Berlin: Gebete für Verletzte und Tote vom Breitscheidplatz

2016-12-bibel-ro%cc%88merbrief-12In der Nähe vom Rogate-Kloster in der Zwölf-Apostel-Gemeinde steht die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche auf dem Breitscheidplatz. Wir hören den ganzen Abend die Martinshörner und sehen die Rettungsfahrzeuge zum Ort des Geschehens eilen.

Wir beten für die Toten und Verletzten des heutigen Abends, für die Angehörigen und die Retter.

Wir sind traurig über die Ereignisse heute Abend. Wir hoffen weiter auf eine bessere Welt und Gerechtigkeit für alle Menschen auf der Welt. Wir hoffen auf den Frieden für alle, nicht nur im Advent und zu Weihnachten. Wir werden weiter unser Leben leben und nicht nachlassen im Einsatz für eine lebenswerte und offene Gesellschaft, hier in Berlin und da wo Gott uns hinstellt.

Wir beten mit allen Menschen guten Willens:

Vater unser im Himmel
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich
und die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit. Amen.

Gebete für Frieden und Versöhnung finden Sie hier.

Hinweis: Um 18 Uhr findet heute in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche ein Gedenkgottesdienst statt.

Fünf Fragen an: Prälat Georg Austen, Generalsekretär des Bonifatiuswerks

Fünf Freitagsfragen an Prälat Georg Austen, Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken, über eine fröhliche Provokation, eine weihnachtsmannfreie Zone und das Beispiel des Heiligen Bonifatius.

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Prälat Georg Austen (Bild: Bonifatiuswerk)

Georg Austen, 1958 geboren, ist Generalsekretär des Bonifatiuswerkes der deutschen Katholiken und Sekretär des Diaspora-Kommissariates der deutschen Bischöfe. Als Sekretär des XX. Weltjugendtages war er maßgeblich an der Vorbereitung und Durchführung des Glaubensfests beteiligt. Papst Benedikt XVI. ernannte ihn 2008 zum päpstlichen Ehrenkaplan. Austen ist zudem Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, im Konsultoren-Kollegium des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung sowie Berater in der Unterkommission für Missionsfragen der Deutschen Bischofskonferenz.

Rogate-Frage: Herr Prälat Austen, was haben Sie gegen den Weihnachtsmann?

Georg Austen: Ich habe nichts gegen den Weihnachtsmann, ich mag ihn als gemütlichen Typen in der Weihnachtszeit. Aber für mich gibt es nur ein Original und das ist der Heilige Nikolaus.

Den Weihnachtsmann sehe ich eher als eine Märchen- und Werbefigur. Der Heilige Nikolaus steht als Glaubenszeuge für unsere wertvollen christlichen Werte wie Nächstenliebe, solidarisches Handeln und Uneigennützigkeit und ist für mich ein wichtiges Vorbild, das sicherlich nicht nur den Kindern für die heutige Zeit viel zu sagen hat.

Rogate-Frage: Darum die Aktion „Weihnachtsmannfreie Zone“?

Georg Austen: Mit der Aktion „Weihnachtsmannfreie Zone“ möchten wir als Bonifatiuswerk die wertvollen Traditionen des Nikolausfestes wieder in den Mittelpunkt der Menschen rücken. Zugleich möchten wir einer Verwechslung mit der populären Werbefigur des Weihnachtsmannes entgegen wirken. Unsere Aktion sollte man aber sicherlich mit einem Augenzwinkern betrachten. Unsere Botschaft ist eine fröhliche Provokation. Ich glaube, dass die Menschen wieder werte- und traditionsbewusster werden. Viele suchen nach einem tieferen Sinn und Orientierung im Leben, wobei uns der Heilige Nikolaus den Weg weisen kann.

Rogate-Frage: Welche adventliche Botschaft verbinden Sie mit dem Nikolaus?

Georg Austen: Inzwischen lese ich immer häufiger auf Weihnachtsmärkten oder Karten die Worte ‚Happy Holiday‘ statt ‚gesegnete oder frohe Weihnachten‘. Unsere wertvolle christliche Botschaft verblasst so häufig zu einer sinnentleerten Floskel, wodurch wir unsere eigenen christlichen Wurzeln kappen. Bewusst setzen wir mit unserer Nikolausaktion einen Kontrapunkt gegen diesen amerikanischen Trend, der immer mehr zu uns nach Europa herüberschwappt. Es gilt, die Menschen wieder dafür zu sensibilisieren, dass die Vorbereitung auf das Weihnachtsfest seine eigene Zeit hat. Wir wollen, dass die Freude und das Schöne, das Sinnliche und das Besinnliche unserer Traditionen lebendig bleiben und unser Weihnachtsfest als das Fest der Menschwerdung den Menschen von heute etwas zu sagen hat.

Rogate-Frage: Welche Aufgaben hat das Bonifatiuswerk heute und wo sind Sie aktiv?

Georg Austen: Als Hilfswerk für den Glauben und der Solidarität nehmen wir uns ein Beispiel am Heiligen Bonifatius und handeln in seinem Sinne. Wir unterstützen Katholiken überall dort, wo sie in der Diaspora leben. Gerade die Katholiken in einer extremen Minderheitensituation brauchen die Solidarität ihrer Mitchristen, um eine lebendige Glaubensgemeinschaft zu erleben. Ebenso möchten wir die Menschen wieder auf den Geschmack des Evangeliums bringen. Mit unseren vier Hilfsarten der Bau-, der Verkehrs-, der Glaubens- und der Kinder- und Jugendhilfe unterstützen wir Katholiken in den Regionen Nord- und Ostdeutschlands, in Nordeuropa und im Baltikum. Im Bonifatiuswerk spüren wir deutlich, dass wir uns auf neue Formen von Diaspora einstellen müssen. Alleine in Ostdeutschland gehören mehr als 75 Prozent der Bevölkerung keiner christlichen Konfession mehr an. Auch in katholischen Regionen wächst die Zahl derer, die sich von Glaube und Kirche entfernen. Diese Entwicklung ist für uns jedoch kein Grund zur Resignation, sondern ein Auftrag missionarisch und solidarisch zu wirken.

Rogate-Frage: Wie ökumenisch ist Arbeit Ihres Werkes ausgerichtet und welche Rolle wird angesichts der Säkularisierung Europas die Zusammenarbeit der Kirchen in der Zukunft spielen?

Georg Austen: In den Projekten, die wir unterstützen, ist auch der Blick auf eine ökumenische Verbundenheit selbstverständlich geworden. Gerade in Nordeuropa erfahren wir eine praktische und gelebte Ökumene, die sich in den einzelnen Regionen unterschiedlich gestaltet. Das Zeugnis für Jesus Christus in einer modernen, säkularisierten Gesellschaft verlangt nach der tiefen Verbundenheit der christlichen Kirchen. Das können auch wir in Deutschland deutlich spüren. Es reicht ein Blick nach Wittenberg. 2017 begehen wir das Reformationsgedenken mit dem Auftrag, gemeinsam nach Versöhnung zu suchen und ein gemeinsames christliches Zeugnis zu geben. Heute leben in Wittenberg die Christen insgesamt in der Diaspora. Gerade einmal 17 Prozent der Einwohner gehören einer christlichen Kirche an, eine typisches Bild für Ostdeutschland, wo mehr als 75 Prozent der Bevölkerung weder christlich getauft sind, noch sich zu einer anderen Religion bekennen. Eine Gesellschaft, die vergessen hat, dass sie Gott vergessen hat, fragt nicht danach, ob jemand einer Konfession angehört. Eine Gesellschaft, in der die Mehrheit nur wenig weiß vom Evangelium, fragt, wenn überhaupt: Wird der Glaube authentisch gelebt und welchen „Mehrwert“ gibt mir der Glaube für mein Leben? Für die Kirchen heißt das, noch intensiver zusammenzuarbeiten, um im Respekt vor der eigenen Glaubensgeschichte gemeinsam Zeugnis zu geben für das Evangelium. Als Bonifatiuswerk sehen wir unseren Auftrag aber darin, unsere Glaubensbrüder zu unterstützen bei der Suche einer Beheimatung in unserer Kirche.

Rogate: Vielen Dank, Prälat Austen, für das Gespräch!

Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de

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Willkommen zu unseren nächsten öffentlichen Gottesdiensten in der Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde, An der Apostelkirche 1, 10783 Berlin-Schöneberg:

Fünf Fragen an: Präses Manfred Rekowski, Evangelische Kirche im Rheinland

Fünf Fragen an Manfred Rekowski, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, über die Ablehnung der Judenmission, die Ehe als „weltlich Stand“ und die Zukunft Europas.

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Präses Manfred Rekowski (Bild: EKiR)

Dass er einmal höchster Repräsentant der zweitgrößten EKD-Gliedkirche werden würde, war dem 1958 in Polen geborenen Wahl-Wuppertaler nicht in die Wiege gelegt: „Wahrscheinlicher war damals, dass ich Landwirt in den Weiten Masurens werde“, sagt Manfred Rekowski. Aber als der Junge fünf Jahre alt war, verließ seine Familie ihren Bauernhof und siedelte in die Bundesrepublik über. Rekowsky studierte in Bethel, Marburg, Bochum und Wuppertal Evangelische Theologie. 1982 begann er das Vikariat und trat 1986 seine erste Pfarrstelle in der Gemeinde Wichlinghausen an. 1993 wurde er zum Superintendenten des Kirchenkreises Barmen, 2005 zum Superintendenten des Kirchenkreises Wuppertal gewählt. Die Landessynode berief ihn 2011 als Oberkirchenrat in die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland und wählte ihn im Januar 2013 zum Präses.

Rogate-Frage: Herr Präses, was steckt hinter der sogenannten Judenmission und warum sind Sie dagegen?

Manfred Rekowski: Es gibt unserer Erkenntnis nach zwei Wege zu Gott, den christlichen und den jüdischen. Ich möchte aus dem Beschluss der jüngsten EKD-Synode zitieren: „Christen sind nicht berufen, Israel den Weg zu Gott und seinem Heil zu weisen. Alle Bemühungen, Juden zum Religionswechsel zu bewegen, widersprechen dem Bekenntnis zur Treue Gottes und der Erwählung Israels.“ Die rheinische Kirche vertritt diese Position bereits seit 1980. Im Blick auf die Judenmission und daraus abgeleitete Zwangskonversionen gibt es zudem eine lange und furchtbare christliche Schuldgeschichte, das theologische Nein zur Judenmission verbindet sich mit unserer Verantwortung nach der Shoa.

Rogate-Frage: Ihre Landeskirche hat Trauungsgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare ermöglicht. Warum?

Manfred Rekowski: Nach evangelischem Verständnis ist die Ehe ein „weltlich Stand“, so Martin Luther. Sie – und entsprechend die Lebenspartnerschaft – wird vor dem Standesamt geschlossen, und nicht vor dem Altar. Die evangelische Trauung ist daher „ein Gottesdienst anlässlich einer Eheschließung, in dem die eheliche Gemeinschaft unter Gottes Wort und Segen gestellt wird. Dabei bekennen die Eheleute, dass sie einander aus Gottes Hand annehmen, und versprechen, ihr Leben lang in Treue beieinander zu bleiben und sich gegenseitig immer wieder zu vergeben.“ So sagt es die Kirchenordnung der Evangelischen Kirche im Rheinland, dessen Artikel seit dem Frühjahr 2016 auch auf Eingetragene Lebenspartnerschaften Anwendung. Mit dieser Gleichstellung reagieren wir auf Veränderungen im Zivilrecht für Eingetragene Lebenspartnerschaften. Mit der Eingetragenen Lebenspartnerschaft hat der Gesetzgeber im Jahr 2001 eine Regelung für gleichgeschlechtliche Partnerinnen und Partner geschaffen, die gleiche Rechtsfolgen wie eine Ehe mit sich bringt, derzeit ausgenommen noch das Adoptionsrecht. Maßgeblich für diese Entwicklung ist der Gleichheitsgrundsatz gewesen sowie die Einsicht, dass der besondere Schutz der Ehe keine Benachteiligung anderer Lebensformen erfordert.

Rogate-Frage: Welche Erfahrungen haben Sie in den Diskussionen um die Gleichstellung von Lesben und Schwulen gemacht und wie soll es nun weitergehen?

Manfred Rekowski: Wie gesagt: Das kirchenleitende Gremium, die Landessynode, hat den Beschluss, gleichgeschlechtliche Paare in eingetragener Lebenspartnerschaft bei der Trauung gleichzustellen, mit überzeugender Mehrheit gefasst. Dem voraus ging die Möglichkeit einer sogenannten Gottesdienstlichen Begleitung für gleichgeschlechtlich Liebende, die die rheinische Synode schon im Jahr 2000 eröffnet hat – noch bevor der Gesetzgeber Eingetragene Lebenspartnerschaften möglich machte. Nach dem heute gültigen Beschluss können Pfarrerinnen und Pfarrer die Trauung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerinnen und -partnern aus Gewissensgründen ablehnen. Haben Presbyterien vor 16 Jahren die Durchführung Gottesdienstlicher Begleitungen von Lebenspartnern abgelehnt, können sie diesen Beschluss aufrechterhalten. In beiden Fällen ist die Gemeindeleitung aber verpflichtet, mit Hilfe der Superintendentin oder des Superintendenten dafür zu sorgen, dass die Trauung des Paares in einer anderen Kirchengemeinde stattfindet. Mit diesen Regelungen trägt die Synode dem unterschiedlichen Bibelverständnis zum Thema Homosexualität Rechnung.

Rogate-Frage: Seit einiger Zeit erleben wir in der Bundesrepublik eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft und zunehmenden Populismus, die sich auch in Wahlerfolgen der AfD spiegeln. Was ist die Aufgabe der Kirche in dieser Zeit und wie reagieren die Landeskirchen darauf?

Manfred Rekowski: Um es mit den Worten des einstigen Bundespräsidenten Johannes Rau aus der rheinischen Kirche zu sagen: „Versöhnen statt spalten!“ Und ein kompromissloses Einstehen für gelebte Nächstenliebe sowie für Errungenschaften und Werte wie Demokratie und Menschenrechte. Dabei ist mir der Einsatz für Menschen, die um ihr Leben fürchten und Schutz in Deutschland suchen, besonders wichtig. Wer die Menschenwürde von Flüchtlingen missachtet oder Menschen anderer Religionen nicht die Religionsfreiheit zubilligt, wie das einige Vertreter der AfD tun, der spielt mit dem Feuer und gefährdet den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Dem werden wir massiv entgegentreten.

Rogate-Frage: Die politischen Entwicklungen beispielsweise in Polen, Ungarn und in der Türkei sind beunruhigend. Der Brexit, nationalistische Tendenzen in vielen Ländern … Was wird aus Europa und wie sollten wir Christen uns in dieser Situation verhalten?

Manfred Rekowski: Europa ist die Reaktion auf zwei Weltkriege, ein Friedensprojekt, eine Wertegemeinschaft. Die Kirchen in den Ländern Europas haben längst Netzwerke gebildet, die abseits der politischen Bündnisse, mit oder ohne Brexit halten. Die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) als ökumenische Organisation der orthodoxen, anglikanischen, alt-katholischen und evangelischen Kirchen beispielsweise wurde zu Zeiten des Kalten Krieges gegründet. Eine kleine Schar kirchenleitender Menschen machte sich damals dafür stark, die Kirchen in den verschiedenen europäischen Ländern mit ihren unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systemen miteinander ins Gespräch zu bringen. Ihr Ziel war es, den Kirchen Europas zu helfen, eine Vermittlerrolle für Frieden und Verständigung zu übernehmen. Dieses Ziel verfolgen die Kirchen bis heute. Sie tun auf ihrem Terrain viel dafür, das Friedensprojekt Europa zu stärken.

Rogate: Vielen Dank, Präses Rekowski, für das Gespräch!

Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de

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Fünf Fragen an: Dr. Christoph Meyns, EKD-Beauftragter zu den evangelischen Kommunitäten

Fünf Freitagsfragen an Dr. Christoph Meyns, Beauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für den Kontakt zu den evangelischen Kommunitäten, über Orte geschwisterlicher Gemeinschaft, Schulen der Achtsamkeit und die Versuchung der Selbstabschließung.

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Landesbischof Christoph Meyns (Bild: LK BS)

Dr. Christoph Meyns stammt gebürtig aus Bad Segeberg. In Kiel und Tübingen studierte er Evangelische Theologie. Als Stipendiat der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche verbrachte er zwei Jahre bei der Evangelical Lutheran Church of Papua New Guinea. Nach dem Vikariat im Predigerseminar Breklum und in Husum war er Gemeindepastor in Bargum/Breklum-Nord, Krummesse und Oldenswort. Er ließ sich zum Geistlichen Begleiter bei der damaligen Communität Christusbruderschaft in Wülfinghausen ausbilden. Verschiedene Aufgaben im Kirchenamt in Kiel für die Evaluation des Reformprozesses der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche sowie als Organisations- und Personalentwickler im Kirchenkreis Dithmarschen folgten. 2013 promovierte er zum Doktor der Theologie im Fach Praktische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Seit Juni 2014 ist er Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig und seit Juni 2016 Beauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für den Kontakt zu den evangelischen Kommunitäten.

Rogate-Frage: Was verbinden Sie mit evangelischen Kommunitäten und Klöstern?

Christoph Meyns: Für mich stehen evangelische Kommunitäten und Klöster für eine Form des kirchlichen Lebens, in der Gottesdienst, Gebet und geschwisterliche Gemeinschaft in besonderer Intensität gepflegt werden. In einer Zeit, die von verwirrend vielen Möglichkeiten, Zerstreuung und Oberflächlichkeit gekennzeichnet ist, stehen sie ein für die Konzentration auf das Wesentliche, die Wertschätzung der Stille und das Eintauchen in die Fundamente unserer Existenz.

Rogate-Frage: Nicht selten müssen sich Angehörige evangelischer Klöster und Kommunitäten den Vorwurf anhören, ihre Lebensform sei „nicht evangelisch“. Was sagen Sie dazu?

Christoph Meyns: Die Reformation kritisierte die klösterliche Lebensform als Mittel der Werkgerechtigkeit und aufgrund der Lasten, die sich daraus für die Gesellschaft ergaben. Sie fokussierte die Aufmerksamkeit auf Familie und Beruf als gleichberechtigten Ort christlicher Existenz. Im Ergebnis führte diese „Entthronung“ mönchischer Lebensweisen zu ihrer Abschaffung. Damit wurde meines Erachtens das Kind mit dem Bade ausgeschüttet

Auch evangelische Christinnen und Christen können in der Begegnung mit dem Wort Gottes für sich Konsequenzen für die eigene Lebensführung ziehen, die sie in Anknüpfung an die Traditionen des Mönchtums in ein kommunitäres oder klösterliches Leben hinein führen.

Wichtig ist mir, dass nicht das eine gegen das andere ausgespielt wird. Beide Lebensformen haben ihre je eigenen geistlichen Vorzüge, Herausforderungen, Gefährdungen und Fehlformen.

Rogate-Frage: Welche Bedeutung haben Klöster und Geistliche Gemeinschaften in der EKD?

Christoph Meyns: Wir brauchen Orte des Rückzugs, der Stille, der Besinnung und der Kontemplation. Unsere Welt ist so laut, dass wir die leise Stimme Christi und die des eigenen Gewissens oft überhören. Kommunitäten und Klöster sind in besonderer Weise Schulen der Achtsamkeit, des Gebetes und der Liturgie. Sie leisten damit Widerstand gegen einen Zeitgeist, der mit Kopflastigkeit, Machbarkeitswahn, Leistungsdruck, Selbstüberforderung, Misstrauen und der Flucht vor Erfahrungen der Begrenztheit und Kontingenz des Lebens bis tief hinein ins kirchliche Leben Verunsicherung auslöst.

Rogate-Frage: Wie kann die Kirche ihre Klöster und deren geistliches Leben schützen und fördern?

Christoph Meyns: Ich bin noch zu wenig in meine neue Aufgabe eingearbeitet, um beurteilen zu können, was genau Klöster und Kommunitäten von der verfassten Kirche brauchen. Ein erster Schritt scheint mir darin zu liegen, ihnen Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu schenken und sie neben Ortsgemeinden, funktionalen Diensten, Kreisen, Initiativen, Vereinen, Verbänden und diakonischen Einrichtungen als wichtigen Teil des kirchlichen Lebens zu würdigen.

Wichtig scheint mir für unsere Kirche insgesamt zu sein, der Versuchung zu Selbstabschließung und Selbstgenügsamkeit entgegen zu wirken und an guten Beziehungen zwischen den verschiedenen Orten und Ebenen des kirchlichen Lebens zu arbeiten.

Rogate-Frage: Welchen Rat geben sie den Gemeinschaften auf den Weg für das Leben in, mit und für die Kirche?

Christoph Meyns: Da halte ich es mit Paulus: Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Philipper 4,4

Rogate: Vielen Dank, Herr Landesbischof Dr. Meyns, für das Gespräch!

Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de

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Willkommen zu unseren nächsten öffentlichen Gottesdiensten in der Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, 10783 Berlin-Schöneberg:

  • Rogate Kl_Aushang_Eucharistie 22 Sonntag n Trinitatis_160616 Kopie.jpgSonntag, 23. Oktober 2016 | 10:00 Uhr, Eucharistie am 22. Sonntag nach Trinitatis, mit dem Botkyrka Kammarkör der Tumba Kirche, Schweden. Orgel: Manuel Rösler
  • Donnerstag, 20. Oktober 2016 | 19:30 Uhr, Mitgliederversammlung des Fördervereins.
  • Allerheiligen, Dienstag, 1. November 2016 | 19:00 Uhr, Ökumenisches Eucharistie  mit Bischof Dr. Matthias Ring, Katholisches Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland, Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein, EKBO, Bezirksbürgermeisterin  Angelika Schöttler, Bezirk Tempelhof-Schöneberg, Pfarrerin Andrea Richter, Spiritualitätsbeauftragte der EKBO, Dekan Ulf-Martin Schmidt, Alt-Katholische Gemeinde Berlin, Pastorin Dagmar Wegener, Baptistische Gemeinde Schöneberg, und Pfarrer Burkhard Bornemann, Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde. Chor: „Mixed Martinis – Gospel & more“, Tegel. Orgel: Manuel Rösler
  • Sonntag, 3. Advent, 11. Dezember 2016 | 17:00 Uhr, Sternenkinder-Gottesdienst für verwaiste Eltern und ihre Angehörigen zum Worldwide Candle Lighting Day, mit Pastor Engelbert Petsch, Aktion “Die Flamme der Hoffnung”, und Pfarrer Burkhard Bornemann, Zwölf-Apostel-Kirche
  • Unseren Fördervereinsflyer finden Sie hier.

Fünf Fragen zur Abgeordnetenhaus-Wahl und 30 Antworten von SPD, CDU, Grünen, Linken, Piraten, FDP und AfD

Fünf Freitagsfragen an die Spitzenpolitiker zur Berliner Abgeordnetenhauswahl 2016:

2016 Michael Müller SPD Berlin Joachim Gern

Michael Müller (Bild: SPD Berlin, Joachim Gern)

Sozialdemokratische Partei, Berlin: Michael Müller wurde 1964 in Berlin geboren und erwarb 1982 die Mittlere Reife, es folgte die Ausbildung zum Bürokaufmann und die Mitarbeiter in der familieneigenen Druckerei. Parallel Engagement in der SPD und bereits 1989 Jahren die Wahl in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Tempelhof. Seit 1996 ist Müller Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, war Fraktionsvorsitzender der SPD und Senator für Stadtentwicklung. Ende 2014 wurde er zum Regierenden Bürgermeister Berlins gewählt. 
Der verheirate Vater zweier Kind ist evangelisch.

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Ramona Pop (Bild: Bündnis 90)

Bündnis 90/Die Grünen: Ramona Pop ist seit 2009 Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie wuchs in Rumänien auf, mit zehn Jahren zog sie nach Münster. 2001 wurde die Politikwissenschaftlerin als damals jüngste Abgeordnete Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte liegen in der Haushalts- und Integrationspolitik. Bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl 2016 kandidiert Ramona Pop auf Platz 1 der Landesliste von Bündnis 90/Die Grünen.

 

2016 Klaus Lederer Die Linke Berlin

Klaus Lederer (Bild: Die Line Berlin)

Die Linke, Berlin: Klaus Lederer, 42, wurde in Schwerin geboren und kam auf dem Umweg über Frankfurt/Oder nach Berlin. Hier studierte er Rechtswissenschaften, promovierte 2004. Er ist Landesvorsitzender der LINKEN in Berlin, Mitglied im Parteivorstand und Abgeordneter der LINKEN im Abgeordnetenhaus, bei den Wahlen am 18. September ist er der Spitzenkandidat seiner Partei. Klaus Lederer engagiert sich für soziale Gerechtigkeit und Freiheitsrechte, er setzt sich ein für die Gleichwertigkeit aller Lebensentwürfe, die frei von sozialen Ängsten und selbstbestimmt gelebt werden sollen. Er ist konfessionslos.

2016 Philipp-Magalski

Philipp Megaski (Bild: privat)

Die Piraten, Berlin: Philipp Magalski ist kulturpolitischer Sprecher der Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und kandidiert auf Listenplatz 3 für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus. Er stammt aus dem Ruhrgebiet, war Messdiener und Lektor, studierte Politikwissenschaften in Duisburg und engagiert sich insbesondere für Umwelt- und Tierschutz. Er wurde römisch-katholisch getauft, ist aber inzwischen nicht mehr konfessionell gebunden. Er findet, dass die römisch-katholische Kirche, der er über 30 Jahre angehört hat, noch immer stark reformierungsbedürftig sei. Papst Franziskus ist für ihn der „beste Papst, den es je gab und er es vermutlich schon schafft, einige verlorene Söhne und Töchter zurück in den Schoß der katholischen Kirche zu holen.“

2016 Sebastina Czaja

Sebastian Czaja (Bild: FDP, Berlin)

Freie Demokratische Partei, Berlin: Sebastian Czaja ist gebürtiger Berliner, ist in der Bau- und Immobilienbranche tätig, engagiert sich im Verein „Sport gegen Gewalt“, der es sich zum Ziel gemacht hat, Jugendlichen in schwierigen urbanen Umfeldern Alternativen und Perspektiven zu vermitteln, und ist katholisch.

 

2016  Georg Pazderski

Georg Pazderski (Bild: AFD, Berlin)

Alternative für Deutschland, Berlin: Georg Pazderski ist Diplombetriebswirt und war 41 Jahre Berufsoffizier, zuletzt im Rang eines Oberst im Generalstabsdienst. Er war sicherheitspolitsicher Berater des Ständigen Deutschen Vertreters bei der EU in Brüssel, als Direktor für Operationen und Stellvertretender Chef des Stabes im 1. D/NL Korps in Münster, als Leiter einer Internationalen Planungs- und Analysegruppe im Hauptquartier USCENTCOM in Tampa/USA und als Abteilungsleiter für Logistik im NATO Joint Force Command in Lissabon. Georg Pazderski war Landesgeschäftsführer der AfD Berlin und Bundesgeschäftsführer der Alternative für Deutschland. Seit Juli 2015 ist er Mitglied des Bundesvorstandes der Alternative für Deutschland.

 

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Frank Henkel (Bild: CDU Berlin)

Christlich Demokratische Union, Berlin: Frank Henkel wurde am 16. November 1963 in Berlin geboren. Seit Dezember 2011 ist er Senator für Inneres und Sport und Bürgermeister von Berlin. Henkel ist zudem Landesvorsitzender der Hauptstadt-CDU und Vater eines zweijährigen Sohnes. Frank Henkel ist gläubiger Katholik.

 

Rogate-Frage: Was treibt Sie persönlich in die Politik, warum engagieren Sie sich und welche Massstäbe leiten Sie dabei?

Michael Müller, SPD: Mein Vater hat mich schon als zehnjährigen Jungen mit zur SPD in Tempelhof genommen, das war natürlich eine frühe Prägung. Neben meiner Ausbildung habe ich mich gern politisch engagiert, ganz konkret und in der eigenen Nachbarschaft. Mit knapp 25 Jahren bin ich Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung in Tempelhof geworden und dort recht schnell Fraktionsvorsitzender geworden. Der Antrieb ist immer gewesen: im Konkreten etwas tun, was Menschen hilft. Und das muss auch immer der Maßstab sein: Politik dient nicht dem Durchsetzen der Interessen Einzelner, sondern dem Gemeinwohl.

Ramona Pop, Grüne: Berlin steht für vieles, was mir wichtig ist: Weltoffenheit, Toleranz und Vielfalt. Doch ich setze mich auch für konkrete Alltagssorgen ein, damit die Stadt wieder funktioniert – ohne Ämterchaos, kaputte Schulgebäude und rumpelnden Nahverkehr. Damit in Berlin wieder mehr für bezahlbare Mieten getan wird. Damit die Steuerverschwendung für aus dem Ruder laufende Großprojekte wie BER oder Staatsoper ein Ende findet und wieder in die Zukunftsfähigkeit Berlins investiert wird. Die wichtigste Aufgabe ist jedoch, die Stadt gesellschaftlich zusammenzuhalten und sie nicht denen zu überlassen, die unsere Gesellschaft spalten wollen.

Klaus Lederer, Die Linke: Das Interesse an gesellschaftlichen, politischen Zusammenhängen wurde schon früh geweckt – Ende der 80er Jahre. Wer damals, als junger Mensch in der DDR, mit offenen Augen und eigenen Gedanken durch die Gegend lief, bemerkte Widersprüche. Vorgesetztes und Erlebtes passten immer weniger zusammen.

Die „Zeit der Wende“ war eine spannende Zeit – eine intensive Zeit, in der man seine Gedanken einbringen konnte und sah, wie sich etwas wirklich bewegte. Dieses Zusammenspiel von Denken, Debatten und demokratischen Prozessen führte dazu, dass ich mich engagierte. Zusehen und über Zustände meckern, das liegt mir nicht. Wenn etwas schief läuft, muss man es ändern.

In meiner politischen Arbeit leiten mich eigentlich nur die simplen Maßstäbe von Mitmenschlichkeit und Gerechtigkeit. Meine Grundüberzeugung ist, dass es möglich sein muss, allen ein sorgen- und angstfreies Leben nach seinen eigenen Vorstellungen zu ermöglich. Dafür lohnt sich jeder Kampf, jede Anstrengung und jede Debatte.

Philipp Magalski, Piraten: In die Politik treibt mich, diese verändern und verbessern zu wollen und dadurch auch Berlin und damit einen Teil unserer Welt, der durch die Politik verändert wird, zu einem besseren Ort für uns alle zu machen.

Frank Henkel, CDU Berlin: Berlin ist eine großartige Stadt, für die es sich zu kämpfen lohnt. In den fünf Regierungsjahren hat sich unsere Stadt gut entwickelt. Das Wirtschaftswachstum ist höher als im Bundesdurchschnitt, die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr, es gibt mehr Personal bei der Polizei, der Feuerwehr und in der Verwaltung sowie weniger Bildungsexperimente wie der Zwang zum jahrgangsübergreifenden Lernen und zur Früheinschulung. Unser Slogan ist „Starkes Berlin“. Ein starkes Berlin ist auch gleichzeitig mein persönlicher Anspruch.

Sebastian Czaja, FDP: Mich fasziniert an Politik, dass man etwas gestalten kann. Viele beschweren sich nur darüber, was ihnen alles nicht passt oder was man besser machen könnte. Die wenigsten raffen sich aber auf, selbst aktiv zu werden und zu versuchen, Dinge, die sie stören, zu ändern. Offenbar ist mir das in die Wiege gelegt worden. Denn schon als Schüler habe ich mich gerne eingebracht, wenn es darum ging, Verbesserungen herbeizuführen. Was die Maßstäbe betrifft, so sind die recht klar. Ich bin christlich, sprich katholisch erzogen worden und aufgewachsen. Insofern verfolge ich auch eine Politik mit christlichem Ansatz, das heißt eine Politik, die alle anspricht, ohne zu bewerten – jung oder alt, arm oder reich, gesund oder krank und natürlich gläubig oder nichtgläubig, es macht für mich keinen Unterschied. Und das ist bei der chrtistliche Botschaft doch auch so.

Georg Pazderski, AfD: Meine Motivation: Ich möchte etwas zurückgeben. Ich bin jetzt 64 Jahre alt und hatte ein glückliches Leben in Deutschland. Ich habe unserem Land als Soldat jahrzehntelang gedient. Es waren gute Jahre. Aber die Zukunft sieht weniger rosig aus. Die Kinderlosigkeit, die turmhohen Schulden und die ungezügelte Masseneinwanderung verändern Deutschland in einem Maße, wie wir uns das vor wenigen Jahren nicht hätten vorstellen können. Ich will der Generation nach mir, auch meinen Kindern und Kindeskindern, ein Land hinterlassen, das fit für die Zukunft und lebenswert ist und nicht am Abgrund steht. Zum Fundament: Wie Theodor Heuss, unser erster Bundespräsident, treffend festgestellt hat, wurde Europa auf drei Hügeln erbaut: Golgatha steht mit der jüdisch-christlichen Kultur für den Frieden, die Akropolis in Athen für die Demokratie und das Kapitol in Rom für den Rechtsstaat. Das ist unsere Grundlage, nach der auch ich mich richte.

Rogate-Frage: Lange standen uns unerträgliche Bilder von dem Zuständen vor dem Berliner LaGeSo vor Augen. Bereits vor der höheren Zahl von geflüchteten Menschen, die nach Berlin gekommen sind, waren die Umstände für Antragsstellende (darunter besonders Schutzbedürftige wie Kinder, alte und kranke Menschen) sowie für Mitarbeitende der Behörde grenzwertig. Im Herbst 2015 hat sich die Lage dramatisch verschlimmert. Welche Lehren ziehen Sie daraus und was soll konkret in der nächsten Legislaturperiode in dieser Frage in Berlin passieren?

Michael Müller, SPD: Das waren in der Tat Bilder, die mich auch ganz persönlich beschäftigt haben. Als die Lage vor Ort über Wochen nicht besser wurde, habe ich das Thema zur Chefsache gemacht. Die Situation war extrem, schließlich kamen an manchen Tagen im Herbst 2015 so viele Flüchtlinge in Berlin an, wie sonst in einem ganzen Jahr. Innerhalb von zwei Jahren kamen 100.000 Menschen in die Stadt. Wir haben daraufhin eine ganze Menge in die Strukturen investiert, in Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim Lageso, wir haben ein neues Landesamt gegründet und Verfahren beschleunigt. Und wir haben in kürzester Zeit Notunterkünfte organisiert. Dabei sind wir auch dankbar, für die große Solidarität der Berlinerinnen und Berliner, die mitgeholfen haben. Ohne das große ehrenamtliche Engagement wäre das kaum zu stemmen gewesen, übrigens auch das ehrenamtliche Engagement der Kirchen! Jetzt sind wir nach und nach dabei, neue dezentrale Gemeinschaftsunterkünfte in der ganzen Stadt zu errichten, die endlich die Unterbringung in Sporthallen und Großeinrichtungen beendet. Denn nur so kann Zusammenleben, kann Integration gelingen – über Kontakte mit der Nachbarschaft. Inzwischen kommen weit weniger Flüchtlinge in die Stadt. Wir werden unsere Kapazitäten trotzdem aufrechterhalten. Eine Situation wie im vergangenen Jahr darf und wird es nicht wieder geben. Klar ist auch: Jetzt geht die Arbeit erst richtig los. Schließlich sind Menschen hergekommen, um die wir uns auch kümmern müssen. Integration kostet Geld und dauert Zeit.

Ramona Pop, Grüne: Das Eintreffen zahlreicher geflüchteter Menschen stellte viele Städte, Kommunen und Länder in Deutschland vor große Herausforderungen. Doch nirgendwo war die Lage so katastrophal wie in Berlin. Andere Städte und Bundesländer haben viel früher die Flüchtlingssituation zur Chefsache gemacht und Regierungen gemeinsam Verantwortung übernommen. In Berlin dagegen wurde wochen- und monatelang in der Koalition die Verantwortung hin- und hergeschoben, anstatt zu handeln. Besonders dankbar bin ich den zahlreichen Berlinerinnen und Berlinern, die überall dort eingesprungen sind, wo die Verwaltung versagt hat. Aber das darf kein Dauerzustand werden, der Staat muss seine Hausaufgaben machen. Die Gründung eines neuen Landesamtes für Flüchtlinge, in dem die Verantwortlichkeiten gebündelt werden, haben wir schon lange gefordert. Und wir dürfen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen, sondern müssen auf Integration von Anfang an setzen. Das heißt: Bildung, Sprachkurse und Arbeit, vernünftige Unterbringung statt Turnhallen und Hangars. Dafür muss der politische Willen vorhanden sein, statt einer Dauerstreit-Koalition.

Klaus Lederer, Die Linke: Tatsache ist, die Bilder waren unerträglich und die Situation in manchen NUK (Notunterkünften) sind sie es noch. Tatsache ist auch, dass es soweit nie hätte kommen dürfen – und auch nicht müssen. Die Linksfraktion im AGH hat bereits Ende 2014 ein Flüchtlingspolitisches Konzept vorgelegt; statt es abzulehnen, hätte man sich damit auseinandersetzen müssen. Es steht alles drin, von den Forderungen nach Kostenübernahme durch den Bund, dezentrale Unterbringung statt NUKs und auch detailliert, wie man Integration in Arbeit und Gesellschaft vernünftig realisiert.

Vieles von dem, was wir damals forderten, passiert jetzt – zu spät, zu langsam, zu unvollständig – aber immerhin. Ein großes Ärgernis ist – und da müssen wir umgehend handeln -, dass Berlins neue Mitbürger zu sehr als Problem gesehen werden. Das liegt auch am mangelnden Willen zur Integration der Geflüchteten bei den politisch Verantwortlichen. Wir müssen uns also sofort um vernünftige und menschenwürdige Unterbringung in Wohnungen kümmern, Personal für Bildung und Ausbildung bereitstellen und mit Unternehmen über die Integration in den Arbeitsmarkt reden.

Philipp Magalski, Piraten: Berlin muss besser auf Krisensituationen vorbereitet sein um allen, die vor Gefahren zu uns flüchten, eine menschenwürdige Unterkunft und Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen.
Betreibergesellschaften dürfen nicht nur wirtschaftlich und praktisch geprüft werden, sondern müssen auch ethischen Anforderungen genügen.

Frank Henkel, CDU Berlin: Wir haben bereits im Sommer 2014 im Senat auf die immer größer werdenden Herausforderungen aufmerksam gemacht und mehr Personal gefordert. Außerdem haben wir von vornherein deutlich gemacht, dass eine solche Aufgabe nur der gesamte Senat lösen kann. Auch wenn wir uns hier eine konstruktivere Zusammenarbeit gewünscht hätten, haben wir in dieser Legislaturperiode eine Trendumkehr einleiten können. Es gibt zusätzliches Personal und die Verwaltungsprozesse werden optimiert. Darauf muss aufgebaut werden. So wollen wir beispielsweise die Einführung der elektronischen Akte vorantreiben, um einen einheitlichen und ganzheitlichen Blick auf die Vorgänge sicherzustellen.

Sebastian Czaja, FDP: Sie haben recht. Die Zustände waren unerträglich. Auch wenn man die besondere Lage durch eine extrem hohe Zahl an Geflüchteten sicherlich als Ausnahmesituation bewerten muss – da hat die Regierung total versagt, wobei sich dieses Versagen nicht nur auf ein oder zwei Ressorts beschränken lässt. Denn das Flüchtlingsthema betrifft alle Politikbereiche und kann auch nur von allen gemeinsam gelöst werden. Es hat ja auch nichts geholfen, dass der Regierende Bürgermeister das Thema zur Chefsache erklärt hat. Danach ist ja auch nichts besser geworden.

Zum Glück hat der Flüchtlingsstrom aktuell nachgelassen, so dass sich die Situation ein wenig entspannen konnte. Seit Anfang August ist das neue Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) für die Registrierung von Geflüchteten zuständig, dafür wurde auch das Personal aufgestockt. Sollte sich aber abzeichnen, dass die Zahl der Flüchtlinge wieder ansteigt, muss Berlin besser vorbereitet sein: Organisatorisch, personell und materiell. Wenn die FDP wieder im Parlament ist, wird sie in diese Richtung wirken und immer wieder den Finger in die Wund legen. An dieser Stelle möchte ich noch einen großen Dank an die vielen privaten und ehrenamtlichen Helfer und auch die Kirchen ausrichten, ohne deren aufopferungsvolle Tätigkeit die Situation noch viel, viel schlimmer gewesen wäre.

Georg Pazderski, AfD: Wir können den wirklich Hilfsbedürftigen nur helfen, wenn wir uns auf sie konzentrieren. Eine ungezügelte Masseneinwanderung würde Deutschland selbst in ein Dritte-Welt-Land verwandeln. Damit wäre niemandem geholfen, den Deutschen nicht und den Zugewanderten auch nicht. Deswegen müssen wir die Grenzen sichern und dürfen nur so viele Leute hereinlassen, wie wir verkraften können. Das Grundgesetz ist eigentlich ziemlich klar: Asyl genießt, wer politisch verfolgt wird und nicht aus einem sicheren Drittstaat kommt. Wenn wir uns an diese Regeln halten, dann gibt es kein Lageso-Chaos. Andere Staaten wie die Schweiz werden ihrer humanitären Verpflichtung auch gerecht, obwohl sie Antragsteller unverzüglich ausweisen, die nicht in das obige Kriterium fallen. Zudem wollen wir Einwanderern neue Möglichkeiten einräumen, die sich aber nach unseren Bedürfnissen richten.

Rogate-Frage: Die Berliner Behörden sind – so nehmen wir Bürger es zumindest wahr – seit Jahren auch in anderer Hinsicht wenig kundenfreundlich ausgerichtet. Wer sich – dazu sind wir ja gesetzlich verpflichtet – beispielsweise ummelden oder einen neuen Personalausweis beantragen muss, hat mit monatelangen Wartezeiten zu rechnen. Berlin ist auch dafür bundesweit bekannt. Was würden Sie konkret ändern, wenn Sie dafür die parlamentarische Mehrheit im Abgeordnetenhaus hätten?

Michael Müller, SPD: Richtig ist, dass es Wartezeiten auf Termine in den Bürgerämtern gibt. Schon allein, weil wir jedes Jahr rund 40.000 Zuzüge nach Berlin haben, Flüchtlinge nicht mitgerechnet. Deshalb ist das Wichtigste, dass wir jetzt wieder verstärkt in neues Personal investieren. 4.500 Stellen haben wir seit meinem Amtsantritt als Regierendem Bürgermeister geschaffen. Ich will allerdings die „Kundenunfreundlichkeit“ nicht so stehen lassen. Mir ist kein einziger Fall bekannt, dass jemand nicht verreisen konnte, weil man ihm auf dem Amt nicht rechtzeitig weitergeholfen hat. Neben mehr Personal wollen wir auch die Strukturen effizienter machen, zum Beispiel indem ab 2023 nur noch mit elektronischen Akten gearbeitet wird und mehr Anträge direkt online erledigt werden können.

Ramona Pop, Grüne: Wir Grüne stehen für einen Neuanfang nach dem 18. September, nach zu viel Basta-Politik, Streit und Stillstand. Berlin muss wieder funktionieren. Die Probleme sind leider hausgemacht: eine überforderte Verwaltung, bei der zwar kräftig gespart wurde, aber eine vernünftige Modernisierung und Personalentwicklung nie stattgefunden hat. Eine Regierung mit grüner Beteiligung wird sich nicht davor drücken, den gravierenden Investitionsstau und die überfällige Verwaltungsmodernisierung anzupacken.

Die Berlinerinnen und Berliner müssen sich darauf verlassen können, dass staatliche Leistungen rechtzeitig erfolgen und bei Eingriffen nach Recht und Gesetz gehandelt wird. Die Berliner Verwaltung steht vor enormen Herausforderungen. Nicht nur bei der Bewältigung des Zuzugs von geflüchteten Menschen hat sich gezeigt, dass mehr Flexibilität notwendig ist. Zugleich fällt es Berlin schwer, schnell qualifiziertes Personal zu verpflichten. Dazu trägt auch der enorme Besoldungsrückstand im Vergleich zu anderen Bundesländern und zum Bund bei. Der Öffentliche Dienst steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Bis 2020 scheiden altersbedingt 25.000 Beschäftigte aus, deren Stellen neu besetzt werden müssen. Gleichzeitig wächst Berlin und neue Aufgaben kommen auf die Verwaltung zu.

Wir schlagen einen Zukunftspakt für die Berliner Verwaltung vor, der einen fairen Ausgleich von Interessen vorsieht. Der Zukunftspakt bedeutet: mehr Flexibilität und schnellere Einstellungen, eine Besoldungsanpassung bis 2022, Engagement gegen prekäre Beschäftigungen und Lohndumping im öffentlichen Auftrag und Berlin als gute Arbeitgeberin zu etablieren.

Klaus Lederer, Die Linke: Hier treffen sich in der Tat zwei Probleme – deren Lösung keinen Aufschub duldet, die wir sofort in Angriff nehmen müssen. Erstes Problem: Unter dem Druck von enormen Haushaltsdefiziten vergangener Jahre und Schuldenbremse ist der Öffentliche Dienst regelrecht kaputtgespart worden, die Öffentliche Infrastruktur lahmgelegt. Hier braucht es dringend eine Investitionsoffensive in Infrastruktur und Qualifizierung, damit der Öffentliche Dienst wieder handlungsfähig wird. Die öffentlichen Dienstleistungen für Berlinerinnen und Berliner müssen funktionieren, dürfen nicht als Tresor für Schuldendienste missbraucht werden.

Zweites: Berlin wächst und wächst, die Personalausstattung im Öffentlichen Dienst hält da nicht mit, bis 2025 werden mehr als 50 Prozent der derzeit dort Beschäftigten in den Ruhestand gehen. Wir stehen auch für eine Einstellungsoffensive, damit aus „Warteämtern wieder Bürgerämter“ werden, wie wir plakatiert haben.

Philipp Magalski, Piraten: Berlin benötigt eine moderne Online-Verwaltung (Stichwort E-Government), die bestimmte Behördengänge überflüssig macht, Wartezeiten erspart und Dokumente barrierefrei, digital und datenschutzsicher direkt an die Bürger versendet.

Frank Henkel, CDU Berlin: Auf der einen Seite wollen wir das Personal in der Verwaltung an den Bedarf anpassen. Auf der anderen Seite würden wir die digitalen Verwaltungsangebote weiter auszubauen. Die Bürger sollen ihre Behördenangelegenheiten vom heimischen Schreibtisch erledigen können. Wir wollen zudem die Einrichtung von digitalen Bürgerämtern prüfen, an denen die Bürger rund um die Uhr ihre Anliegen selbstständig erledigen können, für die sie normalerweise einen Termin beim Bürgeramt vereinbaren müssten.

Sebastian Czaja, FDP: Wir würden schnellstmöglich das elektronische Bürgeramt einführen, bei dem man 24 Stunden rund um die Uhr von seinem Schreibtsich aus per Computer An-, Ab- und Ummeldungen ebenso vornehmen kann wie seinen Personalausweis oder Reisepass beantragen und somit Termine für diejenigen, die dies persönlich vor Ort im Amt machen möchten, frei werden. Wir sind bereits in ersten Gesprächen, wie sich so etwas schnell und gesetzeskonform realisieren lässt. Schließlich sollten die Ämter ja für die Bürger da sein und nicht umgekehrt.

Georg Pazderski, AfD: Die Alternative für Deutschland würde bürokratische Regeln abbauen, den Bearbeitungsprozess vieler Behördengänge beschleunigen und dafür sorgen, dass die Behörden ausreichend qualifiziertes, angemessen bezahltes Personal und eine moderne, an den Erfordernissen ausgerichtete Ausstattung haben. Warum muss ein Bürger bei seiner Ummeldung einen Mietvertrag mitbringen? Warum können viele Dinge nicht online beantragt werden? Warum kassiert das Amt bei jeder Kleinigkeit ab? Das ließe sich alles abschaffen und ändern, dann ginge vieles auch schneller.

Rogate-Frage: Die Friedensgebete in der DDR, der Protest von Bischof Clemens August von Galen in der NS-Zeit gegen die Tötung behinderter Menschen oder der Einsatz von Kirchengemeinden für geflüchtete Menschen und ihre Integration sind Ausdruck gelebten christlichen Glaubens. Viele weitere Beispiele für die öffentliche Wirksamkeit und Bedeutung ließen sich finden. Auf einem Wahlplakat der Berliner Grünen heißt es nun „Dein Gott. Dein Sex. Dein Ding!“ Ist Religion Privatsache?

Michael Müller, SPD: Ich schätze das Engagement der Kirchen außerordentlich, zum Beispiel in den konfessionellen Schulen, in Kitas, in den eigenen Wohlfahrtsverbänden. Ich stehe dafür, dass jeder in dieser Stadt leben, lieben aber auch glauben kann, was er oder sie möchte. Allerdings stehe ich auch für eine klare Trennung von Staat und Kirche. Das ist auch der Grund, warum Berlin ein Neutralitätsgesetz verabschiedet hat, das zum Beispiel religiöse Symbole überall dort verbietet, wo der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern unmittelbar gegenüber tritt, zum Beispiel in als Lehrer an Schulen oder als Richterin im Gerichtssaal. Hier muss der Staat sich neutral verhalten.

Ramona Pop, Grüne: Wir Grüne stehen für gesellschaftliche Vielfalt und Pluralität, wie sie besonders in Berlin gelebt wird. Dieses Plakat soll ausdrücken, dass wir davon überzeugt sind, dass in Berlin jede und jeder so leben kann und soll, wie er oder sie es möchte – unabhängig von Religion, sexueller Identität, Alter, Geschlecht und so weiter. Das beinhaltet natürlich auch, dass man seine Religionszugehörigkeit in der Öffentlichkeit zeigen und ausleben darf und dass Religionsgemeinschaften öffentlich auftreten können und sollen. Für uns ist die Verwirklichung der Religions- und Glaubensfreiheit in allen ihren drei Dimensionen maßgeblich: als individuelle Freiheit zum Glauben ebenso wie als Freiheit vom Glauben und als kollektive Freiheit, den gemeinsamen Glauben öffentlich und sichtbar zu leben. Das Plakat ist deshalb auch ein Plädoyer für Religionsfreiheit, auch für die kollektive Religionsfreiheit – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Anti-Islam-Wahlkampfes, den rechtspopulistische Parteien wie die AfD führen.

Klaus Lederer, Die Linke: Ja, ganz klar, Religion ist Privatsache. Welchen Glauben jemand hat, geht den Staat nichts an, solange derjenige selbst beziehungsweise seine Glaubensgemeinschaft sich an die bestehenden Gesetze hält. Das gilt ja aber für alle und jeden.

Für uns folgt daraus aber auch, dass wir uns für die Religionsfreiheit aller in Deutschland lebenden Menschen einsetzen. Dazu gehört, dass keine Religion staatlich bevorzugt und keine benachteiligt wird.

Die Linke in Berlin ist durchaus stolz auf die Regelung eines für alle Schüler verpflichtenden Ethikunterrichts, die wir maßgeblich initiiert haben. Dort können Schülerinnen und Schüler mit vielfältigen kulturellen und religiösen Hintergründen gemeinsam über ethische Werte und Normen diskutieren. Das rückt die Gleichwertigkeit aller Anschauungen und das Gemeinsame im Umgang in den Mittelpunkt.

Philipp Magalski, Piraten: Auch Religionen können mit der Kraft der Gemeinschaft viel Not lindern helfen. Ob Religion für ihn Privatsache ist, muss jeder Mensch grundsätzlich für sich selbst entscheiden. Innerhalb einer Organisation einer Religionsgemeinschaft gemeinsam an die Öffentlichkeit zu gehen und sich so sichtbar zu engagieren ist eine Errungenschaft unserer Gesellschaft, die sich mit der Religionsfreiheit als Grundrecht ausdrückt und die wir verteidigen müssen.
Für uns Piraten bedeutet die Aussage „Religion ist Privatsache“, dass staatliche Institutionen und staatliches Handeln nicht mit Religion verknüpft werden dürfen (zum Beispiel Ethik statt Religionsunterricht). Die weltanschauliche Neutralität des Staates herzustellen, ist daher eine für die gedeihliche Entwicklung des Gemeinwesens notwendige Voraussetzung. Ein säkularer Staat erfordert die strikte Trennung von religiösen und staatlichen Belangen.

Frank Henkel, CDU Berlin: Religion per se ist nie privat. Dies wird schon an der christlich- jüdischen Prägung unseres Landes deutlich. Sehr privat hingegen ist das Verhältnis des Einzelnen zu Gott. Der Staat darf keinen Menschen aufgrund seiner religiösen Überzeugungen bevorzugen oder benachteiligen. Darum ist für uns die Einhaltung des staatlichen Neutralitätsgesetzes wichtig. Ebenso wichtig ist der Dialog beispielsweise mit den christlichen, muslimischen oder auch jüdischen Gemeinden Berlins. Die CDU Berlin sucht diesen Dialog aktiv und macht Politik, der das christliche Menschenbild zugrunde liegt.

Kardinal von Galen ist eine zentrale Figur kirchlichen Widerstands in der Nazi-Zeit. Er kämpfte als „Löwe von Münster gegen Euthanasie und erhob laut und deutlich seine Stimme gegen Nazi- Unrecht.

Die Kirche ist zu jeder Zeit aufgefordert sich einzumischen und aus dem Evangelium heraus Partei für die Menschen zu ergreifen. So verstehe ich auch die Friedensgebete seinerzeit in der DDR. Religion gibt es nie im luftleeren Raum, sondern immer im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen.

Sebastian Czaja, FDP: Ja – und nein. Ja, weil wir in der Bundesrepublik Deutschland leben, in der die Relgionsfreiheit gewährleistet und der Staat zu weltanschaulicher Neutralität verpflichtet ist und die ungestörte Religionsausübung garantiert. Nein, weil unsere Gesellschaft und unsere Kultur ganz wesentlich durch das Christentum – und im übrigen auch das Judentum – geprägt worden sind.
Theodor Heuss, der erste liberale Bundespräsident der Bundesrepublik hat 1950 geschrieben: „Es gibt drei Hügel, von denen das Abendland seinen Ausgang genommen hat: Golgatha, die Akropolis in Athen, das Capitol in Rom. Aus allen ist das Abendland geistig gewirkt, und man darf alle drei, man muss sie als Einheit sehen.“ Golgatha, das ist Jerusalem, dem das Abendland die Bibel verdankt. Und diese Bibel ist Grundlage der bis heute das Abendland, also unser Land prägenden Religion. Der von Ihnen angesprochene Einsatz von Kirchengemeinden, aber auch ganz vieler nicht konfessioneller Einrichtungen bei Flüchtlingen, ist eindrucksvoller Beleg.

Georg Pazderski, AfD: Deutschland ist ein christliches Land. Das ist unsere Prämisse. Natürlich leben auch Atheisten, Moslems und Gläubige vieler Religionen bei uns. Aber unsere Leitkultur ist christlich. Die anderen Religionen genießen, nicht anders als das Christentum, sehr weitgehende Freiheiten, sofern sie sich an unsere Regeln halten. Insofern ist Religion tatsächlich Privatsache. Damit ist aber nicht gemeint, dass wir unsere christlichen Wurzeln zugunsten einer areligiösen oder anderen Haltung über Bord werfen. Noch ein Satz zum grünen Paradoxon: Die geschätzten Mitbewerber schreiben plötzlich die Religionsfreiheit und sexuelle Freizügigkeit ganz groß. Ansonsten aber besteht ihr Programm aus lauter Gängeleien und Vorschriften. In der grünen Welt gibt es keine Vertragsfreiheit und keine Eigentumrechte. Alles wird dem Staat untergeordnet. Diese Haltung lehnen wir ab. Aus unserer Sicht ist dieser Slogan daher völlig irreführend.

Rogate-Frage: Die Kirchen, ihre Gemeinden, die Dienste und Werke engagieren sich in und für diese Gesellschaft und den Zusammenhalt zwischen Generationen, Kulturen und sozialen Lagen. Welche Bedeutung messen Sie ihnen zu und welche Religions- und Kirchenpolitik in Berlin ist von Ihnen zu erwarten?

Michael Müller, SPD: Dazu habe ich ja schon einiges gesagt. Die Kirchen sind für uns an vielen Stellen ein wichtiger und wertvoller Partner – und das wird auch so bleiben. Gleichzeitig werden wir aber auch an der bewährten staatlichen Neutralität festhalten.

Ramona Pop, Grüne: Die aktive Beteiligung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften am gesellschaftlichen Leben ist für uns unverzichtbar. Auf einem anderen grünen Plakat heißt es „Berlin geht nur zusammen“ – und das ist auch unsere Überzeugung. Zusammenhalt und eine lebendige Demokratie funktionieren nur mit dem Engagement und dem Einbringen dieser Vielfalt, auch der religiösen Vielfalt, in unsere Gesellschaft. Die beiden Kirchen sind uns wichtige Partner, wenn es um die Gestaltung des Miteinanders in unserer Stadt geht. Deutschland ist nicht laizistisch, sondern der Staat kann mit Religionsgemeinschaften kooperieren. Das zeigt sich insbesondere beim Religionsunterricht und bei theologischen Lehrstühlen an den staatlichen Hochschulen, aber auch beim Thema Krankenhaus- oder Gefängnisseelsorge. Dieses Modell wollen wir weiterentwickeln.
Der soziale Zusammenhalt, die Versorgung und Unterstützung geflüchteter Menschen sind uns wichtige Kooperationsfelder. In der Schulpolitik stehen wir zum Ethikunterricht für alle ab der 7. Klasse. Allerdings wollen wir mit den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gemeinsam die religionskundlichen Aspekte im Ethikunterricht weiterentwickeln. Wir wollen mehr Transparenz in die staatlichen Zahlungen und die anderen Zuwendungen an Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bringen. Wir sind der Überzeugung, dass auch die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften davon profitieren, da durch mehr Transparenz auch eine größere gesellschaftliche Akzeptanz einhergeht.

Klaus Lederer, Die Linke: Jede Form von Solidarität, Hilfe untereinander und zivilgesellschaftlichem Engagement ist wichtig und lobenswert – und fragt nicht nach Motivation. In der Flüchtlingshilfe, beispielsweise, arbeiten Christen jeder Konfession, Muslime und Menschen ohne religiöse Bindung Hand in Hand. Das ist doch das Wunderbare und Erstrebenwerte für die Zukunft.

Insofern ist das Engagement kirchlicher Einrichtungen und der Gemeinden etwas Tolles – wäre es aber auch ohne den religiösen Rahmen. Wir wollen das gesamte Engagement für die Gemeinschaft fördern und unterscheiden dabei nicht nach Herkunft, Geschlecht, Religion oder Hautfarbe.

Philipp Magalski, Piraten: Vorweg: Wenn mehr Menschen im Sinne der Nächstenliebe handeln, und diese bei sich hinterfragen, wird das der Gesellschaft gut tun und den Zusammenhalt zwischen Generationen, Kulturen und sozialen Lagen verbessern.
Wir messen den kirchlichen Diensten und Werken, die mit ihrem sozialen und gesellschaftlichen Engagement unverzichtbar sind, eine hohe Bedeutung zu.
Dennoch fordern wir im Sinne der Gleichberechtigung finanzielle und strukturelle Privilegien einzelner Glaubensgemeinschaften, die bei der Übertragung von Aufgaben in staatlichen Institutionen und beim Betrieb von sozialen Einrichtungen erfolgen, abzubauen.
Des Weiteren verfolgen wir folgende kirchenpolitische Ziele: Der Einzug von Kirchenbeiträgen ist keine Staatsaufgabe. Im Sinne der Datensparsamkeit ist die Erfassung der Religionszugehörigkeit durch staatliche Stellen zu unterlassen. Die PIRATEN Berlin fordern den staatlichen Einzug von Kirchenbeiträgen zu beenden: Kirchenbeiträge sind wie Zahlungen an Vereine zu behandeln. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist kein Kirchenfunk: Die öffentlich-rechtlichen Medien dürfen keine der Religionsgemeinschaften bevorzugen, wie dies zum Beispiel heute durch die Besetzung der Rundfunkräte beziehungsweise Programmbeiräte geschieht. Wir unterstützen den Dialog der Religionen, um Gemeinsamkeiten zu finden und zu fördern und Differenzen beziehungsweise Verständnisprobleme abzubauen.

Frank Henkel, CDU Berlin: Die Kirchen und Religionsgemeinschaften leisten einen wichtigen Beitrag für unser Gemeinwesen insgesamt. Die CDU Berlin steht klar an der Seite der Kirchen. Daher sprechen wir uns dafür aus, dass der Religions- und Weltanschauungsunterricht seinen festen Platz in der Schule hat. Wir sind weiterhin der Auffassung, dass dies am besten im Rahmen eines Wahlpflichtfachbereichs Religion/Ethik erfolgen kann. Wir treten auch für einen muslimischen Religionsunterricht ein, der dem deutschen Unterrichtsplan entspricht. Dieser Unterricht soll in deutscher Sprache und von in Deutschland ausgebildeten Religionslehrern erfolgen.

Wir treten Bestrebungen linker Parteien zur Abschaffung der Kirchensteuer oder Förderungen kirchlichen Lebens entgegen. Die CDU hat sich dafür eingesetzt, dass der Evangelische Kirchentag 2017 in Berlin stattfinden kann und eine Förderung aus dem Landeshaushalt erhält. Auch sind wir gegen eine allgemeine Freigabe der Ladenöffnungszeiten an Sonntagen, wollen aber gemeinsam mit den Gewerkschaften und christlichen Kirchen nach Wegen suchen, inhabergeführten Spätis die Sonntagsöffnung zu erleichtern, wenn die Nachfrage nach Waren des täglichen Bedarfs besonders hoch ist. Wir stehen im Dialog mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften, denn sie sind wichtige Gesprächspartner und Impulsgeber für die gesellschaftliche Entwicklung.

Sebastian Czaja, FDP: Das ist fast schon eine Suggestivfrage. Aber Spaß beiseite: Ohne diese Einrichtungen wäre unser Gemeinwesen hoffnungslos aufgeschmissen. Wenn ich an Caritas und Diakonie, die Jugend- und Senioreneinrichtungen, die Suppenküchen, die Arbeit der Gemeinden für Jung und Alt und so weiter denke, sehe ich eine immense Hilfsbereitschaft, die durch den Staat in dieser Form gar nicht mehr realisiert werden kann. Insofern sind wir in der Politik gut beraten, den Kirchen und ihren Einrichtungen ein offenes Ohr zu bieten und eng mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Georg Pazderski, AfD: Wir unterstützen alle die genannten Aufgaben von Kirchen und Gemeinden. Solange die Kirche nicht ins stalinistische Lager abdriftet und sich an diffamierenden Aktionen gegen die Alternative für Deutschland beteiligt, wird sie einen Fürsprecher in der AfD finden.

Rogate: Vielen Dank an die Berliner Kandidaten von SPD, Grünen, Die Linke, Piraten, FDP, CDU und AfD für Ihre Antworten.

Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de

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Willkommen zu unseren nächsten öffentlichen Gottesdiensten in der Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, 10783 Berlin-Schöneberg:

  • Rogate Kl_Aushang_Eucharistie Diakonie-Sonntag_160616 KopieSonntag, 4. September 2016 | 10:00 Uhr, Eucharistie zum Diakonie-Sonntag „Barmherzigkeit: Größer als unser Herz“, am 15. Sonntag nach Trinitatis, mit einer Ausstellungseröffnung
  • St. Michaelis, Donnerstag, 29. September 2016 | 19:00 Uhr, Ökumenische Eucharistie, mit Dekan Ulf-Martin Schmidt, Alt-Katholische Gemeinde Berlin
  • Montag, 3. Oktober 2016 | 15:00 Uhr, Gottesdienst für Mensch und Tier. Predigt: Pfarrerin Andrea Richter
  • Sonntag, 23. Oktober 2016 | 10:00 Uhr, Eucharistie am 22. Sonntag nach Trinitatis, mit dem Botkyrka Kammarkör der Tumba Kirche, Schweden
  • Allerheiligen, Dienstag, 1. November 2016 | 19:00 Uhr, Gottesdienst mit Bischof Dr. Matthias Ring, Katholisches Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland, Bezirksbürgermeisterin  Angelika Schöttler, Bezirk Tempelhof-Schöneberg, Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein, EKBO, Pfarrerin Andrea Richter, Spiritualitätsbeauftragte der EKBO, Dekan Ulf-Martin Schmidt, Alt-Katholische Gemeinde Berlin, Pastorin Dagmar Wegener, Baptistische Gemeinde Schöneberg, und Pfarrer Burkhard Bornemann, Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde
  • Sonntag, 3. Advent, 11. Dezember 2016 | 17:00 Uhr, Sternenkinder-Gottesdienst für verwaiste Eltern und ihre Angehörigen zum Worldwide Candle Lighting Day, mit Pastor Engelbert Petsch, Aktion “Die Flamme der Hoffnung”, und Pfarrer Burkhard Bornemann, Zwölf-Apostel-Kirche
  • Unseren Fördervereinsflyer finden Sie hier.

Erreichbar ist die Zwölf-Apostel-Kirche mit öffentlichen Verkehrsmitteln: über die U-Bahnhöfe: Kurfürstenstraße (U1) Nollendorfplatz (U1, U2, U3, U4). Oder per Bus: Kurfürstenstraße (M85, M48), Nollendorfplatz (M19, 187) und Gedenkstätte Dt. Widerstand (M29). Fahrrad- und PKW-Stellplätze vor dem Gemeindezentrum und in der Genthiner Straße. Adresse: An der Apostelkirche 1, Berlin-Schöneberg.

Aktuell: „Schöneberger Erklärung für Vielfalt und Respekt“

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Teilnehmende am Runden Tisch im Rathaus Schöneberg (Foto: Stephanie Kuhnen)

Gestern fand auf Initiative des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg (LSVD) im historischen Goldenen Saal des Rathauses Schöneberg ein Runder Tisch von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu den Themen Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit statt.  Es nahmen Vertreterinnen  und Vertreter der Alt-Katholischen Kirche Berlin, der Baptisten Schöneberg, der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg, des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus, des Liberal-Islamischen Bundes sowie des Rogate-Klosters Sankt Michael zu Berlin teil. Ebenso beteiligte sich Imam Ludovic-Mohamed Zahed aus Frankreich an dem vertraulichen Austausch. Die Veranstaltung stand unter der Schirmherrschaft  von Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler und fand auf Ihre Einladung hin im Rathaus statt.

Die Teilnehmenden am Runden Tisch verständigten sich unter anderem auf eine gemeinsame „Schöneberger Erklärung für Vielfalt und Respekt“ mit folgendem Wortlaut:

„Die am Runden Tisch beteiligten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sind sich darin einig, dass niemand aufgrund seiner sexuellen oder geschlechtlichen Identität benachteiligt und diskriminiert werden darf. Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit sind weder sündhaft noch krankhaft. Wir begrüßen die Vielfalt des Lebens. Keine Weltanschauungs- und Religionsfreiheit kann es rechtfertigen, dass Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender Rechte abgesprochen werden. Und dennoch findet diese Instrumentalisierung weltweit statt, so auch in Deutschland und dessen Bundeshauptstadt Berlin.

Es kann nicht dem Selbstverständnis von Gläubigen und Mitgliedern von Weltanschauungsgemeinschaften entsprechen, sich über die Abgrenzung zu und die Ausgrenzung von homosexuellen und transgeschlechtlichen Menschen zu definieren. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Jeder Mensch hat das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und Partnerschaft. Kein Mensch darf dazu genötigt werden, sich zwischen seinem Glauben oder seiner Weltanschauung und seiner sexuellen oder geschlechtlichen Identität entscheiden zu müssen.

Wir appellieren gemeinsam in unserer Vielfalt und Unterschiedlichkeit an alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, sich für nicht-heterosexuelle Menschen zu öffnen und sie gleichberechtigt in allen Bereichen des religiösen und weltanschaulichen Lebens teilhaben zu lassen. Auch als Arbeitgeber sind die jeweiligen Gemeinschaften und die ihnen zugehörigen Einrichtungen aufgerufen, Angestellte ohne jede Vorbehalte oder Auflagen hinsichtlich ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität gleichwertig zu behandeln und zu beschäftigen. Mit gleicher Offenheit ist auch Ehrenamtlichen zu begegnen.“

Fünf Fragen an: Ruud Koopmans, Professor im Wissenschaftszentrum Berlin

Prof. Dr. Ruud Koopmans (Bild: privat)

Fünf Freitagsfragen an Professor Dr. Ruud Koopmans, WZB Berlin, über Fundamentalismus und Fremdenfeindlichkeit von Muslimen und Christen und deren Ursachen.

Professor Dr. Ruud Koopmans ist Direktor der Abteilung „Migration, Integration, Transnationalisierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Er ist gebürtiger Niederländer und hat in seinem Heimatland eine Gastprofessur an der Universität Amsterdam inne wie auch eine S-Professur für „Soziologie und Migrationsforschung“ der Philosophischen Fakultät III der Humboldt-Universität zu Berlin. In seiner Forschung beschäftigt er sich insbesondere mit den Themen „Soziale Bewegungen“, „Integration und ethnische Diversität“ und „Religiöser Fundamentalismus“.

Rogate-Frage: Herr Prof. Koopmans, Sie haben zu Fundamentalismus und Fremdenfeindlichkeit von Muslimen und Christen im europäischen Vergleich geforscht. Was haben Sie herausgefunden?

Ruud Koopmans: Die Studie war eine repräsentative Befragung von etwa 6.000 Muslimen und 2.500 Christen in sechs europäischen Ländern: Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Österreich, Belgien und Schweden. Religiöser Fundamentalismus wurde definiert als die gleichzeitige Bejahung dreier Glaubensauffassungen: 1) dass Christen beziehungsweise Muslime zu den Wurzeln ihres Glaubens zurückkehren sollten; 2) dass Bibel beziehungsweise Koran nur eine Interpretation zulassen, die für alle Gläubige bindend ist; 3) dass die in diesen heiligen Schriften festgelegten Regeln Vorrang haben vor weltlichen Gesetzen. In der Studie Muslime in Deutschland von 2007 wurde die letzte Frage etwas anders gestellt, nämlich, ob die Regeln des Korans wichtiger seien als Demokratie – das Ergebnis war nahezu deckungsgleich mit meiner Studie. Unter den Christen stimmten nur vier Prozent allen drei Aussagen zu. Erwartungsgemäß lag dieser Anteil höher (etwa zwölf Prozent) unter Anhängern von protestantischen Freikirchen wie Adventisten, Pfingstgemeinden und Zeugen Jehovas. Unter Muslimen ist der religiöse Fundamentalismus viel weiter verbreitet: 45 Prozent stimmten allen drei Aussagen zu. Unter den Muslimen war der religiöse Fundamentalismus aber viel weniger stark ausgeprägt unter der liberalen Strömung der türkischen Aleviten (15 Prozent), die in ihrer Glaubensauffassung den Christen also näher stehen als den sunnitischen Muslimen.

Unter sowohl Christen als auch Muslimen fand ich einen sehr starken Zusammenhang zwischen religiösem Fundamentalismus und Ablehnung von Fremdgruppen. Von den fundamentalistischen Muslimen wollen 70 Prozent keine Homosexuelle in ihrem Freundeskreis, und ebenso viele sind der Meinung, dass man Juden nicht trauen kann und dass der Westen den Islam vernichten will. Unter den fundamentalistischen Christen wollen 30 Prozent keine homosexuellen Freunde, 20 Prozent trauen Juden nicht und 60 Prozent meinen, Muslime wollen die westliche Kultur vernichten. Da der Anteil der Fundamentalisten unter den Muslimen viel höher ist als unter Christen ist der Anteil der Muslime mit fremdenfeindlichen Einstellungen entsprechend höher unter den Muslimen.

Rogate-Frage: Wie erklären Sie die höhere Anfälligkeit von gläubigen Menschen für die Ausgrenzung und Ablehnung anderer?

Ruud Koopmans: Weiterführende Analysen der Ergebnisse zeigten, dass die Stärke der Gläubigkeit an und für sich für die Erklärung der Fremdenfeindlichkeit keine (für Christen) oder nur eine schwache (für Muslime) Rolle spielt. Gläubigkeit wurde ebenfalls über drei Fragen gemessen: 1) wie stark fühlen Sie sich als Christ bzw. Muslim; 2) wie stark fühlen sie sich mit Christen beziehungsweise Muslimen verbunden; 3) wie stolz sind sie darauf, Christ beziehungsweise Muslim zu sein. Nur wenn starke Gläubigkeit mit einer fundamentalistischen Glaubensauffassung zusammen kommt (was bei Muslimen öfter der Fall ist als bei Christen), führt dies zu erhöhter Fremdenfeindlichkeit. Dies ist dadurch zu erklären, dass eine fundamentalistische Glaubensauffassung mit einer starken Überzeugung einhergeht, über die einzige Wahrheit zu verfügen. Eine Wahrheit, die nur eine Interpretation zulässt und die nicht nur für einen selbst sondern auch für andere bindend ist und deshalb auch Priorität hat vor weltlichen Gesetzen, auch wenn diese demokratisch zustande gekommen sind. Intoleranz gegenüber andere Sicht- und Lebensweisen ist also ein Wesensmerkmal des Fundamentalismus, der leicht zu Hass und Bedrohungsängste gegenüber anderen Gruppen führt.

Rogate-Frage: Warum sind aus Ihrer Sicht Muslime besonders für fundamentalistische Ansichten anfällig?

Ruud Koopmans: Als Soziologe kann ich feststellen, dass die Antwort auf diese Frage nicht in irgendwelchen soziologischen Variablen – wie etwa sozio-ökonomische Marginalisierung oder Diskriminierung – liegt. Diese erklären zwar, warum manche Muslime und manche Christen fundamentalistischer sind als andere, sie erklären aber weder die großen Unterschiede zwischen Muslimen und Christen, noch die Unterschiede zwischen Sunniten und Aleviten. Eine Antwort muss einerseits in der Theologie und andererseits in der Geschichte gesucht werden. Theologisch hat sich der (sunnitische) Islam schon zu Mohammeds Zeiten als herrschende Religion etabliert, die sich anfangs vor allem durch militärische Eroberung verbreitete. Deshalb ist der Staat im Koran und Hadith der Religion untergeordnet. Das Christentum dagegen – und das gleiche gilt für Minderheitsströmungen innerhalb des Islams – hat sich dagegen in den ersten Jahrhunderten seiner Existenz als eine Minderheitsreligion innerhalb eines meist feindselig gesinnten staatlichen Kontextes entwickelt. Hätte das Christentum einen ähnlichen weltlichen Herrschaftsanspruch gehabt wie der Islam, wäre es einer noch stärkeren Verfolgung ausgesetzt gewesen als er es immerhin schon war. Nur durch das Fehlen dieses Herrschaftsanspruches – exemplarisch dargestellt vom Apostel Paulus – war es letztendlich möglich, dass die römischen Kaiser sich zum Christentum bekehrten und dadurch der weiteren Verbreitung des Christentums den Weg bereiteten. Einmal zur Staatsreligion geworden wurde allerdings auch im Christentum die Trennung zwischen Staat und Kirche undeutlicher, wobei aber fast immer der Staat die Religion bestimmte statt umgekehrt.

Geschichtlich war dann wichtig, dass in Folge der Reformation, in den darauffolgenden Reformen innerhalb der katholischen Kirche und die starke Herausforderung durch die Erleuchtung sich im Hauptstrom des Christentums eine nicht-fundamentalistische Schriftauslegung durchgesetzt hat, die Abstand nahm von einer wortwörtlichen Interpretation der Bibel diesen in seinem historischen Entstehungskontext platzierte, und die Existenz mehrerer Glaubensinterpretationen nebeneinander – inklusive eines nicht-religiösen Humanismus – zu tolerieren lernte. Wenn es mehr als eine Interpretation der Heiligen Schrift geben kann, kann die Religion schon deshalb nicht maßgebend für eine weltliche Gesetzgebung sein. Dies stärkt so die im Christentum eh schon historisch stärker verankerte Trennung von Staat und Kirche. Im Islam hat es bisher eine ähnliche Entwicklung nicht gegeben. Bis zum Ende des osmanischen Reiches waren weltliche und religiöse Macht in der Person des Sultans vereint. Dieses Kalifat versucht ja der IS wieder – zwar in einer hyperradikalisierten Form – ins Leben zu rufen. Viele andere muslimische Länder haben ohnehin bis auf den heutigen Tag eine mehr oder weniger stark ausgeprägte theokratische Regierungsform beibehalten oder in Folge islamistischer Revolutionen wieder eingeführt (etwa Marokko, Iran, Saudi Arabien).

Rogate-Frage: Gering ist der Fundamentalismus unter Christen dennoch nicht. Wie hoch ist der Antisemitismus, die Islamfeindlichkeit und Homophobie unter Christen?

Ruud Koopmans: Von allen Christen (also sowohl fundamentalistische als nicht-fundamentalistischen) wollen 11 Prozent keine Homosexuelle als Freunde, 9 Prozent trauen Juden nicht und 23 Prozent meinen, die Muslime wollen die westliche Kultur vernichten. Von allen Muslimen wollen 57 Prozent keine Homosexuellen Freunde, 45 Prozent finden, man könne Juden nicht trauen, und 54 meinen, der Westen wolle den Islam vernichten.

Rogate-Frage: Wie könnte aus Ihrer Sicht Abhilfe geschaffen werden? Mehr Begegnung zwischen den Gruppen? Mehr Information? Was sollten die Geistlichen tun?

Ruud Koopmans: Information und Begegnung klingen immer gut, aber sie erreichen leider meistens auf beiden Seiten nur die, die eh schon weltoffen und tolerant sind. Das Wichtigste ist deshalb erstmal die Arbeit innerhalb der eigenen religiösen Gruppe. Da gibt es im muslimischen Bereich offensichtlich mehr Handlungsbedarf als im europäischen Christentum. Liberale, reformorientierte Kräfte innerhalb des Islam sollten sich viel entschiedener und sichtbarer gegen den weitverbreiteten Fundamentalismus und den Hass auf Andersdenkende in der eigenen Gemeinschaft engagieren. Sie sollten anerkennen, dass die Ursachen dieses Problems in erster Linie in der eigenen religiösen Tradition liegen und aufhören, die Verantwortlichkeit auf Andere abzuschieben (Stichworte: Islamophobie, die Außenpolitik des Westen, Israel und so weiter). Nur durch eine erfolgreiche Reformbewegung innerhalb des Islam lässt sich das Problem des Fundamentalismus beseitigen. Dazu gehört die Anerkennung, dass der Koran interpretationsbedürftig ist und nicht kritiklos als das Wort Gottes gesehen werden kann. Dazu gehört auch, dass die Trennung von Staat und Kirche nicht nur als praktische Lösung – zum Beispiel in der Diaspora, wo Muslime nicht die Mehrheit darstellen – akzeptiert werden muss, sondern auch prinzipiell eine Theokratie wegen der Mehrdeutigkeit der Heiligen Schriften niemals als Ideal angestrebt werden kann. Schließlich gehört dazu, Toleranz tatsächlich vorzuleben, indem man gerade wenn Islamkritiker, seien sie noch so beleidigend, angegriffen werden, klar Position bezieht. Tolerant ist ja nur der, der für die Freiheit der Andersdenkenden eintritt.

Das alles heißt nicht, dass es innerhalb des Christentums keine Probleme gibt. Wenn wir außerhalb Europas schauen, dürfte klar sein, dass es zum Beispiel im amerikanischen Protestantismus, in den in Lateinamerika expandierenden Pfingstkirchen oder im afrikanischen Katholizismus durchaus starke fundamentalistische und fremdenfeindliche Tendenzen gibt. Vor christlichen Überlegenheitsansprüchen sei deshalb gewarnt. Auch im europäischen Christentum sind neun Prozent mit antisemitischen oder 23 Prozent mit islamophoben Einstellungen neun bzw. 23 Prozent zu viel. Da auch im Christentum derartige Feindseligkeit gegenüber Andersdenkenden, Andersgläubigen und Anderslebenden sehr stark mit einer fundamentalistische Glaubensauffassung zusammenhängt, hilft auch hier nur ein ständiges Beharren auf und Werben für eine bescheidene Glaubensinterpretation, die nicht vorgibt, die einzige Wahrheit zu kennen, die deshalb auch keine Ansprüche auf weltliche Macht geltend machen will, die nicht über andere urteilt und keine Überlegenheit für sich in Anspruch nimmt, und die gerade in dieser Toleranz und Bescheidenheit seine Anziehungskraft findet.

Rogate: Vielen Dank, Herr Koopmans:, für das Gespräch!

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Willkommen zu unseren öffentlichen Gottesdiensten in der gastgebenden Ev. Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, 10783 Berlin-Schöneberg:

  • Rogate-Vesper am Dienstag, 19 UhrDienstag, 26. Mai 15 | 19:00 Uhr, Vesper, das Abendgebet, Zwölf-Apostel-Kirche
  • Donnerstag, 28. Mai 15 | 19:00 Uhr, Rundgang Ausstellung „Gepflegt in der Gegenwart“ mit MdB Mechthild Rawert, Gespräch zu den Herausforderungen und Bedingungen der ambulanten Pflege heute, anschließend Andacht:
  • Donnerstag, 28. Mai 15 | 20:30 Uhr, Andacht, Zwölf-Apostel-Kirche
  • Dienstag, 2. Juni 15 | 19:00 Uhr, VESPER, das Abendgebet, Zwölf-Apostel-Kirche
  • Donnerstag, 4. Juni 15 | 20:30 Uhr, EUCHARISTIE, Konventamt, Zwölf-Apostel-Kirche
  • Dienstag, 9. Juni 15 | 19:00 Uhr , VESPER, das Abendgebet, Zwölf-Apostel-Kirche