Aktuell: 200 Jahre Talar. Ein Textil feiert Jubiläum. Teil 6.

Der schwarze Talar wurde vor 200 Jahren eingeführt. Wir würdigen dies mit einer kleinen Reihe und haben Frauen und Männer, Katholiken und Protestanten, Geistliche und Laien um ihre Meinung gefragt. Hier Teil 6 mit Beiträgen aus Hannover, Bad Überkingen, Berlin und Bolivien.

Hans-Martin Heinemann, Jahrgang 1953, Hannover, Pastor und Stadtsuperintendent im Ev.-luth. Stadtkirchenverband Hannover, evangelisch-lutherisch. „Der schwarze Talar ist der Gelehrtenrock. Evangelische Geistliche sind keine geweihten Männer. Sie gehören keinem Klerus an, der den Laien, dem Volk enthoben wäre. Sie tragen deshalb auch kein „priesterlich Gewand“.

Evangelische Geistliche sind studierte Leute, die mit Klugheit und Geschick ihren Gemeinden in deren Mitte als Pastoren dienen sollen.

Mit dem schwarzen Talar tragen sie den Stolz ihres Berufes und markieren ihre Berufung: Sie sind von der Gemeinde ausersehen und ordiniert – nachdem man sie ausgebildet hatte „an Verstand und Herz“ –, der ganzen Versammlung ihres Dorfes oder ihrer Stadt das Wort Gottes auszulegen und die Welt im Licht dieses Gotteswortes zu deuten.

Mit dem Tag der Ordination wird ihnen das Recht zugesprochen, ein Leben lang, auch über den aktiven Dienst hinaus, den Talar zu tragen als Zeichen dieser Berufung. Sie sind nicht größer oder wichtiger als der Müllmann, den man an seiner orangen Schutzkleidung erkennen kann, oder die Krankenschwester im weißen Kittel.

Sie haben wie andere einen Beruf „zum Besten der Gemeinde“ – und der schwarze Talar weist sie als Lehrer des Gotteswortes aus, als Seelsorger der Menschen und als Prediger des Evangeliums. Als Frauen und Männer erinnern sie daran, dass alle gleichermaßen berufen sind, an der kommenden Welt Gottes orientiert zu sein. Sie haben ihren Teil am apostolischen Dienst der ganzen Gemeinde. Deshalb tragen sie den schwarzen Talar. Bis heute ist das eine wunderbare „Vorstellung“.

Kathinka Kaden, 48 Jahre, Bad Überkingen (Baden-Württemberg), Pfarrerin, evangelisch.“Die Klarheit, mit der er mich zum Beispiel auf dem Friedhof von weitem bereits als Pfarrerin erkennbar macht, schätze ich am Talar. Dass ich mich darunter im Winter warm anziehen muss, zeigt mir, dass er kein Mantel ist. Schutzfunktion hat das weite Gewand dennoch. Es schützt mich nicht nur vor Blicken auf Figur und Garderobe während des Gottesdienstes. (Schuhe und Strümpfe müssen natürlich passen. Ich weiß von Kollegen, dass Diskussionen anstehen, wenn sie barfüßig in Sandalen Gottesdienst feiern.) Der Talar verschafft mir vor allem eine gewisse Autorität im öffentlichen Raum. (Seine Eignung als Umstandskleid, das für keinen schwangeren Bauch zu eng wird, sei deshalb auch nur nebenbei erwähnt.)

Ich mag besonders den weißen Talar, die Albe besser gesagt. Ich verbinde  damit vor allem Ostern. Ziehe ich ihn an, komme ich bereits in eine festliche Stimmung. Und erhalte auch die Rückmeldung, dass sich das auf die Gemeinde überträgt.

Noch mehr mag ich die violette, weiße, grüne oder rote Stola je nach Kirchenjahreszeit, ob über dem schwarzen Talar oder über der Albe, und bewundere diese auch bei Kolleginnen und Kollegen. Stolen können so verschieden sein.

Zu viel darf ich über den Talar aber nicht nachdenken. Prädikantinnen und Prädikanten, Diakoninnen und Diakone, die doch auch Gottesdienste leiten, tragen keine solche „Ganzkörper-Amtstracht“. Das Wissen darum, dass er vor 200 Jahren als königliche Beamtentracht eingeführt wurde, hilft mir nicht wirklich weiter: Wie lange leben wir jetzt schon in einer Demokratie? Noch mehr bringt mich das Beffchen ins Zweifeln. Als Frau muss ich es zwar nicht in jeder Landeskirche tragen. Doch lasse ich es weg, denken manche, ich hätte es aus Versehen vergessen. Wie viele wissen, dass es ursprünglich der Bartschutz für den Talar war?

Manchmal ertappe ich mich bei der Überlegung, ob eine Stola heutzutage nicht ausreichen würde.“

Christoph Lehmann, 49 Jahre, Berlin, Rechtsanwalt und Notar, römisch-katholisch. „Als Rechtsanwalt trage ich selbst bei Gericht gelegentlich eine Robe. Und ich finde das wichtig. Die  Robe macht dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten deutlich, dass er nicht bedingungsloser Vertreter von Parteiinteressen ist, sondern unabhängiges Organ der Rechtspflege. Er hat etwas Höherem zu dienen, nämlich der Suche nach Gerechtigkeit. Durch das Überstreifen dieses außergewöhnlichen Kleidungsstückes macht er deutlich, dass er nicht nur als eine bestimmte Person, sondern vor allem in einer bestimmten Funktion handelt. Ich selbst empfinde es immer wieder als hilfreich, dies auch durch solche Symbole zu verdeutlichen.

Ähnlich ist es mit dem Talar in der Kirche. Er unterstreicht, dass der Pastor nicht in erster Linie als Herr Meier oder Schulze am Altar steht und predigt, sondern dass er in einer bestimmten Funktion handelt. Er ist Diener seiner Gemeinde und dem Wort und der Botschaft Christi verpflichtet. Der Talar macht deutlich, dass er den Alltag hinter sich lässt und seine Rolle und Funktion voll angenommen hat. Im vielen Taufriten wird dem Täufling  ein Taufkleid angezogen. Damit wird symbolisch ausgedrückt, dass wir als Christen Christus gewissermaßen angezogen haben. Ähnliches gilt symbolisch  für den Talar im Gottesdienst. Der Pastor oder Liturg zieht seine Rolle gewissermaßen an, er akzeptiert damit die ihm übertragene Aufgabe der Verkündigung des Wortes des Herrn.“ Den Beitrag finden Sie in ganzer Länge hier.

Claus von Criegern, La Paz (Bolivien), Pfarrer, evangelisch. „Als wir im Predigerseminar unsere neuen Taläre erhielten, sind wir damit herumgesprungen wie Krähen auf dem Feld. Der Prof stand dabei und grinste – er kannte das schon. Später, beim ersten Gottesdienst, waren wir äußerst würdevoll. Dass wir jungen Vikare die ganze Tradition der evangelischen Kirche repräsentierten, machte uns beklommen. Da waren wir froh über die Dienstkleidung. Später entwickelte ich ein recht ambivalentes Verhältnis zum Talar. Einerseits erinnert er mich und die Gemeinde daran, dass wir in einer Kette von Erfahrungen mit dem Glauben und der kirchlichen Gemeinschaft stehen; das ist besonders dann wichtig, wenn wir existentiell gefordert sind, etwa bei schwierigen Beerdigungen oder in Krisensituationen der Gemeinde oder der Gesellschaft. Andererseits stört mich, dass persönliche Überzeugungen und Zweifel nicht vorkommen sollen – ein praktischer Theologe hat einmal gesagt: In der Predigt darf das Wort „Ich“ nicht vorkommen. Muß ich nicht, mit meinen Zweifeln und meinen Gedanken, mit meiner Persönlichkeit und meinen Fehlern, dastehen, einstehen für das Evangelium? Bildhaft gesprochen: Der Talar, der persönliche Unzulänglichkeiten – Bierbauch und dünne Beine – der preußischen Pfarrer überdecken sollte, mit dem geschrumpften Bartschoner, der kaum noch aufhellen kann, weil er vom Hautspeck des Halses und den Barthaaren schon isabellfarben nachgedunkelt ist, versteckt mich. Darf er das? Wir haben ja eine neue Mode: Priesterliche Stola über das düstere Gelehrtengewand, zum Aufhellen – oder eine Albe, einen weißen Talar ohne – schwarzen – Bartschoner. Passt das? Ist nicht einer der großen Unterschiede zwischen evangelischem Pfarrer und katholischem Priester gerade die priesterliche Funktion, die der eine bewußt nicht hat und die die Existenz des anderen ausfüllt? Ist es denn dann fair, wenn sich evangelische Pfarrer mit den fröhlichen Gewändern und Stolen der Priester schmücken? Wäre es dann nicht konsequenter, im Anzug ohne Talar und bunten Stolen aufzutreten? Andererseits: So ein Talar kann auch Rückhalt und Autorität geben – ach, was sind diese Adiaphora doch kompliziert!“

Den 1. Teil der Reihe „200 Jahre Talar. Ein Textil feiert Jubiläum“ mit Beiträgen u.a. von Maria Jepsen und Hans-Jochen Jaschke finden Sie hier. 2. Teil mit Statements Monika Grütters und Ulrich Fischer finden Sie hier. Einen Teil 3, mit Beiträgen von Wolfgang Gern und Ulrich Rüß ist hier zu finden. Teil 4 hier und Teil 5 hier.

Schwarz ging es nicht immer in evangelischen Gottesdiensten zu. Die Dokumentation „Historische Bilder zum Evangelisch-lutherischen Gottesdienst“ von Helmut Schatz zeigt es. Sie finden sie hier zum kostenlosen Download. 

Eine Zusammenstellung von Hinweisen zu liturgischen Gewändern in evangelischen Kirchen in Brandenburg (Autor: Helmut Schatz) finden Sie hier.

In der St. Marienkirche in Berlin-Mitte findet am 2. April 2011 eine kleine Ausstellung zu liturgischen Gewändern statt. Den Einladungsflyer finden Sie hier.

5 Kommentare zu „Aktuell: 200 Jahre Talar. Ein Textil feiert Jubiläum. Teil 6.

  1. Eine interessante Diskussion und Überlegung, dennoch finde ich, wie die protestantischen Seelsorger drüber denken, es eine Art modisches Zeichen bzw. Erkennungszeichen tragen.

    Da finde ich den Grundgedanken, denn die römisch-katholischen Ordensleuten haben, verbundener mit der religiösen Einstellung. Meist ist das Habit eine Erinnerung an die damalige Zeit des Ordensgründers oder Stifters, einfach und die Eitelkeit brechend und getragen mit schlichter, demütiger Eleganz. Meist, sofern nicht in der Mission, schwarz, als Zeichen der Ernsthaftigkeit und vielleicht bei Ordensfrauen, als Zeichen einer Witwe, als Braut Jesu-Christi und auch hier ist meist ein Schleier zu finden, der die Eitelkeit bricht und dennoch ist es den meisten Gemeinschaften, seit dem II. Vatikanischen Konzil selbst überlassen, ob man sich für oder gegen ein Habit entscheidet, denn ein Habit oder ein Talar macht nicht einen Menschen zu einem Menschen in Dienst von Gott und der Kirche, sondern lediglich seine Taten der Nächstenliebe, Fürsorge und das Auge für die Nöte der Menschen und dazu braucht es keine spezielle Kleidung, denn es sind die Laien, die die Kirche bilden und nicht der Klerus in spezieller Tracht.

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