Fünf Fragen an: Pater Dr. Jörg Alt, Hilfswerk Jesuitenweltweit

Fünf Fragen an Pater Jörg Alt, Jesuit, über die Idee einer Finanzaktionssteuer, heute illegales Abfallcontainern und ein christlicher Glaube, der die Welt ein Stück gerechter und besser machen will. Ein Interview im Rahmen des Rogate-Demokratieprojekts „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“.

P. Dr. Jörg Alt SJ (Bild: Jesuitenweltweit)

P. Dr. Jörg Alt SJ hat Abschlüsse in Philosophie, Theologie und Soziologie. Seine Themenbereiche sind Flucht, Migration, Steuergerechtigkeit, Sozialethik und Klimagerechtigkeit. Er wohnt in Nürnberg und ist Mitarbeiter in der Hochschulseelsorge und dem Hilfswerk Jesuitenweltweit.

Rogate-Frage: Herr Pater Dr. Alt, Sie gründeten und leiten die Kampagne „Steuer gegen Armut – Finanztransaktionssteuer“. Was verbirgt sich dahinter?

Jörg Alt: Als ich irgendwann nach der Weltfinanzkrise 2007/8 die Zeitung durchblätterte fiel mir auf, wie viel überall gespart wurde beziehungsweise allgemeine Steuern und Abgaben erhöht wurden, aber nirgendwo erkennbar war, wie Banken, Investoren und andere Finanzdienstleister an dem Schaden beteiligt werden, den sie verursacht hatten. Das empfand ich als empörend ungerecht – und einige andere auch.

Als wir dann von Stephan Schulmeister das Konzept der Finanztransaktionssteuer erfuhren, war die Kampagne klar: Den Banken und Finanzdienstleistern pro Transaktion eine kleine Gebühr abverlangen, und mit den so generierbaren Milliardenerlösen jenen helfen, die von der Auswirkung der Finanzkrise besonders hart getroffen wurden. Die Robin Hood Steuer also. Leider ist das, was an Guten selbst mit Unterstützung der Europäischen Kommission in Gang gekommen ist, inzwischen auf Betreiben von Deutschland und Frankreich eingeschlafen. Jetzt warten wir auf die nächste Finanzkrise, dann nehmen wir neuen Anlauf und dann werden wir uns wohl durchsetzen.

Rogate-Frage: Sie sind seit Jahrzehnten vielfältig politisch aktiv. Was treibt Sie um?

Jörg Alt: Meiner Meinung ist ein Glaube, der nicht zugleich die Welt ein Stück gerechter und besser macht, nicht viel wert. Das „Ordensparlament“ der Jesuiten, die Generalkongregation, hatte bereits 1974 festgelegt, dass für Jesuiten der Einsatz für Glaube und Gerechtigkeit miteinander verbunden werden muss. Das hat mich angesprochen. Deshalb bin ich Jesuit geworden.

Heute lautet der „Zehnjahresplan“ des Ordens bis 2030: 1. Eintreten für eine Verbindung zwischen Mensch und Gott/Exerzitien, 2. Für soziale Gerechtigkeit, 3. Für ökologische Nachhaltigkeit und 4. Für die Anliegen der Jugend der Welt. Auch dazu möchte ich meinen Beitrag leisten.

Rogate-Frage: Gegen Sie wird wegen eines „besonders schweren Falls von Diebstahl“ ermittelt. Was steckt dahinter?

Jörg Alt: Eine Gruppe, die sich „Aufstand der Letzten Generation“ nennt engagierte sich seit Herbst für einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln. Es kann nicht sein, so die Aktivisten, dass im Globalen Norden Lebensmittelüberproduktion, -verschwendung und -vernichtung herrscht, während 800 Millionen Menschen hungern. Und: Dass der Konsum des reichen Nordens Ackerflächen im Globalen Süden belegt, nur damit wir billige Steaks, Erdbeeren und Avocados zu jeder Jahreszeit haben.

Da auch Papst Franziskus dies schon lange anprangert dachte ich: „Da machste mit!“ Dazu wurden in vielen Städten Aktionen organisiert, bei denen Menschen von Supermärkten weggeworfene, aber immer noch perfekt essbare Lebensmittel aus den Abfallcontainern „widerrechtlich entnommen“ und dann kostenlos verteilt wurden. Anschließend riefen die Aktivist die Polizei und zeigten sich des Diebstahls von „herrenlosem Eigentum“ an. Seitdem wird auch gegen mich ermittelt. Mindeststrafe für mich: Drei Monate Gefängnis.

Natürlich ergab dies einen Aufschrei der Entrüstung und seitdem rotiert das politische Berlin, um ein EssenRettenGesetz zu verabschieden. Grüne und SPD wollen es, bis jetzt scheitert es aber an der FDP, der der Schutz von Privateigentum wichtiger ist als die Gemeinwohldienlichkeit und Sozialpflichtigkeit.

Rogate-Frage: Wie politisch sollten aus Ihrer Sicht Christ*innen, Kirchen und Ordensgemeinschaften in dieser Zeit sein und wie weit sollen sie gehen?

Rogate-Frage: Eine spannende Frage. Ich frage andersrum: Welcher Einsatz ist erforderlich, wenn wir der wissenschaftlichen Warnung Glauben schenken, dass uns noch vier bis zehn Jahre verbleiben, um durch entscheidende Richtungsänderungen zu vermeiden, dass wir unaufhaltsam in eine drei Grad heißere Welt abgleiten? Das 1,5 Grad Ziel können wir schon nicht mehr einhalten, diese Latte reißen wir spätestens 2030. Jedes Zehntelgrad mehr bedeutet heute noch unvorstellbare Katastrophen. Jahrzehnte warnt die Wissenschaft, immer wieder wurden Reformen von den Lobbies der Reichen hintertrieben und ausgebremst.

Selbst die Fridays und ihr Schulstreik haben zu keinen angemessenen Reformen geführt. Was sollen wir noch tun, fragen vor allem junge Menschen, um Gehör zu finden? Also müssen wohl drastischere, wenngleich gewaltfreie, Methoden zum Einsatz kommen.

Deshalb wurde ich zum Dieb, um dies zu vermeiden. Deshalb kleben sich Menschen in Deutschland auf Autobahnen, um Politik und Gesellschaft zuzurufen: „Kein weiter so. Noch können wir umkehren. Systemchange not Climatechange“.

Kommt Deutschland in Bewegung, folgt die EU. Kommt die EU in Bewegung, bleibt anderen Ländern keine Wahl als nachzuziehen – denn die EU ist weltgrößter Binnenmarkt und damit Standardsetzer. Wir haben eine riesige Verantwortung für die Welt.

Als ich den Jesuiten im Globalen Süden von den Autobahnblockaden erzählte, waren sie begeistert: „Endlich bekommt Deutschland eine Ahnung von den Disruptionen, die aufgrund des Klimawandels bei uns schon Alltag sind.“

Ich bin sicher: Hätte Franziskus nicht so viel zu tun, würde auch er Essen aus der Tonne klauen und mit Freuden ins Gefängnis gehen, wenn er dadurch Menschen in Aktion „hineinschocken“ könnte.

Rogate-Frage: Was macht Ihnen angesichts von Kippunkten, schmelzenden Polkappen, Kriegsgefahr, Artensterben und Hunger in der Welt Hoffnung?

Jörg Alt: Tja, meine Erfahrung bislang ist, dass Gott an vielen Stellen tätig ist, wo Menschen ihm eine Tür öffnen. Und ich habe immer wieder gespürt: Gott hat noch ein As im Ärmel, das wir nicht kennen. Auch wenn ich zusehends Angst vor der Zukunft habe, auf die wir zutrudeln, klammere ich mich an die Gewissheit, dass es noch nicht zu spät ist. Vorausgesetzt natürlich, dass sich viele Menschen endlich dazu aufraffen, auch den ihnen möglichen Beitrag zu leisten.

Rogate: Vielen Dank, Herr Pater Dr. Alt, für das Gespräch!

Weitere Interviews in der Reihe Freitagsfragen (Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin ISSN 2367-3710) – und Antworten – finden Sie hier: Rogatekloster.de.


Willkommen zu unseren nächsten Rogate-Gottesdiensten:

Varel, Friesland. Termine unseres Demokratieprojektes „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“

  • Donnerstag, 17. Februar 2022 | 19:30 Uhr, Ökumenische Klimakanzel mit Jürgen Rahmel, Varel, Dezernent Biosphärenreservat in der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer. Mitwirkende: Pfarrer Manfred Janssen (St. Bonifatius-Gemeinde) und N.N.. Ort: Sankt Bonifatiuskirche, Bürgermeister-Heidenreich-Str. 4, 26316 Varel.
  • Donnerstag, 24. Februar 2022 | 19:30 Uhr, Ökumenische Klimakanzel mit Siemtje Möller, Varel, Mitglied des Deutschen Bundestages und Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium der Verteidigung. Mitwirkende: Pfarrer Manfred Janssen (St. Bonifatius-Gemeinde), Pastor Benno Gliemann (Luther-Kirchengemeinde Wihelmshaven/Studierendenseelsorge) und Br. Franziskus (Rogate-Kloster). Ort: Sankt Bonifatiuskirche.

Jever, Friesland. Termine unseres Demokratieprojektes „FrieslandVisionen: Wie wollen wir morgen leben?“

Berlin, Schöneberg:

  • Ostersonntag, 17. April 2022 | 10:00 Uhr, Eucharistie. Predigt: Br. Franziskus. Ort: Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, Berlin-Schöneberg.
  • Dienstag, 17. Mai 2022 | 18:00 Uhr, ökumenischer Gottesdienst. Mit Erzbischof Dr. Heiner Koch (Erzbistum Berlin) und Bruder Franziskus (Rogate-Kloster). Ort: Zwölf-Apostel-Kirche, An der Apostelkirche 1, Berlin-Schöneberg.

Wilhelmshaven, Innenstadt:

  • Dienstag, 22. Februar 2022 | 18:00 Uhr, ökumenisches Friedensgebet anlässlich der Russlandkrise. Mit Oberbürgermeister Carsten Feist. Liturgie: Dechant Andreas Bolten (Sankt Willehad), Pastor Frank Moritz (Banter Kirche) und Bruder Franziskus (Rogate-Kloster). Ort: St. Willehadkirche, Bremer Straße 53, 26382 Wilhelmshaven.