Fünf Fragen an: Dr. Dagmar Pruin, Präsidentin Brot für die Welt

Fünf Freitagsfragen an Pfarrerin Dr. Dagmar Pruin, Präsidentin Brot für die Welt, über eine politische Kirche, die Folgen der Coronakrise im Globalen Süden und Erinnerungen an eine orangene Dose. Ein Interview im Rahmen des Rogate-Demokratieprojekts „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“.

Präsidentin Dr. Dagmar Pruin (Bild: Brot für die Welt)

Pfarrerin Dagmar Pruin leitet seit März 2021 die evangelischen Hilfswerke Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe. Zuvor war die evangelische Theologin von 2013 bis 2020 Geschäftsführerin der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) und bereits seit 2007 auch Direktorin des deutsch-amerikanisch-jüdischen Begegnungsprogramms Germany Close Up (GCU). Schwerpunkte ihrer bisherigen Arbeit waren Fragen nach Begegnung und Versöhnung, nach der Verhältnisbestimmung von Religion und Politik, die christliche Friedensarbeit, der interreligiöse Dialog in internationaler Perspektive und der christliche Antisemitismus.

Dagmar Pruin wurde 1970 in Leer in Ostfriesland geboren und studierte Evangelische Theologie in Hamburg, Göttingen und Berlin und Jüdische Studien an der Hebräischen Universität Jerusalem. Von 1998 bis 2006 war sie an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität in Berlin wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Rüdiger Liwak für Altes Testament und Geschichte Israel, unterrichtete im Grund- und Hauptstudium an der Theologischen Fakultät und in den Gender Studies und leitete Exkursionen in den Nahen Osten. 

Nach ihrer Promotion im Fach Altes Testament im Jahr 2004 führten sie Studienaufenthalte und Lehrtätigkeiten nach Jerusalem, Tel Aviv, Washington DC und Stellenbosch (Südafrika). Als Gründungsmitglied des Forschungsbereichs „Religion und Politik“ an der Humboldt-Universität leitete sie Konferenzen in Berlin, Brüssel und Washington, DC. 2007 konzipierte sie das Programm Germany Close Up an der Stiftung Neue Synagoge Berlin / Centrum Judaicum, welches mit Beginn ihrer Geschäftsführungstätigkeit dort dann zu Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) wechselte.

Nach einem berufsbegleitenden Vikariat ist Dagmar Pruin seit 2014 ordinierte Pfarrerin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). Sie lebt in Kreuzberg, ist verheiratet und Mutter zweier Kinder.

Rogate-Frage: Frau Präsidentin Dr. Pruin, wann haben Sie zum erstmals von „Brot für die Welt“ gehört? Und was ist Ihnen vom ersten Eindruck in Erinnerung geblieben?

Dagmar Pruin: Im Kindergottesdienst! Wir haben immer etwas in die orangene Dose getan und kurz vor Weihnachten wurde dann bei uns zu Hause gezählt – meine Mutter war aktiv im Kindergottesdienst. Die Dosen wurden dann bei uns zu Hause geleert, die Münzen sortiert und dann in Geldrollen zur Bank gebracht. Ich fand das sehr spannend und für mich waren das unglaubliche Summen, die da auf dem Tisch lagen. Meine Eltern haben mir dann versucht zu erklären, wie unterschiedlich nicht nur das Geld, sondern gerade auch die Nahrungsmittel verteilt sind und dass es Kinder gibt, die nie genug zu essen haben und nicht in die Schule gehen können. Da wurde dann bei uns am Küchentisch der Blick auf die Welt viel weiter – das sind meine ersten Erinnerungen.

Rogate-Frage: Sie haben in Ihrer Vita durchaus häufiger die Felder Religion und Politik intensiv engagiert betrachtet. Wie politisch müssen Kirche und deren Werke heute sein?

Dagmar Pruin: Kirche ist politisch, auf jeden Fall, und die kirchlichen Entwicklungswerke ebenfalls. Es gibt den christlichen Auftrag, die Welt, in der wir leben, zu gestalten. Was das aber in den jeweils unterschiedlichen Situationen für politisches Handeln heißt, das muss dann immer wieder neu erfasst werden – auch in der konstruktiven Auseinandersetzung.

So brachte der Ökumenische Rat der Kirchen in den 1980er Jahren den „Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ auf den Weg. Darin setzte er Gerechtigkeit, Frieden und Umweltschutz in einen Zusammenhang, wie dies auch die 2015 von den Vereinten Nationen beschlossenen Nachhaltigen Entwicklungsziele tun. Diese Impulse werden in vielen Ländern umgesetzt. Kirchen und ihre Werke übernehmen – hier und weltweit –  wesentliche Aufgaben.  Ob Armutsbekämpfung, Ernährungssicherung, Anpassung an den Klimawandel, Bildung, medizinische Versorgung oder Stärkung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte: Bei all diesen drängenden Themen sind Partnerorganisationen von Brot für die Welt gefragt. Und wir setzen dies gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen auch in der politischen Arbeit um.

Rogate-Frage: Wie sehr hat die Coronapandemie die Arbeit von „Brot für die Welt“ verändert? Welche Herausforderungen muss die Organisation schultern und wie nehmen Sie die Situation der weltweiten Projektpartner wahr?

Dagmar Pruin: Corona hat die Arbeit von Brot für die Welt stark verändert – wir haben sehr schnell umgestellt auf mobiles Arbeiten und Home Office, und wir haben Dienstreisen bis auf wenige Ausnahmen eingestellt. Verändert hat sich vor allem auch die Arbeit unserer Partnerorganisationen: Sie konnten nicht mehr zu den Projekten reisen und mussten ebenfalls auf digitale Kommunikation umstellen. 

Die Corona-Pandemie hat die Menschen im Globalen Süden hart getroffen und zu mehr Armut und Hunger geführt. Unsere Projektpartner haben immer wieder berichtet, wie die Lockdowns, die notwendig und richtig waren, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern, zugleich vielen Menschen die Einkommen genommen haben. Die Pandemie hat die Menschen zurückgeworfen; wenn etwa Schulen geschlossen waren und es keine Schulmahlzeiten mehr gab, hat der Hunger zugenommen. Wir haben daher mit unseren Partnern wo immer möglich geholfen: mit Aufklärung über die Ansteckungswege, Hygienesets, mit Lebensmittelpaketen, der Einrichtung von kleinen Krankenstationen bis hin zu Sauerstoffkonzentratoren. Mein Eindruck ist, dass unsere Partner hier schnell, flexibel und kreativ Hilfe geleistet haben.

Rogate-Frage: Welche Auswirkungen hat Corona auf die Spendeneingänge sowie auf die Kollekten für Brot für die Welt in den Landes- und Freikirchen? Falls es zu geringeren Einnahmen kam/kommt, wie geht Brot für die Welt damit um?

Wir sind sehr dankbar, dass die Spendenbereitschaft in den vergangenen beiden Jahren hoch war. Angesichts der Pandemie, die auch bei uns zu wirtschaftlichen Einbrüchen geführt hat, war das keinesfalls selbstverständlich. Es hat sich jedoch gezeigt, dass viele langjährige, aber auch viele neue Spenderinnen und Spender die Arbeit von Brot für die Welt gerade wegen der gravierenden Pandemie-Folgen in den Ländern des Globalen Südens unterstützt haben. Für dieses Vertrauen sind wir überaus dankbar. Anders sieht es bei den Kollekten aus. Aufgrund der Corona-Auflagen konnten Gottesdienste nicht in gewohnter Form stattfinden und auch Kollekten nicht gesammelt werden. Gerade die Kollekten der Weihnachtsgottesdienste, vor allem an Heiligabend, sind traditionell für Brot für die Welt bestimmt. Hier haben wir deutliche Rückgänge zu verzeichnen. Deshalb haben wir alternative Wege zur traditionellen Kollekte aufgezeigt: als digitale Kollekte, im Spendentütchen oder als Überweisung. Wir hoffen sehr, dass viele Menschen dieses Angebot annehmen. 

Rogate-Frage: Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung steht unter neuer Leitung. Welche Wünsche haben Sie an die Politik der Ampelkoalition und der Regierung?

Dagmar Pruin: Wir alle wissen: Die Corona-Pandemie können wir nur global besiegen. Angesichts der anhaltenden Pandemie-Lage und des Impfstoffmangels in den ärmeren Ländern wünschen wir uns deshalb ein klares Signal der neuen Bundesregierung für die Unterstützung der zeitlich begrenzten Aussetzung der geistigen Eigentumsrechte auf Impfstoffe. Ein solcher sogenannter Waiver wird seit mehr als einem Jahr von über 100 Staaten bei der Welthandelsorganisation nachdrücklich gefordert. Leider spricht die Ampelkoalition nur von „freiwilligen Produktionspartnerschaften“. Diese werden nicht reichen, um der in Armut lebenden Mehrheit der Weltbevölkerung Zugang zu Impfstoffen zu verschaffen.

Wir wünschen uns auch, dass die neue Bundesregierung die Überwindung von Hunger und Armut in der Welt entschiedener angeht. Das wird mit Blick auf die dramatischen Folgen, die der Ukrainekrieg hat und haben wird, umso dringender. Positiv sehen wir, dass agrarökologische Ansätze im Kampf gegen den wachsenden Hunger gestärkt werden sollen. Bei der Anpassung an den Klimawandel und der Frage des Umgangs mit den Schäden und Verlusten, die viele besonders verletzliche Staaten infolge des Klimawandels bereits jetzt erleiden, wünschen wir uns deutlich mehr Engagement.

Rogate: Vielen Dank, Präsidentin Pruin, für das Gespräch!

Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.


Willkommen zu unseren nächsten Rogate-Gottesdiensten und Terminen:

  • Dienstag, 22. März 2022 | 18:00 Uhr, ökumenisches Friedensgebet anlässlich des Überfalls Russlands auf die Ukraine. Der Alterspräsident des Rates der Stadt Wilhelmshaven, Uwe Reese, spricht. Intervention: Pastorin Doris Möllenberg (Lutherkirche). Liturgie: Pfarrer Kinzinger (Sankt Willehad), Bezirksevangelist Eike Rosentreter (Neuapostolische Kirche Wilhelmshaven) und Bruder Franziskus (Rogate-Kloster). Orgel: Herr Pude (Neuapostolische Kirche Wilhelmshaven). Diakon Dr. Michael und Gemeindechor von St. Maria und St. Mauritius (Koptisch-orthodoxe Kirchengemeinde Wilhelmshaven). Die Friedensgebete werden getragen von der St. Willehad-Gemeinde, der Neuapostolischen Gemeinde Wilhelmshaven, der Caritas Wilhelmshaven, dem Diakonischen Werk Friesland-Wilhelmshaven, Banter Kirche, der Luther-Kirche und dem Rogate-Kloster Sankt Michael. Ort: St. Willehadkirche, Bremer Straße 53, 26382 Wilhelmshaven.
  • Donnerstag, 24. März 2022 | 19:30 Uhr, Ökumenische Klimakanzel mit Dr. Melanie Janßen-Kim, Scientists for Future Wilhelmshaven-Friesland. Mitwirkende Liturgie: Pastor Thorsten Harland, (Stadtkirche Jever) und Br. Franziskus (Rogate-Kloster). Weitere Beteiligte: Diakon Dr. Michael und Gemeindechor von St. Maria und St. Mauritius (Koptisch-orthodoxe Kirchengemeinde Wilhelmshaven) Musik: Posaunenchor Jever unter der Leitung von Kreiskantor Klaus Wedel (Stadtkirche Jever). Ort: Stadtkirche Jever, Am Kirchplatz 28, 26441 Jever.

Das Rogate-Kloster sammelt in Wilhelmshaven für Brot für die Welt. In diesen Geschäften finden Spendendosen:

  • Kurvenhaven, Der Plus-Size-Store, Marktstraße 29, 26382 Wilhelmshaven-Innenstadt,
  • MORGÆN Café, Marktstrasse 95 (West), 26382 Wilhelmshaven-Innenstadt,
  • beans-parc-coffee, Marktstr. 56, 26382 Wilhelmshaven-Innenstadt,
  • Pomm Port, Marktstr., 26382 Wilhelmshaven-Innenstadt,
  • Senfonie, Wilhelmshavener Senfmanufaktur Grunwald und Ernst GbR, Rheinstraße 31, 26382 Wilhelmshaven-Südstadt,
  • Naturata Bioladen Wilhelmshaven, Gökerstraße 58, 26384 Wilhelmshaven-Tonndeich/Heppens,
  • Cafè Freiblock, Marienstraße 12, 26382 Wilhelmshaven-Südstadt,
  • Apotheke Alte Post, Ebertstr. 84, 26382 Wilhelmshaven-Südstadt,
  • Dorfladen zur Mühle in Sengwarden, Hauptstraße 67, 26388 Wilhelmshaven,
  • Kiosk am Südkiez, Rheinstraße 48, 26382 Wilhelmshaven-Südstadt.

Fünf Fragen an: Erik Flügge, Katholik, Sozialdemokrat und Bestseller-Autor

Fünf Fragen an Erik Flügge, Geschäftsführer Squirrel & Nuts – Gesellschaft für strategische Beratung, über Egoismus, Gemeinsinn und eine problematische Verschleierung von Interessen in der Kirche. Ein Interview von Florian Wiese im Rahmen des Rogate-Demokratieprojekts „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“.

Erik Flügge (Bild: Ruprecht Stempell)

Erik Flügge ist Katholik, Sozialdemokrat und Bestseller-Autor. In seinem gesellschaftlichen Engagement wirbt er dafür, Verfahren und Strukturen so zu verändern, dass man mit einer Ellenbogenmentalität nicht gewinnen kann. Er schrieb das Buch „Egoismus – Wie wir dem Zwang entkommen, anderen zu schaden“ im Dietz-Verlag.

Rogate-Frage: Herr Flügge, wie definieren Sie Egoismus und was hat das mit dem Zwang zu tun, anderen zu schaden?

Erik Flügge: Egoismus ist eine ganz natürliche Eigenschaft des Menschen. Der Gegenwert zum Gemeinschaftsinteresse. Wir drehen uns zum Teil um andere und zum Teil um uns selbst. Aber die Abmischung beider Impulse wird beeinflusst durch die Gesellschaft in der wir leben. In einer Gesellschaft, die Kooperation notwendig macht, steigt der Gemeinsinn. Eine Gesellschaft, die den Individualismus betont, steigt der Egoismus. Unsere Gesellschaft betont den Individualismus massiv. 

Rogate-Frage: Gibt es einen gesunden Egoismus? Wann fängt dieser an, schädlich zu werden?

Erik Flügge: Selbstverständlich gibt es einen gesunden Egoismus. Er ist ein Antrieb zur Höchstleistung. Wer selbst etwas für sich erreichen will, wer nicht immer nur auf andere Rücksicht nimmt, wer nicht immer alles genau gleich macht wie alle anderen, der kommt voran. Zum Problem wird dieser Antrieb, wenn alle nur noch diesen Antrieb leben und kaum noch Rücksicht nehmen. In genau so einer Gesellschaft leben wir heute und deshalb haben auch so viele Menschen das Gefühl, dass der Egoismus immer mehr zunimmt. Dieses Gefühl ist die Summe aller Einzelindividualismen. 

Rogate-Frage: Sie sind ein kritischer Beobachter der Lebenswirklichkeit von Kirche. Gibt es in der Religion und in den Kirchen auch Formen von Egoismus und wie äußern sich diese?

Erik Flügge: In der Kirche mangelt es wahrlich nicht an Egoismen. Wenn Leute finden, dass eine bestimmte Kirchenbank nur ihnen gehört. Wenn einzelne Kleriker meinen, dass für sie keine Regeln gelten. Wenn Gemeinden nur an sich denken statt an die ganze Kirchengemeinde. Überall wo man das Interesse des Gegenübers nicht mehr zulässt, da herrscht der Geist des Egoismus. 

Rogate-Frage: Sie sind Mitglied einer Partei. Ist die Arbeit dort von Egoismus geprägt? Wie nehmen Sie diesen dort wahr und wie äußert er sich?

Erik Flügge: In Parteien gibt es nach meiner Erfahrung nicht mehr oder weniger Egoismus als in der Kirche. Der Unterschied ist nur, dass man klarer mit persönlichen Interessen umgeht. In der Politik kann man sagen: „Ich will diesen Posten!“ In der Kirche muss so tun, als ob man ihn gar nicht wollte, obwohl man ihn unbedingt haben will. Das ändert aber nichts daran, dass man den Posten will. Es entsteht nur eine problematische Verschleierung der Interessen. 

Rogate-Frage: Wie gehen Sie selbst mit Egoismen in Ihrem privaten Umfeld um? Sind Sie dort genauso kritisch wie in Ihrer Arbeit?

Erik Flügge: Zuerst einmal muss ich nicht in meinem Umfeld kritisch mit Egoismus umgehen, sondern auch bei mir selbst. Ich bin genauso wenig vor Egoismus gefeit wie jeder andere auch. Das über sich selbst zu wissen, ist das Fundament, auf dem man agieren sollte. Weil ich weiß, dass ich genauso anfällig bin wie mein Umfeld, kann ich Verfahren so gestalten, dass sie für alle funktionieren: Einladungen, bei denen jeder etwas mitbringt. Gemeinsame Aktivitäten, bei denen man sich verständigt, wo die finanziellen Limits aller Beteiligten liegen. Aber auch das Werben in Büchern und Reden dafür, dass wir in unserer Gesellschaft mehr Verfahren einführen, die zur Kooperation zwingen, um Erfolg zu haben. So wird aus persönlichem Gewinnstreben etwas Gutes für alle. 

Rogate: Vielen Dank, Herr Flügge, für das Gespräch!

Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.


Willkommen zu unseren nächsten Rogate-Gottesdiensten und Terminen:

Wilhelmshaven, Niedersachsen:

  • Weltfrauentag, Dienstag, 8. März 2022 | 18:00 Uhr, ökumenisches Friedensgebet anlässlich des Überfalls Russlands auf die Ukraine. Bürgermeisterin Gesche Marxfeld wird als Vertreterin der Stadt Wilhelmshaven sprechen. Intervention: Pastorin Doris Möllenberg (Lutherkirche). Liturgie: Dechant Andreas Bolten (Sankt Willehad), Bezirksevangelisst Eike Rosentreter (Neuapostolische Kirche Wilhelmshaven) und Bruder Franziskus (Rogate-Kloster). Orgel: Gerrit Junge (Neuapostolische Kirche Wilhelmshaven). Diakon Dr. Michael und Gemeindechor von St. Maria und St. Mauritius (Koptisch-orthodoxe Kirchengemeinde Wilhelmshaven). Die Friedensgebete werden getragen von der St. Willehad-Gemeinde, der Neuapostolischen Gemeinde Wilhelmshaven, der Caritas Wilhelmshaven, dem Diakonischen Werk Friesland-Wilhelmshaven, Banter Kirche und dem Rogate-Kloster Sankt Michael. Ort: St. Willehadkirche, Bremer Straße 53, 26382 Wilhelmshaven.
  • Weltfrauentag, Dienstag, 15. März 2022 | 18:00 Uhr, ökumenisches Friedensgebet anlässlich des Überfalls Russlands auf die Ukraine. Intervention: Pastorin Doris Möllenberg (Lutherkirche). Liturgie: Dechant Andreas Bolten (Sankt Willehad), Bezirksevangelisst Eike Rosentreter (Neuapostolische Kirche Wilhelmshaven) und Bruder Franziskus (Rogate-Kloster). Orgel: Gerrit Junge (Neuapostolische Kirche Wilhelmshaven). Diakon Dr. Michael und Gemeindechor von St. Maria und St. Mauritius (Koptisch-orthodoxe Kirchengemeinde Wilhelmshaven). Die Friedensgebete werden getragen von der St. Willehad-Gemeinde, der Neuapostolischen Gemeinde Wilhelmshaven, der Caritas Wilhelmshaven, dem Diakonischen Werk Friesland-Wilhelmshaven, Banter Kirche und dem Rogate-Kloster Sankt Michael. Ort: St. Willehadkirche, Bremer Straße 53, 26382 Wilhelmshaven.

Jever, Friesland, Niedersachsen:

Berlin, Schöneberg:

Fünf Fragen an: Pater Dr. Jörg Alt, Hilfswerk Jesuitenweltweit

Fünf Fragen an Pater Jörg Alt, Jesuit, über die Idee einer Finanzaktionssteuer, heute illegales Abfallcontainern und ein christlicher Glaube, der die Welt ein Stück gerechter und besser machen will. Ein Interview im Rahmen des Rogate-Demokratieprojekts „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“.

P. Dr. Jörg Alt SJ (Bild: Jesuitenweltweit)

P. Dr. Jörg Alt SJ hat Abschlüsse in Philosophie, Theologie und Soziologie. Seine Themenbereiche sind Flucht, Migration, Steuergerechtigkeit, Sozialethik und Klimagerechtigkeit. Er wohnt in Nürnberg und ist Mitarbeiter in der Hochschulseelsorge und dem Hilfswerk Jesuitenweltweit.

Rogate-Frage: Herr Pater Dr. Alt, Sie gründeten und leiten die Kampagne „Steuer gegen Armut – Finanztransaktionssteuer“. Was verbirgt sich dahinter?

Jörg Alt: Als ich irgendwann nach der Weltfinanzkrise 2007/8 die Zeitung durchblätterte fiel mir auf, wie viel überall gespart wurde beziehungsweise allgemeine Steuern und Abgaben erhöht wurden, aber nirgendwo erkennbar war, wie Banken, Investoren und andere Finanzdienstleister an dem Schaden beteiligt werden, den sie verursacht hatten. Das empfand ich als empörend ungerecht – und einige andere auch.

Als wir dann von Stephan Schulmeister das Konzept der Finanztransaktionssteuer erfuhren, war die Kampagne klar: Den Banken und Finanzdienstleistern pro Transaktion eine kleine Gebühr abverlangen, und mit den so generierbaren Milliardenerlösen jenen helfen, die von der Auswirkung der Finanzkrise besonders hart getroffen wurden. Die Robin Hood Steuer also. Leider ist das, was an Guten selbst mit Unterstützung der Europäischen Kommission in Gang gekommen ist, inzwischen auf Betreiben von Deutschland und Frankreich eingeschlafen. Jetzt warten wir auf die nächste Finanzkrise, dann nehmen wir neuen Anlauf und dann werden wir uns wohl durchsetzen.

Rogate-Frage: Sie sind seit Jahrzehnten vielfältig politisch aktiv. Was treibt Sie um?

Jörg Alt: Meiner Meinung ist ein Glaube, der nicht zugleich die Welt ein Stück gerechter und besser macht, nicht viel wert. Das „Ordensparlament“ der Jesuiten, die Generalkongregation, hatte bereits 1974 festgelegt, dass für Jesuiten der Einsatz für Glaube und Gerechtigkeit miteinander verbunden werden muss. Das hat mich angesprochen. Deshalb bin ich Jesuit geworden.

Heute lautet der „Zehnjahresplan“ des Ordens bis 2030: 1. Eintreten für eine Verbindung zwischen Mensch und Gott/Exerzitien, 2. Für soziale Gerechtigkeit, 3. Für ökologische Nachhaltigkeit und 4. Für die Anliegen der Jugend der Welt. Auch dazu möchte ich meinen Beitrag leisten.

Rogate-Frage: Gegen Sie wird wegen eines „besonders schweren Falls von Diebstahl“ ermittelt. Was steckt dahinter?

Jörg Alt: Eine Gruppe, die sich „Aufstand der Letzten Generation“ nennt engagierte sich seit Herbst für einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln. Es kann nicht sein, so die Aktivisten, dass im Globalen Norden Lebensmittelüberproduktion, -verschwendung und -vernichtung herrscht, während 800 Millionen Menschen hungern. Und: Dass der Konsum des reichen Nordens Ackerflächen im Globalen Süden belegt, nur damit wir billige Steaks, Erdbeeren und Avocados zu jeder Jahreszeit haben.

Da auch Papst Franziskus dies schon lange anprangert dachte ich: „Da machste mit!“ Dazu wurden in vielen Städten Aktionen organisiert, bei denen Menschen von Supermärkten weggeworfene, aber immer noch perfekt essbare Lebensmittel aus den Abfallcontainern „widerrechtlich entnommen“ und dann kostenlos verteilt wurden. Anschließend riefen die Aktivist die Polizei und zeigten sich des Diebstahls von „herrenlosem Eigentum“ an. Seitdem wird auch gegen mich ermittelt. Mindeststrafe für mich: Drei Monate Gefängnis.

Natürlich ergab dies einen Aufschrei der Entrüstung und seitdem rotiert das politische Berlin, um ein EssenRettenGesetz zu verabschieden. Grüne und SPD wollen es, bis jetzt scheitert es aber an der FDP, der der Schutz von Privateigentum wichtiger ist als die Gemeinwohldienlichkeit und Sozialpflichtigkeit.

Rogate-Frage: Wie politisch sollten aus Ihrer Sicht Christ*innen, Kirchen und Ordensgemeinschaften in dieser Zeit sein und wie weit sollen sie gehen?

Rogate-Frage: Eine spannende Frage. Ich frage andersrum: Welcher Einsatz ist erforderlich, wenn wir der wissenschaftlichen Warnung Glauben schenken, dass uns noch vier bis zehn Jahre verbleiben, um durch entscheidende Richtungsänderungen zu vermeiden, dass wir unaufhaltsam in eine drei Grad heißere Welt abgleiten? Das 1,5 Grad Ziel können wir schon nicht mehr einhalten, diese Latte reißen wir spätestens 2030. Jedes Zehntelgrad mehr bedeutet heute noch unvorstellbare Katastrophen. Jahrzehnte warnt die Wissenschaft, immer wieder wurden Reformen von den Lobbies der Reichen hintertrieben und ausgebremst.

Selbst die Fridays und ihr Schulstreik haben zu keinen angemessenen Reformen geführt. Was sollen wir noch tun, fragen vor allem junge Menschen, um Gehör zu finden? Also müssen wohl drastischere, wenngleich gewaltfreie, Methoden zum Einsatz kommen.

Deshalb wurde ich zum Dieb, um dies zu vermeiden. Deshalb kleben sich Menschen in Deutschland auf Autobahnen, um Politik und Gesellschaft zuzurufen: „Kein weiter so. Noch können wir umkehren. Systemchange not Climatechange“.

Kommt Deutschland in Bewegung, folgt die EU. Kommt die EU in Bewegung, bleibt anderen Ländern keine Wahl als nachzuziehen – denn die EU ist weltgrößter Binnenmarkt und damit Standardsetzer. Wir haben eine riesige Verantwortung für die Welt.

Als ich den Jesuiten im Globalen Süden von den Autobahnblockaden erzählte, waren sie begeistert: „Endlich bekommt Deutschland eine Ahnung von den Disruptionen, die aufgrund des Klimawandels bei uns schon Alltag sind.“

Ich bin sicher: Hätte Franziskus nicht so viel zu tun, würde auch er Essen aus der Tonne klauen und mit Freuden ins Gefängnis gehen, wenn er dadurch Menschen in Aktion „hineinschocken“ könnte.

Rogate-Frage: Was macht Ihnen angesichts von Kippunkten, schmelzenden Polkappen, Kriegsgefahr, Artensterben und Hunger in der Welt Hoffnung?

Jörg Alt: Tja, meine Erfahrung bislang ist, dass Gott an vielen Stellen tätig ist, wo Menschen ihm eine Tür öffnen. Und ich habe immer wieder gespürt: Gott hat noch ein As im Ärmel, das wir nicht kennen. Auch wenn ich zusehends Angst vor der Zukunft habe, auf die wir zutrudeln, klammere ich mich an die Gewissheit, dass es noch nicht zu spät ist. Vorausgesetzt natürlich, dass sich viele Menschen endlich dazu aufraffen, auch den ihnen möglichen Beitrag zu leisten.

Rogate: Vielen Dank, Herr Pater Dr. Alt, für das Gespräch!

Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.


Willkommen zu unseren nächsten Rogate-Gottesdiensten:

Varel, Friesland. Termine unseres Demokratieprojektes „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“

  • Donnerstag, 17. Februar 2022 | 19:30 Uhr, Ökumenische Klimakanzel mit Jürgen Rahmel, Varel, Dezernent Biosphärenreservat in der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer. Mitwirkende: Pfarrer Manfred Janssen (St. Bonifatius-Gemeinde) und N.N.. Ort: Sankt Bonifatiuskirche, Bürgermeister-Heidenreich-Str. 4, 26316 Varel.
  • Donnerstag, 24. Februar 2022 | 19:30 Uhr, Ökumenische Klimakanzel mit Siemtje Möller, Varel, Mitglied des Deutschen Bundestages und Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium der Verteidigung. Mitwirkende: Pfarrer Manfred Janssen (St. Bonifatius-Gemeinde), Pastor Benno Gliemann (Luther-Kirchengemeinde Wihelmshaven/Studierendenseelsorge) und Br. Franziskus (Rogate-Kloster). Ort: Sankt Bonifatiuskirche.

Jever, Friesland. Termine unseres Demokratieprojektes „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“

Berlin, Schöneberg:

  • Ostersonntag, 17. April 2022 | 10:00 Uhr, Eucharistie. Predigt: Br. Franziskus. Ort: Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, Berlin-Schöneberg.
  • Dienstag, 17. Mai 2022 | 18:00 Uhr, ökumenischer Gottesdienst. Mit Erzbischof Dr. Heiner Koch (Erzbistum Berlin) und Bruder Franziskus (Rogate-Kloster). Ort: Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, Berlin-Schöneberg.

Wilhelmshaven, Innenstadt:

  • Dienstag, 22. Februar 2022 | 18:00 Uhr, ökumenisches Friedensgebet anlässlich der Russlandkrise. Mit Oberbürgermeister Carsten Feist. Liturgie: Dechant Andreas Bolten (Sankt Willehad), Pastor Frank Moritz (Banter Kirche) und Bruder Franziskus (Rogate-Kloster). Ort: St. Willehadkirche, Bremer Straße 53, 26382 Wilhelmshaven.

Fünf Fragen an: MdB Siemtje Möller, SPD-Kandidatin im Bundestagswahlkreis 26

Fünf Freitagsfragen an Bundestagsabgeordnete Siemtje Möller, SPD-Kandidatin im Wahlkreis 26 für die Bundestagswahl 2021, über bisher Geleistetes, Pläne für eine nächste Wahlperiode und Regine Hildebrandt als Vorbild. Ein Interview im Rahmen des Rogate-Demokratieprojekts „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“.

MdB Siemtje Möller (Bild: Büro Möller)

Siemtje Möller, 1983 in Emden geboren, ist seit 2017 direkt gewählte Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Sie lebt in Varel, Landkreis Friesland. Nach ihrer Jugendzeit in Oldenburg, folgten Stationen in Göttingen, New York, Washington, Brüssel und Berlin. Vor dem Einzug in den Budestag hat sie an einem Gymnasium in Wilhelmshaven Spanisch, Französisch und Politik/Wirtschaft unterrichtet. 

Rogate-Frage: Frau Bundestagsabgeordnete Möller, was hat Sie motiviert, sich politisch zu engagieren und wieder für den Deutschen Bundestag zu kandidieren?

Siemtje Möller: In den letzten vier Jahren, in denen ich unsere Heimat als direkt gewählte Abgeordnete im Deutschen Bundestag vertreten durfte, konnte ich vieles umsetzen. Aber es gibt zahlreiche Themen, die ich in der nächsten Wahlperiode voran treiben und anpacken möchte. Deswegen würde ich mich freuen, wenn die Menschen mir ihr Vertrauen schenken und ich meine Arbeit in Berlin und hier vor Ort fortsetzen kann. Auf meiner Agenda ganz oben stehen die Sicherung und Schaffung von Arbeit, die wirtschaftliche Entwicklung unserer Region und der Umbau der Energiewirtschaft, verbunden mit der öffentlichen Daseinsvorsorge: Gesundheit, Bildung, (digitale) Infrastruktur, Sport und Kultur. Als Bundestagsabgeordnete mache ich mich zudem stark für diejenigen, die sich für uns stark machen: Die beste Ausrüstung und Ausbildung und gut ausgebaute Standorte stärken die Bundeswehr bei uns vor Ort.

Rogate-Frage: Warum haben Sie sich für die SPD als Ihre Partei entschieden?

Siemtje Möller: Als ich in Göttingen studiert habe, wurden die Studiengebühren eingeführt. Dagegen habe ich mit meinen KommilitonInnen demonstriert. Politisch interessiert war ich aber schon lange vorher, sodass das politische Engagement und der Eintritt in eine Partei, auch über das Engagement gegen die Studiengebühren hinaus, für mich ein logischer Schritt war. Ich war und bin bis heute der Überzeugung, dass man Dinge nur verbessern kann, wenn man sich einbringt und das tue ich mit meinem politischen Engagement. Die SPD hat damals wie heute meine politischen Überzeugungen vertreten.

Rogate-Frage: Sie nahmen als Interviewpartnerin an einer Veranstaltung des Demokratieprogramms „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“ teil. Wir nehmen die Frage auf: Wie wollen Sie, Frau Möller, morgen leben?

Siemtje Möller: Ich möchte, dass die Menschen hier vor Ort gut leben können, heute wie morgen. Dafür müssen wir in die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse auf dem Land wie in der Stadt investieren. Daseinsvorsorge mit Gesundheit, Bildung, Infrastruktur, Sport und Kultur sind unerlässlich, wenn wir auch künftig dafür sorgen wollen, dass sich die Menschen hier bei uns zuhause fühlen und nicht ihren Lebensmittelpunkt in die Städte verlagern. 

Rogate-Frage: Welche politischen Vorbilder haben Sie und wie bilden Sie sich Ihre Meinung?

Siemtje Möller: Ein politisches Vorbild habe ich nicht, aber ich denke immer mal an ein Zitat von Regine Hildebrandt: „Erzähl mir doch nicht, dass es nicht geht!
Für die Meinungsbildung ist es mir wichtig alle Seiten anzuhören, alle Argumente abzuwiegen und mir so eine fundierte Meinung zu bilden. Dazu gehört es auch seinem Gegenüber zuzuhören und dessen Argumente aufzunehmen. Nur so kann man alle Aspekte beleuchten und in Betracht ziehen. 

Rogate-Frage: Was bedeuten Ihnen Religion, Glaube, Spiritualität und die Kirche?

Siemtje Möller: In traurigen und schwierigen Situationen im Leben, hat der Glaube an einen höheren Sinn im Leben, auch wenn sich dieser nicht sofort erschlossen hat, geholfen diese durchzustehen.

Rogate: Vielen Dank, Frau Möller, für das Gespräch!

Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.


Willkommen zu unseren nächsten Rogate-Gottesdiensten in Berlin-Schöneberg:

Kapelle Alter Zwölf-Apostel-Kirchhof
  • Sonntag, 19. September 2021 | 19:00 Uhr, Vesper – das Abendgebet. Orgel: Rainer Scharf. Ort: Kapelle Alter Zwölf-Apostel-Kirchhof, Kolonnenstraße 24-25, 10829 Berlin-Rote Insel (Schöneberg). Bus: Linie 104, Haltestelle Hohenfriedbergstr.
  • Freitag, 1. Oktober 2021 | 19:30 Uhr, ökumenische Segensandacht (statt des geplanten Eröffnungsgottesdienst zum 28. lesbisch-schwulen Stadtfest Berlin) Mit Pfarrer_in Anna Trapp, Evangelischer Pfarrsprengel Bad Wilsnack. Grußwort: Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler, Bezirk Tempelhof-Schöneberg von Berlin. Ort: Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, Berlin-Schöneberg.

Fünf Fragen an: Hendrik Theemann, FDP-Kandidat im Bundestagswahlkreis 26

Fünf Freitagsfragen an Hendrik Theemann, FDP-Kandidat im Wahlkreis 26 für die Bundestagswahl 2021, über seine Unzufriedenheit mit der Großen Koalition, Digitalisierung und Kanzler a.D. Helmut Schmidt. Ein Interview im Rahmen des Rogate-Demokratieprojekts „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“.

Hendrik Theemann (Bild: privat)

Hendrik Theemann (52) stammt aus Quickborn bei Hamburg. Nach dem Abitur und der anschließenden Offiziersausbildung bei der Marine studierte er Elektrotechnik und absolvierte eine Schiffstechnik-Ausbildung.

Rogate-Frage: Herr Theemann, was hat Sie motiviert, sich politisch zu engagieren und für den Deutschen Bundestag zu kandidieren?

Hendrik Theemann: Die Unzufriedenheit mit der großen Koalition führte dazu, dass ich vor circa zwölf Jahren in die FDP eingetreten bin. Im Laufe der Zeit habe ich mich zunehmend engagiert und bin bei Wahlen angetreten. Für den Bundestag kandidiere ich, da die derzeitige Bundesregierung bei den großen Themen unserer Zeit wie zum Beispiel Demographie, Digitalisierung oder Decarbonisierung kaum liefert. Als politischer Seiteneinsteiger und Dipl.-Ing. kann ich bei vielen zentralen Themen den kommenden Bundestag fachlich aufwerten und zum Beispiel die digitale Transformation aktiv unterstützen.

Rogate-Frage: Warum haben Sie sich für die FDP als ihre Partei entschieden?

Hendrik Theemann: Bei der FDP steht der Mensch im Mittelpunkt, sie setzt auf Eigenverantwortung und steht den staatlichen Akteuren sehr kritisch gegenüber. Bei Kernaufgaben des Staates, wie zum Beispiel die Gewährleistung der Sicherheit, steht die FDP für einen starken Staat.
Die FDP transportiert eine Aufbruchstimmung, setzt auf die Kraft der sozialen Marktwirtschaft, erkennt die Chancen und Risiken zum Beispiel der Globalisierung.

Rogate-Frage: Wie wollen Sie morgen leben?

Hendrik Theemann: Das Potential, welches die Digitalisierung besitzt, müssen wir für unsere Region heben. Auf diese Weise können wir die Lebensqualität der Menschen gerade in unserer Region verbessern. Darunter darf der Charakter der Region nicht leiden.
Ich möchte auch in einem Land leben, in dem meine Kinder einerseits die Möglichkeit haben, sich zu entfalten, andererseits dürfen sie nicht überfordert werden durch hohe Abgaben oder Auflagen.

Rogate-Frage: Welche politischen Vorbilder haben Sie und wie bilden Sie sich Ihre Meinung?

Hendrik Theemann: Helmut Schmidt, da er das Wohl des Landes über Parteiinteressen gestellt hat. Die politische Meinungsbildung erfolgt über verschiedenste Kanäle, beginnend im Gespräch im Bekanntenkreis bis hin zu den Angeboten der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten.

Rogate-Frage: Was bedeuten Ihnen Religion, Glaube, Spiritualität und die Kirche?

Hendrik Theemann: Ich bin zwar kein religiöser Mensch, meine Werte sind aber stark durch unseren abendländischen Wertevorrat geprägt. Glaube und Spiritualität sprechen mich kaum an, ich bin eher nüchterner Analytiker, der versucht auch komplexe Zusammenhänge zu verstehen und Thesen kritisch hinterfragt.

Rogate: Vielen Dank, Herr Theemann, für das Gespräch!

Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.


Der noch folgende Termin der Reihe „Wen wählen? Fünf Interviews zur Bundestagswahl 2021“:

  • Donnerstag, 26. August 2021 | 19:30 Uhr, Abendgebet. Orgel: Stadtkantor Markus Nitt. Lektorinnen: Heidrun Helbich (Ev.-luth. Thomaskirchengemeinde, Neuengroden) und N.N. Ort: Lutherkirche.
  • Donnerstag, 26. August 2021 | 20:15 Uhr, Demokratie-Reihe „Wen wähle ich?“ – Interview zur Bundestagswahl 2021 mit MdB Siemtje Möller (SPD). Ort: Lutherkirche.

Mehr Informationen zum Demokratieprojekt „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“ finden Sie hier.

Fünf Fragen an: Sina Beckmann, Grünen-Kandidatin im Bundestagswahlkreis 26

Fünf Freitagsfragen an Sina Beckmann, Kandidatin von Bündnis 90/Die Grünen im Wahlkreis 26 für die Bundestagswahl 2021, über ihren Weg in die Politik, Vorbilder und wie sie morgen leben will. Ein Interview im Rahmen des Rogate-Demokratieprojekts „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“.

Sina Beckmann (Bild: privat)

Beckmann ist gelernte Hotelfachfrau und Unternehmerin in Jever. Politisch setzt sie Schwerpunkte in den Feldern Tourismus, Mobilität, Küstenschutz und klimafreundlicher Wirtschaft.

Rogate-Frage: Frau Beckmann, was hat Sie motiviert, sich politisch zu engagieren und für den Deutschen Bundestag zu kandidieren?

Sina Beckmann: Seit 2009 bin ich nun selbstständig, bis 2017 sehr stark eingebunden. Zwar bin ich schon immer politisch interessiert, aber leider gab es kein Zeitfenster, sich auch politisch zu engagieren. 2018 änderte sich dann unsere berufliche Situation und es eröffnete sich ein freies Zeitfenster – dieses fülle ich seitdem mit politischer Arbeit. Ausschlaggebend war der Dürresommer 2018, da habe ich gedacht „Du musst was tun!“ 

Nicht reden, sondern machen ist eines meiner Credos und so möchte ich in Berlin im Bundestag mit anpacken.

Rogate-Frage: Warum haben Sie sich für Bündnis 90/Die Grünen als Ihre Partei entschieden?

Sina Beckmann: Ich stehe zu 100 Prozent zu erneuerbaren Energien, bin auch in dem Bereich selbstständig.

Wir haben eine lebensbedrohliche Klimakrise und ich bin der Meinung, dass wir hier klar agieren müssen, damit wir und alle weiteren Generationen ein gutes Leben haben können. Für mich sind die Grünen da ganz klar alternativlos. Das ist meine Partei!

Rogate-Frage: Sie nahmen als Interviewpartnerin einer Veranstaltung der „FrieslandVisionen“ teil. Wir nehmen die Frage auf: Wie wollen Sie, Frau Beckmann, morgen leben?

Sina Beckmann: So wie heute, würde ich Ihnen gerne antworten. Ich weiß, dass ich sehr privilegiert aufgewachsen bin: In einem Rechtsstaat, frei und ohne Kriege. Ich wurde nie vertrieben, mir ist nie Gewalt angetan worden und ich musste nie Hunger leiden. Für morgen möchte ich, dass wir das so beibehalten können. Und ich möchte in einer intakten Natur mit viel Biodiversität und Artenvielfalt leben. Die Erde ist die einzige, die wir haben. Schützen wir endlich, was wir zum Leben brauchen.

Rogate-Frage: Welche politischen Vorbilder haben Sie und wie bilden Sie sich Ihre Meinung?

Sina Beckmann: Meine Meinung bilde ich mir, wie würden wir heute sagen, klassisch. Über Nachrichtensendungen im Fernsehen wie die „Tagesschau“, die „Tagesthemen“ oder das „Heute Journal“. Außerdem habe ich ein Online-Abo unserer drei Zeitungen in der Region, also „Jeversches Wochenblatt“, „Wilhelmshavener Zeitung“ und „Anzeiger für Harlingerland„. Wenn ich die Zeit finde, lese ich auch gerne Hintergrund-Artikel in der „taz“ und der „Zeit„.

Die Frage zu den politischen Vorbildern ist gut. Ich lebe nicht so sehr in der Vergangenheit, sondern im Moment und für die Zukunft. Deshalb sind meine politischen Vorbilder all diejenigen, die sich aktiv für die Demokratie einsetzen. Ganz besonders möchte ich da allen ehrenamtlich Tätigen danken – ihr seid alle so wichtig! Ich mag Menschen, die eine Meinung haben und sie auch vertreten. Wir brauchen wieder mehr Typen in der Politik – natürlich sind hier alle Geschlechter angesprochen.

Rogate-Frage: Was bedeuten Ihnen Religion, Glaube, Spiritualität und die Kirche?

Sina Beckmann: Der Glaube beflügelt, stärkt, kann viel Positives hervorrufen. Ich bewundere Menschen mit starkem Glauben, sie sind immer ganz besonders fokussiert. Religion und Kirche sind nicht ganz so mein Ding. Ich war mal katholisch, aber mein Leben passt nicht dazu. Ich bin ausgetreten. Spiritualität ist für mich mit Glaube gleichzusetzen. Ich denke, ich bin dafür zu sachlich, aber ich finde Menschen toll, die das so ausleben.

Rogate: Vielen Dank, Frau Beckmann, für das Gespräch!

Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.


Die noch folgenden Termine der Reihe „Wen wählen? Fünf Interviews zur Bundestagswahl 2021“:

  • Donnerstag, 19. August 2021 | 19:00 Uhr, Abendgebet. Ort: Lutherkirche, Brommystraße 71, 26384 Wilhelmshaven-Villenviertel. Orgel: Traugott Böhlke (St. Martinskirchengemeinde, Voslapp) Lektor:innen: Heidrun Helbich (Ev.-luth. Thomaskirchengemeinde, Neuengroden) und Florian Wiese (Rogate-Kloster). Ort: Lutherkirche.
  • Donnerstag, 19. August 2021 | 19:45 Uhr, Demokratie-Reihe „Wen wähle ich?“ – Interview zur Bundestagswahl 2021 mit Hans-Henning Adler (DIE LINKE.). Ort: Lutherkirche.
  • Donnerstag, 26. August 2021 | 19:00 Uhr, Abendgebet. Orgel: Stadtkantor Markus Nitt. Lektorinnen: Heidrun Helbich (Ev.-luth. Thomaskirchengemeinde, Neuengroden) und N.N. Ort: Lutherkirche.
  • Donnerstag, 26. August 2021 | 19:45 Uhr, Demokratie-Reihe „Wen wähle ich?“ – Interview zur Bundestagswahl 2021 mit MdB Siemtje Möller (SPD). Ort: Lutherkirche.

Mehr Informationen zum Demokratieprojekt „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“ finden Sie hier.

Fünf Fragen an: Dr. Marek Wede, Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat

Fünf Fragen an Dr. Marek Wede, Pressesprecher im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, über den Unterschied von Künstler- und Ordensnamen, wer über die Eintragung in den Personalausweis entscheidet und die Nutzung von Gebrauchsnamen im Rechtsverkehr.

Rogate-Frage: Herr Dr. Wede, was sind aus Sicht Ihres Ministeriums „Ordensnamen“ und inwieweit unterscheiden Sie diese von „Künstlernamen“? 

Marek Wede: Unter einem Künstlernamen ist ein von einem bürgerlichen Namen mit hinreichender individueller Unterscheidungskraft abweichender Name zu verstehen, der in bestimmten Lebensbereichen in Zusammenhang mit einer künstlerischen oder freischaffenden Tätigkeit geführt wird und dadurch Verkehrsgeltung erlangt hat, sodass er anstelle des Namens die Identität und die Individualität der Person ausdrückt. 

Für die Eintragung eines Ordensnamens ist dagegen die Verleihung des Ordensnamens, die durch den Orden der jeweiligen Religionsgemeinschaft ausgestellt wird, erforderlich. Ordens- oder Künstlernamen sind jedenfalls dann im Reisepass einzutragen, wenn sie sich aus einem früheren Personalausweis, einem früheren Reisepass oder dem Melde-, Personalausweis- beziehungsweise Passregister ergeben. In Zweifelsfällen hat die antragstellende Person durch Vorlage geeigneter Unterlagen darzulegen, dass sie unter dem von ihr angegebenen Ordens- beziehungsweise Künstlernamen bekannt ist. 

Rogate-Frage: Warum gibt es zur Frage der Ordensnamen gesetzliche Bestimmungen? Welche Bedeutung gibt dadurch der Staat diesen religiösen Namen und deren Nutzung? 

Marek Wede: Das Pass- und Personalausweisgesetz regelt, welche Daten in die hoheitlichen Dokumente eingetragen werden dürfen. Grundsätzlich sind dies nur solche Daten, die für die Identifizierung einer Person erforderlich sind. Bestimmten Sonderkonstellationen, so etwa in bestimmten Fällen bei Künstler- oder Ordensnamen, kommen im Rechtsverkehr eine besondere Bedeutung zu, weshalb für diese eine Eintragung zugelassen wird. 

Rogate-Frage: Gibt es eine Schätzung oder ist bekannt, wie viele Ordensnamen bundesweit anerkannt und von den Meldebehörden eingetragen wurden? 

Marek Wede: Eine bundesweite Statistik, wie viele Ordensnamen in Pässe oder Personalausweise eingetragen wurden, liegt dem BMI nicht vor. 

Rogate-Frage: Wer entscheidet nach welchen Kriterien, ob ein Ordensname anerkannt und in amtliche Dokumente eingetragen werden darf? 

Marek Wede: Die Entscheidung über die Eintragung eines Ordensnamens trifft die örtlich zuständige Pass- oder Personalausweisbehörde unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls.  

Rogate-Frage: Welche Verpflichtungen gehen Träger:innen durch die Registrierung der Namen ein und welche Rechte sind damit für sie verbunden? Können beispielsweise Bankgeschäfte, Fahrkartenkäufe, Verträge und Führerscheinprüfungen mit dem Ordensnamen unterschrieben werden? 

Marek Wede: Durch die Eintragung eines Ordensnamen entstehen keine besonderen Pflichten aus dem Pass- oder Personalausweisgesetz. Grundsätzlich kennt das deutsche Namensrecht keine strikte Namensführungspflicht. Statt des Geburts- oder Familiennamens kann im allgemeinen Verkehr ein davon abweichender Gebrauchsname verwendet werden. Der Gebrauchsname wird im Rechtsverkehr anerkannt, der Träger kann auch mit diesem Namen unterzeichnen, wenn mit der Namensunterschrift die eindeutige Identifizierung der Person möglich ist.

Rogate: Vielen Dank, Herr Dr. Wede, für das Gespräch.

Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.

Fünf Fragen an: Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben

Fünf Fragen an Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, über die Definition von Antisemitismus, die 3D-Regel und ein Zeichen der Stärke unserer lebendigen Demokratie.

Dr. Felix Klein (Bild: BMI)

Dr. Felix Klein, geboren 1968 in Darmstadt, besuchte nach seiner Schulzeit in Darmstadt das United World College in Duino bei Triest, wo er 1987 das internationale Abitur „International Baccalaureate“ erwarb. Er studierte Rechtswissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und an der Freien Universität Berlin. Im Anschluss daran absolvierte er ein Masterstudium an der London School of Economics, das er mit einem Master of Public International Law (LL.M.) abschloss. Von 1994 bis 1996 absolvierte er die Ausbildung für den höheren Auswärtigen Dienst an der damaligen Aus- und Fortbildungsstätte des Auswärtigen Amtes in Bonn. 2001 promovierte er an der Universität St. Gallen mit einem familienrechtlichen Thema. Er begann seine diplomatische Karriere als Länderreferent für Südamerika, war auf Auslandsstationen in Jaunde/Kamerun und Mailand/Italien sowie von 2007 bis 2018 in mehreren Funktionen in der Berliner Zentrale des Auswärtigen Amtes tätig, zuletzt als Sonderbeauftragter für Beziehungen zu jüdischen Organisationen und Antisemitismusfragen.

Rogate-Frage: Herr Dr. Klein, wie definieren Sie den Begriff Antisemitismus?

Felix Klein: Antisemitismus – der Begriff legt nahe, dass er bedeutet, gegen Juden zu sein: Judenfeindschaft, Judenhass. Dabei hat Antisemitismus mit realen jüdischen Menschen nichts zu tun, er entsteht unabhängig von ihrem tatsächlichen Verhalten. Überspitzt formuliert, Antisemiten pflegen ihren Antisemitismus auch ohne Juden. Nach der Definition der International Holocaust Remebrance Alliance ist Antisemitismus „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden (…)„. Das ist schon der Kern, auf den es ankommt: Eine, ganz bestimmte Sicht dominiert, anstatt die jeweilige Person in ihrer Unterschiedlichkeit und Individualität wahrzunehmen. Wer sich über jüdische Menschen eine Meinung bildet, die von ihrem Judentum abgeleitet wird anstatt von ihrem konkreten persönlichen Verhalten, handelt antisemitisch.

Juden und Jüdinnen haben außer ihrem Jüdischsein erst einmal nichts gemeinsam – sie sind genauso unterschiedlich wie Angehörige anderer Religionen und Kulturen. Auf dieses Verhältnis zwischen Individuum und Gruppe kommt es an: Antisemitismus fängt da an, wo aus der Gruppenzugehörigkeit Eigenschaften Einzelner abgeleitet werden und umgekehrt. Wenn Juden als Gruppe Eigenschaften zugeschrieben werden, die über ihr faktisches Jüdischsein hinausgehen, ist das antisemitisch. Das gilt auch für positive Attribute, wenn etwa behauptet wird, Juden seien besonders klug, oder für das jahrhundertealte Klischee der „schönen Jüdin„. Solche philosemitisch genannten Verallgemeinerungen sind letztlich ebenfalls eine Form von Antisemitismus.

Rogate-Frage: Wo liegt aus Ihrer Sicht die Trennung zwischen Antisemitismus und Formen der Kritik an der Politik des Staates Israel?

Felix Klein: Kritik am Regierungshandeln des Staates Israel ist selbstverständlich immer möglich. Die Grenze zum Antisemitismus ist allerdings dann überschritten, wenn Jüdinnen und Juden für das Regierungshandeln mitverantwortlich gemacht werden. Jüngstes Beispiel für diesen Mechanismus waren die an vielen Stellen geäußerten israelfeindlichen Parolen im Rahmen der Proteste gegen die militärischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten vor wenigen Wochen beispielsweise vor jüdischen Einrichtungen in Deutschland. Mit der sogenannten 3D-Regel lässt sich bestimmen, ob es sich bei einer Äußerung lediglich um Kritik an Israels Politik handelt oder die Grenze zum Antisemitismus überschritten wird: Das ist der Fall, wenn Doppelstandards, Delegitimierung oder Dämonisierung Israels im Spiel sind, wie es sie regelmäßig nur gegenüber dem Staat Israel gibt. Der Schnelltest wurde 2004 vom israelischen Politiker und Wissenschaftler Nathan Sharansky entwickelt, um Texte und Äußerungen systematisch daraufhin zu prüfen, ob sie antisemitisch sind. Er hat sich seitdem in der Wissenschaft und vor allem in Politik und Zivilgesellschaft bewährt.

3. Rogate-Frage: Das war ein Angriff auf uns alle“ heißt es oft nach Angriffen auf jüdisches Leben und Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland. Wie denken Sie über diese Versuche, Solidarität zu zeigen?

Felix Klein: Ich sehe es mit Freude und Dankbarkeit, dass sich in unserem Land nach der Shoah und nach den Verbrechen des Nationalsozialismus wieder vielfältiges, buntes und selbstbewusstes jüdisches Leben entwickelt hat. Dass dies wieder zunehmend selbstverständlich empfunden wird, sehe ich auch als ein Zeichen der Stärke unserer lebendigen Demokratie. Die historische Verantwortung Deutschlands ist und bleibt Teil unserer Staatsräson. Es bleibt eine fortwährende und immer wieder neue Aufgabe, den Antisemitismus zu bekämpfen. Denn Antisemitismus wendet sich langfristig nicht nur gegen jüdische Menschen. Er ist Ausdruck einer zutiefst demokratiefeindlichen Haltung und lehnt die Errungenschaften unserer modernen, freiheitlichen Gesellschaft ab.

Rogate-Frage: Was können Einzelne tun, um jüdisches Leben in Deutschland zu schützen und Solidarität mit Jüdinnen und Juden zu zeigen?

Felix Klein: Die Haltung und das Engagement jeder und jedes Einzelnen ist im Hinblick auf den Schutz jüdischen Lebens von größter Bedeutung. Es gibt viele Möglichkeiten, sich einzubringen. Ein wesentlicher Teil des aktiven Schutzes jüdischen Lebens ist die Antisemitismusbekämpfung. Viele Organisationen zeigen engagierten Bürgerinnen und Bürgern eine Bandbreite an Möglichkeiten auf, sich in diesen Kampf einzubringen. 

Der Schutz jüdischen Lebens bedeutet für mich aber auch die positive Stärkung der jüdischen Gemeinschaft im Sinne einer Wahrnehmung und Wertschätzung jüdischer Kultur, Religion und jüdischen Alltags. Jüdinnen und Juden als einen selbstverständlichen Teil unserer vielfältigen Gesellschaft zu begreifen und ihnen mit Offenheit und Interesse zu begegnen, das sollte unser gemeinsames Ziel sein. Von einer solchen Haltung profitieren nicht nur Jüdinnen und Juden und unser gesellschaftlicher Zusammenhalt, sondern auch jede und jeder Einzelne, die bzw. der sich für den Dialog öffnet.

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, diesen Dialog zu beginnen oder zu vertiefen. Anknüpfungspunkte bieten zum Beispiel die Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, die sich seit rund 70 Jahren in der Begegnungs- und Versöhnungsarbeit engagieren und zahlreiche Projekte und Veranstaltungen durchführen. Auch das aktuelle Jubiläumsjahr lädt dazu ein, jüdische Vergangenheit und Gegenwart zu entdecken und einander persönlich zu begegnen.

Rogate-Frage: Was wünschen Sie sich von den Kirchen, den Kirchengemeinden und den Christen in Bezug auf den historischen und aktuellen Antisemitismus in unserem Land?

Felix Klein: Die Kirchen, viele Kirchengemeinden und Christen setzen sich schon lange sehr engagiert für die Bekämpfung von aktuellem und historischem Antisemitismus ein. Nach der Schoah haben sich die evangelische und katholische Kirche deutlich davon distanziert und ihre Schuld bekannt. Die Aufarbeitung des historischen Antisemitismus in der Kirche ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Ein Beispiel ist die heute noch bestehende Benennung einiger Kirchen nach erwiesenen Judenfeinden, unter anderem die Pfarrkirche St. Johann von Capistran in München. Diese Namenspatronate sollten noch stärker problematisiert und Gegenstand einer breiten, offenen Debatte werden. Die Kirchen nehmen ihre Verantwortung auch im Hinblick auf aktuellen Antisemitismus ernst.

Eine sehr gelungene aktuelle Aktion in diesem Zusammenhang ist aus meiner Sicht die Kampagne „#beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst“ der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland, die Gemeinsamkeiten beziehungsweise Ähnlichkeiten zwischen Judentum und Christentum aufzeigt. 

Die Verdeutlichung von Gemeinsamkeiten und die Stärkung des christlich-jüdischen Dialogs sollte in diesem Sinne auch künftig weit oben auf der kirchlichen Agenda stehen.

Rogate: Vielen Dank, Herr Dr. Klein, für das Gespräch!

Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.

Fünf Fragen an: Frederic Riedel, Kiezworker in Berlin-Schöneberg

Fünf Fragen an Frederic Riedel, Berlin-Schöneberg, über seine Arbeit als Kiezworker, Veränderungsprozesse in einer Großstadtkirchengemeinde und die Coronapandemie als Treiber der Digitalisierung..

Frederic Riedel (Bild: privat)

Frederic Riedel kommt aus Uelzen in Niedersachsen. Zum BWL- und „Wirtschaft und Recht“-Studium zog er zunächst nach Brandenburg, um sich dann in Berlin zu verlieben. Durch das Senatsprojekt „Solidarisches Grundeinkommen“ wurde er auf eine Stellenausschreibung der Apostel-Paulus-Gemeinde in Berlin-Schöneberg aufmerksam. Zu seinen Aufgaben gehört die Koordination der Offenen Kirche, der Besuchsdienst und die Öffentlichkeitsarbeit.

Rogate-Frage: Herr Riedel, Sie sind „Kiezworker“ in einer evangelischen Großstadtgemeinde. Welche Aufgabe haben Sie dort?

Frederic Riedel: „Kiezworker“ ist der Begriff für die Gesamtheit aller meiner Aufgaben im Rahmen der Gemeinde und im Kiez – auch ist er meine offizielle Jobbezeichnung.

Meine Aufgaben sind tatsächlich sehr vielfältig und abwechslungsreich, sodass es mir stets schwer fällt meine beziehungsweise die eine Aufgabe hier auf das Wesentliche herunterzubrechen: Wohlmöglich bin ich an all den Maßnahmen beteiligt, die Kirche und Kiez stärker miteinander verzahnen lassen sollen: Von Ehrenamtskoordination über Betreuung und Ausgestaltung der Offenen Kirche, bis hin zu Besuchsdiensten, die aufgrund der Pandemie und der damit einhergehenden Gefahr für Risikogruppen momentan leider pausieren müssen. Auch unterstütze ich die Pfarrerin, Küsterin und den Haus- und Kirchwart in vielen Angelegenheiten, sodass ich in gewisser Weise oftmals Bindeglied und helfende Hand in Personalunion bin.

In der Zukunft soll auch für mich wesentlich mehr in Richtung Kultur, Veranstaltungen und Social Media geschehen – aber auch hier sind uns momentan leider noch die Hände gebunden – pandemiebedingt.     

Rogate-Frage: Wie ist es dazu gekommen, dass Sie sich kirchlich engagieren und was hat es mit dem Senatsprojekt „Solidarisches Grundeinkommen“ zu tun?

Frederic Riedel: Es hat eine Menge damit zu tun, denn offen gestanden bin ich nur dadurch auf die ausgeschriebene Stelle aufmerksam geworden. Frau Pfarrerin Steffen-Elis hat mir von Anfang an zu Verstehen gegeben, dass die Gemeinde sich einem Wandel unterzieht und sicherlich schmeichelte mir die Idee, meinen Beitrag dazu leisten zu können. Schwer vorstellbar, dass ich in einer (Einstiegs-)Position, an einem anderen Ort mehr Einfluss auf die Entwicklungen um mich herum und auch auf meine eigene nehmen könnte. Ich würde mich nicht als strenggläubigen Menschen bezeichnen und für meinen Bereich ist Religion ehrlich gesagt auch gar nicht so maßgeblich. Entscheidend sind für mich vielmehr Wertevorstellungen, ein würdevolles und freundliches Menschenbild. Dazu zählt auch das Bedürfnis, aufgefangen zu werden, wenn man fällt. Auch Ich habe eine kleine persönliche Krise der Arbeitslosigkeit und Frustration nun zugunsten der Hilfe und Unterstützung Anderer hinter mich bringen können. Mein Team hat hier zweifellos, und zwar in ausnehmendem Maß, Anteil daran. Im Übrigen gefällt mir sehr wohl die Idee von Spiritualität, weil ich denke, dass sie jeder Mensch in sich trägt und braucht. Auch hatte ich wohlmöglich immer schon ein kleines Faible für Kunst, Geschichte, Architektur und den weiträumigen Klang von Sakralmusik. All das vereint die Apostel-Paulus-Kirche in recht beeindruckender Art und Weise.

Rogate-Frage: Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf Ihre Arbeit gehabt und wie haben Sie darauf reagiert?

Frederic Riedel: Das lässt sich nur schwer einschätzen, da ich das Arbeiten hier bisher noch gar nicht unter „normalen Rahmenbedingungen“ erleben durfte!

Aber ja, auch wir mussten absagen und umdenken: Kontaktbeschränkungen und Hygieneauflagen machen vor der Kirche keinen Halt. Wie in vielen Bereichen ist Corona aber auch für uns Treiber der Digitalisierung: Aufgezeichnete Gottesdienste und Veranstaltungen, Livestreams, Zoom-Meetings. Insbesondere seitens Pfarrerin Andrea Kuhla sind hier mittlerweile Online-Formate und Podcasts ins Leben gerufen worden. Kontaktaufrechterhaltung zu älteren Gemeindegliedern erfolgt telefonisch oder postalisch. Das Schönste ist, dass wir die Kirche – unter Wahrung der Abstands- , Hygiene- und Lüftungsregeln – seit dem Beginn der Pandemie und durch die Hilfe eines mittlerweile breiter aufgestellten Teams an ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen nahezu durchgängig offen halten konnten. Mit äußerst positiver Resonanz der Besucher:innen.

Rogate-Frage: Welchen Unterschied nehmen Sie grundsätzlich im kirchlichen Umfeld im Vergleich zu anderen Arbeitgebern war?

Frederic Riedel: Der Umgang miteinander ist familiär, bedächtig und herzlich. Das ist in der heutigen Leistungsgesellschaft sicherlich kein Selbstläufer.

Wissen Sie, es gibt Arbeitgeber:innen, die ihre Mitarbeiter:innen quasi im Monatstakt auf hippe Team-Building-Seminare beziehungsweise – Maßnahmen schicken, geradezu wissenschaftliche Ansätze dabei verfolgen, und in der Praxis bleibt dann schlussendlich oft Nichts von all dem hängen. Wasser predigen und Wein trinken. Mir ist aufgefallen, dass das hier –  vielleicht aus dem Selbstverständnis, dem äußeren Rahmen und dem eigenen Wertesystem heraus –  auch ganz wunderbar ohne funktionieren kann.

Rogate-Frage: Wenn sie die Kirche in Berlin und überhaupt neu erfinden und gestalten würden, wie sähe sie dann aus?

Frederic Riedel: Das wäre ziemlich anmaßend! (lacht)

Aber sicherlich muss die Kirche – wie jede andere Institution im Laufe der Zeit – in verschiedenen Bereichen umdenken, neue Anreize schaffen, Programminhalte diversifizieren, Barrieren abbauen, auf die Leute zugehen, noch bevor sie sich entfernen. Berlin per se ist eine Stadt mit sehr modernem und dynamischem Zeitgeist und da wirkt die Kirche auf viele schlichtweg etwas aus der Zeit gefallen. Vor allem auf die jüngeren Generationen, die Zukunft. Glaube allein ist kein Kriterium mehr für die Ausrichtung und Gestaltung des Lebens. Dabei gibt es in vielen Gemeinden so viel Potential, einzigartige Räume und Gebäude in Ihrer Nutzung so zu gestalten, dass sich wieder mehr Menschen angesprochen fühlen und ihren persönlichen Zugang finden. Ich finde es etwas kurios wenngleich interessant, dass im Subkultur-Jargon ausgerechnet der wohl berüchtigtste Berliner Techno-Club landläufig gerne als „Tempel“ oder „Church“ bezeichnet wird. Und auch wenn der Vergleich auf den ersten Blick noch so skurril wirken mag: Vermutlich lechzt jeder Mensch nach einem Raum, einem Ort der Geborgenheit und Zuflucht, der Gemeinschaft, des Gesangs und der Feier und auch der Spiritualität – und offenbar bedeutet Kirche im Kern nach wie vor all das.

Rogate: Vielen Dank, Herr Riedel, für das Gespräch.

Weitere Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de

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Aufgrund der Corona-Pandemie finden im Moment nur wenige Rogate-Gottesdienste statt. Die nächsten geplanten Termine sind:

Fünf Fragen an: Dr. Andrea Schrimm-Heins, Evangelisch-Lutherische Kirche in Oldenburg

Fünf Fragen an Dr. Andrea Schrimm-Heins, Leiterin der Frauenarbeit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg, über die Befreiung aus Rollenstereotypen, die Möglichkeiten der Bildungsarbeit in der Pandemie und Diversität der Lebensformen als kirchliche Herausforderung.

Dr. Andrea Schrimm-Heins (Bild: privat)

Andrea Schrimm-Heins stammt aus Stuttgart und studierte Evangelische Theologie und Latein in Tübingen und Bern sowie Soziologie in Bayreuth. Sie engagiert sich in verschiedenen frauenspezifischen Bezügen, zum Beispiel im Vorstand der Oldenburger „Stiftung Evangelische Frauen helfen Frauen“, im Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft Frauen- und Gleichstellungsarbeit der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und in der Frauenkommission der Norddeutschen Mission.

Rogate-Frage: Frau Dr. Schrimm-Heins, was genau verstehen Sie unter Evangelischer Frauenarbeit und wie funktioniert diese in der Oldenburger Kirche?

Andrea Schrimm-Heins: Unter Frauenarbeit verstehe ich die (Bildungs-)Arbeit mit Frauen in unserer Kirche. Frauen gestalten aktiv und ehrenamtlich auf vielfältige Weise Gemeinde, Kirche und Gesellschaft. Wir unterstützen und fördern dieses Engagement. Die Frauenarbeit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg richtet sich mit ihren Angeboten an alle Frauen, bietet qualifizierte Fortbildungen an, lädt ein zur aktiven Mitarbeit, ermutigt zur Übernahme von Verantwortung in Kirche und Gesellschaft, ermöglicht Gemeinschaft und pflegt eine Kultur der gegenseitigen Wertschätzung.

Wir ermutigen Frauen, ihre Perspektiven einzubringen und für ihre Anliegen einzutreten. Wir möchten in unserer Arbeit etwas von der befreienden Botschaft des Evangeliums sichtbar werden lassen und den an unseren Angeboten teilnehmenden Frauen Orientierung in Sinn- , Glaubens- und Lebensfragen geben, Frauenbewusstsein stärken und zum Nachdenken anregen. Wir stehen für eine Theologie, die Frauen und Männer aus Rollenstereotypen befreit. Wir wollen den Blick schärfen für Ungerechtigkeit und gegenwärtige gesellschaftliche Herausforderungen sowie die Vielfalt von Lebensformen und Kulturen.

Unser Themenspektrum reicht von der Weltgebetstagsarbeit über Tagesseminare zu theologischen oder ethisch relevanten Themen und Einkehrtage oder einwöchige Bildungsurlaube und Pilgertouren bis zu interkulturellen Begegnungen und dem „Fernstudium Theologie geschlechterbewusst“, bei dem wir mit den Evangelischen Frauen in Bremen und der Frauenarbeit der evangelisch-reformierten Kirche kooperieren.

Rogate-Frage: Was hat sich für Ihre Arbeit durch Corona verändert?

Andrea Schrimm-Heins: Unsere Arbeit lebt von der Begegnung und in Zeiten des Lockdowns sind diese vor Ort leider nicht möglich. Einige geplante Veranstaltungen finden daher als Online-Seminare statt. Das ist besser als nichts, aber es fehlt Wesentliches. Die meisten unserer Seminare haben einen spirituellen Rahmen, ermöglichen den persönlichen Austausch in kleinen Gruppen, sind geprägt von einem Wechsel an Methoden, die Kopf, Herz und Hände ansprechen. Viele dieser prägenden Elemente unserer Arbeit sind digital gar nicht erlebbar. Als wir im Sommer nach dem ersten Lockdown wieder mit Veranstaltungen vor Ort starten konnten, erlebten wir einen wahrhaften Andrang auf unsere Einladungen. Die Teilnehmerinnen erzählten dann auch zum Beispiel bei unseren Auszeit-Tagen im August im wunderschön gelegenen Blockhaus Ahlhorn, wie sehr sie die Gemeinschaft und den Austausch mit anderen Frauen vermisst haben und dass sie die Begegnungen dadurch wieder ganz besonders zu schätzen wissen. Was Frauen zur Zeit besonders zu schaffen macht, kommt bei fast allen Treffen zur Sprache, nämlich die Erfahrung, dass sich durch Corona längst überwundene Rollenmuster wieder eingeschlichen haben. Was sich durch Corona verbessert hat, ist natürlich der Umgang mit den sozialen Medien. Selbst Frauen, die bislang keine Erfahrungen mit Video-Chats hatten, haben sich technisch neu ausgestattet und eingearbeitet, um auch an Video-Formaten teilnehmen zu können zum Beispiel an den WGT-Bundeswerkstätten. Die Onlineveranstaltungen der Frauenarbeiten innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) werden auch über ihre landeskirchlichen Grenzen hinaus wahrgenommen. Das empfinde ich natürlich als große Bereicherung.  Positiv habe ich auch erlebt, dass verschiedene überregionale Gremien, bei denen Anfahrtszeit und Tagungsdauer bislang sehr unverhältnismäßig waren, nun online tagen und damit Zeit und Fahrtkosten eingespart werden können ohne an Effizienz einzubüßen.

Rogate-Frage: Die Evangelische Frauenarbeit engagiert sich im interreligiösen Dialog. Warum?

Andrea Schrimm-Heins: In unserer Zuwanderungsgesellschaft gilt es mit kulturellen und religiösen Unterschieden so umgehen zu lernen, dass ein gutes Leben für alle möglich ist. Es braucht Menschen, die Brücken bauen können. Interreligiöser Dialog ermöglicht es einander in gegenseitigem Respekt mit Interesse und Wertschätzung zu begegnen und so miteinander und voneinander zu lernen. Vor dem Hintergrund der je verschiedenen religiösen und kulturellen Traditionen der beteiligten Frauen bietet sich die Möglichkeit, sich mit gesellschaftlichen Fragenstellungen zum Beispiel über Freiheit und Tradition, über Religion und Emanzipation vertieft auseinanderzusetzen und Vorurteile abzubauen sowie Unterschiede zu respektieren.

Rogate-Frage: Sie haben das Projekt „Was glaubst du denn“ mit ins Leben gerufen. Was genau passiert da und wer kann daran teilnehmen?

Andrea Schrimm-Heins: Die Fortbildung zur Kulturmittlerin „Was glaubst du denn?“ ist ein Gemeinschaftsprojekt der Bischöflichen Beauftragten für den interreligiösen Dialog im Offizialatsbezirk Oldenburg, der Frauenseelsorge und Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) im Offizialatsbezirk Oldenburg und der Frauenarbeit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg. Sie orientiert sich am Modellprojekt „Kulturmittlerinnen“ der kfd auf Bundesebene, bei dem es jedoch nur um den christlich-islamischen Dialog ging. Wir haben unser Projekt auf alle drei abrahamitischen Religionen und auf das Yezidentum ausgeweitet, da in unserer Region auch viele yezidische Mitmenschen leben.

Die Grundidee war, dass aus jeder Religion beziehungsweise Konfession mindestens eine Frau im Planungsteam mitwirkt. Eingeladen waren Teilnehmerinnen aus den verschiedenen Religionen. Bei den Veranstaltungen ging es um die Grundlagen und kulturellen Hintergründe der jeweiligen Religionen und ganz besonders um den Austausch über den eigenen Glauben. Leider konnten wir nur das Startwochenende und einen Studientag vor Ort stattfinden lassen. Die nachfolgenden Termine mussten wegen der Pandemie durch Online-Veranstaltungen ersetzt werden. Das wurde als sehr schade erlebt, weil durch die direkten Begegnungen Interesse und Lust geweckt worden war auf weitere persönliche Gespräche und gemeinsames Erleben. Dennoch waren auch die Zoom-Treffen lebendig und fruchtbar. Die Fortbildungsteilnehmerinnen wurden dazu ermutigt, in religionsübergreifenden Kleingruppen interkulturelle Projekte zu planen und durchzuführen. Dafür gibt es schon vielfältige Pläne, die aber in der gegenwärtigen Situation noch nicht in die Tat umgesetzt werden konnten. Wir sind schon gespannt auf die Erfahrungen bei der Umsetzung, von denen wir bei einem Auswertungstag hören werden.

Rogate-Frage: Wie wird sich die Evangelische Frauenarbeit in Hinblick auf Diversität, Kirchenaustrittszahlen und dem resultierenden Sparzwängen und einer sich stärker spaltenden Gesellschaft entwickeln?

Andrea Schrimm-Heins: Die Diversität der Lebensformen und Lebensbedingungen erweist sich als immer größere Herausforderung bei der Ausgestaltung unserer Arbeit, da die traditionelle kirchliche Sozialisation und Bindung von Frauen nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann. Hauptmotivation zur Teilnahme an Veranstaltungen ist der Wunsch nach ganzheitlicher Bildung, Anregung, Austausch, Vernetzung, Unterstützung, Orientierung, Vergewisserung, gegenseitiger Stärkung und Gemeinschaft. Den veränderten Lebensbedingungen und Lebenslagen von Frauen muss durch vielfältige und neue Veranstaltungsformate und eine Ausweitung projektorientierter Angebote Rechnung getragen werden, wobei die Verknüpfung von Bildung und Freizeit sowie erfahrungsbezogene und auch erlebnispädagogische Elemente in Zukunft in der Frauenbildung eine noch größere Rolle spielen werden.

Die aus dem Rückgang der Kirchensteuern resultierenden Sparzwänge gefährden alle übergemeindlichen Arbeitsbereiche – also auch die Frauenarbeit – und stellen sie auf den Prüfstand. In vielen Landeskirchen erfuhr die Arbeit mit Frauen schon starke Kürzungen. Auch auf EKD-Ebene drohen dem Evangelischen Zentrum Frauen und Männer – zu dem unser Dachverband EFiD (Evangelische Frauen in Deutschland) gehört – Kürzungen, die langfristig zur Handlungsunfähigkeit führen würden. Aber Kirche braucht Räume für Geschlechterdialoge und geschlechtsspezifische Angebote. Ich hoffe, den Kirchenleitenden der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg ist bewusst, dass engagierte Frauen zum Fundament unserer Kirche gehören und Frauenarbeit unverzichtbar bleibt, um aktive Frauen zu unterstützen und auch neue für Kirche zu interessieren.  Evangelische Frauenarbeit muss sich in Zukunft weiter vernetzen, um ihre Stimme und Positionen in den gesellschaftlichen Dialog einzubringen.

Rogate: Vielen Dank, Frau Dr. Schrimm-Heins, für das Gespräch.

Weitere Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de

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Aufgrund der Corona-Pandemie finden im Moment nur wenige Rogate-Gottesdienste statt. Die nächsten geplanten Termine sind: