Fünf Fragen an: Prof. Dr. Sabine Hark, Technische Universität Berlin

Fünf Fragen an Prof. Dr. Sabine Hark, Leiterin Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZIFG) an der Technischen Universität Berlin, über das Verbot der Gender Studies in Ungarn, die Bedeutung von Freiheit in der Forschung und einer wichtige Wissensquelle für die gesellschaftliche Entwicklung.

2018 Prof Dr Sabine Hark

Prof. Dr. Sabine Hark (Bild: privat)

Die Berliner Soziologin Sabine Hark ist eine der profiliertesten Geschlechterforscherinnen in Deutschland, die sich selbst als „notorische (In-)Fragesteller_in“ beschreibt. Sie schrieb früh über „Grenzen lesbischer Identitäten“; sie beschäftigt sich u.a. mit europaweit stärker werdenden homophoben und antifeministischen Bewegungen. Seit 2009 leitet Hark das Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der Technischen Universität Berlin. In Mainz und Frankfurt am Main studierte sie Politikwissenschaft und Soziologie. 1995 wurde sie an der Freien Universität Berlin promoviert.

Rogate-Frage: Frau Professorin Hark, was wissen Sie über das Verbot der Genderstudies in Ungarn?

Sabine Hark: Bereits im August dieses Jahres hatte die ungarische Regierung angekündigt, die Gender Studies aus der Liste der genehmigten Studiengänge an ungarischen Universitäten streichen zu wollen. Es gäbe zu wenig Studierende – was nicht stimmt, die Programme sind ausgelastet –, vor allem aber stellten die Gender Studies einen „Angriff auf den gesunden Menschenverstand“ dar, der nur Männer und Frauen kenne und dies sei alles, was es hier zu wissen gäbe, so der Stabschef der ungarischen Regierung, Gergely Gulyas. Aufgrund des starken internationalen Protestes, der dies als Angriff auf die Freiheit von Forschung und Lehre wertete, vertagte die Regierung die Entscheidung, um sie jetzt gewissermaßen still und heimlich einfach umzusetzen. Gender Studies wird in Ungarn an zwei Universitäten in akkreditierten Master-Studiengängen gelehrt, an der staatlichen Eötvös-Loránd-Universität (ELTE) in Budapest und der privaten, aber staatlich anerkannten Central European University (CEU) ebenfalls in Budapest. Diese dürfen jetzt keine neuen Studierenden mehr aufnehmen, wobei das Progamm an CEU immer noch eine US-amerikanische Akkreditierung hat.

Rogate-Frage: Was wissen Sie über die Situation und Lage Ihrer Kolleginnen und Kollegen, den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie der Studierenden vor Ort?

Sabine Hark: Unmittelbar betroffen sind erst einmal die Kolleginnen und Kollegen, die in diesen Programmen unterrichten. Ob ihre Anstellungen an diesen Studiengängen hängen, weiß ich nicht. Das wird aber sicher in einigen Fällen so sein. Und natürlich verstärkt eine solche Entscheidung den Rechtfertigungsdruck, unter dem die Gender Studies ohnehin seit einigen Jahren europaweit stehen. Die Studierenden, die jetzt eingeschrieben sind, können ihr Studium noch zu Ende führen, es werden aber keine neuen aufgenommen. Die ungarischen Kolleginnen und Kollegen informieren und mobilisieren derzeit weltweit den Protest gegen diese Entscheidung. Auch ein internationaler Streik der Gender Studies ist im Gespräch.

Rogate-Frage: Welche Auswirkungen hat ein nationales Verbot für die Genderstudies international?

Sabine Hark: Im besten Fall rüttelt das Verbot die internationale Staatengemeinschaft noch stärker auf und erkennt, dass der Angriff auf die Gender Studies strategisch gesehen sowohl ein Angriff auf die Freiheit von Forschung und Lehre ist als auch Teil des weltweiten Kampfes gegen Selbstbestimmung, sexuelle Freiheit und reproduktive Rechte. Es ist ein Pfeiler des nationalautoritären Angriffs auf die Demokratie. Das erleben wir ja weltweit in vielen Staaten, dass Angriffe auf die Pressefreiheit und die Wissenschaftsfreiheit Teil der neoreaktionären Landnahme der Demokratie sind. Das europäische Parlament hat ja bereits ein Verfahren gegen Ungarn eingeleitet, in dem es darum geht, ob Ungarn gegen die Werte und Prinzipien der Europäischen Union verstößt. Die Verletzungen der Wissenschaftsfreiheit sind hier explizit genannt. Auch die Gender Studies organisieren sich international derzeit noch einmal stärker, um solchen Anfeindungen entgegen treten zu können. Wir dürfen die Situation nicht unterschätzen. Hier sind Kräfte am Werk, die größer sind als die ungarische Regierung.

Rogate-Frage: Was geht der Wissenschaft und der gesellschaftlichen Entwicklung verloren, wenn dieser Wissenschaftsbereich fehlen würde?

Sabine Hark: Die Gender Studies beschäftigen sich ja mit vielen Fragen und Thematiken, nicht nur dem Verhältnis der Geschlechter und Fragen individueller geschlechtlicher Identität, sondern auch mit Fragen der Organisation von Familie und Verwandtschaft, mit Erwerbsarbeit und Entlohnung, mit Gewalt, Krieg und Terror, mit der gerechten Organisation von Gesellschaft etwa im Bereich Bildung, Erziehung, Pflege und Sorge für andere, mit Technikentwicklung, Kunst, Literatur und vielem anderen. Wenn all dies nicht mehr aus der Perspektive der Geschlechterordnung betrachtet werden kann, verlieren Gesellschaften eine wichtige Wissensquelle, die sie für ihre Entwicklung und die Gestaltung eines guten, von Zwang und Gewalt freien Lebens für alle dringend brauchen.

Rogate-Frage: Welche Entwicklungen befürchten Sie für andere Länder und wie nehmen Sie die politische Diskussion in der Bundesrepublik wahr?

Sabine Hark: In der Bundesrepublik sind die Gender Studies ja schon seit bald fünfzehn Jahren Unterstellungen ihrer Unwissenschaftlichkeit und dem Vorwurf, dass sie Ideologie produzierten und keine wissenschaftlichen Ergebnisse, ausgesetzt. Das reicht leider teilweise bis weit in die bürgerliche Mitte hinein. Immer wieder finden sich auch in seriösen Zeitungen und Magazinen wie der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ oder auch der „Süddeutschen Zeitung“ und dem „Spiegel“ Artikel, die argumentieren, dass Geld für die Gender Studies eine Verschwendung von Steuergeldern sei und in der Byzantinistik oder der Meteorologie besser eingesetzt wären. Selbst Stimmen im Feminismus, allen voran Alice Schwarzer, behaupten immer wieder, wir würden eine wirklichkeitsfremde Ideologie propagieren, die mit der Lebensrealität der Menschen nichts zu tun hätte. Und seit die AfD in den Parlamenten sitzt, nutzen sie intensiv das Mittel kleiner und großer parlamentarischer Anfragen, um ihrem Ziel der Abschaffung von Geschlechterforschungs-Studiengängen näher zu kommen. All dies ist, wie gesagt, Teil des nationalautoritären Angriffs auf die Demokratie. Das müssen wir erkennen und die Gender Studies als Teil einer offenen, pluralistischen und demokratischen Gesellschaft verteidigen.

Rogate: Vielen Dank, Frau Professorin Hark, für das Gespräch!

Mehr über das Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung finden Sie hier: zifg.tu-berlin.de

Weitere Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de

_________________________________________________

Willkommen zu unseren öffentlichen Gottesdiensten: