Morgen ist Israelsonntag. Er wird in den evangelischen Gottesdiensten gefeiert. Elf Wochen nach Pfingsten ging es früher darum, Juden zur Taufe zu bewegen. Der Zeitpunkt bleibt gut gewählt, begehen doch jüdische Gemeinden den Gedenktag der Zerstörung des ersten Tempels am 9. Tag des jüdischen Monats Av, der in die gleiche Zeit fällt.

Die inhaltliche Ausrichtung hat sich hingegen auf dem Hintergrund der Shoa, so der jüdische Begriff für den Holocaust, grundlegend gewandelt. Der jahrhundertealte Antijudaismus der Kirchen wird kritisch aufgearbeitet. Wenn unter dem Deckmantel der politischen Empörung Rassismus und die Infragestellung der vom Grundgesetz verbrieften Freiheit für Menschen aller Glaubensrichtungen wieder salonfähig gemacht werden sollen, sind Christen und Christinnen gerade in diesen Tagen gefordert, sich solidarisch an die Seite von Juden und Jüdinnen zu stellen.
Aus lediglich 15000 Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland im Jahr 1989 sind 30 Jahre später wieder über 300.000 geworden, was angesichts der Geschichte fast an ein Wunder grenzt. Gerade deshalb kann es nicht hingenommen werden, dass jüdische Gotteshäuser in Deutschland nach wie vor besonders vor Übergriffen geschützt werden müssen.
Im Dialog der Religionen geht es um Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Das erste Testament unserer Bibel ist die Tora der Juden. Das Christentum wurzelt in der Botschaft des Juden Jesus von Nazareth. Der deutsch-israelische Publizist Schalom Ben-Chorin hat es einmal so auf den Punkt gebracht: Der Glaube Jesu verbindet Christen und Juden, der Glaube an Jesus trennt beide.
Die Begegnung von Christen und Juden ist in der Praxis keine bedrückende, weil vor allem schuldbeladene Angelegenheit, sondern ein fruchtbarer, lebendiger Dialog. Davon können viele Israel-Reisende aus unseren Kirchengemeinden begeistert berichten. Davon geben aber auch vor unserer Haustür in vorbildlicher Weise eine Reihe friesischer Erinnerungsorte wie das Gröschler-Haus in Jever und die ehemalige Synagoge in Neustadtgödens oder die gegenwärtig im Küstenmuseum laufende, interessante Ausstellung zur religiösen Vielfalt an der Jade „Wilhelmshaven glaubt.“ Zeugnis.
Ein Beitrag von Christian Scheuer, Kreispfarrer in Friesland und Wilhelmshaven