Fünf Fragen an: Bernhard Heinzlmaier, Vorsitzender Institut für Jugendkulturforschung Wien

Fünf Freitagsfragen an Bernhard Heinzlmaier, Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien, über die Dummheit der Jugend, ihren Rückzug aus formellen Netzwerken und die Anbetung eines neuen Gottes.

Bernhard HeinzlmaierBernhard Heinzlmaier ist ehrenamtlicher Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien und Hamburg. Hauptberuflich leitet er die tfactory-Trendagentur in Hamburg. Er studierte Geschichte, Germanistik, Psychologie, Philosophie. 1988 bis 2000 war er Geschäftsführer des Österreichischen Instituts für Jugendforschung, 1990 bis 1992 Studienleiter für Markt- und Meinungsforschung bei Consent Wien. 1992 bis 1995 Geschäftsführer der Werbeagentur CNC. Seine Arbeitschwerpunkte: Jugendpolitik, Freizeitforschung, jugendkulturelle Trends, Zielgruppenkommunikation, Lifestyleforschung

Rogate-Frage: Herr Heinzlmaier, Sie veröffentlichten das Buch „Performer, Styler, Egoisten: Über eine Jugend, der die Alten die Ideale abgewöhnt haben“. Ihr Jugendbild klingt sehr traditionell, im Sinne der von Generation zu Generation vererbten Klagelieder über den angeblich faulen, dummen oder desinteressierten Nachwuchs. Haben nicht immer die Alten über die Jungen und ihre „Schlechtigkeit“ gejammert?

Bernhard Heinzlmaier: Ja, so wird häufig von Leuten argumentiert, die das Buch nicht gelesen haben. Liest man es, so weiss man nach wenigen Seiten, dass es hier nicht um Jugendschelte, sondern um Kapitalismuskritik geht. Aufgezeigt werden die verderblichen Auswirkungen eines globalen Neoliberalismus und seiner manipulativen Diskurse auf das Bewußtsein der Jugend. Der Ungeist der Thatcher-Ideologie der 1980er Jahre ist heute Allgemeingut geworden. „There is no such thing as society“ lautet heute der Grundtenor der öffentlichen Diskurse. Anstelle des traditionellen Gemeinschaftsdenkens ist das egozentrische Individuum auf der Suche nach dem eigenen Vorteil getreten. Wir sehen aus vielen Studien, dass das Engagement der Jugend in formellen Netzwerken zurück geht. Und wenn es stattfindet, dann nicht im Geiste der Gemeinschaft, sondern im eigenen Interesse. Anstelle des selbstlosen Helfens ist die Aquisition von sozialen Kapital getreten, Beziehungskapital, dass man später in ökonomisches Kapital, d.h. in gute Jobs und hohes Einkommen verwandeln kann. Der amerikanische Philosoph Michael J. Sandel spricht vom vorherrschen einer „atomistischen Sozialontologie“, einer auf egozentrische Vereinzelung und persönliches Interesse ausgerichtete Kollektivität, innerhalb derer das Handel zwar kollektiv erscheint, sein Sinn aber individuell ist. In der Praxis ist das zum Beispiel der „blaulichtgeile“ Feuerwehr- oder Rettungsmann, der hilft, weil er dadurch soziale Anerkennung, einen besseren Job und ein höheres Einkommen bekommt und der im Einsatz gleichzeitig noch sein Bedürfnis nach dem emotionalen „Kick“ befriedigen kann.

Rogate-Frage: In Deutschland streben immer mehr Schüler das Abitur an. Die Hochschulquote ist so hoch wie nie. Wie kommen Sie darauf, dass unsere Jugend „verblödet“ sei?

Bernhard Heinzlmaier: Das ist natürlich richtig, aber das sagt nicht darüber aus, ob diese Menschen „gebildet“ sind oder nicht. Sie sind gut ausgebildetes Humankapital. Bildung bedeutet in erster Linie die Befähigung eines Menschen, eigenständig und autonom zu Urteilen und Entscheiden zu lernen. Es bedeutet Unabhängigkeit und die Fähigkeit zur kritischen Reflexion, Kritikfähigkeit oder, wie Adorno meint, die Fähigkeit und Stärke zum „Nein-Sagen“. Heute wird ein Heer von Ja-Sagern, vor allem an den Fachhochschulen und Privatuniversitäten, ausgebildet, zum Mitmachen im Neoliberalismus gedrillt. Die Absolventenquoten solcher so genannter Hochschulen, auf denen ja nichts anderes als die Akademisierung des niederen Geistes stattfindet, sagt nichts über den Bildungsstand der Bevölkerung aus. Vielmehr sagt sie etwas über den Stand der Unbildung aus, denn vor allen die so genannten „praxisorientierten“ Hochschulgänge sind ja nichts anderes als neoliberale Blödmaschinen. Jeder einzelne, der diesen Blödmaschinen entgeht, ist ein Gewinn für die Demokratie und ein Gewinner, was sein persönliches Lebensglück anbetrifft. Wenn die Eltern glückliche Kinder haben wollen, dann halten sie sie ab von den akademischen Blödmaschinen.

Rogate-Frage: Als Ursache nennen Sie ein Bildungssystem, in dem nur nach ökonomischen Aspekten unterrichtet werde. Woran machen Sie das fest?

Bernhard Heinzlmaier: Das Stichwort lautet Humankapital. In den akademischen Blödmaschinen geht es nicht um die Interessen und Bedürfnisse der jungen Menschen, sondern um die Interessen und Bedürfnisse des Kapitals und seiner Produktion. Menschen werden behandelt wie Produktionsmittel, wie Werkzeugmaschinen, indem sie zweckmäßig gemacht werden für die reibungslose Produktion. Reibungslosigkeit ist generell wichtig. Die herrschenden Eliten wollen reibungslose funktionierende Menschen. Nur der Mitmacher ist ökonomische bestens verwertbar. Anpassungsfähigkeit ist heute eine wichtige Produltivkraft für die neoliberale (Schein-)Demokratie. Der Mensch wird auf Zweckmäßigkeit und Nutzenmaximierung getrimmt. Wir nennen die heute lebenden Menschen die Mini-Max-Generation. Mit möglichst wenig Input zum maximalen Output, betriebswirtschaftliches Denken also, das ist es, was sie beherrscht. Der Minimax-Mensch ist Betriebswirt, niemals Volkswirt. Er opfert den maximalen Nutzen für alle dem maximierten Individualnutzen. Die Ökonomisierung der Bildung ist also in Wirklichkeit die Verbetriebswirschaftlichung der Bildung, die Vermarktgesellschaftung der Bildung. Bildung als „Boot-Camp“ für den Tageskampf auf kompetitiven Märkten. Das ist das geheime, das informelle Bildungsziel der postmodernen Bildungseinrichtungen. Bildung als Anbetung des neuen Gottes, des Marktes. Gott ist tot, es lebe der Markt. Oder wie Heidegger es formuliert, das Wahre ist das „Unverborgene“, das Präsente, der Markt, die Warenwelt. Die Präsenzkultur tritt an die Stelle der Sinnkultur. Wir leben im Hier und Jetzt. Unser Sinn ist die Sinnlosigkeit. Ein Drittel der Deutschen sind heute „existenziell indifferent“, d.h. sie sehen keinen Sinn im Leben, haben aber kein Problem damit. Wie auch, wenn sie das gesamte Leben in der rasenden Gegenwärtigkeit des kapitalistischen Marktes abspielt.

Rogate-Frage: Sie kritisieren die Orientierung der Jugend auf materielle Werte. Leben die älteren Generationen ihnen nicht genau das vor? Und geht es der Jugend nicht vielleicht auch schlicht um eine  Zukunftsperspektive und Sicherheit?

Bernhard Heinzlmaier: Ja natürlich. Die Jugend ist nichts anderes, als die radikalisierte Fortsetzung der Nachkriegs- und Nach-Nachkriegsgeneration. Gemeinsam ist ihnen, dass sie ihr Leben in der Gegenwärtigkeit des Marktes verbringen, d.h. der Sinn des Lebens ist abwesend, er wird radikal verdrängt durch die Aneinanderreihung von kurzen, augenblicklichen Glücksmomenten. Das Leben ist kein Kontinuum mehr, ist nicht mehr aus einem Stück, nicht mehr aufgespannt zwischen auf die Vergangenheit bezogene Reflexion und auf die Zukunft gerichtete Erwartung. Das Leben selbst hat seine Ganzheitlichkeit verloren, indem es zu einem Stückwerk von einzelnen Glücksmomenten, einen beziehungslose Aneinanderreihung von kurz aufblitzenden Miniaturabenteuern geworden ist. Das Subjekt hat sich längst aufgelöst in vereinzelte Konsummomente. Mit dem „Lebensabschnittpartner“ wird die Auflösung des Subjekts und damit des Sozialen überhaupt auf den Begriff gebracht. An die Stelle des Versuches der verbindlichen Partnerschaft tritt der Sebstbedienungsladen eines Schwarms von potentiell verkonsumierbaren Einzelindividuuen, die man sich aus dem Matching-Katalog von Online-Partnerschaftsunternehmen aussucht und sequenziell aneinanderreiht. Das Problem ist hier nicht, dass man die Möglichkeit des Scheiterns einer Beziehung in Betracht zieht, sondern dass man von vornherein die Möglichkeit des Gelingens einer Lebenspartnerschaft ausschließt. Die materialistische Marktlogik, das Supermarktdenken, hat damit auch die persönliche Beziehungswelt der Menschen erreicht und ins Neoliberale transformiert.

Rogate-Frage: Wie sähe aus Ihrer Sicht eine gute Bildung aus, die junge Menschen und ihre Potentiale fördert und fordert?

Bernhard Heinzlmaier: Ich bin in der Zwischenzeit zu einem Verfechter des „Deschoolings“ geworden, ganz im Sinne des „Befreiungstheologen“ Ivan Illich. Die Eltern sollten jede Möglichkeit zum alternativen Lernen für ihre Kinder ergreifen. Wann immer man sich den Institutionen entziehen kann, sollte man es tun. Es geht um Leben und Lernen jenseits von Institutionen, die im Interesse der politischen Macht und des neoliberalen Systems stehen. Es ist schön, wenn Potentiale gefördert werden, aber der Mensch verfügt in der Regel über ein mehr oder weniger großes Portfolio an Potentialitäten. Viele von diesen kennt er nicht einmal oder er ist sich bei manchen seiner Fähigkeiten und Interessen gar nicht darüber bewußt, dass sich mit ihnen auch, oder gerade mit ihnen, ein sinnerfülltes Leben kreieren und gestalten läßt. Der junge Mensch muss wieder die Macht über seine eigenen Potentiale gewinnen, die Macht darüber, diese zu erkennen und dann auszuwählen, welche von ihnen er weiterentwickeln will und welche nicht, welche vielleicht jetzt und welche eventuell später. Die Zukunft des Individuums liegt jenseits der geistigen und materiellen Macht der Institutionen. Der einzige Weg zur Autonomie liegt heute in der täglichen Infragestellung von ALLEM, von den täglichen Weltnachrichten, den Versprechungen der Politik, den persuasiven Botschaften der kommerziellen Kommunikation etc. Die Wahrscheinlichkeit, dass man gezielt angelogen wird, man nennt die postmoderne Lüge heute „Kommunikationsstrategie“ und „Public Relations“, ist größer, als dass man die Wahrheit erfährt. Und innerhalb der Bildungsinstitutionen ist die Wahrscheinlichkeit größer, das man „verbildet“ oder der „Unbildung“ unterworfen wird, als dass man zur Bildung kommt. Deswegen: So gut es geht die Hände weg.

Rogate: Vielen Dank, Herr Heinzlmaier, für das Gespräch!

Weitere Freitagsfragen – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de

Mehr über das Instituts für Jugendkulturforschung finden Sie hier: jugendkultur.at/institut/

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Willkommen zu unseren öffentlichen Gottesdiensten in der gastgebenden Ev. Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, 10783 Berlin-Schöneberg, Lageplan:

  • Dienstag, 30. Sept. 14 |19:00 Uhr, KONVENTSAMT ZU ST. MICHAELIS. Orgel: Malte Mevissen.
  • Donnerstag, 2. Oktober, 19:30 Uhr, Komplet
  • 1975214_857746527575550_8870122910474125824_nFreitag, 3. Oktober 2014| 15:00 Uhr, Gottesdienst für Mensch und Tier. Hier der Flyer 2014. Predigt: Thomas Schimmel. Mit dem Kummelby Kirchenchor aus Sollentuna-Stockholm. Orgel: Uwe Schamburek.
  • Sonnabend, 11. Oktober 2014| 12:00 Uhr, Mittagsgebet und Andacht für Trauernde, Neuer-Zwölf-Apostel-Kirchhof, Werdauer Weg 5, S Schöneberg. Mit Gedenken an die Toten des 1. Weltkrieges. Mit Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler, Tempelhof-Schöneberg.

 

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