide in der Gemeindearbeit engagiert.

Rogate-Frage: Herr Teuber, was genau ist #outinchurch und wer ist daran beteiligt?

Rainer Teuber: Bei der Initiative #OutInChurch outen sich heute 125 queere Menschen, die im Dienst der katholischen Kirche stehen. Die Beteiligten kommen aus nahezu allen Bistümern und bilden das gesamte Spektrum kirchlicher Arbeitsfelder ab. Unter ihnen sind Religionslehrer*innen, Gemeindereferent*innen, Pastoralreferent*innen, Kirchenmusiker*innen, Religionspädagog*innen aber natürlich auch einige Priester.

Rogate-Frage: Sie werben „für eine Kirche ohne Angst“. Wo und wie erleben Sie in der Kirche Ängste in diesem Zusammenhängen?

Aktionslogo #outinchurch

Rainer Teuber: Menschen die queer sind, öffentlich queer leben, in dem sie zum Beispiel eine eingetragene Lebenspartnerschatt oder eine Zivilehe schließen und für die katholische Arbeiten müssen mit schweren dienstrechtlichen Konsequenzen rechnen, da sie mit ihrem öffentlichen Bekenntnis einen schweren Looyalitätsverstoß gegen ihren Arbeisvertrag begehen, der auch die kirchliche Grundordnung umfasstt. Nach dieser Grundordnung kann ein öffentliches Bekenntnis zu einer solchen Partnerschaft beziehungsweise Ehe zur fristlosen Kündigung führen.

Rogate-Frage: Was müsste sich in den Bistümern und kirchlichen Institutionen sofort ändern und was braucht es aus Ihrer Sicht dazu?

Rainer Teuber: Das kirchliche Arbeitsrecht muss reformiert werden. Die entsprechenden Paragrafen, die Menschen in ihrer Persönlichkeit einschränken, müssen entfernt werden. LGBTIQ+-Personen müssen in dieser Kirche ohne Angst offen leben und arbeiten können. Sie müssen einen diskriminierungsfreien Zugang zu allen Handlungs- und Berufsfeldern in der Kirche erhalten. Diffamierende und nicht zeitgemäße Aussagen der kirchlichen Lehre zu Geschlechtlichkeit und Sexualität müssen auf Grundlage theologischer und humanwissenschaftlicher Erkenntnisse revidiert werden. Dies ist besonders in weltweiter kirchlicher Verantwortung für die Menschenrechte von LGBTIQ+-Personen von höchster Relevanz.

Die Kirche darf darüber hinaus LGBTIQ+-Personen beziehungsweise Paaren den Segen Gottes sowie den Zugang zu den Sakramenten nicht vorenthalten.

Rogate-Frage: Was macht Ihnen Hoffnung? Sind dabei Papst Franziskus oder der „Synodalen Weg“ hilfreich?

Rainer Teuber: Hoffnung macht mir, dass sich so viele Menschen – trotz der derzeitigen Krisensituation, in der sich unsere Kirche befindet -, noch immer für die Botschaft Jesu in dieser Kirche starkmachen. Sie alle möchten das System Kirche verändern, ja revolutionieren. Papst Franziskus ist in seinen Äußerungen schwer einzuschätzen. Manches gab Anlass zur Hoffnung auf Veränderungen, bei manchem schien es aber auch so, als solle möglichst alles so bleiben wie es ist. Der synodale Weg hat ihr die große Chance, wichtige Reformprojekte auf der Agenda zu halten und kann sicherlich wertvolle Akzente zur Erneuerung setzen.

Rogate-Frage: Manche raten römisch-katholischen Christen, angesichts der aktuellen Situation und Lehre, die Konfession und bisherige Kirche zu verlassen und beispielsweise in die evangelische oder alt-katholische Kirche zu konvertieren. Was sagen Sie denen?

Rainer Teuber: Ich kann jede und jeden verstehen, der unserer Kirche den Rücken zugewendet hat oder die Konfession gewechselt hat. Für viele Menschen möchten aber auch Teil der katholischen Kirche sein und bleiben, um das System von innen heraus zu ändern und neu zu gestalten. Ein kräftezehrender aber sicherlich nicht aussichtsloser Weg.

Rogate: Vielen Dank, Herr Teuber, für das Gespräch!

Zur Aktion gibt es die ARD-TV- und Multimedia-Produktion „Wie Gott uns schuf„: „Es sind Priester, Ordensbrüder, Gemeindereferentinnen, Bistums-Mitarbeitende, Religionslehrer, Kindergärtnerinnen, Sozialarbeiter und vieles mehr. Hundert Gläubige outen sich und berichten von ihren Erfahrungen als queere Menschen in der katholischen Kirche. Eine Investigativ-Recherche im Auftrag von rbb, SWR und NDR.“ Sie finden Sie hier.

Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.


Willkommen zu unseren nächsten Rogate-Terminen im Zusammenhang mit unserem Demokratieprojekt „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“

  • Donnerstag, 10. Februar 2022 | 19:30 Uhr, Ökumenische Klimakanzel mit Dr. Ing. Martin Dehrendorf, Jever, Bau- und Umweltdezernent, Landkreis Friesland. Mitwirkende: Kreispfarrer Christian Scheuer (Ev.-luth. Kirchenkreis Friesland-Wilhelmshaven), Diakon Klaus Elfert (St. Bonifatius-Gemeinde) und Br. Franziskus (Rogate-Kloster). Ort: Sankt Bonifatiuskirche, Bürgermeister-Heidenreich-Str. 4, 26316 Varel.
  • Donnerstag, 17. Februar 2022 | 19:30 Uhr, Ökumenische Klimakanzel mit Jürgen Rahmel, Varel, Dezernent Biosphärenreservat in der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer. Mitwirkende: Pfarrer Manfred Janssen (St. Bonifatius-Gemeinde) und Br. Franziskus (Rogate-Kloster). Ort: Sankt Bonifatiuskirche, Bürgermeister-Heidenreich-Str. 4, 26316 Varel.
  • Donnerstag, 24. Februar 2022 | 19:30 Uhr, Ökumenische Klimakanzel mit Siemtje Möller, Varel, Mitglied des Deutschen Bundestages und Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium der Verteidigung. Mitwirkende: Pfarrer Manfred Janssen (St. Bonifatius-Gemeinde) und Br. Franziskus (Rogate-Kloster). Ort: Sankt Bonifatiuskirche, Bürgermeister-Heidenreich-Str. 4, 26316 Varel.

Fünf Fragen an: Björn Odendahl, Redaktionsleiter katholisch.de

Fünf Fragen an Björn Odendahl, Redaktionsleiter katholisch.de, über erschreckende Zahlen der EU-Kommission über Einsamkeit, deren konkrete Folgen und ein motivierendes Youtube-Video. Ein Interview im Rahmen des Rogate-Demokratieprojekts „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“.

Björn Odendahl (Bild: Harald Oppitz/KNA)

Björn Odendahl stammt aus dem Ruhrgebiet und hat das Theologiestudium in Bochum mit dem Diplom abgeschlossen. Nach einem journalistischen Volontariat war er zunächst für die Kirchenzeitung seiner Heimatdiözese Essen tätig. 2013 wechselte er zu katholisch.de nach Bonn. Seit 2018 leitet er die Redaktion.

Rogate-Frage: Herr Odendahl, wie ist es dazu gekommen, dass Ihre Redaktion sich mit dem Thema Einsamkeit beschäftigt?

Björn Odendahl: Die Idee kam uns, als wir im Sommer auf eine Studie der EU-Kommission gestoßen sind. Die dort aufgeführten Zahlen zum Thema Einsamkeit waren erschreckend. Demnach gaben zwar schon 2016 rund zwölf Prozent der EU-Bürger an, sich mehr als die Hälfte der Zeit einsam zu fühlen. Dieser Anteil stieg in den ersten Monaten der Pandemie aber auf rund 25 Prozent. In Deutschland ging die Zahl sogar von 8,8 auf die genannten 25 Prozent hoch. Man hat dann meistens dieses Klischee von der älteren Witwe im Kopf, die keinen Besuch von ihren Kindern oder Enkeln bekommt. Aber die Studie belegt das Gegenteil: Die 18- bis 25-Jährigen waren und sind noch stärker betroffen. Für uns stand dann fest: Wenn jeder vierte Mensch in Deutschland einsam ist, müssen wir darauf aufmerksam machen. 

Rogate-Frage: Welche Auswirkungen hat die Einsamkeit?

Björn Odendahl: Ich bin Journalist und kein Psychologe, weshalb ich mir kein Experten-Urteil anmaße. Aber wir haben zu den Themen natürlich recherchiert. Erst einmal ist es wichtig, dass man zwischen dem Alleinsein und Einsamkeit unterscheidet. Es gibt Menschen, die auch längere Zeit gerne allein sein sind und die sich gut mit sich selbst beschäftigen können. Diese Menschen würden von sich selbst auch nicht sagen, dass sie in diesen Momenten einsam sind. Bei „echter“ Einsamkeit fehlen Menschen die sozialen Kontakte dagegen sehr. Das muss erst einmal nicht unmittelbar negative Folgen haben, kann es aber, wie aktuelle Umfragen und Aussagen von Experten wie Psychologen oder Kinderärzten zeigen. Menschen können depressiv werden oder kompensieren die Einsamkeit mit übermäßigem Konsum in unterschiedlichster Form: von Alkohol über Süßigkeiten bis zum exzessiven Surfen im Internet kann alles dabei sein.

Rogate-Frage: Was verbirgt sich hinter #jetzthoffnungschenken?

Björn Odendahl: Im Mittelpunkt der Aktion stand zunächst ein emotionaler animierter „Weihnachtsclip“, der auf das Thema Einsamkeit aufmerksam machen sollte. Der wurde bei YouTube bereits über 684.105 Mal aufgerufen (Stand heute, 23.12.2021). Das zeigt uns, dass wir durchaus einen Nerv getroffen haben. Dort spielen wir übrigens mit dem erwähnten Klischee, wer denn eigentlich von Einsamkeit betroffen ist. Wir haben uns aber auch gedacht: Wir sind ein kirchliches Nachrichtenportal und wir sind gut vernetzt mit kirchlichen Akteuren wie den deutschen Diözesen, Hilfswerken, Verbänden oder Orden. Da können wir es nicht dabei belassen, nur auf das Thema Einsamkeit hinzuweisen. Der christliche Glaube lebt von der Hoffnung. Und die Kirche und ihre Gläubigen machen zahlreiche Angebote für Menschen in Notsituationen. So ist eine ganze Sonderseite entstanden, auf der wir einerseits auf kirchliche Angebote hinweisen, andererseits aber auch mit journalistischem Blick hoffnungsvolle Geschichten erzählen.

Rogate-Frage: Kann eine solche Initiative nachhaltig wirken und was wünschen Sie sich für die Zukunft in Hinblick auf die Einsamkeitsthematik?

Björn Odendahl: Wir sind realistisch. In den sozialen Netzwerken war die Aktion zwar recht erfolgreich. Auch einige Medien haben das Thema aufgegriffen. Aber nachhaltiges Wirken in dem Sinne, dass das Thema nun gesamtgesellschaftlich im Blick ist? Ich befürchte, dass das eher noch nicht der Fall ist. Aber genau das wäre mein Wunsch.

Rogate-Frage: Was raten Sie Menschen in Einsamkeit zu Weihnachten?

Björn Odendahl: Meistens ist diese Einsamkeit ja nicht selbstverschuldet und die Lebensumstände der Menschen sind sehr unterschiedlich und komplex. Ein allgemeiner Rat an „Einsame“ wäre also wohl zwecklos und auch ziemlich besserwisserisch. Angebote – auch von der Kirche – gibt es aber natürlich: Hotlines, Hilfsdienste, aber auch die Option, sich selbst karitativ einzubringen und so unter Menschen zu kommen. Vielmehr würde ich mir aber von allen Menschen wünschen, dass sie in der Weihnachtszeit – und darüber hinaus! – mit offenen Augen durch die Welt gehen. Wir müssen erst einmal wahrnehmen, dass sich unsere Mitmenschen schlecht oder einsam fühlen. Dann kann der nächste Schritt erfolgen.

Rogate: Vielen Dank, Herr Odendahl, für das Gespräch!

Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.


Wir vom Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin und vom Förderverein wünschen Ihnen allen gesegnete, frohmachende Weihnachten! Bleiben Sie behütet, gesund und lassen Sie uns gemeinsam etwas gegen Einsamkeit tun!

Fünf Fragen an: MdB Siemtje Möller, SPD-Kandidatin im Bundestagswahlkreis 26

Fünf Freitagsfragen an Bundestagsabgeordnete Siemtje Möller, SPD-Kandidatin im Wahlkreis 26 für die Bundestagswahl 2021, über bisher Geleistetes, Pläne für eine nächste Wahlperiode und Regine Hildebrandt als Vorbild. Ein Interview im Rahmen des Rogate-Demokratieprojekts „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“.

MdB Siemtje Möller (Bild: Büro Möller)

Siemtje Möller, 1983 in Emden geboren, ist seit 2017 direkt gewählte Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Sie lebt in Varel, Landkreis Friesland. Nach ihrer Jugendzeit in Oldenburg, folgten Stationen in Göttingen, New York, Washington, Brüssel und Berlin. Vor dem Einzug in den Budestag hat sie an einem Gymnasium in Wilhelmshaven Spanisch, Französisch und Politik/Wirtschaft unterrichtet. 

Rogate-Frage: Frau Bundestagsabgeordnete Möller, was hat Sie motiviert, sich politisch zu engagieren und wieder für den Deutschen Bundestag zu kandidieren?

Siemtje Möller: In den letzten vier Jahren, in denen ich unsere Heimat als direkt gewählte Abgeordnete im Deutschen Bundestag vertreten durfte, konnte ich vieles umsetzen. Aber es gibt zahlreiche Themen, die ich in der nächsten Wahlperiode voran treiben und anpacken möchte. Deswegen würde ich mich freuen, wenn die Menschen mir ihr Vertrauen schenken und ich meine Arbeit in Berlin und hier vor Ort fortsetzen kann. Auf meiner Agenda ganz oben stehen die Sicherung und Schaffung von Arbeit, die wirtschaftliche Entwicklung unserer Region und der Umbau der Energiewirtschaft, verbunden mit der öffentlichen Daseinsvorsorge: Gesundheit, Bildung, (digitale) Infrastruktur, Sport und Kultur. Als Bundestagsabgeordnete mache ich mich zudem stark für diejenigen, die sich für uns stark machen: Die beste Ausrüstung und Ausbildung und gut ausgebaute Standorte stärken die Bundeswehr bei uns vor Ort.

Rogate-Frage: Warum haben Sie sich für die SPD als Ihre Partei entschieden?

Siemtje Möller: Als ich in Göttingen studiert habe, wurden die Studiengebühren eingeführt. Dagegen habe ich mit meinen KommilitonInnen demonstriert. Politisch interessiert war ich aber schon lange vorher, sodass das politische Engagement und der Eintritt in eine Partei, auch über das Engagement gegen die Studiengebühren hinaus, für mich ein logischer Schritt war. Ich war und bin bis heute der Überzeugung, dass man Dinge nur verbessern kann, wenn man sich einbringt und das tue ich mit meinem politischen Engagement. Die SPD hat damals wie heute meine politischen Überzeugungen vertreten.

Rogate-Frage: Sie nahmen als Interviewpartnerin an einer Veranstaltung des Demokratieprogramms „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“ teil. Wir nehmen die Frage auf: Wie wollen Sie, Frau Möller, morgen leben?

Siemtje Möller: Ich möchte, dass die Menschen hier vor Ort gut leben können, heute wie morgen. Dafür müssen wir in die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse auf dem Land wie in der Stadt investieren. Daseinsvorsorge mit Gesundheit, Bildung, Infrastruktur, Sport und Kultur sind unerlässlich, wenn wir auch künftig dafür sorgen wollen, dass sich die Menschen hier bei uns zuhause fühlen und nicht ihren Lebensmittelpunkt in die Städte verlagern. 

Rogate-Frage: Welche politischen Vorbilder haben Sie und wie bilden Sie sich Ihre Meinung?

Siemtje Möller: Ein politisches Vorbild habe ich nicht, aber ich denke immer mal an ein Zitat von Regine Hildebrandt: „Erzähl mir doch nicht, dass es nicht geht!
Für die Meinungsbildung ist es mir wichtig alle Seiten anzuhören, alle Argumente abzuwiegen und mir so eine fundierte Meinung zu bilden. Dazu gehört es auch seinem Gegenüber zuzuhören und dessen Argumente aufzunehmen. Nur so kann man alle Aspekte beleuchten und in Betracht ziehen. 

Rogate-Frage: Was bedeuten Ihnen Religion, Glaube, Spiritualität und die Kirche?

Siemtje Möller: In traurigen und schwierigen Situationen im Leben, hat der Glaube an einen höheren Sinn im Leben, auch wenn sich dieser nicht sofort erschlossen hat, geholfen diese durchzustehen.

Rogate: Vielen Dank, Frau Möller, für das Gespräch!

Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.


Willkommen zu unseren nächsten Rogate-Gottesdiensten in Berlin-Schöneberg:

Kapelle Alter Zwölf-Apostel-Kirchhof
  • Sonntag, 19. September 2021 | 19:00 Uhr, Vesper – das Abendgebet. Orgel: Rainer Scharf. Ort: Kapelle Alter Zwölf-Apostel-Kirchhof, Kolonnenstraße 24-25, 10829 Berlin-Rote Insel (Schöneberg). Bus: Linie 104, Haltestelle Hohenfriedbergstr.
  • Freitag, 1. Oktober 2021 | 19:30 Uhr, ökumenische Segensandacht (statt des geplanten Eröffnungsgottesdienst zum 28. lesbisch-schwulen Stadtfest Berlin) Mit Pfarrer_in Anna Trapp, Evangelischer Pfarrsprengel Bad Wilsnack. Grußwort: Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler, Bezirk Tempelhof-Schöneberg von Berlin. Ort: Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, Berlin-Schöneberg.

Fünf Fragen an: Hendrik Theemann, FDP-Kandidat im Bundestagswahlkreis 26

Fünf Freitagsfragen an Hendrik Theemann, FDP-Kandidat im Wahlkreis 26 für die Bundestagswahl 2021, über seine Unzufriedenheit mit der Großen Koalition, Digitalisierung und Kanzler a.D. Helmut Schmidt. Ein Interview im Rahmen des Rogate-Demokratieprojekts „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“.

Hendrik Theemann (Bild: privat)

Hendrik Theemann (52) stammt aus Quickborn bei Hamburg. Nach dem Abitur und der anschließenden Offiziersausbildung bei der Marine studierte er Elektrotechnik und absolvierte eine Schiffstechnik-Ausbildung.

Rogate-Frage: Herr Theemann, was hat Sie motiviert, sich politisch zu engagieren und für den Deutschen Bundestag zu kandidieren?

Hendrik Theemann: Die Unzufriedenheit mit der großen Koalition führte dazu, dass ich vor circa zwölf Jahren in die FDP eingetreten bin. Im Laufe der Zeit habe ich mich zunehmend engagiert und bin bei Wahlen angetreten. Für den Bundestag kandidiere ich, da die derzeitige Bundesregierung bei den großen Themen unserer Zeit wie zum Beispiel Demographie, Digitalisierung oder Decarbonisierung kaum liefert. Als politischer Seiteneinsteiger und Dipl.-Ing. kann ich bei vielen zentralen Themen den kommenden Bundestag fachlich aufwerten und zum Beispiel die digitale Transformation aktiv unterstützen.

Rogate-Frage: Warum haben Sie sich für die FDP als ihre Partei entschieden?

Hendrik Theemann: Bei der FDP steht der Mensch im Mittelpunkt, sie setzt auf Eigenverantwortung und steht den staatlichen Akteuren sehr kritisch gegenüber. Bei Kernaufgaben des Staates, wie zum Beispiel die Gewährleistung der Sicherheit, steht die FDP für einen starken Staat.
Die FDP transportiert eine Aufbruchstimmung, setzt auf die Kraft der sozialen Marktwirtschaft, erkennt die Chancen und Risiken zum Beispiel der Globalisierung.

Rogate-Frage: Wie wollen Sie morgen leben?

Hendrik Theemann: Das Potential, welches die Digitalisierung besitzt, müssen wir für unsere Region heben. Auf diese Weise können wir die Lebensqualität der Menschen gerade in unserer Region verbessern. Darunter darf der Charakter der Region nicht leiden.
Ich möchte auch in einem Land leben, in dem meine Kinder einerseits die Möglichkeit haben, sich zu entfalten, andererseits dürfen sie nicht überfordert werden durch hohe Abgaben oder Auflagen.

Rogate-Frage: Welche politischen Vorbilder haben Sie und wie bilden Sie sich Ihre Meinung?

Hendrik Theemann: Helmut Schmidt, da er das Wohl des Landes über Parteiinteressen gestellt hat. Die politische Meinungsbildung erfolgt über verschiedenste Kanäle, beginnend im Gespräch im Bekanntenkreis bis hin zu den Angeboten der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten.

Rogate-Frage: Was bedeuten Ihnen Religion, Glaube, Spiritualität und die Kirche?

Hendrik Theemann: Ich bin zwar kein religiöser Mensch, meine Werte sind aber stark durch unseren abendländischen Wertevorrat geprägt. Glaube und Spiritualität sprechen mich kaum an, ich bin eher nüchterner Analytiker, der versucht auch komplexe Zusammenhänge zu verstehen und Thesen kritisch hinterfragt.

Rogate: Vielen Dank, Herr Theemann, für das Gespräch!

Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.


Der noch folgende Termin der Reihe „Wen wählen? Fünf Interviews zur Bundestagswahl 2021“:

  • Donnerstag, 26. August 2021 | 19:30 Uhr, Abendgebet. Orgel: Stadtkantor Markus Nitt. Lektorinnen: Heidrun Helbich (Ev.-luth. Thomaskirchengemeinde, Neuengroden) und N.N. Ort: Lutherkirche.
  • Donnerstag, 26. August 2021 | 20:15 Uhr, Demokratie-Reihe „Wen wähle ich?“ – Interview zur Bundestagswahl 2021 mit MdB Siemtje Möller (SPD). Ort: Lutherkirche.

Mehr Informationen zum Demokratieprojekt „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“ finden Sie hier.

Fünf Fragen an: Onna Buchholt, Kompetenznetzwerk Islam- und Muslimfeindlichkeit

Fünf Freitagsfragen an Onna Buchholt, Projektreferentin bei der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e.V. (aej), über den Einsatz für Chancengleichheit, vollumfängliche Teilhabe und eine Gesellschaft, in der alle Menschen angstfrei leben können. Ein Interview im Rahmen des Rogate-Demokratieprojekts „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“.

Onna Buchholt (Bild: privat)

Onna Buchholt ist seit 2014 Projektreferentin bei der aej und studierte zuvor Islamwissenschaft, Politik und Geschichte an der Universität Münster. Sie engagiert sich für eine Rassismus-kritische Öffnung der Jugendverbandslandschaft und teilt sich die Projektleitung der aej-Trägerschaft im Kompetenznetzwerk Islam- und Muslimfeindlichkeit mit ihrer Kollegin Franziska Vorländer und lebt in Berlin.

Rogate-Frage: Frau Buchholt, was ist die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland und wer gehört dazu?

Onna Buchholt: Die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland ist die Dachorganisation Evangelischer Kinder- und Jugendarbeit auf Bundesebene. Wir vertreten die Interessen unserer 32 Mitglieder – darunter verschiedene evangelische Jugendwerke und –verbände, die Jugendarbeit der Mitgliedskirchen der EKD sowie die freikirchliche Jugendarbeit – gegenüber Politik, kirchlichen Institutionen und Fachorganisationen. Zu den größeren Mitgliedsorganisationen zählen neben der landeskirchlichen Jugendarbeit der Christliche Verein Junger Menschen (CVJM) und der Verband christlicher Pfandfinder und Pfadfinderinnen (VCP). Insgesamt vertritt die aej die Interessen von etwa 1,35 Millionen jungen Menschen.

Rogate-Frage: Sie befassen sich als evangelischer Verband mit Islam- und Muslimfeindlichkeit. Warum?

Onna Buchholt: Als Evangelische Jugend verstehen wir uns als ein Verband, der sich für gute Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland einsetzt und für Chancengerechtigkeit und ein gutes Miteinander stark macht, dies schließt auch Angehörige anderer Konfessionen und Religionen mit ein.

Aus diesem Selbstverständnis heraus haben wir vor etwa 15 Jahren damit begonnen, im Kontext der damals aufkommenden Diskussion um die „Interkulturelle Öffnung der Jugendverbandsarbeit“ Vereine junger Migrant*innen zu coachen, die aus den unterschiedlichsten Gründen noch über keine stabilen Strukturen als Jugendverband verfügten. Erste Kooperationsprojekte haben wir mit christlich-ökumenischen Partnern wie dem Orthodoxen Jugendbund, der Koptischen Jugend Deutschlands und dem Jugendverband der Evangelischen-Vietnamesischen Tin Lanh Gemeinden in Deutschland e.V.  durchgeführt, danach mit dem Bund der Alevitischen Jugendlichen als erstem nichtchristlichen Verband.

Durch unsere interreligiöse und ökumenische Arbeit bestanden seit den 2000er Jahren auch gute Kontakte zu muslimischen Jugendverbänden. Mit ihnen haben wir ab 2012 erste größere Projekte zusammen durchgeführt. Im Kontext der Rassismus-kritischen Öffnung der Jugendverbandsarbeit haben wir Barrieren struktureller und gesellschaftlicher Art erkannt, die einer Partizipation marginalisierter Jugendverbände entgegenwirken.

Wir möchten erreichen, dass die Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit für alle da sind und keine Ausschlüsse produzieren. Insbesondere muslimische Jugendliche sind aber massiv von antimuslimischen Ressentiments und Rassismus betroffen und sehen sich einem generellen Misstrauensdiskurs ausgesetzt, der ihre vollumfängliche Teilhabe verhindert. Deshalb setzen wir uns in unseren Bezügen gegen Islamfeindlichkeit und antimuslimischen Rassismus ein.

Rogate-Frage: Daraus ist ein Kompetenznetzwerk Islam- und Muslimfeindlichkeit entstanden. Was passiert in diesem Netzwerk und welches Ziel steht dahinter?

Onna Buchholt: Von 2015-2019 waren wir mit unserem Kooperationsprojekt „Junge Muslime als Partner – FÜR Dialog und Kooperation! GEGEN Diskriminierung!“ bereits ein Teil der BMFSFJ-Bundesförderung „Demokratie leben!“ im Förderbereich der Prävention von Islam- und Muslimfeindlichkeit. Im Rahmen dieses Projekts entstand eine enge Zusammenarbeit mit CLAIM, der Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit, mit der wir eine gemeinsame Fachtagung auf die Beine stellten und später auch Mitglied im Netzwerk wurden. Aus dieser Zusammenarbeit ist die gemeinsame Trägerschaft des Kompetenznetzwerks Islam- und Muslimfeindlichkeit entstanden, zu dem auch ZEOK, das Zentrum für europäische und orientalische Kultur, gehört.

Unser Ziel als Kompetenznetzwerk ist eine Gesellschaft, in der alle Menschen angstfrei leben können – auch Muslim*innen, die in den vergangenen Jahren einer schockierend hohen Anzahl von Angriffen ausgesetzt waren, wie die offiziellen Polizeistatistiken seit 2017 belegen. Empirische Erhebungen zur Verbreitung von Vorurteilen zeigen seit vielen Jahren, dass etwas mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung der Meinung ist, der Islam passe nicht zu ihrer Kultur und den Islam als Bedrohung wahrnimmt. Das ist ein besorgniserregend hoher Anteil und eine Gefährdung unserer Demokratie, weil solche Einstellungen oft mit Forderungen nach einer Einschränkung der Grundrechte von Muslim*innen einhergehen.

Unsere Aufgabe als Kompetenznetzwerk ist, antimuslimischen Rassismus zu benennen und sichtbar zu machen, um breite Anteile der Bevölkerung für bestehende Diskriminierungsformen zu sensibilisieren. Die drei Träger im Kompetenznetzwerk fokussieren dabei unterschiedliche Themenbereiche und Zielgruppen; während CLAIM unter anderem das Monitoring von Vorfällen antimuslimischen Rassismus verbessern will und wissenschaftliche Expertise bereitstellt wirkt ZEOK in den Bereich der Kinder- und Jugendarbeit, indem sie vor allem Fachpersonal aus Kitas und anderen pädagogischen Kontexten weiterqualifizieren.

Als Jugendverband ist unsere Zielgruppe als aej die Jugendverbandslandschaft, in der wir für die Themen Antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit sensibilisieren wollen. Wir bieten in diesem Kontext unterschiedliche Bildungsformate und Workshop-Konzepte an und haben eine mobile Ausstellung erarbeitet, die künftig auf Großveranstaltungen zum Einsatz kommen wird, sofern die Pandemie-Lage es zulässt. Darüber hinaus haben wir eine Bestandsaufnahme der Einstellungen von Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 29 Jahren gemacht, was Islamfeindlichkeit und weitere Syndrome gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit angeht sowie ihre Bezüge zu Religiosität und gesellschaftlichem Engagement. Die Ergebnisse der repräsentativen Studie werden zum Jahresende veröffentlicht.

Rogate-Frage: Wie äußert sich Islam- und Muslimfeindlichkeit in der Kirche und den Gemeinden?

Onna Buchholt: Innerhalb unserer eigenen jugendverbandlichen Strukturen erleben wir Islamfeindlichkeit und antimuslimischen Rassismus selten offen geäußert, sondern eher in Form einer Zurückhaltung und Distanz gegenüber potenziellen muslimischen Partnerorganisationen, die sich auch durch Unsicherheit im Kontakt äußern kann. Ein massives Problem im Kontext des islamfeindlichen Gesamtdiskurses ist das Misstrauen, das muslimischen Akteur*innen entgegengebracht wird. Anders als andere Jugendorganisationen sind Muslim*innen beispielsweise stets aufgefordert, ihre Werte offenzulegen und ihr Bekenntnis zur Demokratie zu bekräftigen. Oder ihr Verhalten und ihre Motive werden in Frage gestellt, weil vermutet wird, dass sie sich nicht wahrheitsgetreu äußern würden. Solche Einstellungen machen aber eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe unmöglich.

Wir wurden auch schon wenige Male von Einzelpersonen angefragt, inwieweit wir durch unsere Projekte zur Bildung einer muslimischen Parallelgesellschaft beitragen wollten oder unser Verweis auf antimuslimischen Rassismus als gesamtgesellschaftliches Problem wurde mit einer vermeintlichen Christ*innenverfolgung zu relativieren versucht, die es in Deutschland nicht gibt. Bei derartigen Äußerungen haben wir es mit sehr problematischen Ausdrücken von Verschwörungsideologie und der Abwehr einer Auseinandersetzung mit diskriminierenden und rassistischen Strukturen in unserer Gesellschaft zu tun. Es sind Vorstellungen, die in der Regel nicht von einer Gleichwertigkeit aller Menschen ausgehen.

Rogate-Frage: Wie nehmen Sie als Netzwerk grundsätzlich die mediale Berichterstattung über den Islam und Muslime wahr?

Onna Buchholt: Die mediale Berichterstattung über den Islam und Muslim*innen halten wir für oftmals problematisch und eine der Ursachen für die weite Verbreitung islamfeindlicher Einstellungen. Wenn in Medienberichten in den vergangenen zwanzig Jahren von Muslim*innen oder dem Islam die Rede war, dann nahezu ausschließlich in einer negativen Rahmung. Die Berichterstattung über Muslim*innen ist überwiegend problemorientiert, wie jüngere Studien zu den überregionalen Presseorganen oder beispielsweise der Besetzung von Talkshows zeigen. Die gelebte Normalität von deutschen Muslim*innen kommt in den Medien oder der Unterhaltungsindustrie praktisch nicht vor, so dass ein starkes Zerrbild von muslimischen Lebensentwürfen entsteht und in der Bevölkerung überwiegend Unkenntnis herrscht. Dazu kommt, dass legitime Kritik an spezifischen Aspekten der Religion oder muslimischen Communities regelmäßig zu Pauschalisierungen über die imaginierte Gesamtheit an Muslim*innen führt und Rassismen reproduziert.

Rogate: Vielen Dank, Frau Buchholt, für das Gespräch.

Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.


Mehr Informationen zum Demokratieprojekt „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“ finden Sie hier.


Herzlich willkommen zu unseren nächsten öffentlichen Andachten und Termine:

  • Dienstag, 17. August 2021 | 19:30 Uhr, ökumenischer SommerBibelAbend. Mit Br. Franziskus (Rogate). Ort: Lutherkirche, Brommystraße 71, 26384 Wilhelmshaven-Villenviertel.
  • Donnerstag, 19. August 2021 | 19:00 Uhr, Abendgebet. Ort: Lutherkirche, Brommystraße 71, 26384 Wilhelmshaven-Villenviertel. Orgel: Traugott Böhlke (St. Martinskirchengemeinde, Voslapp) Lektor:innen: Heidrun Helbich (Ev.-luth. Thomaskirchengemeinde, Neuengroden) und Florian Wiese (Rogate-Kloster). Kirchdienst: N.N. Ort: Lutherkirche, Brommystraße 71, 26384 Wilhelmshaven-Villenviertel.
  • Donnerstag, 19. August 2021 | 19:45 Uhr, Demokratie-Reihe „Wen wähle ich?“ – Interview zur Bundestagswahl 2021 mit Hans-Henning Adler (DIE LINKE.). Ort: Lutherkirche, Brommystraße 71, 26384 Wilhelmshaven-Villenviertel.
  • Dienstag, 24. August 2021 | 19:30 Uhr, ökumenischer SommerBibelAbend. Mit Pastoralreferentin Daniela Surmann (Sankt Willehad) und Br. Franziskus (Rogate). Ort: Lutherkirche, Brommystraße 71, 26384 Wilhelmshaven-Villenviertel.
  • Donnerstag, 26. August 2021 | 19:30 Uhr, Abendgebet. Orgel: Stadtkantor Markus Nitt. Lektorinnen: Heidrun Helbich (Ev.-luth. Thomaskirchengemeinde, Neuengroden) und N.N. Ort: Lutherkirche, Brommystraße 71, 26384 Wilhelmshaven-Villenviertel.
  • Donnerstag, 26. August 2021 | 20:15 Uhr, Demokratie-Reihe „Wen wähle ich?“ – Interview zur Bundestagswahl 2021 mit MdB Siemtje Möller (SPD). Ort: Lutherkirche, Brommystraße 71, 26384 Wilhelmshaven-Villenviertel.

Fünf Fragen an: Sina Beckmann, Grünen-Kandidatin im Bundestagswahlkreis 26

Fünf Freitagsfragen an Sina Beckmann, Kandidatin von Bündnis 90/Die Grünen im Wahlkreis 26 für die Bundestagswahl 2021, über ihren Weg in die Politik, Vorbilder und wie sie morgen leben will. Ein Interview im Rahmen des Rogate-Demokratieprojekts „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“.

Sina Beckmann (Bild: privat)

Beckmann ist gelernte Hotelfachfrau und Unternehmerin in Jever. Politisch setzt sie Schwerpunkte in den Feldern Tourismus, Mobilität, Küstenschutz und klimafreundlicher Wirtschaft.

Rogate-Frage: Frau Beckmann, was hat Sie motiviert, sich politisch zu engagieren und für den Deutschen Bundestag zu kandidieren?

Sina Beckmann: Seit 2009 bin ich nun selbstständig, bis 2017 sehr stark eingebunden. Zwar bin ich schon immer politisch interessiert, aber leider gab es kein Zeitfenster, sich auch politisch zu engagieren. 2018 änderte sich dann unsere berufliche Situation und es eröffnete sich ein freies Zeitfenster – dieses fülle ich seitdem mit politischer Arbeit. Ausschlaggebend war der Dürresommer 2018, da habe ich gedacht „Du musst was tun!“ 

Nicht reden, sondern machen ist eines meiner Credos und so möchte ich in Berlin im Bundestag mit anpacken.

Rogate-Frage: Warum haben Sie sich für Bündnis 90/Die Grünen als Ihre Partei entschieden?

Sina Beckmann: Ich stehe zu 100 Prozent zu erneuerbaren Energien, bin auch in dem Bereich selbstständig.

Wir haben eine lebensbedrohliche Klimakrise und ich bin der Meinung, dass wir hier klar agieren müssen, damit wir und alle weiteren Generationen ein gutes Leben haben können. Für mich sind die Grünen da ganz klar alternativlos. Das ist meine Partei!

Rogate-Frage: Sie nahmen als Interviewpartnerin einer Veranstaltung der „FrieslandVisionen“ teil. Wir nehmen die Frage auf: Wie wollen Sie, Frau Beckmann, morgen leben?

Sina Beckmann: So wie heute, würde ich Ihnen gerne antworten. Ich weiß, dass ich sehr privilegiert aufgewachsen bin: In einem Rechtsstaat, frei und ohne Kriege. Ich wurde nie vertrieben, mir ist nie Gewalt angetan worden und ich musste nie Hunger leiden. Für morgen möchte ich, dass wir das so beibehalten können. Und ich möchte in einer intakten Natur mit viel Biodiversität und Artenvielfalt leben. Die Erde ist die einzige, die wir haben. Schützen wir endlich, was wir zum Leben brauchen.

Rogate-Frage: Welche politischen Vorbilder haben Sie und wie bilden Sie sich Ihre Meinung?

Sina Beckmann: Meine Meinung bilde ich mir, wie würden wir heute sagen, klassisch. Über Nachrichtensendungen im Fernsehen wie die „Tagesschau“, die „Tagesthemen“ oder das „Heute Journal“. Außerdem habe ich ein Online-Abo unserer drei Zeitungen in der Region, also „Jeversches Wochenblatt“, „Wilhelmshavener Zeitung“ und „Anzeiger für Harlingerland„. Wenn ich die Zeit finde, lese ich auch gerne Hintergrund-Artikel in der „taz“ und der „Zeit„.

Die Frage zu den politischen Vorbildern ist gut. Ich lebe nicht so sehr in der Vergangenheit, sondern im Moment und für die Zukunft. Deshalb sind meine politischen Vorbilder all diejenigen, die sich aktiv für die Demokratie einsetzen. Ganz besonders möchte ich da allen ehrenamtlich Tätigen danken – ihr seid alle so wichtig! Ich mag Menschen, die eine Meinung haben und sie auch vertreten. Wir brauchen wieder mehr Typen in der Politik – natürlich sind hier alle Geschlechter angesprochen.

Rogate-Frage: Was bedeuten Ihnen Religion, Glaube, Spiritualität und die Kirche?

Sina Beckmann: Der Glaube beflügelt, stärkt, kann viel Positives hervorrufen. Ich bewundere Menschen mit starkem Glauben, sie sind immer ganz besonders fokussiert. Religion und Kirche sind nicht ganz so mein Ding. Ich war mal katholisch, aber mein Leben passt nicht dazu. Ich bin ausgetreten. Spiritualität ist für mich mit Glaube gleichzusetzen. Ich denke, ich bin dafür zu sachlich, aber ich finde Menschen toll, die das so ausleben.

Rogate: Vielen Dank, Frau Beckmann, für das Gespräch!

Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.


Die noch folgenden Termine der Reihe „Wen wählen? Fünf Interviews zur Bundestagswahl 2021“:

  • Donnerstag, 19. August 2021 | 19:00 Uhr, Abendgebet. Ort: Lutherkirche, Brommystraße 71, 26384 Wilhelmshaven-Villenviertel. Orgel: Traugott Böhlke (St. Martinskirchengemeinde, Voslapp) Lektor:innen: Heidrun Helbich (Ev.-luth. Thomaskirchengemeinde, Neuengroden) und Florian Wiese (Rogate-Kloster). Ort: Lutherkirche.
  • Donnerstag, 19. August 2021 | 19:45 Uhr, Demokratie-Reihe „Wen wähle ich?“ – Interview zur Bundestagswahl 2021 mit Hans-Henning Adler (DIE LINKE.). Ort: Lutherkirche.
  • Donnerstag, 26. August 2021 | 19:00 Uhr, Abendgebet. Orgel: Stadtkantor Markus Nitt. Lektorinnen: Heidrun Helbich (Ev.-luth. Thomaskirchengemeinde, Neuengroden) und N.N. Ort: Lutherkirche.
  • Donnerstag, 26. August 2021 | 19:45 Uhr, Demokratie-Reihe „Wen wähle ich?“ – Interview zur Bundestagswahl 2021 mit MdB Siemtje Möller (SPD). Ort: Lutherkirche.

Mehr Informationen zum Demokratieprojekt „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“ finden Sie hier.